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"Wie Helmut Kohl in seinen besten Zeiten"

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat nach Einschätzung des Politikwissenschaftlers Gerd Langguth im politischen Tagesgeschäft sowohl das Kabinett wie auch ihre Partei sehr gut im Griff. Aus den Schwierigkeiten bei der Gesundheitsreform, die insgesamt ein "großes Desaster" sei, habe sie aber gelernt, so Langguth.

Moderation: Christina Janssen |
    Christina Janssen: Am Telefon ist jetzt der Politikwissenschaftler Professor Gerd Langguth von der Universität Bonn. Herr Professor Langguth, Angela Merkel hat sich, das haben wir ja gerade gehört, sehr positiv zur bisherigen Regierungsarbeit geäußert. Wie sehen Sie es? Ist da mehr Licht oder mehr Schatten?

    Gerd Langguth: Na ja, sie muss sich auch positiv äußern und wie immer ist ja bei allem immer viel Licht aber auch viel Schatten dabei. Man kann generell sagen, dass vieles, auch manches lautlos, erreicht wurde, nicht alles erreicht immer die Öffentlichkeit. Es sind natürlich immer die kontroversen Themen. Es kamen natürlich auch historisch günstige Rahmenbedingungen der Weltwirtschaftssituation dazu. Allerdings muss ich sagen, insgesamt ist die Bilanz der Innenpolitik gemischt, insbesondere wenn man die hohen Erwartungen an die Große Koalition setzt. In der Europa- und Außenpolitik finde ich ist allerdings die Bilanz außerordentlich positiv.
    Janssen: Die Gesundheitsreform wird ja von vielen als mehr oder weniger symptomatisch wahrgenommen, dafür wie die Große Koalition arbeitet, wie die beiden großen Parteien sich auch gegenseitig blockieren. Am Ende kam etwas dabei heraus, womit keiner der beiden Koalitionspartner so recht glücklich war. Würden Sie auch sagen, das charakterisiert die Arbeit der Großen Koalition?
    Langguth: Ja, nun muss man sagen, die Gesundheitsreform war noch ein besonderer Fall, der, sie fand ja relativ früh in der Koalition statt und da hat auch Frau Merkel erst noch mal ein Stück weit eingeübt, wie sie ein solches Thema eigentlich zu behandeln hat. Wenn ich es mal erläutern darf, was ich damit meine: Sie hat nämlich damals gedacht, wenn sie sich mit der Sozialministerin, Gesundheitsministerin Frau Schmidt zusammensetzt, wenn die beiden, Merkel und Schmidt, zusammen eine Lösung machen, vorschlagen, dann würde das schon funktionieren und dann würden, dann würde die Regierung insgesamt und dann würden auch die Fraktionen und die Parteien dem folgen. Das war sozusagen ein Lösungsvorschlag von oben kommend und damit ist natürlich Frau Merkel letztlich gescheitert. Es kam ein großes Desaster letztlich heraus. Es ist deswegen gescheitert, weil damit natürlich auch ein Prestigeproblem daraus wurde. Sie hat also nicht abgewartet, sozusagen von unten nach oben, dass die Vorschläge aus den Fraktionen, aus den verschiedenen Regierungsstellen kamen, sondern sie meinte, durch eine Reform Vorschläge, die sie gemeinsam mit einer SPD-Ministerin ausarbeitet, dass damit schon die Sachen gelöst werden können. Und daraus wurde dann ein Prestigeproblem. Generell kann man sagen, dass bei der Gesundheitsreform im Detail sicherlich sinnvolle Schritte gemacht wurden, aber eine nachhaltige Finanzierung ist nicht gelungen, es sind die Nachteile zweier unterschiedlicher Modelle vereint worden, aber es war umgekehrt natürlich auch einiges Positives erreicht worden: Dass etwa 100.000 Selbständige, die herausgefallen waren aus den privaten Krankenkassen, wieder dort aufgenommen werden mussten, dass Krankenhäuser mehr auf dem Prüfstand stehen und dass eine stärkere Rolle der Patienten da ist. Also, auch hier gilt, nicht alles ist nur negativ, aber insgesamt fand ich schon die Gesundheitsreform ein großes Desaster. Daraus hat aber Merkel gelernt.
    Janssen: Auf Angela Merkels Führungsstil wollte ich gerade auch zu sprechen kommen. Immer wieder sorgen ja einzelne Minister aus ihrem Kabinett für Spannungen in der Großen Koalition. Zurzeit ist es ganz besonders Wolfgang Schäuble, der Innenminister. Der Bundespräsident hat ihn nun ermahnt, er solle mal Schluss machen mit den Vorschlägen im Staccato-Rhythmus, so sinngemäß sein Vorwurf. Hat damit Horst Köhler vielleicht genau das getan, was viele Bürgerinnen und Bürger von der Kanzlerin erwartet hätten? Hat Angela Merkel den Laden gut im Griff?
    Langguth: Also, die Rolle des Bundespräsidenten ist natürlich ein eigenes Thema. Ich persönlich bin überzeugt, dass ein Bundespräsident eigentlich etwas zurückhaltender sein sollte in der aktuellen Einmischung also hochkomplizierter tagespolitischer Fragen. Ich bin mir auch nicht sicher, ob der Bundespräsident mal mit Herrn Schäuble unmittelbar mal selber in dieser Angelegenheit gesprochen hatte. Aber in der Tat hat ja Frau Merkel gesagt, sie wolle keine Denkverbote austeilen und dass Herr Schäuble hier eine härtere Linie vollzieht, als Teile der gesamten Regierung, ja, das ist in der guten Tradition auch eines Schily. Aber, natürlich ist es so, alle Minister preschen für ihre Bereiche vor. Das gilt natürlich für Herrn Gabriel, was den Umweltbereich angeht, genauso, das gilt für Herrn Glos, das gilt für Frau von der Leyen, das ist ein "Markenzeichen" dieser Großen Koalition - Markenzeichen in Anführungsstriche gesetzt -, dass jeder erst mal mit seiner Position vorprescht und dass man dann sagt, allerdings die Frau Merkel müsste jetzt stärker führen. Nur, wenn Frau Merkel stärker sozusagen führt, wie sie es ja versucht hat in der Gesundheitsreform, dann geht das relativ schnell daneben. Das heißt, also sie wird im Grunde genommen moderieren müssen, wie das übrigens auch ihre Vorgänger Kohl und Schröder getan haben, aber sie muss ja dann zum Schluss die Dinge zusammenbinden und dann Führung zeigen.

    Janssen: Viele werfen ja Angela Merkel genau das vor, dass sie vielleicht etwas zu moderat ist, dass sie gerne im Vagen verharrt. Aber ist das vielleicht wirklich gerade auch ihre Stärke, gerade in einer Großen Koalition?
    Langguth: Ja natürlich, sie muss natürlich, man muss natürlich sehen, einer Großen Koalition, wo ja der Konsens, ja, nicht immer sehr stark ist, wo es sehr unterschiedliche Konzepte gibt über die Rolle des Einflusses des Staates, was soll der Staat machen, was sollen private Initiativen, private Stellen tun? Sie kann nur teilweise auch wirklich moderieren. Nur glaube ich in dem Tagesgeschäft der Politik feststellen zu können, dass doch Frau Merkel relativ intensiv die Zügel in der Hand hat, sie hat auch das Kabinett im Griff, sie hat übrigens auch die eigene Fraktion im Griff, die ja sehr schweigsam zum Teil ist, sehr dienend gegenüber der Bundesregierung, sehr gehorsam, möchte ich vielleicht noch hinzufügen. Also, sie hat schon die Regierung und auch die eigene Partei im Griff. Und ich möchte sogar behaupten, sie ist nach relativ kurzer Zeit schon auf dem Höhepunkt der Macht genauso stark wie Helmut Kohl in seinen besten Zeiten.

    Janssen: Eine kurze Frage noch: 2009 ist Schluss mit der Großen Koalition, das meinen und sagen sehr viele. Was meinen Sie?

    Langguth: Ich bin mir nicht so sicher. Das hängt von der Konzentration ab. Wenn die Linkspartei nicht koalitionsfähig für die SPD ist, und das behauptet ja die SPD, dann sehe ich die Chance einer Wiederauflage der Großen Koalition durchaus gegeben. Ja, aber das ist jetzt noch zu früh. Aber ausschließen eine Fortsetzung dieser Großen Koalition würde ich heute nicht.