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"Wie kommen geheime Berichte an die Öffentlichkeit?"

Der Verteidigungsausschuss des Bundestages soll die Kundus-Affäre untersuchen, die Franz Josef Jung das Ministeramt kostete. CDU-Verteidigungssprecher Ernst-Reinhard Beck ist dafür, schon weil er die Weitergabe geheimer Informationen an die "Bild"-Zeitung für einen "Skandal" hält.

30.11.2009
    Stefan Heinlein: Der Rücktritt von Franz-Josef Jung in Rekordzeit, vier Wochen nach Amtsantritt, ein politischer Paukenschlag, der auch zu Beginn dieser Woche nachklingt. Die Opposition will in der Kundus-Affäre nicht locker lassen. Nun ist der Blick frei auf den neuen Bundesverteidigungsminister. Karl-Theodor zu Guttenberg steht für die SPD jetzt an vorderster Front. Ein Untersuchungsausschuss ist für die Opposition eine beschlossene Sache und dort wird der neue verteidigungspolitische Sprecher der Union, Ernst-Reinhard Beck, die Fahne der CDU hochhalten. Guten Morgen, Herr Beck.

    Ernst-Reinhard Beck: Guten Morgen, Herr Heinlein.

    Heinlein: Wird Ihre Fraktion Ja sagen, wenn die Opposition in dieser Woche die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses fordert?

    Beck: Es ist so, dass der Untersuchungsausschuss ja eines der scharfen Instrumente der Opposition ist. Wenn die Opposition dies beantragt, werden wir uns dem nicht verschließen.

    Heinlein: Welche Fragen müssen denn aus Sicht Ihrer Fraktion in diesem Ausschuss noch geklärt werden?

    Beck: Es wird natürlich darum gehen, wer hat zu welchem Zeitpunkt was gewusst, wie war die Informationslage, wie sind die Informationsstränge in diesem Ministerium, wie kann es zum Beispiel passieren, dass dort wichtige Meldungen nicht zur rechten Zeit am richtigen Platz waren, wie ist zum Beispiel auch der Wissensstand im Außenministerium, denn man muss ja eines wissen: Federführend ist der Außenminister, übrigens auch der Auswärtige Ausschuss, nicht der Verteidigungsausschuss. Also es gäbe da schon eine Reihe von Dingen zu klären.
    Ich habe am vergangenen Freitag gesagt, eigentlich wäre nach dem Rücktritt des Ministers Jung durchaus möglich, dass man diese Fragen auch im Verlauf normaler Sitzungen des Verteidigungsausschusses klären könnte, denn die Bewertung militärischen Vorgehens oder der Frage der Einsatzziele, der Bericht aus den Einsatzgebieten ist eigentlich das tägliche Brot des Verteidigungsausschusses jeden Mittwoch.

    Heinlein: Wurde Ihr Ausschuss, der Verteidigungsausschuss, aber bisher nur falsch, oder nur oberflächlich über den Luftschlag von Kundus informiert?

    Beck: Eine Information über den 4. September erfolgte ja eigentlich erst mit der Vorlage des geheimen NATO-Berichts an das Ministerium – das war, glaube ich, wenn ich mich erinnere, der zweite Tag, der zweite Amtstag des Ministers zu Guttenberg -, an die von den Fraktionen Beauftragten in einer sogenannten Unterrichtung der Obleute im Ministerium. Der Ausschuss selber, der zu diesem Zeitpunkt noch nicht konstituiert war, wurde nicht unterrichtet. Erst praktisch mit der Konstituierung war natürlich die Unterrichtung da, aber da war ja schon im Grunde die Information eine ganz andere.

    Heinlein: Wie kann es denn sein, Herr Beck, dass die tatsächlichen oder viele Berichte zu Kundus nicht dem Parlament, dem Ausschuss vorgelegt wurden, sondern zuerst in den Medien aufgetaucht sind?

    Beck: Ich halte dies eigentlich für einen Skandal, das ist völlig richtig. Die Frage wäre natürlich auch, wie kommen geheime Berichte an die Öffentlichkeit, wie kann es passieren, dass praktisch die "Bildzeitung" die politische Agenda bestimmt.

    Heinlein: Haben Sie eine Antwort auf diese Frage?

    Beck: Ich habe darauf vorläufig keine Antwort. Was mir auffällt und jedem, der aufmerksam die Dinge beobachtet, dass der Zeitpunkt wohl abgestimmt ist auf eine wichtige Phase der Entscheidungsfindung, nämlich die der Verlängerung der Mandate.

    Heinlein: Was ist denn schlimmer, Herr Beck, Franz-Josef Jung wusste nichts, wollte nichts wissen, oder hat sein Wissen bewusst zurückgehalten?

    Beck: Ich nehme dem Verteidigungsminister a.D. ab, dass er tatsächlich aus bestem Wissen und Gewissen gehandelt hat. Es ist natürlich so, dass man in der Frage der zivilen Opfer in der Vergangenheit ja immer vielleicht eher auf die Amerikaner gezeigt hat, und im Hinblick auf die sensibilisierte deutsche Öffentlichkeit – man muss ja immerhin überlegen, es war drei Wochen vor der Bundestagswahl -, dass man da vielleicht in der Frage des Schutzes auch der beteiligten Soldaten eine etwas restriktive Linie in diesem Ministerium festgelegt hat. Aber ich möchte da mich nicht in Vermutungen und Spekulationen ergehen.

    Heinlein: Warum ist es dennoch möglich, dass ein Minister einen Bericht zu dieser brisanten Affäre weitergibt an die NATO, ohne ihn vorher zu lesen? Gemeint ist dieser Feldjägerbericht.

    Beck: Der Feldjäger-Bericht ist offenkundig nach meinen Informationen eingegangen in diesen geheimen NATO-Bericht. Ich kann mir das aber dennoch nicht erklären, sage ich Ihnen auch ganz offen, weil die Brisanz bei 142 Toten – die Zahl ist ja bis heute noch nicht genau festgelegt – natürlich auch durchaus erkennbar war. Möglicherweise gab es, wie auch jetzt sich herausgestellt hat, noch mehrere Berichte, dass der Minister gesagt hat, gut, wir geben ohnehin alles der NATO und werden dann sehen, was in diesem anderen Bericht drinsteht.

    Heinlein: Der Feldjäger-Bericht, so Ihre Vermutung, ist Teil des NATO-Berichtes. Hat diesen denn Karl-Theodor zu Guttenberg gelesen?

    Beck: Der Minister hat im Ausschuss erklärt, dass er den Feldjäger-Bericht erst praktisch im Vorfeld der Ankündigung der Veröffentlichung in der "Bild"-Zeitung zur Kenntnis bekommen hat. Man muss natürlich auch sehen: Der geheime NATO-Bericht kam, als zu Guttenberg genau zwei Tage im Amt war, und er hat ja auch dann sofort reagiert und hat auch sofort dann die Obleute des Ausschusses informiert.

    Heinlein: Wissen Sie, auf welcher Grundlage der Minister zuvor nach seinem Amtsantritt und auch in der Folge sich dann hingestellt hat und erklärt hat, der deutsche Befehl für diesen Luftangriff sei angemessen gewesen?

    Beck: Nach den Aussagen, die mir vorliegen, war seine Entscheidungsgrundlage einzig und allein der geheime NATO-Bericht. Er hat jetzt ja auch erklärt – und das ist auch für uns im Grunde eine neue Ausgangssituation -, wenn es da noch bis zu neun weitere Berichte gibt, muss man natürlich die Vorgänge des 4. September vor und nach dem Luftschlag am Kundus-Fluss neu bewerten, vielleicht auch zumindest neu überprüfen.

    Heinlein: Er hat sich hingestellt und hat gesagt, die Luftschläge seien angemessen gewesen, nachdem er den NATO-Bericht gelesen hat und da war ja auch Teil dieser Feldjäger-Bericht, wo gesagt wurde, es gibt zivile Opfer.

    Beck: Die Frage, ob angemessen oder nicht angemessen, hat ja auch der Generalinspekteur in einer Erklärung kurz zuvor natürlich auch angesprochen. Nun ist es in der Frage, wie eine militärische Beurteilung aus der Entfernung von Tausenden von Kilometern im Nachhinein erfolgt und wie etwa sich die Situation für den verantwortlichen Kommandeur vor Ort darstellt. Ich glaube, dass eigentlich klar sein muss, dass man in der Bewertung der Vorgänge mindestens zwei Dinge beachten muss. Das eine ist: Wir haben es hier praktisch mit einem Guerilla-, mit einem Partisanen-Krieg zu tun, wo eigentlich die zivilen Opfer im Kalkül, in dem zynischen Kalkül der Taliban, durchaus eine wichtige Rolle spielen. Die Kanzlerin hat gesagt, jedes zivile Opfer, jedes unschuldige Opfer ist eines zu viel. Das ist sicher richtig. Aber auch in Zukunft – das gebietet die Ehrlichkeit – wird, wenn man in kriegerische Situationen hineinkommt, wie es im Norden, in den Paschtunen-Gebieten um Kundus zunehmend geschieht, das nicht völlig zu vermeiden sein.

    Heinlein: Noch einmal, Herr Beck: Herr zu Guttenberg hat also diesen geheimen NATO-Bericht gelesen, inklusive des Feldjäger-Berichtes, aber daraus nicht die richtigen Schlüsse gezogen, zumindest am Anfang?

    Beck: Die richtigen Schlüsse, das ist eine offene Bewertung. Das muss ich Ihnen jetzt einfach sagen. Ich habe diesen NATO-Bericht auch gelesen. Man kann aufgrund dieses NATO-Berichtes allein zu dieser Bewertung kommen.

    Heinlein: Halten Sie es für möglich, dass man im Bundesverteidigungsministerium die Berichte über zivile Opfer in Kundus kannte, also an der Spitze des Verteidigungsministeriums, sie bewusst aber nicht an den neuen Minister weitergegeben hat?

    Beck: Die Frage der zivilen Opfer war ja vorher auch schon mehr oder minder bekannt und auch der Minister Jung hat ja bereits relativ früh im Grunde mit einer Bemerkung, dass er sagte, wenn es denn zivile Opfer gab, dann bedauert er diese, erklärt, dass also da nun dieser Ausschließlichkeitscharakter, dass es keine zivilen Opfer gab, eigentlich nur in der ersten Erklärung drin war. Wenn ich mich an Medienberichte und auch an Fernsehaufnahmen erinnere, dann gab es da nun Aufnahmen und auch einen Bericht über verletzte Kinder im Krankenhaus von Kundus, über einen 14-jährigen Jungen, und auch McChrystal, der amerikanische General und Befehlshaber in Kundus, hat ja schon relativ früh bei der Vernehmung des deutschen Oberst auch von zivilen Opfern gesprochen.

    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen der verteidigungspolitische Sprecher der Union, Ernst-Reinhard Beck. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Beck: Ich bedanke mich, Herr Heinlein. Auf Wiederhören.