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Westerwelle will auch künftig "eine enge Partnerschaft mit Ägypten"

Guido Westerwelle (FDP) will die gute Zusammenarbeit mit Kairo aufrechterhalten, stellt aber Bedingungen: Man werde die innenpolitische Entwicklung genau beobachten.

31.01.2011
    Jasper Barenberg: Erst stürzt die Bevölkerung in Tunesien ihren Diktator, jetzt erheben sich die Menschen in Ägypten. Kein Zweifel: Es brennt am südlichen Rand von Europa. Wie verhalten sich die europäischen Regierungen dazu? Das bevölkerungsreichste Land der arabischen Welt, es ist ein wichtiger Verbündeter in der Region. Ägypten schätzen die Europäer auch als Bollwerk gegen den gewaltbereiten Islamismus. Haben sie darüber die Schattenseiten autoritärer Potentaten in Kairo und anderswo aus dem Blick verloren?
    Am Telefon begrüße ich jetzt den deutschen Außenminister. Einen schönen guten Morgen, Guido Westerwelle.

    Guido Westerwelle: Schönen guten Morgen.

    Barenberg: Herr Westerwelle, hat der Westen, hat auch Deutschland zu lange hinweggeschaut über die Menschenrechtsverstöße, die es zumal in Ägypten gegeben hat?

    Westerwelle: Ich denke, dass ein Teil dieser Kritik berechtigt ist. Ich kann aber für die Bundesregierung sagen, dass wir bei dem Thema Menschenrechte, Bürgerrechte nicht weggesehen haben. Ich erinnere mich noch sehr genau an meinen ersten Besuch, den ich gehabt habe, in Kairo und bei aller Partnerschaft, die wir immer auch betont haben, zum Beispiel auch die konstruktive Rolle Ägyptens im Nahost-Friedensprozess, haben wir doch auch stets die Bürgerrechte und die Menschenrechte angesprochen und auch die Einhaltung angemahnt.

    Barenberg: Sie haben bei einem Besuch im vergangenen Jahr Mubarak einen Mann mit enormer Erfahrung, großer Weisheit und die Zukunft fest im Blick bezeichnet. Würden Sie das heute auch noch so sagen?

    Westerwelle: Sehen Sie, das ist ja vor dem Hintergrund des Nahost-Friedensprozesses gewesen und ich denke, wenn man die Geschichte wirklich angemessen bewerten will – ich bin hier gerade in Tel Aviv -, dann möchte ich auch noch einmal unterstreichen, dass die Rolle im Nahost-Friedensprozess von Ägypten stets eine konstruktive und auch eine stabile gewesen ist. Wir haben darüber hinaus aber nie einen Zweifel daran gelassen, dass wir natürlich die Achtung von Menschenrechten für unabdingbar halten, und deswegen hat die Bundesregierung ja auch sehr früh – und zwar unmittelbar zu Beginn auch dieser Proteste, die ja in Tunesien begonnen haben – immer wieder erklärt, wir stehen an der Seite der Demokratie. Hier gibt es jetzt eine Chance für eine Demokratisierung und wir haben auch dazu aufgerufen und rufen auch dazu auf, dieses berechtigte Begehren der Bürgerinnen und Bürger nach besseren Zukunftschancen, nach Freiheits- und nach Bürgerrechten nicht mit Gewalt zu unterdrücken. Wir fürchten übrigens, wenn dieses die Reaktion bleiben sollte, das heißt, dass mit Gewalt gegen Demonstrationen vorgegangen wird, dann spielt das genau denen in die Hände, die man nicht stärken will: den Islamisten und den Fundamentalisten, sprich den Extremen.

    Barenberg: Das heißt, mit Präsident Mubarak ist aus Ihrer Sicht kein Staat mehr zu machen?

    Westerwelle: Das ist nicht unsere Angelegenheit, das ist eine Angelegenheit, die jetzt auch in Ägypten zunächst einmal ausdiskutiert werden muss, und zwar in einem Dialog, zu dem wir auch Präsident Mubarak aufgefordert haben.

    Barenberg: Stellen Sie sich denn fest an die Seite derjenigen, die in diesen Tagen Freiheit verlangen, in Ägypten, in Kairo und in anderen Städten, auf die Seite derjenigen, die protestieren?

    Westerwelle: Wir stehen nicht an einer innenpolitischen Seite, sondern wir stehen an der Seite der Werte Menschenrechte, Demokratie, Bürgerrechte, Demonstrationsfreiheit, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit. Das sind fundamentale Werte, auf denen ja auch unsere demokratische Werteordnung in Europa beruht, und deswegen gibt es keinen Zweifel daran, dass wir überall in der Welt mit einer werteorientierten Außenpolitik dafür werben und unseren Beitrag dazu leisten, dass diese Werte auch respektiert werden. All diejenigen, die uns ja für die werteorientierte Außenpolitik in der Vergangenheit gelegentlich als Fantasten und Idealisten kritisiert haben, sehen jetzt ein, dass nämlich nur die Gewährung von Freiheit Gesellschaften stabil macht, insbesondere da, wo Mittelschichten im Aufbruch sind, und dass die Unterdrückung von Freiheiten dazu führt, dass Gesellschaften instabil werden.

    Barenberg: Herr Westerwelle, gehört zu dieser Partnerschaft auch, dass die Bundesrepublik 2009 mehr als doppelt so viele Rüstungsexporte nach Ägypten genehmigt hat wie noch im Jahr zuvor?

    Westerwelle: Ich kann jetzt nicht über angebahnte Projekte auch der Vorgängerregierungen hier im Detail sprechen. Eines jedenfalls ist völlig richtig, nämlich dass wir eine enge Partnerschaft mit Ägypten auch in Zukunft wollen. Wir wollen eine Wirtschaftspartnerschaft mit Ägypten, wir wollen auch eine Entwicklungspartnerschaft mit Ägypten. Ägypten ist ein bedeutendes und wichtiges Land. Aber das ist ja auch eine intensive Beziehung, die wir zum ägyptischen Volk pflegen, und das auch nicht seit wenigen Jahren, sondern schon lange gewachsen. Und diese Beziehungen stehen für uns außerhalb von jeder Diskussion. Allerdings haben wir auch der ägyptischen Regierung gegenüber klar gemacht, dass auch die Intensität unserer Zusammenarbeit, unserer politischen Zusammenarbeit immer auch unter der Beobachtung auch innerer demokratischer Entwicklungen steht.

    Barenberg: Das heißt, Herr Westerwelle, zum Beispiel bei der Entwicklungszusammenarbeit steht Ägypten ja an zweiter Stelle überhaupt, was die Aktivitäten der Bundesregierung angeht. Das werden Sie jetzt überdenken?

    Westerwelle: Nein, derzeit nicht, denn Entwicklungszusammenarbeit, wie wir sie mit Ägypten betreiben, ist eine Partnerschaft zu Gunsten der ärmsten und der armen, zu Gunsten von Entwicklung, medizinische Projekte, Energieprojekte. Das ist ja keine Bezahlung oder keine finanzielle Unterstützung von Regierungsstrukturen, sondern hier geht es ja um konkrete Entwicklungsprojekte, und wenn man die jetzt mal eben streichen würde, dann trifft man ja genau diejenigen, die derzeit auch demonstrieren für neue Zukunftschancen, und man würde deren Hoffnung ja zerstören. Also natürlich hängt jede Zusammenarbeit zwischen uns und anderen Ländern immer unter dem Vorbehalt auch der Beobachtung von entsprechenden inneren Entwicklungen, aber was wir betreiben mit Ägypten und was wir als Engagement zeigen in Ägypten, das ist ja ein klassisches Entwicklungsengagement gerade zu Gunsten derer, die bislang keine fairen Chancen hatten.

    Barenberg: Sie haben eben vor dem gewaltbereiten Islamismus in Ägypten gewarnt. Andere Politiker tun das jetzt auch. Ist das eigentlich begründet? Welche Indizien haben Sie eigentlich dafür, dass zum Beispiel die Muslimbrüder nicht gewillt sind, sich an einem demokratischen Prozess zu beteiligen?

    Westerwelle: Ich bin ja gerade in Tel Aviv und habe ja gestern Abend auch mit meinem israelischen Amtskollegen ausführliche Gespräche gehabt, und ich kann Ihnen sagen, dass wir insgesamt in der Region natürlich eine große Sorge erleben, nämlich die Sorge, dass aus dem berechtigten Freiheitswillen, aus dem berechtigten Wahrnehmen von demokratischen Rechten für Meinungsfreiheit sehr schnell auch andere ihre Chance suchen, mit anderen Worten: die Trittbrettfahrer auch der Islamisten, der Fundamentalisten. Das ist etwas, was wir natürlich auch mit Sorge beobachten müssen. Wir wollen ja eine demokratische Entwicklung befördern. Aber was wir nicht wollen ist, dass zum Beispiel, indem Gewalt angewendet wird, sich ein freiheitlicher Protest sehr schnell umwandeln könnte in Rückenwind für Islamisten und Fundamentalisten und Extremisten. Das ist ja auch nicht das, was wir in unserer Werteordnung vertreten – Gott sei Dank.

    Barenberg: Zum Schluss, Herr Westerwelle. Tausende Deutsche leben und arbeiten in Kairo, viele Tausend mehr machen gerade dort Urlaub. Gibt es einen Plan, diese Menschen im Fall der Fälle zu evakuieren?

    Westerwelle: Wir sind natürlich in engstem Kontakt, wie wir das ja auch in Tunesien bereits bewiesen haben, mit den Reiseveranstaltern. Das Auswärtige Amt rät von Reisen nach Ägypten aufgrund der instabilen Lage derzeit ab, insbesondere von Reisen nach Kairo, Alexandria, Suez sowie in die urbanen Zentren im Landesinneren und im Nil-Delta. Die Lage in den Tourismuszentren am Roten Meer ist derzeit ruhig. Jedenfalls ist das die Information von gestern Abend. Jeder Reisende wird jedoch gebeten, sich vor Reiseantritt sehr gründlich über die Sicherheitslage am konkreten Zielort der Reise zu informieren.

    Barenberg: Guido Westerwelle, der Bundesaußenminister, heute im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Vielen Dank, Herr Westerwelle, für das Gespräch.

    Westerwelle: Ich danke Ihnen. Auf Wiederhören!

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