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"Wie kann man diese Leute aufnehmen?"

Der Papst habe "weithin den Kontakt zur Welt draußen verloren" sagt der Tübinger Theologe Hans Küng. Benedikt der XVI. könne sich nicht vorstellen, wie die jüngste Exkommunizierung von vier umstrittenen Bischöfen der Pius-Bruderschaft auf Milliarden Katholiken wirke.

Hans Küng im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 31.01.2009
    Tobias Armbrüster: Es hatte Nachhall wie ein Paukenschlag, was Papst Benedikt der XVI. vor genau einer Woche verkündet hat: Die Exkommunizierung von vier umstrittenen Bischöfen der Pius-Bruderschaft wird aufgehoben. Unter den vieren ist auch Richard Williamson, er hatte noch wenige Tage vorher im schwedischen Fernsehen die Ansicht vertreten, dass es in Nazi-Deutschland keine Gaskammern gegeben habe. Ein Holocaust-Leugner, und es sieht so aus, als werde er vom Papst rehabilitiert. Unter deutschen Katholiken stößt die Entscheidung auf Unverständnis, so wie hier in Konstanz.

    O-Ton-Collage: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand, der so intelligent ist wie der Ratzinger, dass dem so etwas wissentlich unterläuft. Ich glaube, da sind irgendwie, Schaltstellen im Vatikan haben nicht funktioniert.

    Vielleicht ist dieser Papst halt doch wesentlich älter als man meint.

    Für mich ist das Ganze überhaupt nicht nachvollziehbar. Jeder Bürger, der bei uns den Holocaust leugnet, der wird fast weggesperrt. Und jetzt kommt ein Kirchenmann, wird rehabilitiert.

    Der Papst hat gezeigt, dass die Unfehlbarkeit an sich schon absurd ist. Er sucht jeden Fettnapf, den es gibt, und es wird Zeit, dass er abgelöst wird."

    Armbrüster: Gestern Abend hat Bischof Williamson nun einen Brief veröffentlicht, in dem er sich beim Papst für seine Äußerungen zum Holocaust entschuldigt: Ich habe den Tübinger Theologen und Papst-Kritiker Hans Küng gefragt, ob der Streit damit beendet ist.

    Hans Küng: In keiner Weise. Er hat sich ja nicht bei denen entschuldigt, bei denen er sich hätte entschuldigen sollen, nämlich bei den Juden, sondern beim Papst. Und auch das ist sehr vage nur gesagt. Es geht ja auch nicht nur um die Frage des Holocaust, es geht um die ganzen Fragen des II. Vatikanischen Konzils, wo diese ganze Pius-Bruderschaft sich zu wesentlichen Punkten wie Religionsfreiheit, Dekret zu den Juden, über die Ökumene usw. in keiner Weise einverstanden erklärt.

    Armbrüster: Wie erklären Sie sich denn diese ganze Sache, warum hat Papst Benedikt diesen Bischof zurückgeholt und seine Exkommunizierung aufgehoben?

    Küng: Nun, er sagt natürlich, er wolle da zur Versöhnung beitragen, aber wenn er das als erstes Ziel gehabt hätte, da hätte er sich zuerst mal mit den lateinamerikanischen Befreiungstheologen versöhnen sollen und einigen anderen Reformtheologen. Es ging ihm doch wesentlich schon um eine Versöhnung mit diesen Leuten, für die er doch irgendwo eine geheime Sympathie hat, weil es eben Leute sind, die für die vorkonziliare Kirche, die vorkonziliare Liturgie eingestellt sind. Und insofern ist es ja eine Provokation der katholischen Kirche, dass der Papst an dem Tag, wo 50 Jahre das Konzil einberufen wurde, er nun gerade diese schismatischen Bischöfe aufnimmt, statt eine Lobrede auf Johannes XXIII. zu halten, der das Konzil einberufen hat, und das Konzil zu würdigen.

    Armbrüster: Wieso hat er diese Provokation nicht vorhergesehen, war er da einfach schlecht beraten?

    Küng: Nein, er war nicht nur schlecht beraten, natürlich war er auch schlecht beraten. Er hat ja nur Jasager um sich, die ihm schmeicheln, aber hat doch offenkundig auch selber doch weithin den Kontakt zur Welt draußen verloren. Er sieht alles aus den Fenstern des Vatikans und kann nicht sich vorstellen, wie das auch auf die Katholiken in aller Welt wirkt, wenn er nun gerade an einem solchen Tag diese Bischöfe aufnimmt, die nach wie vor gegen die Religionsfreiheit sind, Religionsgewissensfreiheit, gegen die besseren Beziehungen zu den evangelischen Kirchen, gegen die Juden, gegen die Muslime und die auch die liturgischen Reformen des II. Vatikans nicht akzeptieren. Also kurz und gut: Wie kann man diese Leute aufnehmen, wenn sie sich überhaupt nicht mit dem Konzil identifizieren?

    Armbrüster: Würden Sie sagen, ist Papst Benedikt seinem Amt gewachsen?

    Küng: Man kann nicht sagen, dass er eine besonders glückliche Figur macht, leider, muss ich sagen. Wir waren ja nun zusammen am II. Vatikanischen Konzil, und wie Sie wissen, war er ja auch drei Jahre nachher in Tübingen. Da war er noch ganz anders offen. Und ich habe mich ja auch sehr gefreut, dass wir kurz nach seiner Wahl in Castel Gandolfo ein vierstündiges Gespräch in freundschaftlicher Atmosphäre führen konnten. Ich hatte erwartet, er würde nun nachher auch in der gleichen Weise weitermachen, aber das war nicht der Fall. Wir warten immer noch auf irgendeine kühne Reformtat gegenüber den Geschiedenen oder gegenüber den Frauen oder gegenüber den Evangelischen. Da geschieht nichts. Dafür beschäftigt er sich mit dieser kleinen Splittergruppe, die ja ohne Bedeutung sind für die Gesamtkirche von gut einer Milliarde Menschen, diese paar Tausend, die nun sich da in die alte Liturgie verkrochen haben.

    Armbrüster: Sie kennen ja auch den Vatikan. Wie muss man sich das vorstellen? Brennt da jetzt der Dachstuhl?

    Küng: Ja, Sie müssen sich den Vatikan vorstellen als einen Hof, wo immer noch die Nummer eins der absolute Herrscher ist. Das ist der Unterschied etwa jetzt zum Präsidenten der Vereinigten Staaten, wo wir vielleicht noch darüber sprechen, dass die katholische Kirche noch immer ein feudalistisches System ist. Der Papst hat keinen Kongress neben sich, hat kein Oberstes Gericht über sich. Er ist also Regierungschef, zugleich der Legislator, der Gesetzgeber, und zugleich der oberste Richter. Er kann buchstäblich alles, was er will. Und wenn er wollte, könnte er also auch Positives machen. Er könnte morgen schon sagen, die Laientheologen könnten alle ordiniert werden, ob sie verheiratet sind oder nicht verheiratet sind, er könnte die Frauenordination einführen, er könnte den Frauen die Pille gestatten usw. usw., das könnte er alles tun. Aber wenn er das nicht will, dann kann ihn im Grunde auch niemand zwingen, etwas anderes zu tun.

    Armbrüster: Muss die katholische Kirche möglicherweise anerkennen, dass der Papst nicht unfehlbar ist?

    Küng: Ja, ich habe ja die Frage gestellt, die (unverständlich) sagen, die Enzyklika seines Vorvorgängers Pauls VI. über die Geburtenregelung, Humanae vitae, und die Frage ist ja nie beantwortet worden. Ich habe das Buch geschrieben "Unfehlbar?", eine Anfrage. Es ist einfach ein ungeklärtes Problem, man hat versucht, mich da zu eliminieren, was ihnen nicht gelungen ist, weil man die Frage nicht beantworten kann. Aber der Großteil der Katholiken glaubt an keine Unfehlbarkeit des Papstes mehr.

    Armbrüster: Wenn wir jetzt noch mal auf die aktuelle Krise zu sprechen kommen: Wenn der Papst Sie um Rat fragen würde, was würden Sie ihm sagen, wie kann er aus dieser Situation wieder rauskommen?

    Küng: Er müsste lernen, aus dem gegenwärtigen Wechsel in den Vereinigten Staaten. Er hat mit Bush zusammen merkwürdigerweise, diesem Kriegstreiber, den 81. Geburtstag gefeiert, er hat mit ihm vieles gleich in Bezug auf die Ablehnung von Geburtenregelung, Empfängnisverhütung, Abtreibung. Er ist abgeneigt den Reformen, er hat also auch dieses Freund-Feind-Denken, wer nicht für uns ist, ist gegen uns usw. Er müsste sich von Obama inspirieren lassen. Obama hat diesen Krieg gegen den Terror sofort abgeschafft, er hat gesagt, wir müssen wieder miteinander reden, wir können nicht alle Konflikte in diesem Schema sehen, wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Er ist auf die Muslime zugegangen, er versucht im Nahen Osten eine Regelung des Palästina-Konflikts zu finden. Er hat auch die Krisen innerhalb der Vereinigten Staaten offen angesprochen. Und das wäre mal das Erste. Der Papst müsste doch sehen, dass die katholische Kirche in einer schweren Krise ist, dass es Tausende von Pfarreien gibt, die keine Pfarrer mehr haben, dass der zölibatäre Klerus ausstirbt, dass die pastoralen Strukturen, die wir auch hier in Deutschland durch die Jahrhunderte aufgebaut haben, zerstört werden, weil wir keinen Nachwuchs mehr haben, und dass die Kirchen immer leerer werden und viele Kirchen verkauft werden. Das alles ist eine kritische Situation. Obama hat das in seiner Eröffnungsrede offen angesprochen und versucht jetzt, erstens eine Hoffnungsvision zu zeigen und zweitens auch konkrete Aktionen zu unternehmen, um der Krise zu begegnen. Das müsste auch in der katholischen Kirche geschehen.

    Armbrüster: Herr Küng, sehen Sie denn ein Anzeichen dafür, dass die Kirche, die katholische Kirche an sich, jetzt nicht der Vatikan, sondern die breite Basis der Kirche, diesen Obama-Weg gehen will?

    Küng: Jedenfalls ist doch die Empörung groß über die neuesten Ereignisse, ganz allgemein, sodass auch die Deutsche Bischofskonferenz in diesem Fall nun doch sich distanziert hat von diesen ganzen Ereignissen rund um diese vier schismatischen Bischöfe. Und im Volk ist ja nach wie vor die Erneuerung da, man bejaht die neue Liturgie, man bejaht die Wende zum Judentum, zum Islam. Man will auch eine Abendmahlsgemeinschaft mit den anderen christlichen Kirchen haben. Auch auf Ortsebene geht das weiter. Nur man kümmert sich einfach weniger um den Papst und sagt, na ja, von dem ist doch nichts zu erwarten. Das ist das Gefährliche, dass Papst Benedikt auf diese Weise seine eigene Autorität in seinem ureigenen Lande untergräbt. Und dazu noch der deutschen Nation Schaden zufügt, insofern es natürlich in aller Welt heißt, ja klar, ein deutscher Papst, der meint, er könne sich solche Dinge gestatten, dass Bischöfe, die ausgesprochen antisemitisch sind und dass solche bekannt sind, dass er die also nun da in Gnade wieder aufnimmt.

    Armbrüster: Zeigt sich denn bei dieser Entscheidung möglicherweise auch, dass es in der katholischen Kirche eine permanente Tendenz zum Antisemitismus oder zum Antijudaismus gibt?

    Küng: Ich glaube nicht, dass das jetzt noch gilt für die große Masse der Katholiken, und auch der Großteil der Bischöfe, der Theologen, der Priester, der Seelsorger, die wollen das nicht. Aber in der römischen Kurie sind immer noch sehr antijüdische Kreise da, die das natürlich nicht offen aussprechen. Aber alle, die die Wiederaufnahme dieser vier Bischöfe betrieben haben, das sind ja Leute, die gegen die Ökumene sind, die sind gegen das Judentum. Und das ist das Schlimme, dass der Papst praktisch von solchen Leuten umgeben sind. Das sind im Grunde alles Jasager. Der Papst hat gar keine Kritik gehört, nie was anderes, es wird ihm nur geschmeichelt, er wird nur applaudiert. Also das ist eine eigene Welt, geschlossen wie früher die Welt hinter den Mauern des Kreml, die haben auch nicht gemerkt, wie schlimm es steht um die ganze Welt, weil sie die Informationen gesiebt bekommen haben und sich gar nicht drum kümmerten, was sie eigentlich in Mitte der Menschen waren.

    Armbrüster: Jetzt hat der Zentralrat der Juden in Deutschland sämtliche Verbindungen zur katholischen Kirche vorerst abgebrochen, außerdem ist die Papst-Reise nach Israel, für den Mai geplant, in Gefahr. Können Sie diese Reaktion der Juden verstehen?

    Küng: Ja, ich kann das verstehen. Ich würde allerdings mich freuen, wenn auch der Zentralrat mal etwas für die Palästinenser sagen würde. Aber der Protest gegen diese ganzen Entwicklungen des Zentralrates, gegen die Entwicklung in Rom ist völlig berechtigt. Und dass man sich da nicht einfach auf dem Zeh herumtreten lässt, ist auch in Ordnung.

    Armbrüster: Herr Küng, Sie selbst sind Kirchenkritiker, viele Leute, die Sie jetzt hören werden, werden denken, das muss ja eine Genugtuung für den Hans Küng sein, dass sich der Vatikan jetzt in diese Krise manövriert hat. Fühlen Sie sich in der gegenwärtigen Situation bestätigt?

    Küng: Ja, ich muss sagen, ich fühle mich leider bestätigt mit meiner Kritik, aber ich würde mich natürlich erheblich mehr freuen – und ich habe das auch dem Papst schon verschiedentlich geschrieben, wir stehen ja immerhin in Korrespondenz miteinander –, wenn er etwas Positives täte.

    Armbrüster: Der Tübinger Theologe und Kirchenkritiker Hans Küng zur aktuellen Kontroverse um den Papst und vier Bischöfe der erzkonservativen Pius-Bruderschaft.