Hänsch: Guten Morgen, Herr Koczian!
Koczian: Meine Formulierung war natürlich etwas zugespitzt, aber gestern einigten sich die EU-Minister auf den Fortbestand der deutschen Steinkohlebeihilfen bis 2010, obwohl Subventionen gegen den Grundgedanken einer wettbewerbsbestimmten Union verstoßen. War das nun eine Sünde gegen den europäischen Geist?
Hänsch: Ich denke nicht. So einheitlich und auf einen Leisten geschlagen wie es manchmal scheint, ist ja Europa gar nicht. Es ging gestern darum, einen internationalen Vertrag, den Vertrag über Kohle und Stahl, der 50 Jahre alt geworden ist und damit auslief, zu ersetzen. Und der große Erfolg - nicht nur der deutschen, sondern auch der spanischen Regierung - ist, dass es gelungen ist, die Kohle weiterhin auf eigenen Beinen stehen zu lassen und sie nicht den normalen Beihilferegelungen des EU-Vertrags zu unterwerfen. Und das, denke ich, ist eine gute Nachricht für die deutsche Steinkohle, aber auch für die spanische und für die Reststeinkohle, die noch in anderen europäischen Ländern gefördert wird.
Koczian: Nun gibt es ja den begründeten Verdacht, dass es da eine Kuhhandel gegeben habe, zum Beispiel für die Dieselbeihilfen der Trucker in Frankreich und in anderen Ländern. Wenn die Touristen den billigen Diesel an diesen ausländischen Tankstellen zu sehen bekommen, verbittert das so manchen ökosteuergeschädigten Deutschen. Europa sollte doch etwas Gemeinsames sein.
Hänsch: Man kann nicht alles haben. Man braucht für die Interessen, die die Bundesrepublik Deutschland wie jedes andere Land in Europa zu vertreten hat, immer auch Mehrheiten, und das heißt, man braucht Verbündete. Und diese Verbündete hat die Bundesregierung gewonnen. Es geht ja schließlich bei der Erhaltung der deutschen Steinkohle auch darum, dass Deutschland einen eigenen Energiesockel behält. Andere Länder können das auch einführen künftig, und damit ist der deutsche Steinkohlebergbau und damit sind die Arbeitsplätze von immer noch zehntausenden von Menschen gesichert. Also, ich glaube, dass die Nachteile, die Sie zu Recht beschrieben haben, oder den Kompromiss, den man eingehen muss, dass der durchaus tragbar ist.
Koczian: Was könnte man mit vier Milliarden Euro jährlicher Beihilfen nicht alles anfangen? Zum Beispiel bei Bildung und Qualifikation, deren Förderung ja zumindest die Kommission als vorrangig und dringlich bezeichnet hat.
Hänsch: Es ist ja ausdrücklich festgelegt worden, dass diese Beihilfen nicht für alle Ewigkeit gezahlt werden können, sondern es ist so, dass bis 2007 unrentable Zechen stillgelegt werden müssen, die also auch nicht mehr zu modernisieren sind, die werden ab 2007 keine Beihilfen mehr bekommen. Die rentableren Bergwerke die sollen jedoch noch bis 2010 gefördert werden können, genauer gesagt subventioniert werden können. Das lässt sich auch im gesamteuropäischen Rahmen vertreten, denn wir werden ja mit dem Beitritt Polens zumindest noch mal ein großes Bergbauland in die Europäische Union bekommen, die ihren eigenen Bergbau auch nicht innerhalb von zwei, drei Jahren stilllegen können. Das heißt, wenn die Übergangsregelungen bekommen, dann müssen sie andere Kohleförderländer auch bekommen.
Koczian: Der Fortgang der Beihilfen war ja deutscher Wunsch, wie Sie darstellen ein berechtigter Wunsch. Doch Deutschland ist das bevölkerungsreichste Mitgliedsland, kann also drücken wie schon im Fall des blauen Briefes. Macht das mit der Zeit nicht hässlich?
Hänsch: Ich denke, wir müssen und können uns auch alle daran gewöhnen, weil Europa trotz aller Unkenrufe gefestigt genug ist. Dass Deutschland wie alle anderen Länder auch hier und dort seine nationalen Interessen in besonders starker Weise einbringt, das ändert nichts daran, dass die Bundesrepublik weiterhin zu den Motoren der europäischen Einigung gehört. Aber es ist eine normale Situation wie sie auch in der Bundesrepublik Deutschland möglich ist, dass bestimmte Bundesländer in bestimmten Fragen und Situationen ihr Interesse durchsetzen wollen. Das macht die Bundesrepublik genauso wie Frankreich oder Großbritannien oder auch Finnland und Griechenland.
Koczian: Sie sprachen die Erweiterung bereits an, aber nach wie vor gilt das irische Nein, und bislang gibt es kein juristisches Mittel, diese Nein zu überwinden. Deutschland nachzugeben und Irland nicht zur Kenntnis nehmen, verstieße doch wieder gegen den Geist Europas.
Hänsch: Die Iren werden ja im September wahrscheinlich, so ist der Beschluss der neuen Regierung, noch einmal ein Referendum durchführen. Dann wird auch klarer werden, was die Iren denn wirklich gewollt haben mit ihrem ersten Nein. Die Analysen haben ergeben, dass dort eine Menge von Motiven zu dem Nein geführt haben, die mit dem Vertrag von Nizza, um den es ging, damals überhaupt nichts zu tun hatten. Also, die Iren werden noch einmal abstimmen, und erst danach wird man wissen, ob die Iren sich auf diese Weise aus dem Fortgang der europäischen Einigung ausschließen. Und dann erst steht die Frage an: Was macht die übrige Europäische Union im Blick auf die Erweiterung?
Koczian: Aber wenn es bei dem irischen Nein bleibt, wird juristisch nicht getrickst?
Hänsch: Juristisch kann nicht getrickst werden. Dann werden wir versuchen müssen, die Erweiterung, die ja wirklich eine Jahrhundertaufgabe ist, gemessen an dem, worauf die Iren ihr Nein gestützt haben, also dann werden wir dafür sorgen müssen, dass die Erweiterung auf anderem Wege doch politisch möglich gemacht wird.
Koczian: Zur Zukunft Europas. Sie Sind Mitglied des Konvents. Da denkt man an die atemberaubenden Sitzungen in Paris nach der Französischen Revolution, als die Parteien ihre unterschiedlichen Strategien entwickelten, und da staunt man dass so gar kein Faszinosum von den Brüsseler Sitzungen ausgeht. Ist man im Konvent zu detailverliebt?
Hänsch: Nein, die Situation in Paris war eine revolutionäre Situation, und in einer solchen befindet sich Europa nicht. Man kann ja den Konvent auch vergleichen mit dem Konvent von Philadelphia zur Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika. Da ging es sehr leise zu. Er tagte unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Also man kann solche großen Verfassungsentwicklungen entweder laut und revolutionär wie in Frankreich oder leise wie in den Vereinigten Staaten in Gang setzen. Im Übrigen: Dieser Konvent ist etwas ganz Eigenes. Er hat kein Beispiel in der Französischen Revolution, er hat kein Beispiel in den Vereinigten Staaten von Amerika. Denn zum ersten Mal einigen sich souveräne Staaten auf einen gemeinsamen Grundvertrag, aus dem, so hoffen wir, eine Verfassung werden kann. Und da können wir uns weder an dem französischen Konvent noch an dem amerikanischen Konvent ein Beispiel nehmen. Wir müssen unsere eigene Arbeitsmethode finden und damit auch akzeptieren, dass die Öffentlichkeitsarbeit so wahrnimmt wie sie das möchte.
Koczian: Welche Konfliktlinien sind denn im Konvent auszumachen?
Hänsch: Wenn man mal die Konfliktlinien, die sich natürlich in vielen einzelnen Fragen ständig verschieben, beiseite lässt, dann sehe ich drei. Die erste ist ganz sicher die Frage, vergemeinschaften wir noch mehr Politiken als heute, oder belassen wir es bei der bloßen Zusammenarbeit zwischen Regierungen? Da gibt es die einen, die die erste Perspektive vertreten, und dann gibt es die zweite Grundlinie, die eher für Regierungszusammenarbeit statt für Vergemeinschaftung eintritt. Die zweite Konfliktlinie liegt sicherlich zwischen den Ansprüchen der kleineren Staaten und denen der größeren Staaten. Alle sind sie dem Recht nach gleich, aber natürlich sind sie in ihrem Gewicht nicht gleich. Und diese Balance zu finden zwischen groß und klein, das wird ein schwieriges Unternehmen des Konvents sein. Und das dritte ist: Es gibt natürlich in dem, was die politischen Ziele der Europäischen Union sein sollen, zum Beispiel soll sie stärker im Bereich des Sozialen oder des Umweltschutzes tätig werden, gibt es auch gesellschaftspolitische Streitlinien. Da gibt es die eher Konservativen, die damit zufrieden sind, eine großen Markt zu haben. Und es gibt die eher Progressiven, die sagen, die Europäische Union muss auch über den Markt hinaus in weiteren Feldern der Gesellschaftspolitik tätig werden können. Das sind die drei großen Konfliktlinien, die sich durch die Arbeit des Konvents ziehen werden, aber im Grunde kennen wir sie auch aus unserem innerstaatlichen Bereich.
Koczian: Zum politischen Gewicht Europas: Ohnmächtig im Nahen Osten, europäische Steuergelder wurden buchstäblich in den Sand gesetzt, da Israel ja selbst Aufforstungsprojekte zerstörte. So klingt dann der neuste Bericht etwas interessengeleitet, wonach die europäischen Gelder von der Autonomiebehörde auch für den Aufbau von Geheimdiensten verwendet wird - wogegen ja nichts zu sagen wäre, wenn diese die Radikalen beobachteten - aber eben auch Waffen gekauft werden sollten. Wie sollte Europa auf diese Berichte reagieren?
Hänsch: Europa muss sie erst mal prüfen, und dann muss allerdings die EU dafür sorgen können, wenn notwendig durch Sperrung weiterer Mittel, dass das, was die EU an Finanzhilfe im Nahen Osten vor allen Dingen für die Autonomiebehörde leistet, den Zielen entsprechend auch eingesetzt wird. Da ist die EU bei der Verfolgung ihrer eigenen Politik, die ja eine Politik des Ausgleichs und der Friedenssuche ist in dieser Region, darauf bedacht, dass sie auch entsprechend angewandt wird. Allerdings muss ich gleich dazu sagen als Mitglied des Konvents: Wir werden uns im Konvent mit der Aufgabe befassen müssen, die Europäische Außen- und Sicherheitspolitik besser führbar zu machen als das heute der Fall ist. Es muss aufhören, dass sich dort ein Präsident des Europäischen Rates, eine Troika der Außenminister, ein hoher Beauftragter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, ein Kommissionspräsident und noch ein Kommissar gegenseitig auf die Füße treten. Die EU braucht in der Außen- und Sicherheitspolitik einen Kopf, der der Union sagt, was sie will, und dafür sorgt, dass sie tut, was sie sagt.
Koczian: Klaus Hänsch war das. Er vertritt die Sozialdemokraten im Europäischen Parlament und im verfassungsgebenden Konvent. Danke nach Berlin!
Hänsch: Dankeschön!
Koczian: Meine Formulierung war natürlich etwas zugespitzt, aber gestern einigten sich die EU-Minister auf den Fortbestand der deutschen Steinkohlebeihilfen bis 2010, obwohl Subventionen gegen den Grundgedanken einer wettbewerbsbestimmten Union verstoßen. War das nun eine Sünde gegen den europäischen Geist?
Hänsch: Ich denke nicht. So einheitlich und auf einen Leisten geschlagen wie es manchmal scheint, ist ja Europa gar nicht. Es ging gestern darum, einen internationalen Vertrag, den Vertrag über Kohle und Stahl, der 50 Jahre alt geworden ist und damit auslief, zu ersetzen. Und der große Erfolg - nicht nur der deutschen, sondern auch der spanischen Regierung - ist, dass es gelungen ist, die Kohle weiterhin auf eigenen Beinen stehen zu lassen und sie nicht den normalen Beihilferegelungen des EU-Vertrags zu unterwerfen. Und das, denke ich, ist eine gute Nachricht für die deutsche Steinkohle, aber auch für die spanische und für die Reststeinkohle, die noch in anderen europäischen Ländern gefördert wird.
Koczian: Nun gibt es ja den begründeten Verdacht, dass es da eine Kuhhandel gegeben habe, zum Beispiel für die Dieselbeihilfen der Trucker in Frankreich und in anderen Ländern. Wenn die Touristen den billigen Diesel an diesen ausländischen Tankstellen zu sehen bekommen, verbittert das so manchen ökosteuergeschädigten Deutschen. Europa sollte doch etwas Gemeinsames sein.
Hänsch: Man kann nicht alles haben. Man braucht für die Interessen, die die Bundesrepublik Deutschland wie jedes andere Land in Europa zu vertreten hat, immer auch Mehrheiten, und das heißt, man braucht Verbündete. Und diese Verbündete hat die Bundesregierung gewonnen. Es geht ja schließlich bei der Erhaltung der deutschen Steinkohle auch darum, dass Deutschland einen eigenen Energiesockel behält. Andere Länder können das auch einführen künftig, und damit ist der deutsche Steinkohlebergbau und damit sind die Arbeitsplätze von immer noch zehntausenden von Menschen gesichert. Also, ich glaube, dass die Nachteile, die Sie zu Recht beschrieben haben, oder den Kompromiss, den man eingehen muss, dass der durchaus tragbar ist.
Koczian: Was könnte man mit vier Milliarden Euro jährlicher Beihilfen nicht alles anfangen? Zum Beispiel bei Bildung und Qualifikation, deren Förderung ja zumindest die Kommission als vorrangig und dringlich bezeichnet hat.
Hänsch: Es ist ja ausdrücklich festgelegt worden, dass diese Beihilfen nicht für alle Ewigkeit gezahlt werden können, sondern es ist so, dass bis 2007 unrentable Zechen stillgelegt werden müssen, die also auch nicht mehr zu modernisieren sind, die werden ab 2007 keine Beihilfen mehr bekommen. Die rentableren Bergwerke die sollen jedoch noch bis 2010 gefördert werden können, genauer gesagt subventioniert werden können. Das lässt sich auch im gesamteuropäischen Rahmen vertreten, denn wir werden ja mit dem Beitritt Polens zumindest noch mal ein großes Bergbauland in die Europäische Union bekommen, die ihren eigenen Bergbau auch nicht innerhalb von zwei, drei Jahren stilllegen können. Das heißt, wenn die Übergangsregelungen bekommen, dann müssen sie andere Kohleförderländer auch bekommen.
Koczian: Der Fortgang der Beihilfen war ja deutscher Wunsch, wie Sie darstellen ein berechtigter Wunsch. Doch Deutschland ist das bevölkerungsreichste Mitgliedsland, kann also drücken wie schon im Fall des blauen Briefes. Macht das mit der Zeit nicht hässlich?
Hänsch: Ich denke, wir müssen und können uns auch alle daran gewöhnen, weil Europa trotz aller Unkenrufe gefestigt genug ist. Dass Deutschland wie alle anderen Länder auch hier und dort seine nationalen Interessen in besonders starker Weise einbringt, das ändert nichts daran, dass die Bundesrepublik weiterhin zu den Motoren der europäischen Einigung gehört. Aber es ist eine normale Situation wie sie auch in der Bundesrepublik Deutschland möglich ist, dass bestimmte Bundesländer in bestimmten Fragen und Situationen ihr Interesse durchsetzen wollen. Das macht die Bundesrepublik genauso wie Frankreich oder Großbritannien oder auch Finnland und Griechenland.
Koczian: Sie sprachen die Erweiterung bereits an, aber nach wie vor gilt das irische Nein, und bislang gibt es kein juristisches Mittel, diese Nein zu überwinden. Deutschland nachzugeben und Irland nicht zur Kenntnis nehmen, verstieße doch wieder gegen den Geist Europas.
Hänsch: Die Iren werden ja im September wahrscheinlich, so ist der Beschluss der neuen Regierung, noch einmal ein Referendum durchführen. Dann wird auch klarer werden, was die Iren denn wirklich gewollt haben mit ihrem ersten Nein. Die Analysen haben ergeben, dass dort eine Menge von Motiven zu dem Nein geführt haben, die mit dem Vertrag von Nizza, um den es ging, damals überhaupt nichts zu tun hatten. Also, die Iren werden noch einmal abstimmen, und erst danach wird man wissen, ob die Iren sich auf diese Weise aus dem Fortgang der europäischen Einigung ausschließen. Und dann erst steht die Frage an: Was macht die übrige Europäische Union im Blick auf die Erweiterung?
Koczian: Aber wenn es bei dem irischen Nein bleibt, wird juristisch nicht getrickst?
Hänsch: Juristisch kann nicht getrickst werden. Dann werden wir versuchen müssen, die Erweiterung, die ja wirklich eine Jahrhundertaufgabe ist, gemessen an dem, worauf die Iren ihr Nein gestützt haben, also dann werden wir dafür sorgen müssen, dass die Erweiterung auf anderem Wege doch politisch möglich gemacht wird.
Koczian: Zur Zukunft Europas. Sie Sind Mitglied des Konvents. Da denkt man an die atemberaubenden Sitzungen in Paris nach der Französischen Revolution, als die Parteien ihre unterschiedlichen Strategien entwickelten, und da staunt man dass so gar kein Faszinosum von den Brüsseler Sitzungen ausgeht. Ist man im Konvent zu detailverliebt?
Hänsch: Nein, die Situation in Paris war eine revolutionäre Situation, und in einer solchen befindet sich Europa nicht. Man kann ja den Konvent auch vergleichen mit dem Konvent von Philadelphia zur Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika. Da ging es sehr leise zu. Er tagte unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Also man kann solche großen Verfassungsentwicklungen entweder laut und revolutionär wie in Frankreich oder leise wie in den Vereinigten Staaten in Gang setzen. Im Übrigen: Dieser Konvent ist etwas ganz Eigenes. Er hat kein Beispiel in der Französischen Revolution, er hat kein Beispiel in den Vereinigten Staaten von Amerika. Denn zum ersten Mal einigen sich souveräne Staaten auf einen gemeinsamen Grundvertrag, aus dem, so hoffen wir, eine Verfassung werden kann. Und da können wir uns weder an dem französischen Konvent noch an dem amerikanischen Konvent ein Beispiel nehmen. Wir müssen unsere eigene Arbeitsmethode finden und damit auch akzeptieren, dass die Öffentlichkeitsarbeit so wahrnimmt wie sie das möchte.
Koczian: Welche Konfliktlinien sind denn im Konvent auszumachen?
Hänsch: Wenn man mal die Konfliktlinien, die sich natürlich in vielen einzelnen Fragen ständig verschieben, beiseite lässt, dann sehe ich drei. Die erste ist ganz sicher die Frage, vergemeinschaften wir noch mehr Politiken als heute, oder belassen wir es bei der bloßen Zusammenarbeit zwischen Regierungen? Da gibt es die einen, die die erste Perspektive vertreten, und dann gibt es die zweite Grundlinie, die eher für Regierungszusammenarbeit statt für Vergemeinschaftung eintritt. Die zweite Konfliktlinie liegt sicherlich zwischen den Ansprüchen der kleineren Staaten und denen der größeren Staaten. Alle sind sie dem Recht nach gleich, aber natürlich sind sie in ihrem Gewicht nicht gleich. Und diese Balance zu finden zwischen groß und klein, das wird ein schwieriges Unternehmen des Konvents sein. Und das dritte ist: Es gibt natürlich in dem, was die politischen Ziele der Europäischen Union sein sollen, zum Beispiel soll sie stärker im Bereich des Sozialen oder des Umweltschutzes tätig werden, gibt es auch gesellschaftspolitische Streitlinien. Da gibt es die eher Konservativen, die damit zufrieden sind, eine großen Markt zu haben. Und es gibt die eher Progressiven, die sagen, die Europäische Union muss auch über den Markt hinaus in weiteren Feldern der Gesellschaftspolitik tätig werden können. Das sind die drei großen Konfliktlinien, die sich durch die Arbeit des Konvents ziehen werden, aber im Grunde kennen wir sie auch aus unserem innerstaatlichen Bereich.
Koczian: Zum politischen Gewicht Europas: Ohnmächtig im Nahen Osten, europäische Steuergelder wurden buchstäblich in den Sand gesetzt, da Israel ja selbst Aufforstungsprojekte zerstörte. So klingt dann der neuste Bericht etwas interessengeleitet, wonach die europäischen Gelder von der Autonomiebehörde auch für den Aufbau von Geheimdiensten verwendet wird - wogegen ja nichts zu sagen wäre, wenn diese die Radikalen beobachteten - aber eben auch Waffen gekauft werden sollten. Wie sollte Europa auf diese Berichte reagieren?
Hänsch: Europa muss sie erst mal prüfen, und dann muss allerdings die EU dafür sorgen können, wenn notwendig durch Sperrung weiterer Mittel, dass das, was die EU an Finanzhilfe im Nahen Osten vor allen Dingen für die Autonomiebehörde leistet, den Zielen entsprechend auch eingesetzt wird. Da ist die EU bei der Verfolgung ihrer eigenen Politik, die ja eine Politik des Ausgleichs und der Friedenssuche ist in dieser Region, darauf bedacht, dass sie auch entsprechend angewandt wird. Allerdings muss ich gleich dazu sagen als Mitglied des Konvents: Wir werden uns im Konvent mit der Aufgabe befassen müssen, die Europäische Außen- und Sicherheitspolitik besser führbar zu machen als das heute der Fall ist. Es muss aufhören, dass sich dort ein Präsident des Europäischen Rates, eine Troika der Außenminister, ein hoher Beauftragter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, ein Kommissionspräsident und noch ein Kommissar gegenseitig auf die Füße treten. Die EU braucht in der Außen- und Sicherheitspolitik einen Kopf, der der Union sagt, was sie will, und dafür sorgt, dass sie tut, was sie sagt.
Koczian: Klaus Hänsch war das. Er vertritt die Sozialdemokraten im Europäischen Parlament und im verfassungsgebenden Konvent. Danke nach Berlin!
Hänsch: Dankeschön!