Meurer: In 61 Tagen finden die Bundestagswahlen statt. Die Union geht als Favoritin im Augenblick in die letzten Runden, aber die Wahl ist noch nicht gelaufen. Wer hat die besseren Konzepte zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit? Der Kanzler nimmt heute an einer Sitzung der so genannten Hartz-Kommission teil. Mit deren arbeitsmarktpolitischen Vorschlägen will die SPD in der Schlussphase des Wahlkampfs noch punkten. Edmund Stoiber verspricht derweil neue Milliarden für den Osten. Dort ist die Arbeitslosenquote mehr als doppelt so hoch wie im Westen. Spitzenreiter in der Arbeitslosigkeit ist Sachsen-Anhalt, und den Ministerpräsidenten des Landes, Wolfgang Böhmer, begrüße ich nun. Herr Böhmer, wünschen Sie sich jetzt einen Wettlauf, wer am meisten Geld für den Osten ausgibt?
Böhmer: Das muss nicht unbedingt ein Wettlauf sein, aber ich wünsche schon, dass man sich dafür entscheiden würde, ein Investitionsprogramm für den Osten aufzulegen, meinetwegen ein Infrastrukturentwicklungsprogramm, damit überhaupt erst einmal wieder Arbeitsplätze angeboten werden können.
Meurer: Was soll denn dieses Programm bewirken?
Böhmer: Das Programm soll letztlich bewirken, dass Arbeit angeboten wird. Es hat doch keinen Zweck, sich unentwegt Gedanken zu machen, wie man nicht vorhandene Arbeitsplätze möglichst schnell vermitteln kann. Wir müssen Arbeitsplätze zunächst schaffen, und da bin ich gerne bereit, darüber nachzudenken, wie schnell wir sie dann vermitteln können.
Meurer: Was sagen Sie zur Argumentation, zum Beispiel von den Liberalen, Investitionsprogramme seien sozusagen nur Strohfeuer?
Böhmer: Also ich muss sagen: Ein Strohfeuer ist besser als zu frieren. Natürlich sind Investitionsprogramme im allgemeinen zeitlich befristete Sachen, aus denen dann aber doch ein wirtschaftlicher Aufschwung resultieren könnte oder kann. Und überhaupt nichts zu tun und nur die Vorschläge zu kritisieren, hat bisher noch kein Problem gelöst.
Meurer: Es wird noch über einige andere Dinge diskutiert, im Moment zum Beispiel über die Ausweitung der sozialversicherungsfreien Minijobs. CSU und Unionskanzlerkandidat Stoiber sagen: Auf 400 Euro ausweiten; die Hartz-Kommission auf 500 Euro. Ist das ein Thema für den Osten?
Böhmer: Das ist ein Randthema. Natürlich bekommt man mehr Beweglichkeit dadurch, dass man die Nebenkosten reduziert. Man muss allerdings auch sagen, wie man dann das Defizit bei den Versicherungskassen decken will, was man damit erzeugt. Das hat bisher merkwürdigerweise noch niemand gesagt, und auch darüber muss nachgedacht werden. Aber ich sage mal, es ist eine Möglichkeit, etwas Bewegung in den Arbeitsmarkt zu bekommen. Voraussetzung aber ist, dass überhaupt ein Arbeitsmarkt da ist, das heißt dass Arbeit angeboten wird.
Meurer: Gibt es schon zu viele von den Minijobs in Ostdeutschland?
Böhmer: Das kann man nicht sagen, obwohl wir im Grunde genommen im Vergleich zu den alten Bundesländern ja immer noch ein Niedriglohnland sind. Es ist nicht so, dass es zu viele davon gäbe. Wir könnten von jeder Sorte noch mehr gebrauchen. Aber das ist eine Tarifstruktur, die mit Sicherheit nicht zukunftsfähig ist.
Meurer: Ein anderes Detail, über das diskutiert wird, die Mobilitätszuschüsse, insbesondere für junge Arbeitslose. Sollte man sie abschaffen und das Geld besser für einen anderen Zweck ausgeben?
Böhmer: Ich denke, es wird überhaupt nichts passieren, wenn man sie abschafft und das bisschen Geld umsteuert, für andere Zwecke ausgibt. Diese Unterstützung gibt es ja bundesweit. Auch wenn man von Schleswig-Holstein nach Baden-Württemberg zieht, kann man eine solche Unterstützung bekommen, ohne dass dort ein großes Geschrei erhoben wird. Und in den neuen Bundesländern, nach meinen Informationen, sind es 5 bis 6 Prozent derjenigen, die wegziehen, die diese Mobilitätsprämie überhaupt in Anspruch nehmen. Also auch wenn sie wegfällt, wird sich die grundsätzliche Situation hier nicht ändern. Es ist fast eine Phantomdiskussion geworden, aber sie hat eine bestimmte negative symbolische Wirkung, und sie ist verzichtbar.
Meurer: Inwiefern eine negative Wirkung?
Böhmer: Weil unentwegt unterstellt wird, es wäre eine Wegzugsprämie, und das ist im Grunde genommen eine Überzeichnung der tatsächlichen Realität.
Meurer: Und was ist diese Prämie in Wirklichkeit?
Böhmer: Sie ist eine Unterstützung von Leuten, die, um einen Arbeitsplatz in Anspruch zu nehmen, der weit weg von der Heimat ist, eine Unterstützung der Arbeitsverwaltung bekommen. Es ist ein bundesweites Angebot, was natürlich in den neuen Bundesländern in erheblich größerem Umfang in Anspruch genommen wird, weil wesentlich mehr junge Leute hier weggehen müssen, aber sie würden das auch ohne diese Prämie tun, und die meisten tun das auch ohne diese Prämie. Deswegen hätten wir dann zwar eine leidige Diskussion weg, aber die tatsächlichen Verhältnisse nicht verändert.
Meurer: Noch nie war die Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland so hoch wie im Augenblick; bei Ihnen im Bundesland 19,8 Prozent. Was erwarten die Menschen überhaupt noch von der Politik?
Böhmer: Also die Enttäuschung ist groß, das muss ich schon bedauerlich feststellen. Aber wenn nicht diejenigen, die in politischer Verantwortung sind, etwas ändern können, wer dann? Es dauert nur alles länger, und es wird viel zu viel über vernünftige Lösungen gestritten. Der Vorschlag, mit einem Infrastrukturprogramm und Investitionspauschalen für die Kommunen Aufträge auszulösen, ist Jahre alt. Zwischendurch höre ich, dass auch Herr Stolpe dies von Seiten der SPD propagiert. So langsam, auch wenn es mühsam ist, nähern sich die Standpunkte, und nun muss endlich mal etwas gemacht und entschieden werden.
Meurer: Wie glaubwürdig sind in Ostdeutschland Gerhard Schröder und Edmund Stoiber, wenn sie auf der Zielgeraden jetzt den Osten entdecken?
Böhmer: Ich würde mal sagen, die Menschen, so wie ich das einschätze, sind unabhängig von der Parteizugehörigkeit skeptisch, weil schon viel zu viel in Aussicht gestellt wurde, weil viel zu viel angekündigt wurde, und immer nichts geschehen ist. Die Formulierung von der Chefsache Ost, damit haben viele Menschen bestimmte Vorstellungen und Erwartungen verbunden, die nicht eingetreten sind, also die Resignation ist schon groß, und ich hoffe, dass endlich mal jemand weniger verspricht, aber das wenige erlebbar umsetzt, dann kann auch wieder Vertrauen in die Politik entstehen.
Meurer: Sie haben gerade Ihren Wahlkampf in Sachsen-Anhalt hinter sich. Was empfehlen Sie für den Wahlkampf in Ostdeutschland?
Böhmer: Absolute Nüchternheit und Ehrlichkeit. Ich war damit im Landtagswahlkampf so erfolglos nicht. Ich habe immer gesagt: Jeder Wähler ist für mich ein erwachsener, ernst zu nehmender Partner, dem ich in großer Ehrlichkeit die Situation darstellen will, und wir wollen versuchen, gemeinsam, in kleinen Schritten die Probleme zu lösen. Das hat man mir nicht übel genommen, sondern man hat gesagt: Endlich mal jemand, der uns ernst nimmt und ehrlich ist.
Meurer: Also keine Versprechungen machen?
Böhmer: Keine Versprechungen, soweit man nicht sicher ist, dass man sie halten kann. Natürlich muss ein Politiker auch Konzeptionen für die Lösung der Probleme habe, aber das müssen eben fundierte Lösungsvorschläge sein, von denen man sicher ist, dass man das auch umsetzen wird.
Meurer: Wünschen Sie sich denn mehr Konsens und weniger Polemik zwischen Schröder und Stoiber, zwischen der SPD und der Union?
Böhmer: Nein, das kann man nicht sagen. Man muss in der Demokratie schon um die beste Lösung ringen, aber wenn man sich auf etwas geeinigt hat, dann darf man das auch laut sagen und muss sich dann nicht mehr darüber streiten.
Meurer: Wäre notfalls eine große Koalition in Berlin die richtige Antwort für den Osten?
Böhmer: Das glaube ich nicht. Auch ohne eine große Koalition kann man sich gegenseitig zugestehen, dass es Punkte gibt, über die man sich einig ist.
Meurer: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio
Böhmer: Das muss nicht unbedingt ein Wettlauf sein, aber ich wünsche schon, dass man sich dafür entscheiden würde, ein Investitionsprogramm für den Osten aufzulegen, meinetwegen ein Infrastrukturentwicklungsprogramm, damit überhaupt erst einmal wieder Arbeitsplätze angeboten werden können.
Meurer: Was soll denn dieses Programm bewirken?
Böhmer: Das Programm soll letztlich bewirken, dass Arbeit angeboten wird. Es hat doch keinen Zweck, sich unentwegt Gedanken zu machen, wie man nicht vorhandene Arbeitsplätze möglichst schnell vermitteln kann. Wir müssen Arbeitsplätze zunächst schaffen, und da bin ich gerne bereit, darüber nachzudenken, wie schnell wir sie dann vermitteln können.
Meurer: Was sagen Sie zur Argumentation, zum Beispiel von den Liberalen, Investitionsprogramme seien sozusagen nur Strohfeuer?
Böhmer: Also ich muss sagen: Ein Strohfeuer ist besser als zu frieren. Natürlich sind Investitionsprogramme im allgemeinen zeitlich befristete Sachen, aus denen dann aber doch ein wirtschaftlicher Aufschwung resultieren könnte oder kann. Und überhaupt nichts zu tun und nur die Vorschläge zu kritisieren, hat bisher noch kein Problem gelöst.
Meurer: Es wird noch über einige andere Dinge diskutiert, im Moment zum Beispiel über die Ausweitung der sozialversicherungsfreien Minijobs. CSU und Unionskanzlerkandidat Stoiber sagen: Auf 400 Euro ausweiten; die Hartz-Kommission auf 500 Euro. Ist das ein Thema für den Osten?
Böhmer: Das ist ein Randthema. Natürlich bekommt man mehr Beweglichkeit dadurch, dass man die Nebenkosten reduziert. Man muss allerdings auch sagen, wie man dann das Defizit bei den Versicherungskassen decken will, was man damit erzeugt. Das hat bisher merkwürdigerweise noch niemand gesagt, und auch darüber muss nachgedacht werden. Aber ich sage mal, es ist eine Möglichkeit, etwas Bewegung in den Arbeitsmarkt zu bekommen. Voraussetzung aber ist, dass überhaupt ein Arbeitsmarkt da ist, das heißt dass Arbeit angeboten wird.
Meurer: Gibt es schon zu viele von den Minijobs in Ostdeutschland?
Böhmer: Das kann man nicht sagen, obwohl wir im Grunde genommen im Vergleich zu den alten Bundesländern ja immer noch ein Niedriglohnland sind. Es ist nicht so, dass es zu viele davon gäbe. Wir könnten von jeder Sorte noch mehr gebrauchen. Aber das ist eine Tarifstruktur, die mit Sicherheit nicht zukunftsfähig ist.
Meurer: Ein anderes Detail, über das diskutiert wird, die Mobilitätszuschüsse, insbesondere für junge Arbeitslose. Sollte man sie abschaffen und das Geld besser für einen anderen Zweck ausgeben?
Böhmer: Ich denke, es wird überhaupt nichts passieren, wenn man sie abschafft und das bisschen Geld umsteuert, für andere Zwecke ausgibt. Diese Unterstützung gibt es ja bundesweit. Auch wenn man von Schleswig-Holstein nach Baden-Württemberg zieht, kann man eine solche Unterstützung bekommen, ohne dass dort ein großes Geschrei erhoben wird. Und in den neuen Bundesländern, nach meinen Informationen, sind es 5 bis 6 Prozent derjenigen, die wegziehen, die diese Mobilitätsprämie überhaupt in Anspruch nehmen. Also auch wenn sie wegfällt, wird sich die grundsätzliche Situation hier nicht ändern. Es ist fast eine Phantomdiskussion geworden, aber sie hat eine bestimmte negative symbolische Wirkung, und sie ist verzichtbar.
Meurer: Inwiefern eine negative Wirkung?
Böhmer: Weil unentwegt unterstellt wird, es wäre eine Wegzugsprämie, und das ist im Grunde genommen eine Überzeichnung der tatsächlichen Realität.
Meurer: Und was ist diese Prämie in Wirklichkeit?
Böhmer: Sie ist eine Unterstützung von Leuten, die, um einen Arbeitsplatz in Anspruch zu nehmen, der weit weg von der Heimat ist, eine Unterstützung der Arbeitsverwaltung bekommen. Es ist ein bundesweites Angebot, was natürlich in den neuen Bundesländern in erheblich größerem Umfang in Anspruch genommen wird, weil wesentlich mehr junge Leute hier weggehen müssen, aber sie würden das auch ohne diese Prämie tun, und die meisten tun das auch ohne diese Prämie. Deswegen hätten wir dann zwar eine leidige Diskussion weg, aber die tatsächlichen Verhältnisse nicht verändert.
Meurer: Noch nie war die Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland so hoch wie im Augenblick; bei Ihnen im Bundesland 19,8 Prozent. Was erwarten die Menschen überhaupt noch von der Politik?
Böhmer: Also die Enttäuschung ist groß, das muss ich schon bedauerlich feststellen. Aber wenn nicht diejenigen, die in politischer Verantwortung sind, etwas ändern können, wer dann? Es dauert nur alles länger, und es wird viel zu viel über vernünftige Lösungen gestritten. Der Vorschlag, mit einem Infrastrukturprogramm und Investitionspauschalen für die Kommunen Aufträge auszulösen, ist Jahre alt. Zwischendurch höre ich, dass auch Herr Stolpe dies von Seiten der SPD propagiert. So langsam, auch wenn es mühsam ist, nähern sich die Standpunkte, und nun muss endlich mal etwas gemacht und entschieden werden.
Meurer: Wie glaubwürdig sind in Ostdeutschland Gerhard Schröder und Edmund Stoiber, wenn sie auf der Zielgeraden jetzt den Osten entdecken?
Böhmer: Ich würde mal sagen, die Menschen, so wie ich das einschätze, sind unabhängig von der Parteizugehörigkeit skeptisch, weil schon viel zu viel in Aussicht gestellt wurde, weil viel zu viel angekündigt wurde, und immer nichts geschehen ist. Die Formulierung von der Chefsache Ost, damit haben viele Menschen bestimmte Vorstellungen und Erwartungen verbunden, die nicht eingetreten sind, also die Resignation ist schon groß, und ich hoffe, dass endlich mal jemand weniger verspricht, aber das wenige erlebbar umsetzt, dann kann auch wieder Vertrauen in die Politik entstehen.
Meurer: Sie haben gerade Ihren Wahlkampf in Sachsen-Anhalt hinter sich. Was empfehlen Sie für den Wahlkampf in Ostdeutschland?
Böhmer: Absolute Nüchternheit und Ehrlichkeit. Ich war damit im Landtagswahlkampf so erfolglos nicht. Ich habe immer gesagt: Jeder Wähler ist für mich ein erwachsener, ernst zu nehmender Partner, dem ich in großer Ehrlichkeit die Situation darstellen will, und wir wollen versuchen, gemeinsam, in kleinen Schritten die Probleme zu lösen. Das hat man mir nicht übel genommen, sondern man hat gesagt: Endlich mal jemand, der uns ernst nimmt und ehrlich ist.
Meurer: Also keine Versprechungen machen?
Böhmer: Keine Versprechungen, soweit man nicht sicher ist, dass man sie halten kann. Natürlich muss ein Politiker auch Konzeptionen für die Lösung der Probleme habe, aber das müssen eben fundierte Lösungsvorschläge sein, von denen man sicher ist, dass man das auch umsetzen wird.
Meurer: Wünschen Sie sich denn mehr Konsens und weniger Polemik zwischen Schröder und Stoiber, zwischen der SPD und der Union?
Böhmer: Nein, das kann man nicht sagen. Man muss in der Demokratie schon um die beste Lösung ringen, aber wenn man sich auf etwas geeinigt hat, dann darf man das auch laut sagen und muss sich dann nicht mehr darüber streiten.
Meurer: Wäre notfalls eine große Koalition in Berlin die richtige Antwort für den Osten?
Böhmer: Das glaube ich nicht. Auch ohne eine große Koalition kann man sich gegenseitig zugestehen, dass es Punkte gibt, über die man sich einig ist.
Meurer: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio