Freitag, 26. April 2024

Archiv


Widerstandskämpfer, Theaterliebhaber und Verleger

Helmut Kindler brachte neben Büchern und großen Literatur- und Malerei-Lexika auch die Zeitschriften "Revue" und "Bravo" heraus. Er war geistig im Widerstand gegen Nationalsozialismus, Antisemitismus und Krieg verwurzelt. Der Verleger, der vor 100 Jahren geboren wurde, hatte von einem anderen Beruf geträumt.

Von Albrecht Dümling | 03.12.2012
    Als am 31. August 1928 in Berlin die "Dreigroschenoper" von Bert Brecht und Kurt Weill uraufgeführt wurde, saß auch der 16-jährige Helmut Kindler im Publikum. Diese legendäre Aufführung gehörte zu den Auslösern seiner Theaterbegeisterung.

    "Niemals habe ich daran gedacht, Verleger zu werden als junger Mensch. Sondern ich wollte Theaterregisseur werden. Das Theater faszinierte mich."

    Helmut Kindler, geboren am 3. Dezember 1912 in Berlin, durfte schon als Schüler mit Erwin Piscator zusammenarbeiten. Er wurde Regieassistent und Schauspieler an der Seite berühmter Kollegen. Aber das Hitlerregime verfolgte die von ihm bewunderten Künstler und trieb sie ins Ausland. Da Kindler nicht auf ihre Kosten Karriere machen wollte, wie er erklärte, verzichtete er auf die Theaterlaufbahn und wurde Journalist. Als Mitglied einer Widerstandsgruppe bekämpfte er das Nazi-Regime. Weil er als Kriegsberichterstatter in Warschau den polnischen Widerstand mit Waffen versorgt hatte, wurde er verhaftet.

    "1943, da wurde ich dann festgenommen von der Feldgendarmerie und habe anderthalb Jahre in Haft verbracht, und hatte dann drei Volksgerichtshof-Prozesse, eine Anklage wegen Hochverrat, die andere wegen Feindbegünstigung und die Dritte wegen Wehrkraftzersetzung – also eigentlich dreimal den Antrag auf Todesstrafe."

    Nur durch eine Kette von Wundern entging Kindler der Todesstrafe. Er erhielt Frontbewährung, konnte aber fliehen und sich verstecken. Nach dem Ende des Hitlerstaats wollte er mit der Schauspielerin Nina Raven ein Theater eröffnen, um den Jugendtraum zu verwirklichen. Als er aber zusammen mit Heinz Ullstein eine Verlagslizenz erhielt, entschlossen sich Helmut und Nina Kindler, die Bühnenkarriere aufzugeben und Verleger zu werden.

    Es wurde eine sehr fruchtbare Partnerschaft, zunächst zu dritt. Zur Frauenzeitschrift "sie" kam 1947 das Buch "verboten und verbrannt" als erste Anthologie deutscher Exil-Literatur. Ende 1948 zogen die Kindlers von Berlin nach München, wo sie die "Revue" starteten, eine der führenden bundesdeutschen Illustrierten neben "Quick" und "Stern". Eine Marktlücke schloss Kindler, als er 1956 die Jugendzeitschrift "Bravo" ins Leben rief. Heinz Ullstein meinte dazu anerkennend:

    "Kindler macht sein illustriertes Blatt, als hätte er die ‚Illustrierten’ erfunden. Zum Teil hat er sie sogar erfunden."

    Obwohl Kindler mit "Revue" und "Bravo" Millionenauflagen erzielte, verkaufte er 1965 den Zeitschriftenverlag, um sich ganz der Buchproduktion zu widmen. Noch mehr als früher konnte er sich nun für Ideen einsetzen, die im Widerstand gegen Hitler gereift waren. So veröffentlichte er Bücher wie "Anmerkungen zu Hitler" von Sebastian Haffner oder Biografien von Carl von Ossietzky und Willy Brandt.

    Am meisten engagierten sich Helmut und Nina Kindler aber für die Herausgabe von Enzyklopädien, wozu sie 1960 den Kindler Verlag Zürich gründeten. Dem großen Kindler-Literaturlexikon folgten Lexika zu Malerei und Psychologie, Menschen- und Tierleben, die im besten Sinne der Popularisierung der Wissenschaft dienten. Dazu der Kindler-Autor Walter Jens:

    "Helmut Kindler ist es gewesen, der in den von ihm verlegten Enzyklopädien mehr für die Interdisziplinarität und mehr für die Überwindung der Kluft zwischen den beiden Kulturen, der geistes- und naturwissenschaftlichen, getan hat als Stäbe von Universitätswissenschaftlern."

    Die Herausgabe so anspruchsvoller Projekte führte Kindler an die Grenzen seiner finanziellen Möglichkeiten, weshalb er 1977 seinen Verlag an die Holtzbrinck-Gruppe verkaufte. Als er am 3. Dezember 1987 seinen 75. Geburtstag feierte, schrieb ihm Bundespräsident Richard von Weizsäcker einen Brief, in dem er sein abwechslungsreiches Leben so zusammenfasste:

    "Ihre Leidenschaft galt stets dem Wort, erst dem gesprochenen – also das Theater – , dann dem geschriebenen – dem Journalismus – und dann dem Gedruckten – also dem Verlegen."

    Helmut Kindler hielt das für eine sehr passende Lebensbilanz und übernahm die Gliederung für seine Autobiografie. 2008, kurz vor seinem 96. Geburtstag, ist er in Küsnacht bei Zürich gestorben.