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Wider das Schönheitsideal in der Werbung

Die Reklameplakate von Modeketten oder Kosmetikherstellern macht der Hamburger Verein "pinkstinks" mitverantwortlich für die wachsenden Selbstzweifel junger Mädchen. Er will die Bilder in der Werbung verändern und hat der Reduzierung von Frauen auf das Schönsein den Kampf angesagt.

Von Sven Kästner |
    "Mein Gesicht ist: zu eckig – zu rund - zu lang- zu kurz. Die Nase: Zu dick – zu krumm – zu schmal. Die Lippen: Zu fest – zu flach. Ich bin: Zu klein – zu lang - zu dick."

    Eine Model-Casting-Show als Straßentheater an einem kalten Wintertag an der Berliner Gedächtniskirche. Die Schauspieler, zwei Frauen und ein Mann mittleren Alters, sind knapp bekleidet. Eisiger Wind pfeift, nur wenige Passanten bleiben stehen. Doch Stevie Schmiedel verteilt unerschrocken ihre Flyer und mobilisiert per Megafon.

    "Wir machen darauf aufmerksam, dass sich 2006 noch 70 Prozent der Mädchen attraktiv fühlten. 2012 sind es nur 47 Prozent. Was ist da passiert? Welche Gewalt wirkt täglich auf unsere Mädchen ein, dass sie sich nicht mehr schön finden?"

    Hinter dem kleinen Auftritt steckt der Hamburger Verein "pinkstinks", der sich gegen beschränkte Geschlechterrollen engagiert. Bekannt wurde er vergangenes Jahr mit einer Kampagne gegen rosa Überraschungseier eigens für Mädchen. Diesmal geht es um die Werbung. Schmiedel, eine der Vereinsgründerinnen, hält omnipräsente Reklameplakate für mitverantwortlich für die Selbstzweifel junger Mädchen.

    "Uns stört an der Werbung, dass das Schönheitsideal immer stärker geworden ist in den letzten Jahren. Die Frauen immer schlanker, immer perfekter. Und vor allen Dingen sind Frauen immer zart, immer sich anbietend. …Und das Frauen natürlich immer dargestellt werden als verfügbar."

    Als Beleg für das sinkende Selbstbewusstsein zieht "pinkstinks" unter anderem eine Studie der Weltgesundheitsorganisation von 2012 heran. Danach empfindet sich jedes zweite 15-jährige Mädchen in Deutschland als zu dick. Und in der Werbung mit nackter Haut und zweideutigen Posen hätten sich die Grenzen in den vergangenen Jahren deutlich verschoben, meint Schmiedel.

    "Was wir vor zwanzig Jahren oder zehn Jahren noch als pornografisch empfunden haben, ist heute nur noch erotisch. Das kommt, weil wir natürlich der Plakatwelt jeden Tag ausgesetzt sind. Und wir es als völlig normal hinnehmen, wenn ein H&M-Model den Hintern uns entgegenstreckt und in Strapsen uns lasziv anblickt."

    Selbst wenn solche Bilder ironisch gemeint seien, würden sie vor allem von Kindern nicht so verstanden, sagt Schmiedel. Deshalb hat "pinkstinks" jetzt eine Online-Petition gestartet, die den Deutschen Werberat dazu auffordert, seine Richtlinien zu ändern. Das Selbstkontrollgremium der Branche kann Kampagnen rügen, wenn sie gegen diese Leitlinien verstoßen. Sprecher Volker Nickel:

    "Es geht darum: Werbung darf nicht demütigend, nicht herabwürdigend, nicht diskriminierend sein. Und das muss man dann am Einzelfall betrachten."

    Das Anliegen der Hamburger Initiative allerdings kann Nickel wenig nachvollziehen.

    "Natürlich kann jede gesellschaftlich tätige Gruppe sich selbst etwas zurecht zimmern, wie die Gesellschaft auszusehen hat und wie auch Werbung in der Öffentlichkeit auszusehen hat. Aber man muss eben sehen: Unser Maßstab sind nicht einzelne Gruppen, sondern das ist die Gesellschaft. Und die Gesellschaft ist eine liberale."

    "Pinkstinks" kann immerhin auf die Unterstützung von 25 Organisationen vom Deutschen Frauenrat bis zum Landesfrauenrat Schleswig-Holstein verweisen. Noch bis kommenden Juni wird um Unterschriften für die Petition geworben, wie hier beim Straßentheater in Berlin. Eine 26-jährige Passantin ist trotz der Kälte stehen geblieben. Auch sie sieht viele Werbekampagnen kritisch.

    "Jedes Bild ist kaschiert. Es gibt kein Bild, was irgendwie auch normal ist. Auch bei den Topmodels glaub' ich irgendwie nicht daran, dass da irgendetwas irgendwie nicht kaschiert worden ist. Jedes Mädchen fühlt sich eigentlich blöd oder nicht gut oder nicht perfekt. Alle machen Diäten, und das finde ich einfach nicht richtig."