Freitag, 19. April 2024

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Widerstand gegen Hitler
"Starkes menschliches Ethos"

Sophie von Bechtolsheim hat ein Buch über ihren Großvater Claus von Stauffenberg geschrieben, einem der Verschwörer des 20. Juli 1944. Eine Mischung aus ethischen, moralischen und religiösen Motiven habe ihn zum Widerstandskämpfer werden lassen - auch wenn in Biografien anderes behauptet werde.

Sophie Freifrau von Bechtolsheim im Gespräch mit Susanne Fritz | 17.07.2019
Fotos aus einer Dauerausstellung in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, die am Dienstag (01.07.2014) von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gemeinsam mit Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) eröffnet wurde. (Foto li.: Claus Schenk Graf von Stauffenberg und re. Albrecht Ritter Mertz)
Claus Schenk Graf von Stauffenberg (links) und Albrecht Ritter Mertz (rechts) als lebensgroße Fotos in der Dauerausstellung in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand (imago stock&people)
Am Samstag jährt sich das Attentat von Claus Schenk Graf von Stauffenberg auf Adolf Hitler zum 75. Mal. Das Attentat scheiterte und von Stauffenberg wurde gemeinsam mit anderen Akteuren des Widerstandes am 21. Juli 1944 hingerichtet. Bis heute gilt die Gruppe um Graf von Stauffenberg als Inbegriff des deutschen Widerstandes gegen das nationalsozialistische Regime. Seine Enkelin Sophie von Bechtolsheim hat ein Buch über ihren Großvater geschrieben, das gerade erschienen ist.
Innere Distanz schon 1938
Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk bezeichnet sie es als "geschichtsverfälschend", wenn die Geschichte des 20. Juli auf Stauffenberg reduziert wird: "Es war eine sehr umfassende, weitreichende, verzweigte Verschwörung, die in verschiedene gesellschaftliche Schichten hineinragte". Viele Familie hätten erschütternde Schicksale erlebt. Ihrem Großvater seien Haft und grausame Verhöre durch die Gestapo erspart geblieben, anderen nicht.
Sophie Freifrau von Bechtolsheim, Enkelin von Claus Schenk Graf von Stauffenberg bei der Buchvorstellung von Manfred Luetz und Paulus van Husen: Als der Wagen nicht kam. Eine wahre Geschichte aus dem Widerstand
Sophie Freifrau von Bechtolsheim, Enkelin von Claus Schenk Graf von Stauffenberg (imago / Reiner Zensen)
Claus von Stauffenberg fand erst spät zum Widerstand. Seine Enkelin weist jedoch die Behauptung zurück, ihr Großvater habe vor 1944 das NS-Regime unterstützt. Zwischen "Nicht-Gegner-Sein" und Unterstützung bestehe ein großer Unterschied, sagt von Bechtolsheim. Auch die engste Familie wisse nicht, wann bei ihm die Erkenntnis so stark geworden sei, dass man es mit einem verbrecherischen Regime zu tun habe. Ihre Großmutter, Stauffenbergs Frau, habe schon 1938 "eine innere Distanz" beobachtet, erinnert sich Sophie von Bechtolsheim. Zur Jahreswende 1941/42 sei ihm klar gewesen, wie die Menschen in den besetzten Ostgebieten und die Juden dort behandelt würden. Das sei für ihn die Hauptmotivation gewesen, sich einer Verschwörung anzuschließen, und nicht hauptsächlich der aussichtslose Kriegsverlauf.
Es gebe nicht das eine, zentrale Motiv für den Widerstand, sondern ein "Gesamtpaket" persönlicher, ethischer und moralischer Vorstellungen davon, wie man sich als Mensch in einer Gesellschaft zum nächsten Verhält. "'Was wir in der Familie über ihn wissen ist, dass er ein stark ausgesprägtes Rechtsempfinden hatte und auch ein sehr starkes menschliches Ethos", sagt Sophie von Bechtolsheim.
"Krause Thesen" eines Biografen
Auch sein katholischer Glaube habe eine Rolle gespielt. "Er hat sich kurz vor dem Attentat in die Rosenkranz-Basilika fahren lassen um dort zu beten", erzählt von Bechtolsheim. Man wisse, dass er Kontakt hatte zum damalischen Bischof und späteren Kardinal Preysing. Der habe von dieser Begegnung nur erzählt, dass er Claus Graf Schenk von Stauffenberg "nicht den Segen der Kirche geben konnte, wohl aber den des Seelsorgers." Er habe immer eine goldene Kette mit Kreuz unter der Uniform getragen und sei sonntags regelmäßig in Uniform zur Kirche gegangen. Missionarisch unterwegs sei er nicht gewesen: "Dass ist nicht Stauffenbergsche Wesensart", sagt die Freifrau. Es gebe auch keine theologischen Traktate aus seiner Feder, anders als von anderen Verschwörern des 20. Juli.
Der Anlass für sie, ein Buch über ihren Großvater zu schreiben, seien auch die "krausen Thesen" in einer neueren Staufenberg-Biografie gewesen, vor allem die Behauptung, dass der eigentliche Urheber des Attentats der Dichter Stefan George gewesen sei. Ihr Großvater habe zwar zum George-Kreis gehört: "Aber die Vorstellung dass Gedichte zur Realität geworden seien, ist doch sehr realitätsfern."
"Wozu innere Freiheit befähigt"
Claus von Stauffenberg habe versucht, "ein redliches, anständiges und verantwortungsvolles Leben zu führen."
Auf die Frage, was für sie vom Widerstand des Großvaters heute noch wichtig ist, antwortete Sophie von Bechtolsheim: "Es gibt zwei Ebenen: Das eine ist die historische: Das Rad der Geschichte hätte sich in eine andere Richtung drehen können." Die Hälfte der Toten, die der Zweite Weltkrieg forderte, starben nach 1944. "Diese Menschen hätten überlebt". Darüber hinaus gebe es eine zeitlose Bedeutung: "Das ist, was mit der inneren Freiheit des Menschen zusammenhängt, wozu innere Freiheit befähigt." Das Gewissen sei eine starke Größe, es mache stark, sich auf die eigene Integrität zu berufen. Zudem habe ihr Großvater ein starkes Verantwortungsgefühl gespürt. "Der ungeliebte Zwilling der Verantwortung ist die Schuld", so von Bechtolsheim. Die Verschwörer hätten sich schuldig gefühlt an den Entwicklungen seit 1933. Ihr Fazit: "Wir sind verantwortlich für unseren Nächsten, ob wir es wollen oder nicht. Das ist die Lehre, die man daraus ziehen kann."
Sophie von Bechtolsheim: "Stauffenberg - Mein Großvater war kein Attentäter"
Herder 2019, 144 Seiten, 16 Euro
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.