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Westerwelle sieht seine Position gestärkt

Müller: Die Führung der FDP hatte gestern Nachmittag zu einem Krisengipfel oder Strategiegipfel nach Berlin geladen. Es war wohl zu viel der internen Attacken und Reibereien in den vergangenen Wochen, breit ausgetragen in aller Öffentlichkeit. Kritik am Parteichef, Kritik an der Generalsekretärin, Kritik am fehlenden inhaltlichen Profil der Liberalen und Kritik daran, als liberale Opposition in die politische Bedeutungslosigkeit zu verschwinden, denn wer fragt bei den anstehenden Reformthemen noch nach der FDP. Hinzu kommen die offenbar noch immer nicht verdauten Nachwehen des Möllemann-Skandals. In den Kommentaren häufen sich Unkenrufe nach dem Motto, die Liberalen werden doch nur noch zur Wahl des Bundespräsidenten gebraucht. - FDP-Chef Guido Westerwelle ist jetzt am Telefon. Guten Morgen nach Berlin!

    Westerwelle: Schönen guten Morgen Herr Müller!

    Müller: Herr Westerwelle, bereitet Opposition Frustration?

    Westerwelle: Es ist immer schöner, wenn man die Möglichkeit hat, das was man politisch für richtig erkannt hat auch durchzusetzen, aber wir haben für die Regierungsbeteiligung gekämpft. Wir haben sehr knapp verloren, leider für uns, leider fürs Land, und wir werden jetzt unserer Aufgabe als liberale Partei in der Opposition gerecht werden. Da gibt es eine Menge zu tun. Über den Bundesrat mit fünf Landesregierungsbeteiligungen haben wir auch ein gutes Stück machtpolitischen Einflusses.

    Müller: Das heißt bislang haben Sie die Rolle als Oppositionspartei noch nicht gefunden?

    Westerwelle: Doch, das haben wir. Vor allen Dingen hat dazu gestern Abend unser Strategiegipfel auch einen Beitrag geleistet. Ich bin sehr froh darüber, dass die Positionsschrift, die ich dort vorgelegt habe, sehr umfangreich diskutiert worden ist, sehr viel Zustimmung bekommen hat, natürlich auch in einzelnen sachlichen Fragen Widerspruch geerntet hat, aber dass die strategischen Schlussfolgerungen meiner Positionsschrift am Schluss einstimmig von allen Anwesenden unterstützt wurde. Das freut mich sehr. Das ist weit mehr als ich erwarten durfte.

    Müller: Herr Westerwelle, wir müssen natürlich auch im Interesse des Hörers auf die Zeit davor blicken, also vor diesem Gipfel gestern Abend. Wann haben Sie das denn gemerkt, dass sich der Unmut in der Partei weiter verbreitet?

    Westerwelle: Es geht nicht darum, wann ich gemerkt habe, dass es Unmut gab, sondern es geht einfach darum, dass wir ohnehin eine Strategiediskussion führen mussten. Die hätte wahrscheinlich im Frühjahr stattfinden sollen, aber das war, wie wir alle wissen, aus übergeordneten, zum Teil sehr tragischen Ereignissen nicht möglich. Jetzt haben wir eine wahlfreie Zeit vor uns, einige Monate, in denen wir uns insbesondere natürlich auch nach innen beschäftigen dürfen, aber der Blick nach innen darf die Arbeit nach außen nicht trüben und dementsprechend ist die Positionsschrift, die ich vorgelegt habe, vor allen Dingen auch ein programmatischer Neuanfang. Es geht um die Neugründung unserer Republik. Wir stehen vor einer neuen Gründerzeit und das ist auch der Unterschied zu den anderen Parteien. Die anderen Parteien meinen, mit Notoperationen im bestehenden System käme man noch einmal zurecht. Wir sagen: wir müssen dieses Thema auf völlig neue Fundamente stellen, neu aufbauen, bei der Steuer genauso wie beim Sozialstaat.

    Müller: Herr Westerwelle, bleiben wir bei der FDP. Sie haben gesagt es kommt nicht darauf an, solchen Unmut und Kritik innerhalb der Partei frühzeitig zu merken oder generell auch zu realisieren. Haben Sie als Parteichef denn dann umgekehrt gedeutet die Zügel zu lange schleifen lassen?

    Westerwelle: Wir sind eine liberale Partei und ich frage einfach mal zurück: Was erwarten Sie in einer liberalen Partei, Kadavergehorsam, Friedhofsruhe. Das wäre wirklich nichts, was ich mir in meiner Partei wünsche, und ich bin bewusst in eine FDP eingetreten, in der man auch kontrovers, lebhaft, gelegentlich auch sehr individualistisch diskutieren darf, ja soll. Das ist ein Prozess der produktiven Unruhe und nur weil ich jetzt Vorsitzender meiner Partei bin, werde ich doch wirklich diesen Charakterzug, diesen angenehmen schönen Charakterzug meiner Partei nicht in Frage stellen.

    Müller: Das heißt also umgekehrt, individualistisch muss die Partei sein. Das heißt für Sie auch, mit Verbalinjurien, die ja zum Teil auch in der Öffentlichkeit bekannt sind, die anderen Parteifreunde an die Wand zu klatschen?

    Westerwelle: Nein, natürlich nicht. Das war auch Thema. Das ist klar angesprochen worden und denjenigen, die das bei sich selbst getan haben, die vielleicht auch daneben gegriffen haben, denen ist das gesagt worden. Das ist klargestellt und ich gehe davon aus, dass sich das jetzt auch wieder beruhigt.

    Müller: Wie ist denn Ihr Verhältnis zu Walter Döring?

    Westerwelle: Wir arbeiten in der Führung der Partei gut zusammen und Walter Döring ist ein außergewöhnlich erfolgreicher Wirtschaftsminister in Baden-Württemberg. Wenn alle Wirtschaftsminister in den Ländern so erfolgreich wären, könnten sie sich freuen, denn Walter Döring ist es gelungen, in seiner Zeit, in der er jetzt Landeswirtschaftsminister ist, dafür zu sorgen, dass Baden-Württemberg das Land ist mit den besten wirtschaftspolitischen Strukturdaten.

    Müller: Er ist aber zugleich auch der härteste Kritiker der Partei?

    Westerwelle: Ach ja, das muss man aushalten. Wenn ich das nicht aushalten könnte, wenn mir die Küche zu heiß wäre, hätte ich nicht reingehen sollen.

    Müller: Wolfgang Kubicki, Fraktionschef im Kieler Landtag, attackiert seit Monaten Cornelia Pieper. Ist Cornelia Pieper die richtige Generalsekretärin?

    Westerwelle: Cornelia Pieper ist eine hoch kompetente, eine sehr sympathische und eine sehr frische Generalsekretärin ihrer Art nach und das kommt ja augenscheinlich auch bei den Wählern sehr gut an. Ich akzeptiere, dass jeder politisch kritisiert wird. Das gehört dazu. Nicht akzeptabel ist es, wenn in den Medien plötzlich der Sohn zum Angriffsziel gemacht wird, um die Politikerin, die Mutter, die Generalsekretärin zu treffen. Das finde ich ist etwas, was wir in Deutschland nicht beginnen sollten. Das ist unanständig. Ich bin aber mit der Arbeit der Generalsekretärin, vor allen Dingen auch gerade ihrer Aufbauarbeit in Ost-Deutschland sehr zufrieden, denn dass die FDP wieder eine von drei gesamtdeutschen Parteien ist, also auch im Osten über fünf steht, zuletzt in Sachsen-Anhalt über 13 Prozent bei der Landtagswahl gewinnen konnte, das ist zweifelsohne auch ein großes Verdienst von Cornelia Pieper. Wir hatten gerade eine Kommunalwahl in Brandenburg und dort ist die FDP mit über 2,3 Prozent Zuwachs auf über 6 Prozent gekommen. Das ist eine vorzügliche Arbeit unserer Kommunalpolitikerin und zugleich auch eine wirkliche Hoffnung dafür, dass es nächstes Jahr mit der FDP im Landtag auch eine neue Regierung in Brandenburg geben kann.

    Müller: Aber es ist schon richtig, dass Sie das Strategiepapier entwickelt haben und nicht die Generalsekretärin?

    Westerwelle: Aber das heißt ja nicht, dass ich mich nicht in allen wesentlichen Grundzügen mit ihr abgestimmt hätte. In bestimmten Situationen muss man als Parteivorsitzender vordenken, auch um die eigene Partei ins Nachdenken zu bringen. Ich denke es ist erforderlich, dass wir uns den großen Themen widmen. Viele meinen, nur weil jetzt endlich in Deutschland eine Standortdebatte geführt wird, eine technische Standortdebatte geführt wird, die wir als FDP ja angestoßen haben, wäre schon der Liberalismus plötzlich bei den anderen Parteien zu Hause. Was die allermeisten nicht verstanden haben: der Liberalismus ist keine technische Standortdebatte; er ist eine Wertehaltung. Dementsprechend braucht dieses Land übrigens auch, wenn es wieder nach vorne kommen will, nicht nur eine technische Standortdebatte, das Drehen an Stellschrauben; es braucht eine neue Wertedebatte. Wohin will diese Gesellschaft? - Meiner Einschätzung nach muss sie sich verabschieden vom Modell Verteilungsstaat. Sie muss sich zuwenden zu einer fairen und freien Gesellschaft, in der das Erwirtschaften wieder vor dem Verteilen kommt.

    Müller: Herr Westerwelle, es ist ja häufig so, aus Sicht des Politikers jedenfalls, dass die Bürger und die Wähler bestimmte Dinge nicht so richtig verstehen. Welche Fehler, welche Versäumnisse hat die FDP denn in Punkto Vermittlung?

    Westerwelle: Das ist glaube ich nicht in einigen Sätzen zu beantworten. Ich kann Ihnen nur eine Hauptursache nennen und die ist schmerzhaft, aber man muss sie einfach offen zugeben. Wir haben zwar bei der Bundestagswahl an Stimmen gewonnen. Wir haben ja auch an Mandaten gewonnen. Wir haben ein besseres Wahlergebnis als '94 und '98 erreicht. Wir haben aber gleichzeitig an Einfluss verloren. Das liegt daran, dass die strategische Position der FDP im deutschen Bundestag, die wir noch in der letzten Legislaturperiode hatten, durch das Votum der Wähler nicht mehr zu Stande kam. Wir sind eine größere Fraktion, aber mit weniger Einfluss. Das ist bitter. Ich glaube persönlich es ist besonders bitter fürs Land. Wenn ich mir ansehe, dass in den anderen Parteien schon wieder über Zwangskassen unter dem Stichwort Bürgerversicherung diskutiert wird, dann wäre eine stärkere FDP besser für das Land.

    Müller: Viele haben ja auch die Solidität, also die Standfestigkeit, die Prinzipientreue der FDP vermisst. Haben Sie dafür Verständnis?

    Westerwelle: Wenn solche Eindrücke entstanden sind - das habe ich aber bereits auch letzte Woche öffentlich gesagt -, dann muss man das selbstkritisch fragen: wie konnte das passieren. Wir haben das korrigiert. Das ist aber schon in der Bundestagsfraktion in der letzten Woche bei uns entschieden worden. Sie spielen ja zurecht auf einen Bereich an, nämlich auf die Modernisierung des Handwerksrechtes. Da ist eine Zeit lang der Eindruck entstanden, die Freien Demokraten seien ebenso wie angeblich freie Berufe nicht zur Modernisierung bereit. Das Gegenteil ist richtig. Das haben wir klargestellt. Wir wollen ein modernes Handwerksrecht, das in unsere Zeit passt, aber wir wollen eben auch die mittelständische Kultur erhalten. Sie ist nämlich das Rückgrat unserer Wirtschaft. Eine Zerschlagung des Handwerks, wo dann übrigens auch Tausende von Ausbildungsplätzen wegfallen würden, die ist mit uns nicht zu machen. Modernisierung ja und man sieht doch auch, dass im Bereich des Handwerks sehr viel mehr Modernisierungsbereitschaft mittlerweile vorhanden ist, als man früher behauptet hat.

    Müller: Sie sind bekannt dafür, Herr Westerwelle, dass Sie auch ganz kurze knappe Antworten geben können, wenn das erforderlich ist. Letzte Frage: Trifft die FDP eine Koalitionsaussage?

    Westerwelle: Das werden wir vor 2006 entscheiden, rechtzeitig, aber bestimmt nicht auf Vorrat jetzt. Das steht nicht an.

    Müller: FDP-Chef Guido Westerwelle war das. - Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!