Werthebach: Guten Morgen, Herr Zagatta.
Zagatta: Herr Werthebach, solch ominöse Drohungen sind ja nicht ganz neu. Gibt es denn Ihrer Kenntnis zufolge auch konkrete Hinweise, dass solche Anschläge in Europa und möglicherweise auch in Deutschland geplant sind?
Werthebach: Alle Sicherheitsexperten gehen heutzutage davon aus oder halten es für möglich, dass islamistische Terroristen es versuchen werden, auch in Deutschland Anschläge zu begehen. Wir wissen allerdings nicht, wann und wo solche terroristischen Anschläge stattfinden werden. Insofern sprechen die Sicherheitsbehörden auch immer von einer abstrakten Gefahr. Allerdings sollte uns alle der Terrorakt auf der Insel Dscherba hellwach machen, wo es doch zahlreiche Tote, vor allem deutsche Touristen, gegeben hat.
Zagatta: Wie ist denn die Qualität dieser Informationen, die da jetzt gehandelt werden? Gehen Sie davon aus, dass es westlichen Geheimdiensten mittlerweile gelingt, an verlässliche Informationen heranzukommen? Das war ja früher nicht der Fall.
Werthebach: Mein Eindruck ist, und ich beziehe mich dabei auf eine Tagung, die die Bertelsmann-Stiftung veranstaltet hat, dass die Informationen unserer Sicherheitsbehörden immer dichter werden, dass solche Anschläge geplant sind, vorzugsweise um den 11. September als Jahrestag herum, aber man darf sich auch darauf nicht verlassen. Also, die Informationen werden dichter und enger und das lässt auch die Sicherheitsbehörden eine so deutliche Warnung aussprechen, wie wir das auch in den letzten Tagen immer wieder gehört haben.
Zagatta: Aber wenn Zeitungen solche konkreteren Hinweise veröffentlichen, die sie offensichtlich aus den Geheimdiensten erhalten, dann wird das von offizieller Seite meistens auch wieder umgehend dementiert oder tiefer gehängt, vielleicht auch um keine Panik zu schüren. Werden da Informationen auch zurückgehalten?
Werthebach: Man kann das sehr gut an der Informationspolitik unseres Bundesinnenministers sehen. Er ist immer heftig bemüht, einerseits zuzugeben, dass eine hohe oder erhöhte Gefahr besteht, aber andererseits gibt er Entwarnung, er möchte eben nicht dazu beitragen, dass die Bevölkerung verängstigt wird. Das kann ich einerseits verstehen, das ist Aufgabe der Politiker. Aber andererseits sollten wir nicht so tun, als wenn die Gefahr nicht bestünde. Ich teile zum Beispiel die Auffassung des Generalbundesanwalts, also des obersten Anklägers in Angelegenheiten des Staatsschutzes, der sagt, dass in der Bundesrepublik das Bewusstsein für die Gefahr fehle. Hier hat die Politik auch eine Aufgabe. Ich kann andererseits den Bundesinnenminister verstehen, solange er nicht ein fertiges Konzept vorlegen kann, wie er mit dieser Gefahr umgehen will oder wie er diese Gefahr verringern will.
Zagatta: Welche Rolle spielt denn Al Kaida in Deutschland? Da gibt es ja immer wieder Durchsuchungen, da werden Leute kurz festgenommen, dann wieder freigelassen. Haben Sie da konkretere Hinweise?
Werthebach: Herr Zagatta, wir wissen von verschiedenen Quellen, dass es in den westlichen Ländern Tausende von Al-Kaida-Terroristen oder von Unterstützern gibt. Die deutschen Sicherheitsbehörden sprechen von einer dreistelligen Zahl, also hundert und mehr von solchen Terroristen, die sich hier in Deutschland aufhalten und ganz offensichtlich auch dazu da sind, um Anschläge vorzubereiten. Sie werden sicherlich nicht selbst die Anschläge begehen, dazu werden Terrorkommandos von außen nach Deutschland kommen. Aber es gibt wahrscheinlich mehrere Hundert solcher Terroristen, die in der Lage sind, Anschlagsziele hier auszukundschaften und Anschläge vorzubereiten. Der amerikanische FBI-Direktor hat ja auch gesagt, dass die Anschläge vom 11. September in Deutschland geplant worden seien. Also, man sieht, welche negative Rolle Deutschland hier im Bereich des Islamismus spielt, und da gilt es jetzt, alles zu unternehmen, dass wir diese Terroristen, die sich hier aufhalten, ausfindig machen. Sie wissen, dass hier eine Rasterfahndung begonnen wurde, die ja auch offensichtlich teilweise Erfolge hatte. Ich gehe davon aus, dass die vorläufigen Festnahmen, von denen Sie gesprochen haben, auf diese Rasterfahndungen zurückgehen. Nur, was natürlich gerade für unsere amerikanischen Freunde sehr unerquicklich ist, ist, dass diese Leute dann alsbald wieder freigelassen werden, also gegen sie kein Haftbefehl erlassen werden kann. Das ist weiß Gott kein Vorwurf gegen den Generalbundesanwalt, sondern hier fehlen uns die notwendigen Sachkenntnisse und Hintergrundkenntnisse, die eigentlich nur die Nachrichtendienste anliefern können.
Zagatta: Welche Konsequenzen müssten daraus gezogen werden?
Werthebach: Ich habe eine Reihe von Vorschlägen gemacht. Der erste Vorschlag, den ich mit Nachdruck vertrete, ist der, dass die informationelle Zusammenarbeit von Bundesnachrichtendienst, Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz nachhaltig verbessert werden muss. Damit will ich sagen, dass eine anlassunabhänge Informationspflicht zwischen den Sicherheitsbehörden begründet wird. Das muss gesetzlich fixiert werden. Dann fehlt mir völlig ein Konzept zum Schutz der zivilen Bevölkerung gegen terroristische Anschläge, einschließlich von Terrorangriffen mit A,B und C-Waffen. Auch davon müssen wir ja heute ausgehen. Es gibt hier ein unendliches Kompetenzwirrwarr, was nun wirklich schnell und rasch überwunden werden muss. Deswegen habe ich vorgeschlagen, die Institution eines Sicherheitsberaters und -koordinators entweder beim Kanzleramt oder beim Bundesinnenminister als Behörde, als Institution zu schaffen, die einerseits diesen Kompetenzwirrwarr im Bereich des zivilen Bevölkerungsschutzes beseitigt und andererseits dafür Sorge trägt, dass die systemimmanenten Informationsdefizite zwischen den verschiedenen Sicherheitsbehörden unterbunden werden, soweit dies möglich ist.
Zagatta: Halten Sie das für politisch durchsetzbar oder gibt es da Schwierigkeiten?
Werthebach: Wir haben ein Problem, das ist das Wahljahr. Die Bundesregierung ist praktisch nicht mehr handlungsfähig. Sie hätte früher damit anfangen müssen. Deswegen habe ich jetzt die Befürchtung, dass erst nach den Wahlen dieses, was ich hier fordere, aufgegriffen wird.
Zagatta: Aber dann müsste darüber Einigkeit bestehen oder sehen Sie da Widerstände?
Werthebach: Ich kann mir nicht gut vorstellen, dass man uns hier angesichts der harten Tatsachen, die uns allen bekannt sind, erheblichen politischen Widerstand leisten wird. Ich kann mir das zwar bei den Grünen vorstellen, aber ich hoffe auf jeden Fall nicht, dass die Herrn Schily unterstützende SPD hiergegen Vorbehalte haben kann. Die Datenschützer werden damit sicherlich nicht ohne weiteres einverstanden sein oder Bedenken erheben, aber auch hier berufe ich mich auf den obersten Ankläger Deutschlands, der gesagt hat, dass der strenge deutsche Datenschutz den Austausch von Informationen zwischen den Sicherheitsbehörden verhindere. Also, ich bitte darum, dass man im Interesse des Schutzes der Bevölkerung diese rechtlichen Bedenken zurückstellt und ohne den Rechtsstaat zu verletzten zu neuen gesetzlichen Befugnissen kommt.
Zagatta: Das war Eckart Werthebach, der ehemalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Herr Werthebach, ich bedanke mich für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio
Zagatta: Herr Werthebach, solch ominöse Drohungen sind ja nicht ganz neu. Gibt es denn Ihrer Kenntnis zufolge auch konkrete Hinweise, dass solche Anschläge in Europa und möglicherweise auch in Deutschland geplant sind?
Werthebach: Alle Sicherheitsexperten gehen heutzutage davon aus oder halten es für möglich, dass islamistische Terroristen es versuchen werden, auch in Deutschland Anschläge zu begehen. Wir wissen allerdings nicht, wann und wo solche terroristischen Anschläge stattfinden werden. Insofern sprechen die Sicherheitsbehörden auch immer von einer abstrakten Gefahr. Allerdings sollte uns alle der Terrorakt auf der Insel Dscherba hellwach machen, wo es doch zahlreiche Tote, vor allem deutsche Touristen, gegeben hat.
Zagatta: Wie ist denn die Qualität dieser Informationen, die da jetzt gehandelt werden? Gehen Sie davon aus, dass es westlichen Geheimdiensten mittlerweile gelingt, an verlässliche Informationen heranzukommen? Das war ja früher nicht der Fall.
Werthebach: Mein Eindruck ist, und ich beziehe mich dabei auf eine Tagung, die die Bertelsmann-Stiftung veranstaltet hat, dass die Informationen unserer Sicherheitsbehörden immer dichter werden, dass solche Anschläge geplant sind, vorzugsweise um den 11. September als Jahrestag herum, aber man darf sich auch darauf nicht verlassen. Also, die Informationen werden dichter und enger und das lässt auch die Sicherheitsbehörden eine so deutliche Warnung aussprechen, wie wir das auch in den letzten Tagen immer wieder gehört haben.
Zagatta: Aber wenn Zeitungen solche konkreteren Hinweise veröffentlichen, die sie offensichtlich aus den Geheimdiensten erhalten, dann wird das von offizieller Seite meistens auch wieder umgehend dementiert oder tiefer gehängt, vielleicht auch um keine Panik zu schüren. Werden da Informationen auch zurückgehalten?
Werthebach: Man kann das sehr gut an der Informationspolitik unseres Bundesinnenministers sehen. Er ist immer heftig bemüht, einerseits zuzugeben, dass eine hohe oder erhöhte Gefahr besteht, aber andererseits gibt er Entwarnung, er möchte eben nicht dazu beitragen, dass die Bevölkerung verängstigt wird. Das kann ich einerseits verstehen, das ist Aufgabe der Politiker. Aber andererseits sollten wir nicht so tun, als wenn die Gefahr nicht bestünde. Ich teile zum Beispiel die Auffassung des Generalbundesanwalts, also des obersten Anklägers in Angelegenheiten des Staatsschutzes, der sagt, dass in der Bundesrepublik das Bewusstsein für die Gefahr fehle. Hier hat die Politik auch eine Aufgabe. Ich kann andererseits den Bundesinnenminister verstehen, solange er nicht ein fertiges Konzept vorlegen kann, wie er mit dieser Gefahr umgehen will oder wie er diese Gefahr verringern will.
Zagatta: Welche Rolle spielt denn Al Kaida in Deutschland? Da gibt es ja immer wieder Durchsuchungen, da werden Leute kurz festgenommen, dann wieder freigelassen. Haben Sie da konkretere Hinweise?
Werthebach: Herr Zagatta, wir wissen von verschiedenen Quellen, dass es in den westlichen Ländern Tausende von Al-Kaida-Terroristen oder von Unterstützern gibt. Die deutschen Sicherheitsbehörden sprechen von einer dreistelligen Zahl, also hundert und mehr von solchen Terroristen, die sich hier in Deutschland aufhalten und ganz offensichtlich auch dazu da sind, um Anschläge vorzubereiten. Sie werden sicherlich nicht selbst die Anschläge begehen, dazu werden Terrorkommandos von außen nach Deutschland kommen. Aber es gibt wahrscheinlich mehrere Hundert solcher Terroristen, die in der Lage sind, Anschlagsziele hier auszukundschaften und Anschläge vorzubereiten. Der amerikanische FBI-Direktor hat ja auch gesagt, dass die Anschläge vom 11. September in Deutschland geplant worden seien. Also, man sieht, welche negative Rolle Deutschland hier im Bereich des Islamismus spielt, und da gilt es jetzt, alles zu unternehmen, dass wir diese Terroristen, die sich hier aufhalten, ausfindig machen. Sie wissen, dass hier eine Rasterfahndung begonnen wurde, die ja auch offensichtlich teilweise Erfolge hatte. Ich gehe davon aus, dass die vorläufigen Festnahmen, von denen Sie gesprochen haben, auf diese Rasterfahndungen zurückgehen. Nur, was natürlich gerade für unsere amerikanischen Freunde sehr unerquicklich ist, ist, dass diese Leute dann alsbald wieder freigelassen werden, also gegen sie kein Haftbefehl erlassen werden kann. Das ist weiß Gott kein Vorwurf gegen den Generalbundesanwalt, sondern hier fehlen uns die notwendigen Sachkenntnisse und Hintergrundkenntnisse, die eigentlich nur die Nachrichtendienste anliefern können.
Zagatta: Welche Konsequenzen müssten daraus gezogen werden?
Werthebach: Ich habe eine Reihe von Vorschlägen gemacht. Der erste Vorschlag, den ich mit Nachdruck vertrete, ist der, dass die informationelle Zusammenarbeit von Bundesnachrichtendienst, Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz nachhaltig verbessert werden muss. Damit will ich sagen, dass eine anlassunabhänge Informationspflicht zwischen den Sicherheitsbehörden begründet wird. Das muss gesetzlich fixiert werden. Dann fehlt mir völlig ein Konzept zum Schutz der zivilen Bevölkerung gegen terroristische Anschläge, einschließlich von Terrorangriffen mit A,B und C-Waffen. Auch davon müssen wir ja heute ausgehen. Es gibt hier ein unendliches Kompetenzwirrwarr, was nun wirklich schnell und rasch überwunden werden muss. Deswegen habe ich vorgeschlagen, die Institution eines Sicherheitsberaters und -koordinators entweder beim Kanzleramt oder beim Bundesinnenminister als Behörde, als Institution zu schaffen, die einerseits diesen Kompetenzwirrwarr im Bereich des zivilen Bevölkerungsschutzes beseitigt und andererseits dafür Sorge trägt, dass die systemimmanenten Informationsdefizite zwischen den verschiedenen Sicherheitsbehörden unterbunden werden, soweit dies möglich ist.
Zagatta: Halten Sie das für politisch durchsetzbar oder gibt es da Schwierigkeiten?
Werthebach: Wir haben ein Problem, das ist das Wahljahr. Die Bundesregierung ist praktisch nicht mehr handlungsfähig. Sie hätte früher damit anfangen müssen. Deswegen habe ich jetzt die Befürchtung, dass erst nach den Wahlen dieses, was ich hier fordere, aufgegriffen wird.
Zagatta: Aber dann müsste darüber Einigkeit bestehen oder sehen Sie da Widerstände?
Werthebach: Ich kann mir nicht gut vorstellen, dass man uns hier angesichts der harten Tatsachen, die uns allen bekannt sind, erheblichen politischen Widerstand leisten wird. Ich kann mir das zwar bei den Grünen vorstellen, aber ich hoffe auf jeden Fall nicht, dass die Herrn Schily unterstützende SPD hiergegen Vorbehalte haben kann. Die Datenschützer werden damit sicherlich nicht ohne weiteres einverstanden sein oder Bedenken erheben, aber auch hier berufe ich mich auf den obersten Ankläger Deutschlands, der gesagt hat, dass der strenge deutsche Datenschutz den Austausch von Informationen zwischen den Sicherheitsbehörden verhindere. Also, ich bitte darum, dass man im Interesse des Schutzes der Bevölkerung diese rechtlichen Bedenken zurückstellt und ohne den Rechtsstaat zu verletzten zu neuen gesetzlichen Befugnissen kommt.
Zagatta: Das war Eckart Werthebach, der ehemalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Herr Werthebach, ich bedanke mich für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio