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Widerstandskämpfer und "Staatsfeind Nummer eins"

Der australische Historiker William Hastings Burke ist für seine Recherchen über Albert Göring kreuz und quer durch die Welt gereist. Der jüngere Bruder des glühenden Antisemiten Hermann Göring hasste die Nazis und nutzte seinen Namen, um Menschenleben zu retten. Hermann Göring wusste von den Aktivitäten Alberts und bewahrte den Bruder vor der Verhaftung.

Von Silke Nauschütz | 21.05.2012
    "Das ist ein Traum für mich, weil es ist eine wichtige Geschichte von Deutschland","

    sagt William Hastings Burke über sein Buch. Der junge Australier ist im Interview noch immer sichtlich bewegt von seiner späten Begegnung mit dem Geist mit Albert Görings. Im Laufe des Gesprächs wirkt es, als sei der 29-Jährige ein naher Freund Albert Görings geworden, dessen Vermächtnis er verwaltet. Burke ist 18, als er im Fernsehen eine Dokumentation über "The real Albert Göring" sieht, die Geschichte zweier so unterschiedlicher Brüder. Er kann kaum glauben, dass Hermann Göring, Judenhasser, Gründer der berüchtigten Geheimpolizei Gestapo und der ersten Konzentrationslager, einen jüngeren Bruder hatte, der die Nazis hasste und der seinen Nachnamen benutzte, um Menschenleben zu retten.

    ""Ich war geschockt, wie konnte das sein. Ich hatte diesen brennenden Wunsch, diesen Geist eines Mannes zu durchdringen, den ich nie getroffen hatte. Ich hatte so viele Fragen, die ich beantwortet haben wollte."

    Burke lässt die Geschichte Albert Görings nicht mehr los. Die Bücherläden bieten zahlreiche Titel über Hermann, über Albert gibt es nichts. Burke schließt in Sydney sein Wirtschaftsstudium ab und macht sich auf die Spurensuche. Sie führt ihn unter anderem nach Prag, London, Paris, und Freiburg, wo er einige Zeit lebt. Die allererste Spur von Albert Göring aber findet Burke im amerikanischen Nationalarchiv in Washington. Er hält eines Tages fünf unscheinbare fleckige Seiten mit 34 Namen von NS-Verfolgten in der Hand, die Albert Göring gerettet haben soll, die meisten von ihnen Juden. Albert selbst hatte die Namen notiert, 1945 in einem Gefängnis der US-Armee in Augsburg, zu seiner Verteidigung. Die US-Fahnder hatten nicht glauben können, dass man mit dem Namen Göring kein Kriegsverbrecher war. In den Dokumenten findet Burke folgenden Vermerk der Ermittler:

    "Das Ergebnis der Vernehmung Albert Görings, Bruder des Reichsmarschalls Hermann ist einer plattesten Versuche der Reinwaschung und Ehrenrettung, die man je erlebt hat."

    Burke befällt zunächst ein ähnlicher reflexartiger Unglaube. Kann das wirklich wahr sein - der Bruder von Reichsmarschall Hermann Göring, dem zweiten Mann nach Hitler, ein Widerstandskämpfer? Burke nutzt die Liste der 34 Geretteten für seine weiteren Recherchen. Er besucht Freunde und Angehörige der Menschen, die durch Albert gerettet werden konnten.

    Die Geschichten, die sie erzählen, zeichnen ein deutliches Bild von Albert. Albert Göring war demnach ein Menschenfreund, ein Feingeist, der die Nazis hasste und sehr früh erkannte, welche Bedrohung von ihnen ausging und der danach handelte:

    "Es gibt diese wirklich beeindruckende Geschichte, wie er einem Mob in Wien begegnete und diese Braunhemden, SA-Männer, eine alte jüdische Dame verhöhnten, mit einem Schild um ihren Hals, auf dem stand 'Ich bin eine jüdische Sau'. Er kam an diesem Schauplatz vorbei und das erste was er tat, er brach durch die Menge, kam der alten jüdischen Dame zur Hilfe. Indem er dies tat, kam er in direkten Konflikt mit den Braunhemden. Und was man sich vor Augen führen muss, die wussten nicht, wer er war, sie wussten nicht, dass er Albert Göring war."

    Albert, so hört Burke, besorgte falsche Papiere, warnte Freunde vor drohenden Verhaftungen und stattete Flüchtende mit Geld aus, Amtsträger schüchterte der Geschäftsmann immer wieder mit seinem Namen ein. Er soll sogar Häftlinge aus dem KZ-Theresienstadt geholt haben. Warum setzte er sich so ein und brachte sein eigenes Leben in Gefahr? Autor Burke versucht eine Erklärung:

    "Ich glaube, Albert hatte diesen sehr seltenen Sinn für Gerechtigkeit. Und es war etwas, das er nicht kontrollieren konnte. Es ist beinahe primitiv. Wenn er Ungerechtigkeit vor seinen Augen sah, musste er einfach darauf reagieren. Und ich glaube, dass das wirklich sein Leben diktierte."

    Alberts Hilfe blieb nicht geheim - Die Nazis wollten seinen Kopf, es gab vier Haftbefehle gegen ihn:

    "Ich habe all die Gestapo-Berichte über ihn gelesen. Er wurde 'Staatsfeind Nummer eins' genannt, sie hassten ihn, sie wollten ihn unbedingt einsperren."

    Reichsmarschall Hermann Göring wusste von den Aktivitäten Alberts und bewahrte den Bruder jedes Mal vor der drohenden Verhaftung – auch immer bemüht, nicht selbst in Schwierigkeiten zu geraten. 1945 treffen sich beide zum letzten Mal – unter veränderten Vorzeichen - vor den Nürnberger Prozessen.

    "Nach dem Umzug von Augsburg nach Nürnberg trafen sie im Bärenkeller aufeinander. Und Hermann sagte Albert: Es tut mir so leid, dass du hier mit hineingezogen wurdest. Aber du wirst frei kommen. Kannst du mir versprechen, dich um meine Frau und mein Kind zu kümmern' Und wenn man in das Vernehmungsprotokoll schaut, sieht man, dass er gesagt hat: Ich habe einen Bruder, der niemals ein Nazi war. Er ist ein guter Mensch. Ihr solltet ihn gehen lassen."

    Sie ließen ihn gehen, doch Alberts Nachname, der ihm half, Menschen das Leben zu retten, wurde ihm nun zum Fluch. Er fand im Nachkriegsdeutschland keine Arbeit mehr. Die Menschen, denen er geholfen hatte, halfen nun ihm mit Geld, Geschenken und Besuchen. 1966 starb Göring, verarmt und nicht ohne Bitterkeit.

    William Hastings Burke hat seine jahrelange gründliche Recherche dicht und verständlich zusammengefasst. Es ist ein Zeitzeugnis, vielleicht etwas populärwissenschaftlich, aber gerade deshalb für ein breites Publikum geeignet - vor allem wie Burke es sich wünscht, auch für die Facebook- und Youtube-Generation.

    William Hastings Burke: Hermanns Bruder – Wer war Albert Göring?
    Aufbau Verlag, 237 Seiten, 19,99 Euro
    ISBN: 978-3-351-02747-6