Christoph Heinemann: Wie viele Errungenschaften der abendländischen Zivilisation haben die Nationalsozialisten wie andere Terrorregime auch die Standesregeln der Medizin außer Kraft gesetzt. Der Eid des Hippokrates entstand vermutlich um 400 vor Christus und beschreibt eine umfassende ärztliche Ethik, in deren Mittelpunkt die Verpflichtung steht, Menschen zu helfen. Für das Gegenteil dieses Grundsatzes steht der Name Josef Mengele, ein vom unterschiedlichen Wert verschiedener Rassen besessener Nazi, der, bevor er in Auschwitz Versuche an Menschen durchführte, in dem so genannten Institut für Erbbiologie und Rassenhygiene an der Universität Frankfurt arbeitete.
In Dresden ist ab heute eine Ausstellung für das Publikum zu sehen, die sich mit der Medizin im Dritten Reich beschäftigt: "Tödliche Medizin - Rassenwahn im Nationalsozialismus". Damit ist beschrieben, welche Aufgabe die ursprüngliche Heilkunde im NS-Staat übernehmen sollte. Diese Ausstellung des Holocaust-Museums in Washington ist erstmals außerhalb der Vereinigten Staaten zu sehen. Antje Uhlig ist Kuratorin der Ausstellung. Frau Uhlig, was ist in dieser Ausstellung zu sehen?
Antje Uhlig: Die Ausstellung zeigt rund 200 Originalobjekte und Dokumente, die das Holocaust-Museum über mehrere Jahre in Archiven und Sammlungen in Deutschland, Europa und in den Vereinigten Staaten gesammelt und recherchiert hat: zum Beispiel Lehrtafeln und Modelle schon aus den Zwanzigerjahren, wo ja das Gedankengut schon entstand, auf das die Nationalsozialisten zurückgriffen.
Heinemann: Das heißt die Rassenmedizin war keine Erfindung der Nazis?
Uhlig: Das war keine Erfindung der Nazis, sondern geht auf Eugenik zurück, ein Begriff, der ja schon Ende des 19. Jahrhunderts entstand und der natürlich auch in Deutschland Vertreter hatte, sehr renommierte Wissenschaftler, die sich mit dieser Problematik beschäftigt haben. Hinter Eugenik stand der Gedanke, dass man eine Bevölkerung in ihrer genetischen Verfasstheit verbessern könnte, indem man als minderwertig erachtete Erbanlagen sozusagen ausmerzt durch bevölkerungspolitische Maßnahmen und Erbanlagen, die eher positiv besetzt sind, eben fördert.
Heinemann: Und diesem Ziel diente auch die nationalsozialistische Rassenmedizin?
Uhlig: Korrekt, genau!
Heinemann: Mit welchen Mitteln sollte das erreicht werden?
Uhlig: Das ging natürlich - die Ausstellung zeigt das sehr, sehr gut - nicht von heute auf morgen in ein Massenvernichtungsverfahren wie das Euthanasieprogramm über. Es war also ein sehr allmählicher Prozess, an dessen Anfang soziale Vorurteile standen, indem Menschen nach ihren Erbanlagen eben als minderwertig, den Volkskörper schädigend oder gefährdend stigmatisiert wurden, auf dieser Basis dann natürlich zunehmend nach '33 ausgegrenzt wurden und auf der Basis des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses zwangssterilisiert wurden. Dahinter stand zuerst einmal der Gedanke, sie einfach daran zu hindern, Nachkommen zu zeugen und damit die Gesundheit des deutschen Volkskörpers zu gefährden. Erst ab '39 kann man sagen, hier kippte die Sache in ein Massenvernichtungsprogramm, in ein Euthanasieprogramm, wo Patienten in Heil- und Pflegeanstalten, wo Kinder mit Geburtsfehlern getötet wurden.
Heinemann: Frau Uhlig, folgten die oft grausamen Versuche an Menschen - ich habe den Namen Josef Mengele genannt - einer irgendwie erkennbaren Systematik?
Uhlig: Nein, das kann man so nicht sagen. Es war sehr, sehr willkürlich, wie beispielsweise das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses ausgelegt wurde, wie später entschieden wurde, wer ist lebenswert und wer ist lebensunwert. Das war eine sehr, sehr willkürliche Entscheidung.
Heinemann: Arbeitet die heutige Medizin oder die medizinische Forschung noch mit Erkenntnissen, die während der Menschenversuche der Nazi-Ärzte gewonnen wurden?
Uhlig: Das ist natürlich eine sehr schwierige Frage, dies so zu beantworten. Wir wissen, dass natürlich die Erkenntnisse, die beispielsweise aus den Forschungen am Kaiser-Wilhelm-Institut gewonnen wurden, auch nach dem Krieg weiter verwendet wurden bis im Grunde in die 90er Jahre, dass aber dann auch eine sehr systematische Aufarbeitung dieser Vergangenheit und dieser Forschungsergebnisse erfolgte.
Heinemann: Das Dresdener Hygienemuseum wurde 1930 eröffnet, drei Jahre bevor Hitler an die Macht kam. Welche Rolle spielte Ihr Haus in der Nazi-Zeit?
Uhlig: Man kann sagen, dass ab 1933 dieses Museum ein wirklich zentraler Baustein der nationalsozialistischen rassenpolitischen und Volksgesundheitspropaganda war. Das Museum und sein wissenschaftlicher Stab haben in dieser Zeit mehrmals die Konzeption für die jährliche Reichsvorstellung in Berlin übernommen. Aus diesen großen Ausstellungen, die in Berlin liefen, entstanden dann kleinere Wanderausstellungen. Man funktionierte also die Elemente, die man entwickelt hatte, um in Wanderausstellungen. Die erreichten einfach sehr große Teile der Bevölkerung und propagierten sehr eindeutig die Rassenhygieneprogramme der Nationalsozialisten, propagierten das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses als eine humanitäre Maßnahme sozusagen, als eine von höheren Idealen geleitete Maßnahme, und definierte damit eben auch wirklich, wer lebensunwert und wer lebenswert war. Also eine wirklich wichtige Propagandainstitution für die Nationalsozialisten.
Heinemann: Frau Uhlig, was kann man aus der Dresdener Ausstellung für die heutige medizin-ethische Diskussion lernen, etwa die Auseinandersetzung über Stammzellenforschung oder Sterbehilfe?
Uhlig: Es ist natürlich erst einmal eine historische Ausstellung, aber wir haben selbstverständlich an den Besucherreaktionen sowohl in Washington, wo die Ausstellung ja schon zwei Jahre lief, als auch bei der gestrigen offiziellen Eröffnung gemerkt, dass Besucher in diese Ausstellung gehen und sofort natürlich über ihre eigene Lebenswelt nachdenken. Die Ausstellung regt also unwillkürlich an zum Nachdenken darüber, wie gehen wir heute mit aktiver oder passiver Sterbehilfe um, was bedeutet Präimplantationsdiagnostik sowohl an Möglichkeiten als auch an negativen Konsequenzen, wie gehen wir mit Fragen der Stammzellforschung um. Ich glaube die Quintessenz ist, dass es im Gesellschaftlichen einen politischen Diskurs auch geben muss, wie wissenschaftliche Forschung und Erkenntnisse aus wissenschaftlicher Forschung letztendlich genutzt werden und wo wir vielleicht auch Grenzen ziehen müssen.
Heinemann: "Tödliche Medizin - Rassenwahn im Nationalsozialismus", diese Ausstellung des Holocaust-Museums in Washington ist ab heute im Dresdener Hygienemuseum zu sehen. Wir sprachen mit der Kuratorin Antje Uhlig.
In Dresden ist ab heute eine Ausstellung für das Publikum zu sehen, die sich mit der Medizin im Dritten Reich beschäftigt: "Tödliche Medizin - Rassenwahn im Nationalsozialismus". Damit ist beschrieben, welche Aufgabe die ursprüngliche Heilkunde im NS-Staat übernehmen sollte. Diese Ausstellung des Holocaust-Museums in Washington ist erstmals außerhalb der Vereinigten Staaten zu sehen. Antje Uhlig ist Kuratorin der Ausstellung. Frau Uhlig, was ist in dieser Ausstellung zu sehen?
Antje Uhlig: Die Ausstellung zeigt rund 200 Originalobjekte und Dokumente, die das Holocaust-Museum über mehrere Jahre in Archiven und Sammlungen in Deutschland, Europa und in den Vereinigten Staaten gesammelt und recherchiert hat: zum Beispiel Lehrtafeln und Modelle schon aus den Zwanzigerjahren, wo ja das Gedankengut schon entstand, auf das die Nationalsozialisten zurückgriffen.
Heinemann: Das heißt die Rassenmedizin war keine Erfindung der Nazis?
Uhlig: Das war keine Erfindung der Nazis, sondern geht auf Eugenik zurück, ein Begriff, der ja schon Ende des 19. Jahrhunderts entstand und der natürlich auch in Deutschland Vertreter hatte, sehr renommierte Wissenschaftler, die sich mit dieser Problematik beschäftigt haben. Hinter Eugenik stand der Gedanke, dass man eine Bevölkerung in ihrer genetischen Verfasstheit verbessern könnte, indem man als minderwertig erachtete Erbanlagen sozusagen ausmerzt durch bevölkerungspolitische Maßnahmen und Erbanlagen, die eher positiv besetzt sind, eben fördert.
Heinemann: Und diesem Ziel diente auch die nationalsozialistische Rassenmedizin?
Uhlig: Korrekt, genau!
Heinemann: Mit welchen Mitteln sollte das erreicht werden?
Uhlig: Das ging natürlich - die Ausstellung zeigt das sehr, sehr gut - nicht von heute auf morgen in ein Massenvernichtungsverfahren wie das Euthanasieprogramm über. Es war also ein sehr allmählicher Prozess, an dessen Anfang soziale Vorurteile standen, indem Menschen nach ihren Erbanlagen eben als minderwertig, den Volkskörper schädigend oder gefährdend stigmatisiert wurden, auf dieser Basis dann natürlich zunehmend nach '33 ausgegrenzt wurden und auf der Basis des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses zwangssterilisiert wurden. Dahinter stand zuerst einmal der Gedanke, sie einfach daran zu hindern, Nachkommen zu zeugen und damit die Gesundheit des deutschen Volkskörpers zu gefährden. Erst ab '39 kann man sagen, hier kippte die Sache in ein Massenvernichtungsprogramm, in ein Euthanasieprogramm, wo Patienten in Heil- und Pflegeanstalten, wo Kinder mit Geburtsfehlern getötet wurden.
Heinemann: Frau Uhlig, folgten die oft grausamen Versuche an Menschen - ich habe den Namen Josef Mengele genannt - einer irgendwie erkennbaren Systematik?
Uhlig: Nein, das kann man so nicht sagen. Es war sehr, sehr willkürlich, wie beispielsweise das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses ausgelegt wurde, wie später entschieden wurde, wer ist lebenswert und wer ist lebensunwert. Das war eine sehr, sehr willkürliche Entscheidung.
Heinemann: Arbeitet die heutige Medizin oder die medizinische Forschung noch mit Erkenntnissen, die während der Menschenversuche der Nazi-Ärzte gewonnen wurden?
Uhlig: Das ist natürlich eine sehr schwierige Frage, dies so zu beantworten. Wir wissen, dass natürlich die Erkenntnisse, die beispielsweise aus den Forschungen am Kaiser-Wilhelm-Institut gewonnen wurden, auch nach dem Krieg weiter verwendet wurden bis im Grunde in die 90er Jahre, dass aber dann auch eine sehr systematische Aufarbeitung dieser Vergangenheit und dieser Forschungsergebnisse erfolgte.
Heinemann: Das Dresdener Hygienemuseum wurde 1930 eröffnet, drei Jahre bevor Hitler an die Macht kam. Welche Rolle spielte Ihr Haus in der Nazi-Zeit?
Uhlig: Man kann sagen, dass ab 1933 dieses Museum ein wirklich zentraler Baustein der nationalsozialistischen rassenpolitischen und Volksgesundheitspropaganda war. Das Museum und sein wissenschaftlicher Stab haben in dieser Zeit mehrmals die Konzeption für die jährliche Reichsvorstellung in Berlin übernommen. Aus diesen großen Ausstellungen, die in Berlin liefen, entstanden dann kleinere Wanderausstellungen. Man funktionierte also die Elemente, die man entwickelt hatte, um in Wanderausstellungen. Die erreichten einfach sehr große Teile der Bevölkerung und propagierten sehr eindeutig die Rassenhygieneprogramme der Nationalsozialisten, propagierten das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses als eine humanitäre Maßnahme sozusagen, als eine von höheren Idealen geleitete Maßnahme, und definierte damit eben auch wirklich, wer lebensunwert und wer lebenswert war. Also eine wirklich wichtige Propagandainstitution für die Nationalsozialisten.
Heinemann: Frau Uhlig, was kann man aus der Dresdener Ausstellung für die heutige medizin-ethische Diskussion lernen, etwa die Auseinandersetzung über Stammzellenforschung oder Sterbehilfe?
Uhlig: Es ist natürlich erst einmal eine historische Ausstellung, aber wir haben selbstverständlich an den Besucherreaktionen sowohl in Washington, wo die Ausstellung ja schon zwei Jahre lief, als auch bei der gestrigen offiziellen Eröffnung gemerkt, dass Besucher in diese Ausstellung gehen und sofort natürlich über ihre eigene Lebenswelt nachdenken. Die Ausstellung regt also unwillkürlich an zum Nachdenken darüber, wie gehen wir heute mit aktiver oder passiver Sterbehilfe um, was bedeutet Präimplantationsdiagnostik sowohl an Möglichkeiten als auch an negativen Konsequenzen, wie gehen wir mit Fragen der Stammzellforschung um. Ich glaube die Quintessenz ist, dass es im Gesellschaftlichen einen politischen Diskurs auch geben muss, wie wissenschaftliche Forschung und Erkenntnisse aus wissenschaftlicher Forschung letztendlich genutzt werden und wo wir vielleicht auch Grenzen ziehen müssen.
Heinemann: "Tödliche Medizin - Rassenwahn im Nationalsozialismus", diese Ausstellung des Holocaust-Museums in Washington ist ab heute im Dresdener Hygienemuseum zu sehen. Wir sprachen mit der Kuratorin Antje Uhlig.