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Westjordanland und Gazastreifen
Frust über Stillstand

Eigentlich sollten die Palästinenser morgen zur Kommunalwahl gehen. Es wäre der erste Wettstreit der verfeindeten Organisationen Hamas und Fatah seit zehn Jahren gewesen. Doch beide Seiten haben dafür gesorgt, dass die Wahl abgesagt wurde. Der Frust in der Bevölkerung wächst.

Von Benjamin Hammer | 07.10.2016
    Sie sehen eine Straße in Nablus im Westjordanland, dort kaufen viele Menschen ein.
    Viele Menschen sind frustriert von der Politik, nicht zuletzt weil schon wieder eine Wahl ausfällt. (picture-alliance / dpa / Alaa Badarneh)
    Dass es in Nablus Menschen gibt, die nicht viel Geld haben, das sieht man an einem Zigarettenstand kurz vor dem Basar. Ein Mann, der Thaer heißt, verkauft die Zigaretten hier meistens einzeln. Eine ganze Packung wäre für viele zu teuer. Der 25-jährige Palästinenser will nur seinen Vornamen nennen. Auf die abgesagten Wahlen angesprochen, wird er ziemlich deutlich.
    "Wir sind hier einfach nicht glücklich. Und ganz ehrlich, die Wahlen interessieren mich nicht. Es wird doch eh nichts Neues dabei rauskommen. Viele von uns sind arbeitslos und man braucht gute Beziehungen nach oben, wenn man einen Job haben will. Und die politische Führung? Egal ob Fatah oder Hamas: Die denken doch eh alle nur an sich."
    Hohe Arbeitslosigkeit
    Nablus, eine Stadt mit 150.000 Einwohnern, liegt im Zentrum des palästinensischen Westjordanlandes. Die Verkäufer der Stadt haben schon bessere Zeiten gesehen. Jeder fünfte Palästinenser ist arbeitslos, in der jungen Generation sind es noch mehr.
    Am Samstag hätten die Organisationen Fatah und Hamas frustrierte Bürger wie den Zigarettenverkäufer Thaer überzeugen können, dass sie sich kümmern, dass es voran geht. Doch dazu kommt es nicht. Die Wahlen wurden vorerst abgesagt.
    "Die Palästinenser lechzen nach personeller und ideologischer Erneuerung."
    Marc Frings ist der Leiter der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Ramallah.
    "Die Frustration ist in der Tat sehr groß. Es gab seit 2006 keine Wahlen mehr auf nationaler Ebene und was die Bevölkerung will, ist eine Erneuerung und eine klare Antwort auf die Frage, wie es strategisch weitergeht. Strategisch in Bezug auf den israelisch-palästinensischen Konflikt, in Bezug auf die wirtschaftliche Lage aber auch in Bezug auf nationale Versöhnung."
    Hamas und Fatah sorgten für ein Scheitern der Wahlen
    Die Palästinenser sind seit einem Jahrzehnt nicht nur geografisch gespalten. Im Gazastreifen an der Küste regiert die islamistische Hamas. Im Westjordanland hat die gemäßigtere Fatah das Sagen. Beide Bewegungen und Gerichte, die ihnen nahestehen, hatten in den vergangenen Wochen allerlei Gründe vorgebracht, warum die Kommunalwahlen nicht stattfinden könnten.
    So wurden Wahllisten des politischen Gegners aberkannt oder Gerichte für befangen erklärt. Hamas und Fatah geben sich gegenseitig die Schuld, dass die Wahlen gescheitert sind. Ayman Daragmeh ist Parlamentsabgeordneter der Hamas.
    "Die Gerichte im Westjordanland haben politisch entschieden, nicht juristisch. Hinter diesen Entscheidungen steckt eine Agenda der Fatah. Wir hatten so sehr auf die gemeinsamen Wahlen gehofft, auf einen Schritt, um die Spaltung unseres Volkes zu beenden."
    Bei der Hamas hatten sie immer wieder offen spekuliert: Die Fatah habe in Wahrheit Angst vor den Wahlen, fürchte sich vor großen Verlusten. Machmud Abbas, 81 Jahre alt, Fatah-Mitglied und palästinensischer Präsident, gilt in der Bevölkerung als unbeliebt. Die Fatah weist die Spekulationen energisch zurück. Osama Qawasmi ist der Sprecher der Bewegung.
    "Wir wollen friedliche und faire Wahlen. Wir von der Fatah halten uns auch an die demokratischen Prinzipien. Die Hamas hat es nicht getan. Demokratie ist ein sehr wichtiger Teil der palästinensischen Gesellschaft."
    Demokratisches Denken bei Palästininsern
    Eine demokratische Tradition in der palästinensischen Bevölkerung, die gebe es tatsächlich, sagt Marc Frings von der Adenauer-Stiftung.
    "Aber in der Tat habe ich das Gefühl, wenn es um die palästinensische Demokratiefähigkeit geht, man immer mehr auf die Vergangenheit rekurriert und die Gegenwart eher zu einer kritischen Bewertung führt. Journalisten haben es immer schwerer hier zu arbeiten, man geht gegen Aktivisten vor, die sich in sozialen Medien kritisch äußern zur palästinensischen Politik. Also das alles sind Indizien, dass die Luft für freies, kritisches Denken auf palästinensischer Seite immer dünner wird. "
    In der Altstadt von Nablus sitzt ein älterer Mann mit weißem Haar und Schnäuzer vor einem Geschäft, in dem Nüsse verkauft werden. Früher ging es uns besser, sagt er. Heute sei man eingeklemmt, zwischen der eigenen politischen Führung und der Besatzung durch die Israelis.
    "Natürlich gehe ich wählen, wenn es einmal soweit ist. Es ist sehr wichtig für uns, dass alle wählen. Wir Palästinenser sind doch eine Einheit, ein Volk. Wir lassen uns nicht trennen."
    Wahl soll nachgeholt werden
    Anfang der Woche erklärte die palästinensische Regierung im Westjordanland: Die Kommunalwahl soll in vier Monaten nachgeholt werden, nicht nur in der eigenen Region, sondern auch im von der Hamas beherrschten Gazastreifen. Marc Frings, der Leiter der Adenauer-Stiftung in Ramallah ist skeptisch, dass es dazu kommen wird.
    "Wir haben in diesem Monat ein Momentum verloren, das es so nicht mehr geben wird", sagt Frings.