Engels: Der Vorsitzende der kassenärztlichen Bundesvereinigung, Manfred Richter-Reichhelm, nannte gestern den Entwurf für die Gesundheitsreform eine Katastrophe. Ulla Schmidt gibt sich dagegen optimistisch. Teile der Ärzteschaft würden ihren Kurs unterstützen. - Am Telefon ist nun Klaus Kirschner (SPD), Vorsitzender des Gesundheitsausschusses im Deutschen Bundestag. Guten Morgen!
Kirschner: Guten Morgen Frau Engels.
Engels: Haben Sie auch Anzeichen dafür, dass die Ärzteschaft bei der Reform doch mitzieht?
Kirschner: Ja gut, es gibt positive Signale - das habe ich zumindest aus den Pressemitteilungen und auch aus der Rede von Dr. Richter-Reichhelm, also dem Vorsitzenden der kassenärztlichen Bundesvereinigung, vernommen -, was unser Hausarztsystem angeht. Allerdings was dann an Kritik kommt - und Sie haben ja gerade darauf hingewiesen bzw. in dem Beitrag, dass der Präsident der Bundesärztekammer, Herr Prof. Hoppe, wenn es darum geht, dass wir ein deutsches Institut für Qualität in der Medizin einrichten wollen, bei dem ja die Ärzte mit beteiligt sind oder beteiligt werden sollen, die kassenärztliche Bundesvereinigung und die Bundesärztekammer -, wenn man da von Schablonenbehandlungen redet, dafür habe ich kein Verständnis. Es geht hier darum, dass wissenschaftliche Erkenntnisse, die weltweit da sind, auch unseren Patientinnen und Patienten hier in Deutschland zugute kommen, das heißt in Punkto besserer Medizin. Von Schablonenmedizin oder Leitlinien oder Einheitsmedizin kann überhaupt nicht die Rede sein. Es geht um eine Verbesserung der Medizin. Der Sachverständigenrat für die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen hat ja in seinem Gutachten 2000 und 2001 deutlich gemacht, wo wir Unter- und Fehlversorgung bei gleichzeitiger Überversorgung haben. Das ist ja der Auftrag auch an die Politik zu handeln. Einer dieser Aufträge ist beispielsweise, dieses deutsche Institut für Qualität in der Medizin zu schaffen.
Engels: Sie haben es angesprochen. Dieser Punkt ist umstritten, zum Teil auch in der Ärzteschaft. Man hat ja eh den Eindruck, dass sich in der Ärzteschaft verschiedene Meinungen herausbilden. Hausärzte finden dieses Lotsenmodell mit dem Hausarzt gut. Fachärzte lehnen es zum Teil ab. Die kassenärztliche Bundesvereinigung verweigert sich, dass ihr Einfluss beschnitten werden soll. Ist das vielleicht ein Ziel der Gesundheitsreform, die Ärzteschaft in sich zu spalten, um dann mehr durchsetzen zu können?
Kirschner: Nein. Wir wollen vor allen Dingen mehr Wettbewerb um Qualität und mehr Wettbewerb brauchen wir auch um Wirtschaftlichkeit. Denn eines ist völlig klar: Unser bundesdeutsches Gesundheitssystem ist im Verhältnis zu den europäischen Nachbarn erheblich teurer. Nur die Schweiz liegt noch über uns. Alle anderen Länder liegen unter uns. Und wenn man die durchschnittliche Lebenserwartung anschaut, dann bewegen wir uns im Mittelfeld, also nicht in der Spitze gemessen zum Geldausgeben. Dies zeigt doch offensichtlich, dass wir erhebliche Defizite haben, einerseits bei der Versorgung - wir haben auch Spitzenmedizin; das muss man einfach sehen -, aber wir haben in vielen Bereichen Defizite und wir geben dafür sehr, sehr viel Geld aus, wo man auch erheblich einsparen kann. Wenn ich mir mal eine der großen Volkskrankheiten vor Augen halte, beispielsweise die Diabetes, da hat die damalige Bundesregierung - und das gilt auch jetzt nach wie vor - 1989 die St.-Vinzens-Deklaration ausgegeben, wo wir sagen, dass etwa die Erblindungen um ein Drittel gesenkt werden sollte. Wenn man sich das in Deutschland anguckt: wir haben nach wie vor 6000 Neuerblindungen als Folge von Diabetes und der Sachverständigenrat hat uns ein miserables Zeugnis ausgestellt, was die Erfolge bzw. die Behandlung von Diabetikern und Diabetikerinnen angeht. Deshalb muss das verbessert werden. Wir müssen die gleichen Erfolge erziele wie vergleichbare Länder. Dazu dient beispielsweise dieses Institut. Dazu dient auch etwa, dass wir sagen, wir wollen Einzelverträge ermöglichen. Das heißt wir wollen diese Blockadestrukturen aufbrechen. Das halte ich für notwendig.
Engels: Das heißt die kassenärztliche Bundesvereinigung schwächen?
Kirschner: Was heißt die kassenärztliche Bundesvereinigung schwächen? Jeder redet doch letzten Endes von mehr Wettbewerb im System im Sinne der Patientinnen und Patienten. Ich habe den Eindruck - und das wird durch diese Reden deutlich -, da wird von Staatsmedizin geredet. Genau umgekehrt ist der Fall. Diejenigen die jetzt darauf sitzen, sind doch die Reformverhinderer. Das sind doch die Staatsmonopolisten, die verhindern wollen, dass endlich mehr Wettbewerb um Qualität und mehr Wirtschaftlichkeit stattfindet. Da bin ich auch sehr froh, dass zum Beispiel die Hausärzte bei dem, was wir hier vorschlagen, ganz eindeutig auf unserer Seite sind. Diejenigen, die um ihre Pfründe fürchten, die wollen, dass alle Zwangsmitglieder in den kassenärztlichen Vereinigungen bleiben müssen. Die fürchten natürlich um ihre Pfründe und da gibt es die Auseinandersetzungen. Ich denke aber, die Bevölkerung steht schon auf unserer Seite, wenn sie erkennen, wir machen einen Wettbewerb, wo die Qualität am Schluss steigt.
Engels: Nehmen wir an, Sie schaffen es, mehr Wettbewerb ins Gesundheitswesen zu bringen, und setzen auch die Einsparungen durch. Mit diesen Einsparungen und der erhöhten Tabaksteuer will ja Ulla Schmidt die Beiträge, die heute bei 14,3 Prozent liegen, auf 13 Prozent drücken. Ist das denn bei aller optimistischen Schätzung angesichts der neuen Wachstumsschwäche überhaupt noch realistisch?
Kirschner: Ich denke es wird zu Beitragssatzsenkungen kommen. Wie weit, das wird man dann sehen müssen.
Engels: Also nicht auf 13 Prozent?
Kirschner: Das wird man dann sehen müssen. Ich glaube wir befinden uns am Beginn eines Prozesses. Eines ist völlig klar: Wenn wir sagen, wir müssen den Beitragssatz senken. Beispielsweise - und das wird ja auch von den Kassenfunktionären völlig verschwiegen - verlangen wir von den Versicherten, von den Patienten erhebliche finanzielle Opfer, wenn Sie beispielsweise daran denken, dass die Brillen in Zukunft nicht mehr von den Kassen erstattet werden, wenn beispielsweise Betriebsrenten voll krankenversicherungspflichtig werden. Sie haben auch darauf hingewiesen: das Krankengeld soll ja so sein, dass in Zukunft die Finanzierung der Gesamtausgaben zu 47 Prozent nur noch von den Arbeitgebern gemacht wird und 53 Prozent von den Versicherten, einschließlich Beitragszahler auf der Arbeitnehmerseite und einschließlich der Rentnerinnen und Rentner. Dann denke ich, wenn wir das den Menschen zumuten, dann müssen wir auch endlich dafür zu Strukturreformen kommen, wo wir auch die Ärzteschaft, die organisierte Ärzteschaft in mehr Verantwortung bekommen. Dazu dienen die Einzelverträge, dass die Krankenkassen sagen, wenn Ärzte sich neu niederlassen, dann prüfen wir, ob wir einen Arzt überhaupt benötigen in überversorgten Gebieten, denn wir haben zum Teil erheblich überversorgte Gebiete. In solchen Einzelverträgen wird dann eben Wirtschaftlichkeit und Qualität als solches Teil dieses Vertrages werden. Dann denke ich ist es auf der Seite der Ärzte zumutbar, wenn wir andererseits solche finanziellen Opfer von den Versicherten abverlangen.
Engels: Herr Kirschner, Sie sprechen von dem Beginn eines Prozesses bei der Gesundheitsreform. Heißt das, dass der Beitragszahler weitere Einschnitte, ein weiteres Durcheinander in der Gesundheitsreform fürchten muss?
Kirschner: Nein. Das heißt im Klartext: wir beginnen voraussichtlich Anfang Juni mit dem Gesetzgebungsverfahren - das ist damit gemeint - und versuchen, das was den Bundestag angeht vielleicht noch vor der Sommerpause abzuschließen. Dann wissen Sie ja: dann geht das in den Bundesrat. Dort haben wir andere Mehrheitsverhältnisse. Dann geht es voraussichtlich in den Vermittlungsausschuss. Das meine ich damit. Wir werden also vom heutigen Stand aus bis zum Ende des Jahres diesen ganzen parlamentarischen Prozess zu begleiten haben.
Engels: Vielen Dank! - Das war Klaus Kirschner. Er ist der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Deutschen Bundestag von der SPD. Ich bedanke mich für das Gespräch!
Link: Interview als RealAudio
Kirschner: Guten Morgen Frau Engels.
Engels: Haben Sie auch Anzeichen dafür, dass die Ärzteschaft bei der Reform doch mitzieht?
Kirschner: Ja gut, es gibt positive Signale - das habe ich zumindest aus den Pressemitteilungen und auch aus der Rede von Dr. Richter-Reichhelm, also dem Vorsitzenden der kassenärztlichen Bundesvereinigung, vernommen -, was unser Hausarztsystem angeht. Allerdings was dann an Kritik kommt - und Sie haben ja gerade darauf hingewiesen bzw. in dem Beitrag, dass der Präsident der Bundesärztekammer, Herr Prof. Hoppe, wenn es darum geht, dass wir ein deutsches Institut für Qualität in der Medizin einrichten wollen, bei dem ja die Ärzte mit beteiligt sind oder beteiligt werden sollen, die kassenärztliche Bundesvereinigung und die Bundesärztekammer -, wenn man da von Schablonenbehandlungen redet, dafür habe ich kein Verständnis. Es geht hier darum, dass wissenschaftliche Erkenntnisse, die weltweit da sind, auch unseren Patientinnen und Patienten hier in Deutschland zugute kommen, das heißt in Punkto besserer Medizin. Von Schablonenmedizin oder Leitlinien oder Einheitsmedizin kann überhaupt nicht die Rede sein. Es geht um eine Verbesserung der Medizin. Der Sachverständigenrat für die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen hat ja in seinem Gutachten 2000 und 2001 deutlich gemacht, wo wir Unter- und Fehlversorgung bei gleichzeitiger Überversorgung haben. Das ist ja der Auftrag auch an die Politik zu handeln. Einer dieser Aufträge ist beispielsweise, dieses deutsche Institut für Qualität in der Medizin zu schaffen.
Engels: Sie haben es angesprochen. Dieser Punkt ist umstritten, zum Teil auch in der Ärzteschaft. Man hat ja eh den Eindruck, dass sich in der Ärzteschaft verschiedene Meinungen herausbilden. Hausärzte finden dieses Lotsenmodell mit dem Hausarzt gut. Fachärzte lehnen es zum Teil ab. Die kassenärztliche Bundesvereinigung verweigert sich, dass ihr Einfluss beschnitten werden soll. Ist das vielleicht ein Ziel der Gesundheitsreform, die Ärzteschaft in sich zu spalten, um dann mehr durchsetzen zu können?
Kirschner: Nein. Wir wollen vor allen Dingen mehr Wettbewerb um Qualität und mehr Wettbewerb brauchen wir auch um Wirtschaftlichkeit. Denn eines ist völlig klar: Unser bundesdeutsches Gesundheitssystem ist im Verhältnis zu den europäischen Nachbarn erheblich teurer. Nur die Schweiz liegt noch über uns. Alle anderen Länder liegen unter uns. Und wenn man die durchschnittliche Lebenserwartung anschaut, dann bewegen wir uns im Mittelfeld, also nicht in der Spitze gemessen zum Geldausgeben. Dies zeigt doch offensichtlich, dass wir erhebliche Defizite haben, einerseits bei der Versorgung - wir haben auch Spitzenmedizin; das muss man einfach sehen -, aber wir haben in vielen Bereichen Defizite und wir geben dafür sehr, sehr viel Geld aus, wo man auch erheblich einsparen kann. Wenn ich mir mal eine der großen Volkskrankheiten vor Augen halte, beispielsweise die Diabetes, da hat die damalige Bundesregierung - und das gilt auch jetzt nach wie vor - 1989 die St.-Vinzens-Deklaration ausgegeben, wo wir sagen, dass etwa die Erblindungen um ein Drittel gesenkt werden sollte. Wenn man sich das in Deutschland anguckt: wir haben nach wie vor 6000 Neuerblindungen als Folge von Diabetes und der Sachverständigenrat hat uns ein miserables Zeugnis ausgestellt, was die Erfolge bzw. die Behandlung von Diabetikern und Diabetikerinnen angeht. Deshalb muss das verbessert werden. Wir müssen die gleichen Erfolge erziele wie vergleichbare Länder. Dazu dient beispielsweise dieses Institut. Dazu dient auch etwa, dass wir sagen, wir wollen Einzelverträge ermöglichen. Das heißt wir wollen diese Blockadestrukturen aufbrechen. Das halte ich für notwendig.
Engels: Das heißt die kassenärztliche Bundesvereinigung schwächen?
Kirschner: Was heißt die kassenärztliche Bundesvereinigung schwächen? Jeder redet doch letzten Endes von mehr Wettbewerb im System im Sinne der Patientinnen und Patienten. Ich habe den Eindruck - und das wird durch diese Reden deutlich -, da wird von Staatsmedizin geredet. Genau umgekehrt ist der Fall. Diejenigen die jetzt darauf sitzen, sind doch die Reformverhinderer. Das sind doch die Staatsmonopolisten, die verhindern wollen, dass endlich mehr Wettbewerb um Qualität und mehr Wirtschaftlichkeit stattfindet. Da bin ich auch sehr froh, dass zum Beispiel die Hausärzte bei dem, was wir hier vorschlagen, ganz eindeutig auf unserer Seite sind. Diejenigen, die um ihre Pfründe fürchten, die wollen, dass alle Zwangsmitglieder in den kassenärztlichen Vereinigungen bleiben müssen. Die fürchten natürlich um ihre Pfründe und da gibt es die Auseinandersetzungen. Ich denke aber, die Bevölkerung steht schon auf unserer Seite, wenn sie erkennen, wir machen einen Wettbewerb, wo die Qualität am Schluss steigt.
Engels: Nehmen wir an, Sie schaffen es, mehr Wettbewerb ins Gesundheitswesen zu bringen, und setzen auch die Einsparungen durch. Mit diesen Einsparungen und der erhöhten Tabaksteuer will ja Ulla Schmidt die Beiträge, die heute bei 14,3 Prozent liegen, auf 13 Prozent drücken. Ist das denn bei aller optimistischen Schätzung angesichts der neuen Wachstumsschwäche überhaupt noch realistisch?
Kirschner: Ich denke es wird zu Beitragssatzsenkungen kommen. Wie weit, das wird man dann sehen müssen.
Engels: Also nicht auf 13 Prozent?
Kirschner: Das wird man dann sehen müssen. Ich glaube wir befinden uns am Beginn eines Prozesses. Eines ist völlig klar: Wenn wir sagen, wir müssen den Beitragssatz senken. Beispielsweise - und das wird ja auch von den Kassenfunktionären völlig verschwiegen - verlangen wir von den Versicherten, von den Patienten erhebliche finanzielle Opfer, wenn Sie beispielsweise daran denken, dass die Brillen in Zukunft nicht mehr von den Kassen erstattet werden, wenn beispielsweise Betriebsrenten voll krankenversicherungspflichtig werden. Sie haben auch darauf hingewiesen: das Krankengeld soll ja so sein, dass in Zukunft die Finanzierung der Gesamtausgaben zu 47 Prozent nur noch von den Arbeitgebern gemacht wird und 53 Prozent von den Versicherten, einschließlich Beitragszahler auf der Arbeitnehmerseite und einschließlich der Rentnerinnen und Rentner. Dann denke ich, wenn wir das den Menschen zumuten, dann müssen wir auch endlich dafür zu Strukturreformen kommen, wo wir auch die Ärzteschaft, die organisierte Ärzteschaft in mehr Verantwortung bekommen. Dazu dienen die Einzelverträge, dass die Krankenkassen sagen, wenn Ärzte sich neu niederlassen, dann prüfen wir, ob wir einen Arzt überhaupt benötigen in überversorgten Gebieten, denn wir haben zum Teil erheblich überversorgte Gebiete. In solchen Einzelverträgen wird dann eben Wirtschaftlichkeit und Qualität als solches Teil dieses Vertrages werden. Dann denke ich ist es auf der Seite der Ärzte zumutbar, wenn wir andererseits solche finanziellen Opfer von den Versicherten abverlangen.
Engels: Herr Kirschner, Sie sprechen von dem Beginn eines Prozesses bei der Gesundheitsreform. Heißt das, dass der Beitragszahler weitere Einschnitte, ein weiteres Durcheinander in der Gesundheitsreform fürchten muss?
Kirschner: Nein. Das heißt im Klartext: wir beginnen voraussichtlich Anfang Juni mit dem Gesetzgebungsverfahren - das ist damit gemeint - und versuchen, das was den Bundestag angeht vielleicht noch vor der Sommerpause abzuschließen. Dann wissen Sie ja: dann geht das in den Bundesrat. Dort haben wir andere Mehrheitsverhältnisse. Dann geht es voraussichtlich in den Vermittlungsausschuss. Das meine ich damit. Wir werden also vom heutigen Stand aus bis zum Ende des Jahres diesen ganzen parlamentarischen Prozess zu begleiten haben.
Engels: Vielen Dank! - Das war Klaus Kirschner. Er ist der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Deutschen Bundestag von der SPD. Ich bedanke mich für das Gespräch!
Link: Interview als RealAudio