Junge Menschen, die einen starken religiösen Glauben haben, sehen sich durch die Coronakrise im Durchschnitt weniger belastet als Menschen, die weniger oder gar nicht glauben. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie "Junge Deutsche 2021", die jetzt veröffentlicht wurde.
"Bei Menschen, die sagen, 'Glaube ist für mich sehr wichtig', also, 'Ich lebe meinen Glauben im Alltag', da haben wir besonders positive Veränderungen bemerkt", sagt Simon Schnetzer.
Der selbstständige Jugendforscher ist der Autor der Studie. Sie wurde unter anderem vom katholischen Bistum Paderborn mitfinanziert und inhaltlich mitgestaltet. Für die katholische Kirche arbeitet Simon Schnetzer auch als Berater.
"Wenn wir jetzt mal das Thema anschauen 'Perspektiven für die Zukunft': Im Schnitt haben sich die für 7 Prozent verbessert der jungen Menschen. Aber für 22 Prozent der jungen Menschen, für die Glaube besonders wichtig ist."
1600 junge Menschen befragt
Für die Studie wurden rund 1600 Personen befragt, im Alter von 14 bis 39 Jahren. Damit die Studie repräsentativ ist, hat das Meinungsforschungsinstitut Allensbach Quoten für die Zusammensetzung erstellt. So entsprechen auch die Religionszugehörigkeiten der Befragten in etwa der Verteilung in der jüngeren Gesamtbevölkerung:
Die meisten Befragten haben keine Religion, die zweitgrößte Gruppe bezeichnet sich als christlich. Aber auch Islam, Judentum und andere Religionen sind vertreten.
Schnetzer: "Die finanzielle Situation hat sich für 19 Prozent derjenigen verbessert, die sagen, sie sind sehr gläubig, gegenüber nur 9 Prozent derer, die anders oder weniger gläubig sind. Und die schulisch-berufliche Situation hat sich für 25 Prozent der sehr stark Gläubigen verbessert, und nur für 10 Prozent derer, die weniger bis gar nicht gläubig sind."
"Wir brauchen täglich gelebten Glauben"
Simon Schnetzer organisiert die Studie "Junge Deutsche" seit dem Jahr 2011. Der Themenbereich Religion und Glaube ist in der aktuellen Studie zum ersten Mal dabei, weil die katholische Kirche als Studienpartner hinzugekommen ist. Bei der Rolle des Glaubens in der Corona-Krise hat Schnetzer festgestellt:
"Was aber auch wichtig ist, wenn wir weiter in die Zahlen reinschauen: Wir brauchen tatsächlich diesen täglich gelebten Glauben, damit diese positiven Veränderungen sich in der Statistik bemerkbar machen."
Ein Ergebnis, das den Humanisten Jonas Grutzpalk skeptisch stimmt: "Wenn wir diesen Punkt mal herausgreifen, dann müsste man ja sagen: Wenn diese Religiosität wirklich sehr, sehr stark ist, dann kann einen da gar nichts wundern, weil dann geht es ja quasi um die Beschreibung von dem, was man in der Religionssoziologie Sekten nennt. Also Leute, die eben einem enormen sozialen Druck ausgeliefert sind, auch ihre Gläubigkeit unter Beweis zu stellen. Und dann können diese Effekte natürlich nicht tatsächlich überraschen."
Religiosität macht nicht rücksichtsvoller
Jonas Grutzpalk ist Professor für Soziologie und Politikwissenschaft an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen. Er engagiert sich außerdem in der Humanistischen Vereinigung, in der sich nicht-religiöse Menschen zusammengeschlossen haben.
"Das andere, was ich auffällig fand, war, dass im Bereich der Rücksichtnahme Religiosität nicht zu Buche schlägt. Das heißt nicht, dass sie nicht rücksichtsvoll sind. Aber da fällt gar nichts auf. Was ja mal wieder ganz interessant ist: Also den Leuten geht es nach innen hin besser. Ihnen geht es gut. Das heißt aber nicht, dass es sie anspornt, irgendwie nach außen hin rücksichtsvoll, hilfsbereit, wie auch immer aufzutreten."
Denn die religiöse Orientierung hat der Studie zufolge keinen Einfluss darauf, ob sich junge Menschen in der Pandemie besonders rücksichtsvoll verhalten oder nicht.
"Das Abfeuern von Routinen hilft"
Dass religiöse Menschen tendenziell weniger unter der Corona-Krise leiden, das hält allerdings auch der Humanist und Soziologe Jonas Grutzpalk für plausibel:
"Das Abfeuern von Routinen ist ja das, was hilft in Krisenzeiten. Also Traditionen nutzen zu können, um einfach weiterzumachen, vielleicht auch noch Hoffnung zu formulieren, vielleicht auch einen Ansprechpartner zu haben, den Atheisten dann vielleicht etwas despektierlich einen unsichtbaren Freund nennen, aber das macht ja nichts. Also das sind alles solche Aspekte von Religiosität, die sicherlich durch Krisenzeiten helfen können. Was aber auch zum Beispiel einfach hilft, ist sicherlich eine starke Vernetzung in soziale Gruppen. Also nicht allein zu sein, etwas teilen zu können. Sodass sie quasi hier auch so einen Doppeleffekt haben: Die sind nicht nur religiös, sondern die sind sozial auch sehr eng vernetzt."
"Religiosität und Spiritualität tragen zu Resilienz bei"
Diese Einschätzung bestätigen auch Expertinnen und Experten, die sich mit dem Zusammenhang von Religiosität und Resilienz befassen, also mit psychischer Widerstandsfähigkeit – wie Constantin Klein:
"Wenn wir uns angucken, was es dazu in den vergangenen 30 Jahren an Forschungsbefunden weltweit gibt, kann man sagen: Ja, Religiosität und Spiritualität tragen zu Resilienz bei, können dazu beitragen, dass es Menschen besser gelingt, mit Belastungen, mit Krisen und Trauma-Erfahrungen zurechtzukommen."
Constantin Klein ist Professor an der Evangelischen Hochschule Dresden. Er ist Psychologe und Theologe und außerdem Mitglied der DFG-Forschungsgruppe "Resilienz in Religion und Spiritualität". Daran beteiligt sind vor allem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Theologie und Medizin. Auch diese Forschungsgruppe hat derzeit natürlich die Corona-Krise im Blick, und sie kommt dabei zu ähnlichen Ergebnissen wie die Studie "Junge Deutsche 2021".
"Die ersten Befunde, die wir dazu haben, die aber noch nicht systematisch genug sind, dass wir sie schon hätten publizieren können, weisen auch sanft in diese Richtung."
"Bemerkenswertes Ergebnis"
In die Richtung also, dass Religiosität helfen kann gegen die möglichen psychischen Belastungen der Corona-Pandemie. Allerdings erwartet Constantin Klein solche Effekte eher bei älteren Menschen, da Jüngere oft weniger religiös seien: "Dass es sich auch im Rahmen einer Jugendstudie so klar gezeigt hat, ist deswegen schon ein bemerkenswertes Ergebnis."
Glaube kann krisenfest machen. Wäre es für die Gesellschaft also besser, wenn mehr Menschen gläubig wären? Ganz klar ja, sagt der Autor der Studie, Simon Schnetzer:
"Wenn wir jetzt gucken, was können wir jungen Menschen empfehlen, um durch diese Krise besser zu kommen, dann können wir gerne – und zwar konfessionsübergreifend – ableiten: Ein stark gelebter Glaube hilft – zumindest vielen -, um besser durch Krisensituationen zu kommen."
Glaube lässt sich nicht "anschalten"
"Also wenn ich jetzt mal ganz gemein sein darf, dann muss ich sagen: Wenn das reichste Bistum Deutschlands als Finanzier dieser Studie mit im Hintergrund steht, dann würde ich das auch sagen. Gut okay, das war jetzt gemein. Aber es ist natürlich eine Schlussfolgerung, die kann man dann ziehen, wenn man aus einem bestimmten Spektrum kommt. Auf der anderen Seite kann man ja sagen: Wie sollen denn die Leute glauben, wenn sie nicht glauben? Wo sollen sie es denn hernehmen?," meint der säkulare Humanist Jonas Grutzpalk.
Und was antwortet der Resilienz-Forscher Constantin Klein auf die Frage, ob mehr Glaube der Gesellschaft guttäte? "Als Theologe bin ich versucht, schnell ja zu sagen. Mit Blick auf eine Glaubensfreiheit von Menschen, die mir aber schon auch wichtig ist, würde ich an diesem Punkt sagen: Na ja, rein funktional gibt es Argumente dafür. Allerdings ist das ja nichts, was sich irgendwie auf Knopfdruck einstellen lassen würde."
Wie macht Religion resilient?
Aber vielleicht kann man ja die Aspekte von Religion, die zur psychischen Widerstandsfähigkeit beitragen, auch außerhalb von Religionen finden und nutzen. Da wäre erst mal die Frage: Was an Religion fördert denn die Resilienz?
Klein: "Das ist im Grunde ein ganzes Bündel an psychosozialen Mechanismen, von denen viele Einzelne nicht exklusiv für Religion sind. Dazu gehört zum einen, dass man im Rahmen einer Gemeinschaft mit gleichgesinnten Menschen, die ein ähnliches Weltbild teilen, zusammen ist. Und man selbst dadurch auch in seiner Sicht auf die Welt und in seinem Eingebettetsein in ein soziales Gefüge eine Bestätigung erfährt."
Wer einer gut funktionierenden Religionsgemeinschaft angehört, kann dort also mehrere Dinge finden, die ihm persönlich guttun können: Gemeinschaft, Bestätigung und Gewissheit.
Klein: "Charakteristisch für Religion ist, dass es dieses Bündel, diese spezifische Konfiguration von Merkmalen und Mechanismen ist, die in dieser Form tatsächlich soweit einzigartig ist, dass sie eben einen statistisch erkennbaren und messbaren Effekt ausmacht."
"Ich möchte das Leben feiern"
Religionsgemeinschaften vereinen also oft Aspekte, die Menschen helfen können, mit den Widrigkeiten des Lebens besser zurechtzukommen. Aber man kann diese Kombination natürlich auch außerhalb von Religionen finden.
Grutzpalk: "Das ist ja genau das, weswegen es solche Vereinigungen wie die Humanistische Vereinigung und ähnliches gibt. Da kann eben auch eine positive Welthaltung entstehen. Eben zu sagen: Ich möchte das Leben feiern. Ich möchte die Events, die das Leben bietet – auch die schlechten – die möchte ich annehmen breitbrüstig, und ich möchte mich dem stellen, und ich möchte damit nicht allein sein. Das geht."
Jonas Grutzpalk, der in der Humanistischen Vereinigung lange als Feiersprecher aktiv war, bei Namensfeiern, Hochzeiten oder Beerdigungen.
"Spaß, Sinn und Sicherheit"
Die Humanisten bieten also ganz ähnliche Rituale an wie etwa die Kirchen – denn Menschen, ob religiös oder nicht, haben eben oft ähnliche Bedürfnisse, meint der Jugendforscher Simon Schnetzer:
"Wenn ich als Trainer, als Speaker unterwegs bin und gefragt werde, was wollen junge Menschen, dann kann man das relativ kurz und prägnant sagen: Junge Menschen wollen Spaß, Sinn und Sicherheit."
Drei Dinge also, die einem in der Corona-Krise leicht abhandenkommen können: Spaß, Sinn und Sicherheit. Wiederfinden könnte man sie in Religionsgemeinschaften – wie es Simon Schnetzers Studie "Junge Deutsche 2021" nahelegt – aber eben auch in anderen Gemeinschaften Gleichgesinnter, die mit Religion nichts zu tun haben.