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Wetzel: Wir wollen der Politik Dampf machen

Der zweite Vorsitzende der IG Metall, Detlef Wetzel, hat die Parteien aufgefordert, "Politik für die Mehrheit der Menschen" zu machen. Eine Mitgliederumfrage habe ergeben, dass sich eine große Mehrheit eine "gerechtere Gesellschaft" wünsche.

Detlef Wetzel im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 11.07.2009
    Jürgen Zurheide: Das war der Blick eines Menschen von außen auf die Arbeitswelt in der Ausstellung "Arbeit, Sinn und Sorge" in Dresden. Ob das eine realistische Einschätzung ist, das wollen wir jetzt mal besprechen. Ich begrüße am Telefon Detlef Wetzel, den zweiten Vorsitzenden der IG Metall. Guten Morgen, Herr Wetzel!

    Detlef Wetzel: Ja, guten Morgen!

    Zurheide: Herr Wetzel, was wir da gerade gehört haben – ist das so eine typische Beschreibung dessen, was in der Arbeitswelt los ist? Auf der einen Seite wird es besser – zumindest bezogen auf die klassischen Krankheiten –, dafür nimmt der Druck, den wir alle spüren, zu?

    Wetzel: Ja, absolut. Um zu unterstützen und zu unterstreichen, was gesagt wurde: In unserer Umfrage haben 84 Prozent der Befragten gesagt, dass sie einen Arbeitsplatz möchten, der sie nicht krank macht. Und wenn man das spiegelt zu der Zahl, dass ein ganz großer Teil, fast 80 Prozent sagen, dass sie nicht bis 67 arbeiten können, dann sieht man, dass hier eine Arbeitswelt da ist, die krank macht und wo die Menschen sich große Sorgen machen.

    Zurheide: Sie haben 450.000 Menschen befragt, ich habe es gerade schon angedeutet, nicht unbedingt repräsentativ, obwohl wir es dann nachher ja noch überprüft haben, dann kommen in der Tat diese Dinge: Rente mit 67 wird überwiegend abgelehnt, man wünscht sich eine bessere Bezahlung, weniger Leiharbeit. Jetzt würde ich mal sagen: Dafür braucht man fast keine Befragung, das sind ja keine überaschenden Ergebnisse. Oder hat Sie da doch irgendetwas überrascht an diesen Ergebnissen?

    Wetzel: Es hat mich kein Einzelergebnis überrascht. Mich hat überrascht die Ergebnisse der handschriftlichen, offenen Fragen, die ja auch 180.000 Mal beantwortet sind, weil nämlich dort herausgekommen ist, dass die Politik noch nie so weit weg war von den Erwartungen der Menschen. Und deswegen kann man sozusagen die Gesamtgeschichte dieser Befragung zusammenfassen, wenn man an die Politik fordert: Macht endlich wieder Politik für die Mehrheit der Menschen!

    Zurheide: Was heißt das konkret? Das ist auch wieder ein abstrakter Begriff. Was verbinden die Menschen aus Ihrer Sicht damit?

    Wetzel: Die Menschen wollen Arbeit. Sie wollen aber nicht nur einen sicheren Arbeitsplatz, sondern einen fairen Arbeitsplatz, und es ist klar, dass in dieser Situation die Sorge um den Arbeitsplatz außerordentlich hoch ist. Die Menschen wollen, dass ihre Kinder eine gute Zukunft haben. Angesichts der vielen prekären Beschäftigungsverhältnisse – Leiharbeit, Befristung, Praktikum, was ja gerade die junge Generation betrifft – wird deutlich, dass hier, ja, die Menschen in Sorge sind, dass man eben mit einer solchen Entwicklung nicht zufrieden ist. Oder das ganz große Thema Gerechtigkeit: Die Menschen haben geantwortet in der Befragung, dass sie einfach eine gerechtere Gesellschaft möchten und machen es auch an Themen fest, nämlich an der Frage zum Beispiel, ob es Mindestlöhne gibt oder ob Leiharbeiter, die gleiche Arbeit machen, auch gleich bezahlt werden. Und so lassen sich viele Themen zwar nicht überraschend feststellen, aber man kann schon eine Geschichte feststellen, die sich daraus ergibt, was befragt worden ist, und diese Diskrepanz, dass man eben den Eindruck hat, dass keine Politik für einen selber gemacht wird, sondern für andere. Das ist schon ein sehr wichtiger oder eine wichtige Erkenntnis, weil das natürlich unserer Demokratie langfristig keinesfalls gut tun wird.

    Zurheide: Nun sagen die Arbeitgeber: Das alles ist nicht repräsentativ, und am Ende haben Sie die Antworten bekommen, die Sie da selbst bestellt haben. Trifft der Vorhalt?

    Wetzel: Das ist doch nicht richtig. Wir haben ja von Infratest dimap parallel eine Repräsentativbefragung machen lassen, und die Ergebnisse sind völlig identisch mit unserer Beschäftigtenbefragung und dieser Repräsentativbefragung. Aber für mich war zum Beispiel ein ganz wichtiger Punkt – und das hat mit dieser Befragung gar nichts zu tun – das, was die Menschen persönlich beschrieben haben und angekreuzt und ausgefüllt haben auf diesem Fragebogen, ihre persönlichen Statements, ihre kleinen Sorgen, ihre kleinen Nöte. Und wir haben ja gefragt: Was muss sich ändern in dieser Gesellschaft? Und wir haben gefragt: Was ist für dich ein gutes Leben? Und das war schon sehr beeindruckend, und deswegen trifft uns dieser Vorwurf von Gesamtmetall gar nicht. Es ist ihnen vielleicht nur peinlich, den Arbeitgebern, dass die Ergebnisse, die dort rausgekommen sind in der Befragung, so völlig im Widerspruch stehen zu dem, was Gesamtmetall sonst als Wirklichkeit beschreibt.

    Zurheide: Was folgt denn eigentlich für Sie als IG Metall daraus? Man könnte ja auch fragen: Warum müssen Sie so eine Umfrage machen, wissen Sie nicht, was Ihre Mitglieder wollen? Was folgt für Sie als IG Metall daraus?

    Wetzel: Wir starten jetzt mit einer ganz hohen Legitimation, mit einem ganz starken Votum unserer Befragten in die politische Debatte. Wir wollen ja diese Themen möglichst zum Thema im Bundestagswahlkampf machen und die politischen Parteien mit dieser Wirklichkeit konfrontieren, und deswegen haben wir diese Befragung gemacht. Wir sind jetzt Stimme für diejenigen, die sich an dieser Befragung beteiligt haben. Wir haben eine ganz hohe Legitimation, in Namen derer und der anderen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufzutreten und der Politik entsprechend Dampf zu machen.

    Zurheide: Wo ist die politische Arena für Sie? Ist das der Betrieb oder ist es dann eher doch die gesamtgesellschaftliche Debatte? Eigentlich hatte man den Eindruck, dass die IG Metall in der jüngeren Vergangenheit eher sich mehr um die betriebliche Realität kümmert. Ist das jetzt wieder ein Wechsel oder gehört das zusammen?

    Wetzel: Nein, das ist kein Wechsel, das ist einfach ein Zusammenhang, und in einer Zeit, wo wir eine Bundestagswahl vor uns haben, ist es doch klar, dass wir nicht nur im Betrieb unsere Auseinandersetzungen, unsere Gestaltung wahrnehmen, sondern auch in der öffentlichen, politischen Arena. Wir wollen ja, dass die Parteien sich, ja, verändern und eine Politik für die Mehrheit der Menschen machen, und da müssen wir in der Bundestagswahlkampfszeit auch entsprechend gesamtgesellschaftlich auftreten.

    Zurheide: Das heißt aber, im Moment können Sie festhalten: Bei der Großen Koalition wird die Politik aus Ihrer Sicht nicht für die Mehrheit der Menschen gemacht?

    Wetzel: Das ist mit dieser Großen Koalition nicht der Fall, es ist aber auch bei anderen Parteien, die zurzeit nicht regieren, auch nicht besser.

    Zurheide: Was sind die wichtigsten Forderungen, mit denen Sie jetzt in die politische Arena dann steigen?

    Wetzel: Wir wollen, dass die Parteien das Thema junge Generation zu einem Thema machen, prekäre Beschäftigung, die Zukunftschancen der jungen Generation, und hier gehört insbesondere die Abschaffung und Veränderung der Bestimmung im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz: Gleiche Arbeit soll gleich bezahlt werden. Das ist eine wesentliche Forderung. Wir wollen die Abschaffung der Rente mit 67, und wir wollen natürlich, dass die Bundesregierung alles tut, die Parteien alles tun, damit der Schutzschirm für Beschäftigung auch bei den Menschen ankommt, dass alles getan wird, dass keine Entlassungen in der Krise stattfinden. Das sind die wesentlichsten Punkte, die wir diskutieren.

    Zurheide: Das war Detlef Wetzel, der stellvertretende Vorsitzende der IG Metall im Deutschlandfunk. Ich bedanke mich sehr für das Gespräch! Danke schön, Herr Wetzel!

    Wetzel: Ja.