Meurer: Zu viel liberale Politik also?
Schreiner: Zu wenig ergänzende Politik, als zusätzliche Instrumente zur Reduktion von Arbeitslosigkeit.
Meurer: An welche Instrumente denken Sie?
Schreiner: Zunächst Arbeitsmarktinstrumente. Das sogenannte Job-Aktiv-Gesetz, das die Arbeitsvermittlung im vernünftigen Sinne durchgreifend modernisiert, ist erst vor wenigen Tagen in Kraft getreten. Das hätte man schon vor zwei Jahren verabschieden können, zumal die Grundüberlegungen damals schon bekannt waren.
Meurer: Warum ist es damals nicht geschehen?
Schreiner: Tja, da bin ich die falsche Frageadresse. Ich sage ja nur, dass ich mir gut hätte vorstellen können, dass die Modernisierung der Arbeitsvermittlung, möglichst frühzeitig auf den einzelnen Arbeitslosen zuzugehen, an individuellen Aspekten anzuknüpfen und möglichst rasch eine Vermittlung in Gang zu bringen, sehr spät kommt, das hätte man auch früher machen können. Das zweite ergänzende Instrument ist die Arbeitszeitregelung. Es hat in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Verkürzungen der Arbeitszeit gegeben. Ich gehöre zu denen, die der festen Überzeugung sind, dass auf absehbare Zeit an eine generelle Verkürzung der Wochenarbeitszeit nicht zu denken ist, aber es gibt eine Reihe von anderen Arbeitszeitinstrumenten, mit denen eine bessere Verteilung der Arbeitszeit erreicht werden könnte, Stichwort Überstundenbegrenzung, das Thema ist bekannt: wir haben im vergangenen Jahr über zwei Milliarden Überstunden. Bei nahezu vier Millionen Arbeitslosen ist das ein Skandal. Hier sind die Arbeitgeber angesprochen. Wir brauchen deutlich mehr attraktive und sozialversicherungspflichtige Teilzeitarbeitsplätze, und hier sind überwiegend die Arbeitgeber gefordert. Andere Länder sind uns weit voraus, nicht nur Holland, auch die skandinavischen Länder. Es zeigen ja auch einzelne betriebliche Beispiele, etwa VW, dass man mit sehr viel Phantasie auf der Basis eines vernünftigen Einkommens Arbeitszeit so gestalten kann, dass auch in krisenhaften Situationen nicht nur keine Beschäftigung verloren geht, sondern Beschäftigung zusätzlich aufgebaut werden kann.
Meurer: Der sogenannte Kombilohn ist im Moment im Gespräch, also Zuschüsse, staatliche Subventionen für Niedriglohnjobs. Die Gewerkschaften laufen dagegen Sturm. Sie auch?
Schreiner: Wir haben in der Bundesrepublik seit etlichen Jahren deutlich über zehn verschiedene Kombilohnmodelle, mal regional, mal lokal, auch bundesweit, im Rahmen des Arbeitsförderungsgesetzes. Die bisherigen Erfolge sind alles andere als berauschend. Was vor allen Dingen fehlt, ist eine Überprüfung, eine Evaluierung der jeweiligen Modelle auf die eigentlichen Beschäftigungseffekte, und ich plädiere nachdrücklich dafür, bevor an bundesweite Überlegungen gedacht wird, zunächst kritisch zu prüfen, was diese einzelnen regionalen und lokalen gebracht haben. Alles andere wäre kaum verantwortbare Hektik.
Meurer: Diese Prüfung läuft ja. Wann soll denn über den Kombilohn entschieden werden?
Schreiner: Nochmals: wir haben den Kombilohn auch auf Bundesebene im Rahmen der sogenannten freien Förderung im Arbeitsförderungsgesetz seit 1998. Und es gibt eine Reihe von lokalen und regionalen Bereichen, in denen die Arbeitsämter davon Gebrauch gemacht haben. Nach dem, was mir an Zahlen bekannt ist, sind die Erfolge außerordentlich mäßig. Es käme jetzt entscheidend darauf an zu wissen, ob dies eher an der mangelhaften Ausgestaltung dieser Modelle liegt, oder ob es schlicht und einfach zu wenig Bedarf in den Betrieben für gering qualifizierte Tätigkeiten gibt. Das ist die Grundfrage, die zunächst beantwortet werden muss, bevor ich an eine bundesweite Verallgemeinerung herantreten würde. Nochmals: der Kern der Frage ist - es wird ja gesagt, über eine Million Arbeitsplätze in Deutschland sind nicht besetzt, von den Unternehmen angebotene Arbeitsplätze sind nicht besetzt -, um welche Arbeitsplätze handelt es sich, die von den Unternehmen angeboten werden. Ich bezweifle nachdrücklich, ob es sich hier um gering qualifizierte Arbeitsplätze handelt, sondern viele Anzeichen legen den Eindruck nahe, dass die Unternehmen Fachkräfte suchen.
Meurer: Aber mag es auf der anderen Seite nicht so sein, dass es gerade - was gesagt wird - für einen Sozialhilfeempfänger uninteressant ist, einen Job anzunehmen, der eben schlecht bezahlt wird, im Einzelhandel oder im Handwerk, dass man hier mit Kombilohn oder Ähnlichem aushelfen könnte?
Schreiner: Ich fordere nichts anderes, als eine sinnvolle, rasche Bewertung der teilweise schon seit Jahren vorhandenen Kombilohnmodelle. Wenn es richtig ist, dass in den Betrieben in der Regel nicht gering qualifizierte Tätigkeiten, sondern fachlich gut ausgebildete Tätigkeiten nachgefragt werden, dann wäre der entscheidende Ansatzpunkt nicht das Fördern von gering qualifizierten Tätigkeiten, sondern zumindest die Frage zu stellen, ob das, was bundesweit bislang für Qualifizierungsmaßnahmen ausgegeben wird, z.B. von der Bundesanstalt für Arbeit, auch immer optimal und in die richtige Richtung zielt. Wir hatten im Jahr 2000 über 20 Milliarden DM im Rahmen des Haushalts der Bundesanstalt für Arbeit für Qualifizierungsmaßnahmen, und ich habe große Zweifel, ob diese Gelder in jedem Fall vernünftig eingesetzt worden sind. Solange diese Kernfrage nicht beantwortet ist, rate ich dringendst davon ab, Schnellschüsse zu veranstalten. Aber ich bin ebenfalls dafür, dass diese Fragen sehr rasch beantwortet werden müssen, sie hätten schon längst beantwortet sein können. Ich habe wenig Verständnis dafür, Kombilohnmodelle, regionale Versuchsprojekte, Pilotprojekte zu machen, ohne die Träger zwingend zu verpflichten, in einem angemessenen Zeitraum eine entsprechende Bewertung über den Erfolg oder Misserfolg vorlegen zu können, damit man vernünftige Rückfolgerungen ziehen kann.
Meurer: Wie groß ist die Gefahr, dass die SPD die Bundestagswahl verliert, gerade gegen einen möglichen Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber?
Schreiner: Ich glaube nicht, dass die Beschäftigungsfrage die entscheidende Frage sein wird, weil die gesamten 90er Jahre gezeigt haben, dass die Rezepte der Union und der damaligen CDU/FDP - Koalition zu verheerenden Ergebnissen geführt haben. Die Ergebnisse, die die Regierung Schröder in der Beschäftigungspolitik vorlegen kann, sind aus meiner Sicht nicht befriedigend, aber gemessen an dem, was die Kohl-Regierung in den gesamten 90er Jahren vorzulegen hatte, ist das ein deutlicher Schritt nach vorne. Ich erinnere daran, dass wir von 1990 bis 1998 in jedem Jahr steigende Arbeitslosigkeit hatten. Von diesem Trend ist die Schröder-Regierung weit entfernt. Es ist wesentlich besser gelaufen als das, was in den 90er Jahren gemacht worden ist.
Meurer: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio