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Wetterfühligkeit
Wenn der Föhn Migräne verursacht

Migräne, Rheuma oder auch Schlaflosigkeit sind Symptome über die Wetterfühlige klagen. Warum das Wetter uns körperliche Beschwerden bereitet und wie man vorbeugen kann, verrät das Radiolexikon.

Von Andrea Westhoff | 10.05.2016
    Eine Frau hält den Kopf in den Händen.
    Wetterfühlige werden unter anderem von Migräne befallen (imago / Science Photo Library)
    Deutscher Wetterdienst:
    "Hallo und herzlich willkommen zur Vorhersage für Wetterfühlige, herausgegeben vom Deutschen Wetterdienst. Nur bei sehr Wetterfühligen sind vorübergehend leichte Befindensbeeinträchtigungen möglich. Missempfindungen wie Abgeschlagenheit oder Müdigkeit können insbesondere in Verbindung mit niedrigem Blutdruck auftreten."
    Nach Untersuchungen des Deutschen Wetterdienstes sowie mehrerer Allensbach-Umfragen ist Wetterfühligkeit ein Riesenproblem in Deutschland.
    Andreas Matzarakis:
    "Die wetterfühligen Menschen – ungefähr 50 Prozent in unserer Klimaregion, vielleicht auch etwas mehr – spüren die Veränderungen des Wetters."
    Sagt Professor Andreas Matzarakis, Leiter der Abteilung Biometeorologie des Deutschen Wetterdienstes in Freiburg.
    "… und dann gibt es noch eine weitere Gruppe, das sind die Wetterempfindlichen, das sind Leute, die eine Vorerkrankung haben, und die spüren das Wetter weitaus stärker als die Wetterfühligen."
    Wetter beeinflusst Migräne- und Rheuma-Patienten
    Migränepatienten klagen häufiger über Anfälle, Rheumatiker über stärkere Schmerzen, Herzkranke über Kreislaufprobleme.
    Zweifellos beeinflusst das Wetter die Gesundheit: Zuviel UV-Strahlung schädigt die Hautzellen. Ozon in tieferen Luftschichten kann Atemwegserkrankungen auslösen. Bestimmte Wetterlagen begünstigen den Pollenflug – und damit Allergien. Und dass im sonnenhellen Sommer weniger Menschen depressiv sind als im trüben November, haben Studien auch schon gezeigt. Aber eine allgemeine Wetterfühligkeit?
    Andreas Matzarakis:
    "Es gibt Leute, die das kritisieren und sagen, es gibt keine Wetterfühligkeit, es gibt aber auch andere Studien, die das Gegenteil zeigen."
    Vor einigen Jahren zum Beispiel hat der Mediziner und Physiker Jürgen Kleinschmidt, damals Professor in München, Versuche mit Wetterfühligen in einer Klimakammer gemacht.
    Ergebnis: Unter Laborbedingungen zeigte sich kein einziges ihrer sonst angegebenen Symptome. Trotzdem ist der Biowetterexperte Matzarakis vom Einfluss atmosphärischer Bedingungen auf den Menschen überzeugt. Er beruft sich dabei auf Beobachtungsstudien, in denen meteorologischen Faktoren mit Angaben von Patienten verglichen wurden, die ein Wetter- und Befindlichkeitstagebuch geführt haben.
    Andreas Matzarakis:
    "Natürlich ist nicht jeder wetterfühlig, das muss man klipp und klar sagen, es ist keine eigenständige Krankheit, es ist eine Wirkung, die man hat durch das Zusammenwirken von verschiedenen Faktoren. Und Wetter ist einer davon. Das ist meist in einem Tiefdruckgebiet, und dort habe ich die größten Veränderungen in den meteorologischen Größen wie die Lufttemperatur und auch den Luftdruck."
    Mensch muss physiologisch auf das Wetter reagieren
    Physiologisch kann der Mensch nicht nur, er muss sogar auf das Wetter reagieren: Damit alle Organe optimal funktionieren, muss die Körpertemperatur im Prinzip konstant bei etwa 37 Grad Celsius liegen, erklärt Prof. Helmut Schühlen, Chef der Kardiologie am Berliner Auguste-Viktoria-Krankenhaus:
    Helmut Schühlen:
    "Da spielt natürlich zum Beispiel das vegetative Nervensystem eine große Rolle, darüber reguliert der Körper auch, wo das Blut hin fließt. Das macht er zum Beispiel, indem er die Gefäße erweitert, dann fließt mehr Blut durch, und wenn sich die Gefäße zusammenziehen, dann wird die Durchblutung gedrosselt."
    Konkret werden bei zuviel Wärme die Adern weit, bei Kälte dagegen verengen sie sich. Kritisch wird es, wenn der Wechsel schnell erfolgen muss.
    Helmut Schühlen:
    "Gerade was Herz und Kreislauf betrifft, ist es zumeist der Wetterwechsel, der zu schaffen macht. Das bezieht sich auch auf das Herz selbst. Dass eben zum Beispiel sich auch die Herzkranzgefäße durchaus bewegen und dann, wenn das Herz nicht mehr, oder die Durchblutung nicht mehr ganz in Ordnung ist, dass anstatt dass die Gefäße sich erweitern, verkrampfen sich die Gefäße."
    Der Föhn, ein warmer trockener Fallwind, der an der Nordseite der Alpen entsteht, ist ein Beispiel für abrupte Wetterwechsel, erläutert der Biometeorologe Professor Andreas Matzarakis.
    Andreas Matzarakis:
    "Vor dem Föhn habe ich kalte Bedingungen und eigentlich auch schlechtes Wetter, und plötzlich habe ich eine sehr starke Veränderung zwischen 10 und 20 Grad von einem Tag zum anderen."
    Der bayerische "Hexenwind" verursacht angeblich nicht nur Herz-Kreislauf-Probleme, sondern auch eine gereizte Stimmung und lässt Unfallzahlen steigen. Allerdings: Die Begründung "Föhn" wird für Krankschreibungen fünfmal häufiger angegeben, als die reale Wetterlage das hergibt. Aber vielleicht ist ja doch etwas dran. Denn das vegetative Nervensystem, das bei Anpassung an Wetterwechsel gefordert ist, steuert auch Atmung, Verdauung, den Stoffwechsel oder die Hormonausschüttung, sagt Professor Schühlen .
    Helmut Schühlen:
    "Das vegetative Nervensystem, das ist ja etwas, was mit den Gefühlen zu tun hat, das hat was mit dem Nervenkostüm allgemein zu tun, und ich denk, man ist wetterfühliger, wenn man im Stress ist, als wenn alles gut ist und man sich zufrieden fühlt."
    Deutscher Wetterdienst:
    "Am Wochenende ist mit einer wetterbedingt leicht erhöhten Anfälligkeit zu Krämpfen und Koliken sowie im rheumatischen Bereich zu rechnen."
    Warum manche Wetterfühlige Narben und längst verheilte Brüche spüren, ist auch noch ungeklärt. Professor Andreas Matzarakis nennt dazu eine mögliche Erklärung:
    "Wenn ich ein Tiefdruckgebiet hab, habe ich auch Wellen, die entstehen, das sind sogenannte schwere Wellen, das heißt, der Luftdruck verändert sich sehr stark, aber in einer ganz kurzen Zeit, innerhalb von ein paar Sekunden bis 10, 20 Minuten."
    Und diese minimalen Luftdruckschwankungen könnten womöglich fälschlicherweise als Schmerzsignale ankommen. Eine weitere Hypothese sind sogenannte "Sferics".
    Andreas Matzarakis:
    "Das sind elektromagnetische Impulse, die man hat, es gibt widersprüchliches darüber, manche Leute reagieren dann empfindlicher auf diese Impulse, die kriegt man ja auf eine Entfernung von 100, 200 Kilometer, also vorher schon, aber es ist unklar, ob die Sferics Wetterfühligkeit verursachen können."
    Anpassungsfähigkeit des Körpers stärken
    Behandeln kann man die Wetterfühligkeit nur, indem man vorbeugt, also die Anpassungsfähigkeit des Körpers stärkt.
    Andreas Matzarakis:
    "Prinzipiell ist es so, je mehr der Mensch sich abhärten kann und sein Körper trainiert ist und sich einer Klimavielfalt aussetzt, das ist eigentlich der Kampf dann gegen die Wetterfühligkeit, kann man sagen, und deswegen die Empfehlung immer rauszugehen, Kalt- und Warmduschen, sich klimagerecht oder wettergerecht verhalten.