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"Wie kann ich gleichzeitig Walter und Sohn vom Kohl sein?"

In seinem Buch "Leben oder gelebt werden" beschreibt Helmut Kohls ältester Sohn die Beziehung zu seinem Vater - und deren Scheitern: "Mein Vater hat sich für einen Lebensweg entschieden, der nicht mich mit einschließt", schreibt Walter Kohl - und ist dennoch mit der Beziehung im Reinen.

26.01.2011
    Silvia Engels: 16 Jahre lang war Helmut Kohl Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Als herausragende politische Lebensleistung gilt seine Umsetzung der deutschen Einheit, nachdem die Menschen in der DDR den Sturz des Regimes erzwungen hatten. Wie allen Spitzenpolitikern blieb Helmut Kohl über Jahrzehnte hinweg nur wenig Zeit für seine Frau Hannelore, die 2001 starb, und seine beiden Söhne, ein Familienleben, das Spuren hinterließ. Einer der mittlerweile längst erwachsenen Söhne, Walter Kohl, beschreibt die Beziehung Helmut Kohls zu seiner Familie so:

    Zitat Walter Kohl: Für meinen Vater war und ist die Politik seine eigentliche Heimat. Seine wahre Familie heißt CDU, nicht Kohl. Er fühlte sich in einem archaischen Sinne als der Clanchef eines Stammes, der sich CDU nennt. Irgendwann verschmolzen in seiner inneren Wahrnehmung die Partei und er zu einem Ganzen. Die Partei war Zeit seines Lebens der wichtigste und dauerhafteste Kraftquell seines Tuns. Niemals hätte er mit ganz wenigen Ausnahmen, etwa dem Unfall meines Bruders in Monza im Herbst 1991, einen Partei- oder Ämtertermin zugunsten einer familiären Verpflichtung fallen gelassen. Wir liefen auf seiner politischen Bühne mit, als Teil des Bühnenbildes, aber ohne tragende Rolle. Man kann auch sagen, dass man sich als Zuschauer seines Lebens gefühlt hat, denn wir sahen ihn ja fast jeden Tag im Fernsehen.

    Engels: Ein Auszug aus der AutoBiografie "Leben oder gelebt werden" von Walter Kohl über seinen Vater, Altbundeskanzler Helmut Kohl. Das Buch ist in diesen Tagen erschienen und Walter Kohl ist nun am Telefon. Guten Morgen, Herr Kohl.

    Walter Kohl: Guten Morgen, Frau Dr. Engels, und einen guten Morgen für alle Hörerinnen und Hörer, die uns jetzt zuhören.

    Engels: Herr Kohl, wir haben gerade gehört, wie Sie das Verhältnis Ihres Vaters gegenüber der Familie beschreiben. Wie wirkte sich das denn im alltäglichen Familienleben für Sie aus?

    Kohl: Ja, das alltägliche Familienleben hatte mehrere Seiten. Das war die schulische Seite, das war die private Seite zu Hause und das war die Seite im Umfeld. In der Schule war ganz klar, man musste seine Noten haben, man musste seine Unterrichte absolvieren. Daheim waren wir eine ganz normale Familie mit allen üblichen Dingen, die Familien mit Kindern erleben in den verschiedenen Altersklassen. Aber die große Belastung war halt immer das Umfeld, war dieses Thema "Sohn vom Kohl" und waren Außeneinflüsse, die zum Teil ungebremst auf unsere Familie hereinstürzten.

    Engels: Wie würden Sie diese Einflüsse beschreiben? Sie beschreiben es: "Der Sohn vom Kohl". Das war eine Bezeichnung, mit der Sie sich Zeit Ihres Lebens auseinandersetzen mussten.

    Kohl: Das ist ein Einfluss, aber der wichtige Einfluss für mich war in der Schulzeit natürlich das Thema Terrorismus und das Thema, anders unter gleichen zu sein. Wenn sie einen Vater haben, der ganz außergewöhnliche politische Leistungen vollbracht hat und eine Lebensleistung, in wenigen Worten NATO-Doppelbeschluss, Euro-Einführung und die deutsche Einheit, die Sie ja schon im Aufsprecher hatten, erreicht hat, dann ist das ein Mann, der eben sehr viel unterwegs ist und der dann auch weniger für die Familie Zeit hat, und die Familie muss dann Lösungen für Herausforderungen finden, die eben auch einzigartig in dem Umfeld waren.

    Engels: Herr Kohl, Sie schreiben andererseits, Sie hätten es nie geschafft, Ihren Vater zu erreichen. Das beschreibt jetzt die persönliche Beziehung zu Ihrem Vater. Wie sehr mussten Sie darum kämpfen, von Ihrem Vater akzeptiert zu sein?

    Kohl: Mein Vater hat mich immer akzeptiert. Das Thema war nicht die Akzeptanz zwischen meinem Vater und mir; das Thema war, wie werde ich in meinem Umfeld akzeptiert und wie kann ich gleichzeitig Walter und Sohn vom Kohl sein, und das ist ja auch der Kern meines Buches. Im Untertitel steht ja "Schritte auf dem Weg zur Versöhnung". Wir berichten einerseits über die Frage, was ist passiert, aber die für mich genauso wichtige Frage ist ja, wie gehe ich mit dem, was passiert ist, um, wie gehe ich mit einer konkreten Lebensherausforderung um, und das ist das Ziel meines Buches und auch mein Motiv, dass ich ein Buch geschrieben habe über den Umgang und das Hilfsmittel der Versöhnung, um mit solchen Herausforderungen fertig zu werden. Viele Menschen haben Herausforderungen, ob sie jetzt Scheidung haben, Probleme im beruflichen Feld, gesundheitliche Herausforderungen. Am Ende dürfen wir uns nicht in Warum-Fragen verlieren, dürfen wir nicht mit uns selbst hadern, sondern sollten überlegen, ob wir zum Beispiel mit einem Mittel wie Versöhnung in eine positive aktive Lebensgestaltung kommen.

    Engels: In Ihrem Buch, Herr Kohl, beschreiben Sie auch Ihre eigenen seelischen Belastungen, die bisweilen hin zu Suizidplänen gingen. Gibt es da auch einen Teil der Verantwortung, die Sie dafür Ihrem Vater zuweisen?

    Kohl: Nein, weil Suizid hat immer was mit mir selbst zu tun, mit der Person, die darüber Kontemplation hat. Ich glaube, am Ende ist jeder für sich selbst verantwortlich. Mein Vater hat durch seine politische Tätigkeit sicherlich viele Belastungen in unsere Familie reingebracht, aber am Ende ist die Verantwortung über die eigene Lebensgestaltung immer bei einem selbst. Das ist auch ein zentraler Grund, warum ich das Buch geschrieben habe, weil es für mich zu meiner Lebensgestaltung gehört, offen über diese Dinge zu schreiben und Menschen eben auch zu zeigen, man muss sich nicht schämen, man muss nicht bedeckt in seinem Leben sein, wenn man mit Problemen kämpfen kann, es ist besser, offen darüber zu sprechen, und es ist besser, aktiv dafür auch eigene Lösungswege zu suchen, so wie ich es ja auch getan habe durch meine Studien, durch Lesen, durch meine Vorbilder. Ich nenne im Buch Victor Franke, Seneka. Da gibt es ganz viele Anregungen, die uns helfen können, die Dinge zu gestalten.

    Engels: Eine starke Rolle hat in Ihrem Buch auch Ihre Mutter eingenommen, die sich 2001 nach langer Krankheit das Leben nahm. Wie würden Sie mit Blick auch auf ihre Beziehung zu Helmut Kohl im Nachhinein ihre Rolle würdigen?

    Kohl: Die Rolle meiner Mutter?

    Engels: Ja.

    Kohl: Ja, gut. Meine Mutter war der zentrale Anker unseres Kinder- und Jugendlebens daheim. Sie war diejenige, die sich primär um uns gekümmert hat. Sie war da, sie war unsere Ansprechpartnerin, sie war unsere Erzieherin im besten Sinne des Wortes. Sie hat ganz große Teile unseres Lebens geformt. Sie war einfach, wie man es sich im klassischen Sinne vorstellt, die Mutterperson, der Anker, der uns als Kinder auch in schwierigen Zeiten immer wieder zur Seite stand.

    Engels: Herr Kohl, Sie schreiben in Ihrem Buch viel über Versöhnung, auch jetzt klang es an. Zugleich erwähnen Sie aber auch, dass auch von Trennung gegenüber Ihrem Vater die Rede ist. Welches Verhältnis, welche Beziehung haben Sie zurzeit zu Ihrem Vater?

    Kohl: Ich habe eine für mich sehr gute und geklärte Beziehung zu meinem Vater, weil ich glaube nicht, dass Versöhnung unbedingt damit zusammenhängt, dass alle miteinander sich versöhnen. Es gibt verschiedene Arten von Versöhnung, nehmen Sie das Beispiel meiner Mutter. Meine Mutter ist tot, ich musste mit dem Tod meiner Mutter meinen Frieden finden, meine Versöhnung. Das können sie bei einer toten Person nicht im Gespräch. Und mein Vater hat sich für einen Lebensweg entschieden, der nicht mich mit einschließt, und ich kann da ohne Weiteres meinen persönlichen Frieden finden, indem ich akzeptiere und anerkenne, was er geleistet hat, wie wir miteinander jetzt umgehen, und jeder lebt in seinem Feld. Das ist für mich kein Widerspruch. Versöhnung bedeutet ja innerer Friede, bedeutet die Freiheit, für mich zu entscheiden, wie ich die Situation gestalte. Wenn man diese Bedeutung von Versöhnung in den Vordergrund stellt, dann, glaube ich, kann man sehr gut auch in einer Situation, wie ich sie mit meinem Vater habe, sehr versöhnt mit der Sache leben.

    Engels: Aber ein Kontakt wäre Ihnen doch schon lieber, oder?

    Kohl: Wir haben uns geklärt und ich habe da für mich keine weiteren Themen.

    Engels: Können Sie aus Ihrer Erfahrung, Herr Kohl, Empfehlungen an Spitzenpolitiker oder andere Führungspersönlichkeiten mit wenig Zeit geben, was den Umgang mit ihren Familien angeht?

    Kohl: Ich glaube nicht so sehr, dass ich Anregungen für Spitzenpolitiker geben kann. Ich möchte vielmehr sagen, behandeln wir doch Spitzenpolitiker als das, was sie sind, als Menschen mit Familien, und geben wir diesen Familien den Raum und die Freiheit, für sich selbst zu leben, trennen wir zwischen Familie und den politisch Handelnden und respektieren wir, dass Spitzenpolitiker egal welcher Partei sehr arbeits- und zeitintensive Aufgaben wahrnehmen und sich ja für die Sache einsetzen. Ob man jetzt der Meinung ist, dass das richtig oder falsch ist, das ist eine andere Diskussion, aber wir sollten vor allen Dingen die Leute respektieren. Und gerade in der letzten Zeit sind ja eine ganze Reihe von Spitzenpolitikern aus der Politik abgegangen in andere Lebensbereiche. Das sollte uns alle zum Nachdenken bringen, warum das so ist. Vielleicht ist das politische Geschäft so hart geworden, dass es auch schwierig geworden ist.

    Engels: Walter Kohl. Wir sprachen mit ihm über seinen Vater, Altbundeskanzler Helmut Kohl, und vor allen Dingen über die Akzente seiner AutoBiografie "Leben oder gelebt werden", die in diesen Tagen erscheint. Ich bedanke mich für das Gespräch.

    Kohl: Herzlichen Dank und Ihnen und Ihren Hörern einen guten Tag.