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Wie geht es in Israel nach dem Ausscheiden der Arbeitspartei weiter?

    Heinlein: Die Regierung des nationalen Einheit in Israel ist gescheitert. Gestern Abend gab es die zornige Ankündigung von Verteidigungsminister Ben-Elieser, seine Arbeitspartei werde sich aus der großen Koalition verabschieden. Lange hatte man mit der Likud-Partei verhandelt. Es ging um die heikle Frage der Kürzung der Finanzhilfen für die jüdischen Siedler in den besetzten Gebieten. Doch anscheinend scheute Ministerpräsident Scharon den Konflikt mit der einflussreichen Siedlerlobby. Ben-Elieser zog daraufhin die Konsequenz und reichte seinen Rücktritt ein. Andere Minister folgten dann am Abend. Die innenpolitischen Folgen sind noch nicht abschließend geklärt. Sicher scheint jedoch, die internationalen Bemühungen um die Wiederaufnahmen von Gesprächen mit der palästinensischen Seite sind vorerst auf Eis gelegt. Darüber wollen wir jetzt mit Volker Perthes reden. Er ist Nahostexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Wir erreichen ihn in Beirut, guten Morgen.

    Perthes: Schönen guten Morgen!

    Heinlein: Herr Perthes, warum diesen Schritt der Arbeitspartei? Geht es um die Siedler oder um mehr, um einen grundsätzlichen Richtungsstreit in Israel?

    Perthes: Nein, es geht natürlich nicht nur um die Siedler. Die Frage, wie lange die Koalition hält, hat man ja diskutiert, seit dem die Koalition Anfang 2001 zusammen gekommen ist. Das war ein Paar, das nicht richtig zusammen passte. Wir haben häufig das Gefühl gehabt, dass man in Israel nicht eine Regierung, sondern mindestens zwei Regierungen hat. Also die Regierung von Herrn Scharon, der die Palästinenser bekämpft hat, der sich den europäischen und amerikanischen Friedensbemühungen widersetzt hat. Und dann den Regierungsteil, der von dem Verteidigungsminister Ben-Elieser mit der Unterstützung des Außenministers Peres, die immer sagten, die Oslo-Verträge halten noch, und wir wollten eine diplomatische Lösung mit den Palästinensern. Das hat Ben-Elieser ja auch zum Schluss sehr deutlich gesagt. Er sagte: 'Wir können militärisch nicht gewinnen, wir müssen zurück zum Verhandlungsprozess.' Diese beiden Teile der Regierungen passten nicht mehr zusammen, hatten keine gemeinsame Agenda. Die Sozialdemokraten, die Labour-Partei, hat einen Weg herausgesucht und ihn jetzt über die Frage der Gelder für die Siedlungen gefunden.

    Heinlein: Hat also die Arbeitspartei ganz bewusst die Spaltung von Scharon, vom Likud-Block gesucht?

    Perthes: Naja, wie gesagt, ich denke, die Regierung war schon gespaltet. Man hat sozusagen eine mehr oder weniger überzeugende Art und Weise des Absprungs gesucht und gefunden. Wie überzeugend das auch für die Wählerschaft ist, wird sich zeigen. Auf jeden Fall ist es so, dass die Labour-Partei möglicherweise jetzt die Chance hat, sich in der Opposition zu erneuern. Dagegen hatten sie bisher das Gefühl, das wurde in den letzten Monaten immer wieder gesagt, dass sie in der Regierung verbraucht werden, dass sie für eine Politik mit verantwortlich gemacht werden, die sie inhaltlich eigentlich nicht tragen können.

    Heinlein: Scharon, so wird aus Israel gemeldet, verhandelt jetzt bereits mit den Rechts-Außen-Parteien über die Bildung einer neuen Koalition. Was bedeutet das für die künftige Politik der Regierung Scharon?

    Perthes: Also das wird sicherlich eine Politik sein, die noch deutlicher nach rechts, noch deutlicher zu einem aggressiven Umgang mit den Palästinensern, möglicherweise mit anderen Nachbarländern, mit dem Libanon zum Beispiel, neigt. Ich befürchte, dass wir noch mehr Eskalation sehen werden. Gerade wenn auch jemand wie Herr Mofas, der ehemalige Generalstabschef, der für seine sehr harte Politik bekannt gewesen ist, Verteidigungsminister wird, birgt das nicht für gute Entwicklungen.

    Heinlein: Wird denn Scharon jetzt versuchen, mit dem möglichen neuen Koalitionspartner über die Länge der Legislaturperiode zu regieren? Oder steuert er auf Neuwahlen hin, denn die sind ja innerhalb von sechs Monaten vorgeschrieben?

    Perthes: Ich nehme an, dass er erst versuchen wird, eine neue Koalition mit der Unterstützung der Rechten zu bauen. Aber es wird schwierig für ihn sein, diese aufrecht zu erhalten, weil er dann wirklich von jeder kleinen Partei erpressbar ist. Das sind in erster Linie die religiösen Parteien, die immer dafür eintreten werden, dass sie mehr Geld für ihre sozialen Einrichtungen, ihre religiösen Schulen und so weiter bekommen. Dieses Spiel haben sie ja auch schon mit Labour unter Barack und früher mit Rabin gemacht. Damit können sie dann die Regierung erpressen. Es sind die Siedlervertreter, die in der Regierung stärker werden, die es auch für die Regierung Scharon schwer machen werden, gegen Siedler vorzugehen, die in den palästinensischen Gebieten Plünderungen oder Attacken auf palästinensische Dörfer vornehmen. Insofern wird es sehr schwierig für Scharon sein, eine längere Regierungszeit durchzuhalten, aber ich denke, er wird es erst einmal versuchen.

    Heinlein: Sie haben gesagt, die Arbeitspartei in der Opposition sei auch eine Chance für eine programmatische Erneuerung dieser Arbeitspartei um Peres, um Ben-Elieser. Welche Chancen hat denn eine neue Arbeitspartei dann bei den Wahlen? Oder ist dann Scharon in jedem Fall der neue Wahlsieger?

    Perthes: Ich denke, wenn die Wahlen sehr schnell, also innerhalb der nächsten Monate stattfinden, wird es für Labour sehr schwer werden. Dann wird man davon ausgehen können, dass sie noch weniger Stimmen, weniger Sitze in der neuen Knesset bekommen als sie das heute haben. Noch sind wir die stärkste Partei, stark genug um selbst eine Regierung bilden zu können. Dann werden wir nicht mehr die stärkste Partei in der Knesset sein. Wenn die Regierung Scharon sich noch ein Jahr in einer so schwierigen Koalition durchkämpft, wo sie von den kleinen Parteien über jede Sach- und Budgetfrage erpressbar ist, und wenn die Labour-Partei in der Zeit tatsächlich die Chance nutzt, sich programmatisch und personell zu erneuern, dann könnte bei Wahlen in etwa einem Jahr durchaus eine neue Mehrheit entstehen, also eine Mitte-Links-Mehrheit etwa.

    Heinlein: Vielen Dank für das Gespräch!

    Link: Interview als RealAudio