Ramme: In Deutschland gab es in diesen Tagen keine Terrormeldungen. Heißt es, dass wir uns in Sicherheit wiegen dürfen?
Schmidt-Eenboom: Ich bin nach wie vor der Meinung, dass die Bundesrepublik Deutschland kein risikofreier Raum ist, aber dennoch deutlich sicherer als beispielsweise Italien, Großbritannien oder auch Frankreich. Die Bundesrepublik liegt nicht vorne im Zielkatalog von El Kaida, und auch der neuerdings entfesselte Hass der Schiiten im Irak, die Eskalation da, das sich verschlechternde Verhältnis zwischen Palästinensern und Israelis, werden nicht dazu beitragen, dass es für die Bundesrepublik ein höheres Terrorrisiko gibt. Allerdings denke ich, dass insbesondere Italien gefährdet ist, weil Terroristen da wohl nicht unterscheiden zwischen der Politik der Regierung Berlusconi und den Friedensbemühungen des Vatikans.
Ramme: In Paris standen vor zwei Tagen die Bahnen still wegen einer Terrorwarnung; die ist von der CIA abgefangen worden. Können Sie uns erklären, wie solche Terrorwarnungen entstehen? Liegt dem immer ein Drohbrief zu Grunde?
Schmidt-Eenboom: Nein, in der Regel nicht. In diesem Fall handelte es sich offensichtlich um eine abgefangene Telekommunikation, die die CIA dann aus dem Bestand der National Security Agency, also der Funküberwacher hat. Solche Terrorwarnungen gab es natürlich in den vergangenen Jahrzehnten serienweise. Man hat sie nie besonders ernst genommen. Jetzt stehen wir vor der Situation, dass es ins Gegenteil umgeschlagen ist, dass es eine gewisse Hysterie gibt, dass auch kein Nachrichtendienst sich den Vorwurf danach machen lassen will, er hätte nicht frühzeitig gewarnt. Das heißt, inzwischen reicht heute schon ein Telefonanruf, ein Fax, eine Email und dergleichen, um bestimmte Teile der Infrastruktur des Westens lahm zu legen.
Ramme: Werden wir denn dann irgendwann mal unvorsichtig bei diesen ständigen Terrorwarnungen, die da auch im Sande verlaufen?
Schmidt-Eenboom: Ich denke, dass wir da eine Phase erleben, wo die Sicherheitsbehörden und auch die Bevölkerung in Hochspannung leben, und dass dann nach der x-ten erfolglosen Meldung und Warnung unter dem Eindruck, da kommen Terrorwarnungen und es passiert nichts, die Aufmerksamkeit nachlässt, das Bedrohungsgefühl runtergeht und dass dann insbesondere die angespannten Sicherheitsapparate in den europäischen Staaten wieder erlahmen. El Kaida hat gezeigt, dass es mit sehr langem Atem operiert, und sie werden klug kalkuliert auf solche Phasen der Erlahmung und Erschöpfung warten.
Ramme: Die Situation im Irak eskaliert bekanntlich. Da wurde auch eine Moschee beschossen. Mobilisiert so etwas die Terroristen oder haben sie - das entnehme ich Ihren Äußerungen - Ihre Ziele schon längst im Auge, und das über längere Zeit?
Schmidt-Eenboom: Sie haben ihre Ziele gleichbleibend über längere Zeit im Auge, aber natürlich schafft so eine Tabuverletzung wie das Bombardieren einer Moschee aus der Luft einen neuen Nährboden, verlangt geradezu nach schnellen Reaktionen und verlangt natürlich nach analogen Zielen. Insofern ist die Gefährdung für den Vatikan besonders hoch, weil man da ja ein Zentrum des christlichen Glaubens treffen könnte.
Ramme: Haben Sie den Eindruck, dass das Thema Terrorismus zumindest in der öffentlichen Diskussion auf zu wenige Faktoren reduziert wird? Ich sage jetzt einfach mal Begriffe wie Irak, El Kaida, Bin Laden.
Schmidt-Eenboom: Nein, ich denke, dass man da schon von der Politik her konzentriert auf die Haupttäter schaut, nicht auf die Hauptursachen, und dass insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland von Seiten der Regierung schon eine abwägende Informationspolitik gemacht wird, während ich bei anderen Staaten eher erlebe, dass diese Hysterie ausgenutzt wird, um Sicherheitsgesetze zu verschärfen, möglicherweise auch im Bereich der deutschen Opposition solche Tendenzen sehe. Insgesamt ist Deutschland auch in dieser Hinsicht ein relativ ruhiger Raum.
Ramme: Ich würde mit Ihnen gerne noch ein bisschen über die El Kaida sprechen. In Madrid wird ja gemeinhin gesagt, das sei die El Kaida gewesen. Dabei soll es eine Untergruppe gewesen sein. Wie funktioniert denn tatsächlich diese Vernetzung? Ist es immer so, dass da tatsächlich eine El Kaida um einen Bin Laden herum maßgebend ist, oder sind es nicht Leute, die einem Irrglauben erliegen und einfach denken, wir müssen jetzt Terrorismus betreiben?
Schmidt-Eenboom: Nein, ich denke, dass das ganze Netzwerk gespeist wird aus einer gemeinsamen antiwestlichen Ideologie, dass es überdies gespeist wird aus gewachsenen Verbindungen, weil die Mehrzahl dieser Terroristen und insbesondere der terroristischen Führer in Afghanistan ausgebildet worden ist. Wir haben keine klare Kommandostruktur, sondern wir haben eher so ein System, wo inspiriert wird, wo El Kaida über Video oder dergleichen Ziele vorgibt und wo sich dann alle, die in dieser Richtung terroristisch aktiv werden wollen, dazu aufgerufen fühlen, diesen Willen umzusetzen.
Ramme: Wie muss denn die Terrorbekämpfung von morgen aussehen? Offenbar ist es nicht damit getan, Länder anzugreifen und zu besetzen.
Schmidt-Eenboom: Offensichtlich nicht. Insbesondere die Angriffe haben ja dazu geführt, dass die Terrorsituation sehr viel schärfer geworden ist, und die verfehlte Besatzungspolitik im Irak hat dazu geführt, dass nun auch die Schiiten diesen Hass auf die westliche Welt entfesseln. Es zeigt sich also, dass man mit militärischen Mitteln das Problem nicht lösen kann, sondern man hätte von vorne herein den Irak aus der ganzen Terrordebatte, wo er gar nicht hingehört, herausnehmen müssen. Dann hätte man heute auch keinen Terror aus dem Irak. Man hätte in Afghanistan eine sehr viel klügere Konsolidierungspolitik machen müssen, und auf lange Sicht wäre es geboten, dass der Westen, insbesondere was den Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis betrifft, einen Weg des Ausgleichs vorgibt und durchsetzt, damit der Nährboden für den internationalen Terrorismus kleiner wird. Das heißt nicht, dass es nicht immer einen gehörigen Satz islamistischer Fanatiker gibt, die den Westen auf diese Weise bedrohen.
Ramme: Kann man davon ausgehen, da Deutschland nicht im Irak involviert ist, dass uns dafür keine Gefahr droht?
Schmidt-Eenboom: Das ist nicht die einzige Ursache. Man sieht es ja am Beispiel Frankreichs, dass eine Enthaltsamkeit in der Besatzungspolitik im Irak vor Terror nicht schützt. Ich denke, dass sehr viel maßgeblicher ist, dass das Ansehen Deutschlands in der arabischen Welt sehr viel besser ist, über Jahrzehnte wenn nicht über Jahrhunderte gewachsen, weil Deutschland nie Kolonialmacht da war. Die Amerikaner als neokolonialistische Macht, die Briten und die Franzosen zum Beispiel in Syrien haben historische Altlasten, während die Bundesrepublik Deutschland sich gerade in den fünfziger Jahren bereits als Unterstützter nationalistischer Araber bewährt hat und von daher viel mehr Vertrauen in der arabischen Welt genießt.
Ramme: Vielen Dank für das Gespräch.