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Widerstand gegen den Nationalsozialismus
Das Erbe des 20. Juli

Seelisch, lebenspraktisch, politisch: Nachkommen von Widerstandkämpfern lässt das Erbe ihrer Vorfahren nicht los. "Wie hätte ich mich verhalten?", fragen sich manche - und fühlen sich heute durch Rechtsextremismus und die AfD herausgefordert.

Von Johanna Herzing | 18.07.2019
Offizier und spätere Widerstandskämpfer Claus Schenk Graf von Stauffenberg im Jahr 1940 mit seinen Kindern
Der deutsche Offizier und spätere Widerstandskämpfer Claus Schenk Graf von Stauffenberg im Jahr 1940 mit seinen Kindern Berthold, Franz-Ludwig und Heimeran (imago/dpa)
"Das ist mein jüngster Bruder, in der Mitte, das Kleinkind, mit meinem Vater."
Drei Fotos, daneben die berühmte Büste, ein dunkles Holzkreuz an der Wand dahinter.
"Er war ein sehr fröhlicher Mensch, hat sehr viel gelacht und war wunderbar mit uns Kindern. Obwohl: Er war sicher auch streng, meine Mutter war streng, das war so."
Claus Schenk Graf von Stauffenberg ist immer anwesend. Still, unaufdringlich, makellos - in Bronze hat der Bildhauer Frank Mehnert seinen Freund verewigt. 1929 war das. Jetzt steht die Büste auf einer kleinen Konsole im Wohnzimmer von Stauffenbergs ältestem Sohn Berthold.
"Für mich war das natürlich in meiner militärischen Jugend so: Eine ganze Menge von den älteren höheren Offizieren waren mit meinem Vater zusammen gewesen und er hatte ja einen militärisch hervorragenden Ruf. Naja, jetzt sehen die da den Sohn, was denken die: Ob der wohl ist wie der Vater? Ich weiß, dass sie Bemerkungen über mich bei meinen Vorgesetzten gemacht haben, wie ich bin im Vergleich zu meinem Vater. Eine war: Ich sei ein guter Rotwein, aber mein Vater war Sekt. Nun gut, das trifft auch meine eigene Einschätzung."
Vom "Verräter" zum Geehrten
Den Erwartungsdruck, der sich mit seinem Namen verbindet, kennt Berthold Maria Schenk Graf von Stauffenberg zur Genüge, nicht nur aus seiner Zeit bei der Bundeswehr. Heute, im Ruhestand, blickt er auf ein Leben zurück, das von vielen Projektionen geprägt war: So wurde er vom durch die Nazis stigmatisierten "Verräterkind" über die Jahrzehnte zum Erbfolger eines Mannes, den die meisten Deutschen inzwischen als Vertreter eines "besseren Deutschlands" sehen. Dazwischen gab es unterschiedlichste Zuschreibungen, Vereinnahmungen und Instrumentalisierungsversuche:
"Ich habe das als unabänderlich gesehen. Es war mir lästig, aber ich habe es für unvermeidbar gesehen."
Über die Bürde, Sohn eines berühmten deutschen Widerstandskämpfers zu sein, verliert Berthold Maria Schenk Graf von Stauffenberg nicht viele Worte. Dass er in den 50er-Jahren zur Bundeswehr ging, dort Karriere machte, habe mit Traditionsbewusstsein jedenfalls nichts zu tun gehabt, so Stauffenberg fast schon freudig provokant:
"Ich wollte einen Beruf, der vielseitig ist und mit Menschen zu tun hat, und ich wollte etwas erleben. Ich wollte auch meinen Spaß haben. Es ging mir also nicht um den Dienst am Vaterland, denn dazu muss man nicht Soldat sein, sondern um mein eigenes Erleben."
"Die politische Moral achten"
Die Bundeswehr als Abenteuer, in einer Zeit als die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik höchst umstritten war – womöglich liegt das Erbe eines widerständigen Geistes genau darin: den Erwartungen entsprechen, das können andere. Familiäre Traditionen, so Stauffenberg, gäbe es natürlich durchaus:
"Dass man seiner Familie Ehre erweist, dass man die Aufgaben, die man kriegt, dass man die erfüllt, dass man für andere da ist auch und eine gewisse Vorbildfunktion, wenn sie einem übertragen wird, auch wahrnimmt. Eigentlich nichts Besonderes, aber vielleicht nicht überall so im Vordergrund stehend."
Aber das seien Dinge, die in der Familie seit Langem tradiert würden. Das Erbe seines Vaters wiederum sei womöglich:
"Dass wir uns von der Familie her verpflichtet sehen, anständig zu handeln und die allgemeine politische Moral zu achten."
Bescheidenheit, Understatement, ja eine gewisse zur Schau gestellte Gewöhnlichkeit – ein Bild, das Berthold Maria Schenk Graf von Stauffenberg wohl durchaus bewusst vermittelt. Es wirkt wie eine schützende Haltung, die der Öffentlichkeit nicht alles preisgibt, wo doch ohnehin schon so viel offen zutage liegt.
Die Fragen der jüngeren Generation
Dabei ist der Widerstand gegen den Nationalsozialismus bei weitem kein abgeschlossenes Kapitel. Intensiv spürbar ist das Bedürfnis, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, bei der Enkelgeneration. So hat etwa Sophie von Bechtolsheim, Enkelin von Claus Schenk Graf von Stauffenberg, gerade ein Buch über ihren Großvater veröffentlicht, gewissermaßen ein Zur-Wehr-Setzen gegen bestimmte Deutungen der Tat vom 20. Juli 1944.
Und auch Angehörige von weniger prominenten Gegnern des Nationalsozialismus lässt das Erbe ihrer Vorfahren nicht los. Etwa die Journalistin Gemma Pörzgen.
"Es ist sozusagen etwas, was mein ganzes Leben begleitet: die Erzählungen von diesem Großvater."
Heinrich Körner, Pörzgens Großvater, war christlicher Gewerkschafter, Mitglied im "Kölner Kreis", auch "Rheinischer Kreis" genannt, einer Gruppe von Regimekritikern. Im Zuge der Verhaftungswelle nach dem 20. Juli 1944 wurde er festgenommen und vom Volksgerichtshof zu einer Haftstrafe im Berliner Strafgefängnis Plötzensee verurteilt. Unter nicht ganz geklärten Umständen wurde Körner im April 1945 erschossen.
"Ein schreckliches Ereignis, was, glaube ich, das Leben aller danach geprägt hat."
"Wie hätte ich mich verhalten?"
Die Widerstandstätigkeiten und das Schicksal ihres Großvaters, meint Pörzgen, hätten in der Familie lange nachgewirkt, auch negativ. So hatten die Hinterbliebenen, Körners Ehefrau mit drei kleinen Kindern, seelisch aber auch lebenspraktisch immense Herausforderungen zu bewältigen.
"Das ist auch etwas, was mich immer sehr bewegt, weil ich selber eigene Kinder habe und mich ganz zwangsläufig immer frage, wahrscheinlich wie jeder Mensch: Wie hätte man sich selbst verhalten im Nationalsozialismus oder einer vergleichbaren Situation? Und ich muss ehrlich sagen: Ich hätte wahrscheinlich nicht so handeln können wie er und zwar einfach wegen der Familie."
Lange mussten die Angehörigen und Hinterbliebenen von Widerstandskämpfern im Nachkriegs-Deutschland um Anerkennung und Entschädigung kämpfen. Das Stigma von der "Verräterclique" war hartnäckig.
Vereinnahmung von rechts
Umso paradoxer scheint es, dass es heute die Vereinnahmung des Widerstands durch Rechtspopulisten und Rechtsextreme ist, die den Nachfahren des Widerstands Sorge bereitet. Über ein Netzwerk ist Gemma Pörzgen mit vielen anderen Angehörigen in Kontakt. Das Thema für das nächste Treffen im August stehe schon fest:
"Mit der Frage, wie instrumentalisieren auch Parteien wie die AfD eigentlich das Gedenken an den 20. Juli? Weil wir das sehr kritisch sehen."
Ein Thema, das wiederum auch Berthold Maria Schenk Graf von Stauffenberg beschäftigt. Hatte doch beispielsweise die AfD-Landtagsfraktion in Thüringen das Konterfei seines Vaters Claus für eine Partei-Kampagne genutzt. Zwar ist Stauffenbergs Sohn bemüht, der AfD nicht mehr Aufmerksamkeit zu schenken als nötig:
"Herr Gauland ist ein psychologisches Phänomen. Und ich persönlich glaube, dass er jetzt in seinem Alter das Gefühl hat, dass er irgendwo in seiner Wertschätzung zu kurz gekommen ist und das will er nachholen."
"AfD hat sich nicht im Griff"
Und dennoch, auch wenn die politische Kultur heute alles in allem doch stabil sei, eine gewisse Besorgnis ist Berthold Maria Schenk Graf von Stauffenberg doch anzumerken:
"Die AfD hat sich selbst ja auch nicht im Griff, sie wissen ja immer noch nicht, was sie eigentlich werden wollen und sie hat ihren rechtsextremen Flügel, den es gibt, den hat sie nicht im Griff. Und wenn sie versuchte, ihn zu maßregeln, dann würde sie selbst in die Bedeutungslosigkeit absinken. Das ist ihr Problem. Rechtsextreme gibt es in jedem Land – das ist bedauerlich, aber das ist so."
Wenn Rechtsextreme aber an Zulauf gewännen, habe die übrige Politik einen Fehler gemacht, davon ist der Stauffenberg-Sohn überzeugt:
"Wenn die Leute denken, ihre Bedürfnisse würden nur berücksichtigt, wenn sie etwas wählen, was sie eigentlich nicht glauben, aber was ihnen da Gehör verschaffen würde, dann läuft etwas ganz falsch."
Das Erbe des Widerstands – vielleicht besteht es in einer besonderen Wachheit, in der Überzeugung, dass die Vergangenheit, nichts Abgeschlossenes ist, sondern in unsere Zeit hineinwirkt – und sei es dadurch, dass sie uns Fragen aufgibt.