Liminski: Vor fast 40 Jahren schrieb der amerikanische Ökonom John Kenneth Galbraith seinen Weltbestseller über die Überflussgesellschaft. In ihm analysiert er die Antriebskräfte der modernen Wirtschaft. Die wichtigsten Kapitel behandeln die Begriffe Motivation und Identifikation. Das seien die tragenden Säulen jedes Unternehmens. Das sind aber auch Begriffe des menschlichen Verhaltens. Sie selbst plädieren für ein menschliches Format der Unternehmensbetriebe. Sind uns solche Kriterien in der Euphorie der New Economy oder in der Übergangsgesellschaft, wie Sie es formulieren, verlorengegangen? Hat die Maximierung des Profits das Menschliche überrollt?
Höhler: Vielfach schon. Das ist natürlich nicht identisch mit diesem Problem, das wir haben, mit allzu hohen Abfindungen und Bezügen der Spitzenmanager, aber das, was wir die globale Gier nennen, ist schon ein weltweites Phänomen, das heißt der Kapitalismus vergaloppiert sich. Die Vorstellung, man könnte gigantische Reiche beherrschen, wie sie ja in früheren Jahrhunderten dann militärisch erobert wurden, ist in vielen Köpfen da. Und der Ego-Trip vieler Spitzenleute blendet sie tatsächlich dafür, dass sie eigentlich eine besonders große Verantwortung tragen. Also wir haben schon Verluste in unserem bewährten Wertsystem, und wir sollten eine ganz große Anstrengung unternehmen, um die Verantwortung wieder wahrzunehmen, die alle Führenden haben, sonst wird das nicht eine Überflusszeit, sondern die Mängel, die wir jetzt schon in den Sozialsystemen, in den Gesundheitssystemen sehen, werden uns zu schaffen machen.
Liminski: Globale Gier, nennen Sie das. Sie sind selber in einigen Aufsichtsräten und haben viel mit großen Unternehmern zu tun. Würden Sie sagen, dass unsere Manager-Elite insgesamt an einer Art ethischer Schwindsucht leidet, oder sind es nur die berühmten schwarzen Schafe, Einzelfälle?
Höhler: Wir können das nicht verallgemeinern. Ich bin immer wieder in den Unternehmen, in denen ich zum Beispiel in Verwaltungsräten mitwirke, überrascht von der durchgehenden Anstrengungsbereitschaft der Manager, ihrer Verantwortung in zweierlei Weise gerecht zu werden: Einmal ökonomisch, sie müssen im Unternehmen Erfolg haben; und zum anderen gegenüber den Mitarbeitern und gegenüber der Öffentlichkeit, in der sie ja eigentlich mit Mitteln wirtschaften, die letztlich allen gehören. Daran muss man sich unbedingt immer wieder erinnern, und was wir als schwarze Schafe im Vordergrund sehen, ist sozusagen eine Klientel, die eine Minderheit ausmacht. Und es kommt noch etwas hinzu: Bei einigen von diesen gegenwärtig verprügelten Managern sollten wir mal abwarten, bis die Prozesse, die da angezettelt werden entweder gar nicht eröffnet werden oder anders zuende gehen, als die Allgemeinheit vermutet.
Liminski: Bundeskanzler Schröder hat die Manager zu mehr sozialer Verantwortung aufgerufen. Bei der wirtschaftlichen Elite sei eine neue Moral und eine neue Ethik notwendig, sagt er. Ist denn das Soziale unserer Sozialen Marktwirtschaft verdunstet?
Höhler: Das kann man so nicht sagen, und wenn Schröder Soziales sagt, dann ist das im Moment ein kleiner Linksruck in seinem Wahlkampf. Er meint ja mit sozial nicht eigentlich nur, dass leistungsgerecht bewertet werden soll, das jedem das Seine, wie Aristoteles das so schön als Leistungsprinzip genannt hat, gegeben werden soll, sondern er befriedigt auch die linke Klientel, die er in den Jahren seiner Regierungszeit nicht verwöhnt hat. Deshalb haben wir nicht die klarsten Auskünfte darüber, dass es notwendig ist, und dass wir an der Ethik des Business arbeiten müssen, rufen wir uns seit 20 Jahren gegenseitig zu. Wir haben dabei den Fehler begangen Business und Ethik als getrennte Welten zu sehen. Überall, wo Menschen handeln, gehört beides zusammen. Die Leistung muss stimmen, die Sachkompetenz muss stimmen, und gleichzeitig muss Gerechtigkeit herrschen, das heißt es muss jedem möglich sein, sein Bestes abzuliefern und dafür entsprechend entlohnt zu werden.
Liminski: Das sind natürlich hehre Forderungen, und die Leute regen sich dennoch über die überzogenen Abfindungssummen auf, zum Beispiel auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident. Clement hat gestern gefordert, dass Manager für vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten auch mit ihren persönlichen Vermögen haften müssen. Wäre das eine Möglichkeit, sozusagen mehr Ethik einzufordern, weil doch dahinter eine gewisse Drohung steht, oder sind es nur Wahlkampfparolen zur Erregung des öffentlichen Neidkomplexes?
Höhler: Nein, ich muss Ihnen sagen, wenn ich sehe, was ich unterschrieben habe in den drei großen Konzernen, in denen ich in Verwaltungsräten sitze, dann könnte mir das auch den Schlaf rauben. Da gibt es sehr große Verpflichtungen auf die Überwachung dessen, was die Unternehmen machen. Die andere Seite ist, dass die großen Abfindungen, über die wir staunen, auch noch mit dem Boom zu tun haben, denn da sind Aktien und Aktienoptionen, die sich versechzigfacht haben, das heißt wenn man für einen so großen Unternehmenserfolg sorgt, dann hat man bis gestern dafür eine ungeheuer große Belohnung erhalten. Die Gesellschaft regt sich nicht auf, wenn das bei Rennfahrern so ist. Sie regt sich nicht auf, wenn das bei Postars, Filmstars und Fußballspielern so ist, aber sie mag es gar nicht, wenn das bei Spitzenmanagern so ist. Darüber sollten wir auch mal nachdenken.
Liminski: Woran liegt das? Was meinen Sie?
Höhler: Ich glaube, weil diese Idole, die ich eben genannt habe, den Menschen tatsächlich etwas liefern, für das sie auch Dankbarkeit empfinden, weil sie glauben, sie verstehen besser, was da geschieht. Und hier muss man ansetzen. Wenn es Spitzenmanagern nicht mehr gelingt, dass sie ihre Leistungen der Öffentlichkeit so erklären, dass die Öffentlichkeit die Anstrengung erkennt und die Erfolge sieht und würdigen kann, dann werden sie bestraft durch Missachtung, durch Geringschätzung, und das ist das, was gegenwärtig auch geschieht.
Liminski: Ist das ethisch anfechtbare Verhalten von Managern und auch mancher Politiker, vielleicht sogar auch von Journalisten, nicht die Frucht des Relativismus oder der Beliebigkeit? Brauchen wir nicht wieder einen Grundkonsens oder wenigstens eine Debatte darüber? Die einzige allgemein anerkannte Gebotstafel scheint ja nur noch die Straßenverkehrsordnung zu sein.
Höhler: Wir merken natürlich, dass die Dinge, über die wir debattieren, nicht deshalb zurückgewonnen werden, weil wir darüber debattieren, sondern das Debattieren ist immer schon ein Krisenzeichen. Wir müssten eine Führung haben - das gilt für die politische Führung und für die Führung in den Lerninstitutionen, aber auch in den Elternhäusern -, die Werte vorlebt, die dann überzeugen, weil man erfolgreich ist, wenn man mit Werten lebt, zum Beispiel Versprechen halten bringt Erfolg, Pünktlichkeit, Genauigkeit, Aufrichtigkeit. Wer darüber nur schwafelt, wird kaum jemanden überzeugen, aber wer so lebt, überzeugt. Und das ist in der Führungskultur von heute sehr zurückgetreten, weil diese gehetzte Profitorientierung dem Mitarbeiter einen solchen Stress bereitet, dass er nur noch sieht, dass der Chef irgendwo heimlich Vorteile holt, an die der Mitarbeiter nie rankommen wird, und schon ist die Gruppe gespalten, und wir haben Misstrauenskulturen statt Vertrauenskulturen.
Liminski: Sie sagen Erfolg. Wie misst sich das? Das ist doch meistens konvertibel in Geld, ganz konkret.
Höhler: Das ist die eine Seite. Ich habe mehrmals gesagt, dass die ökonomische Seite die eine ist. Und wir haben dann noch die Seite, die sich zeigt, wenn es etwas schwieriger wird, wenn wir in schwieriges, steiniges Gelände kommen. Plötzlich halten die Leute nicht mehr zu uns, die beim Sonnenschein vorn mit uns gewandert sind. Und das bedeutet, dass wir nicht dafür gesorgt haben, dass der Zusammenhalt, von dem zum Beispiel die SPD immer redet, uns auch verbindet, wenn wir in den dunklen Tunnel gehen. Hier leben wir nur noch von Zurufen, und das heißt wir müssen einander trauen. Das müssen wir in guten Zeiten vorbereiten.
Liminski: Vertrauen als Erfolg?
Höhler: Ja, Vertrauen ist auch ökonomisch ein ganz wichtiger Erfolgsfaktor, der gegenwärtig gerade entdeckt wird. Es gibt berühmte Ökonomen, die sehr gute Dinge darüber schreiben, weil das Misstrauen zurückzubringen auch ein positiver Kostenfaktor ist. Wenn ich den ganzen Tag alle Leute überwachen muss, dann kommen wir zu nichts, und dann wuchern die Intrigen, weil die Leute immer schlauer werden. Wenn wir aber gleichzeitig diesen einen Sprung wagen - und damit muss der Chef anfangen, der sagt: Freunde, Ihr seid in dieser Firma, weil ich euch vertraue -, dann kriegen wir ein Rückfluten dieser mutigen Leistung der Führung, die sagt: Leute, macht damit, was ihr wollt. Wir vertrauen euch. Und deshalb ist es ein ganz wichtiger Faktor, den wir neu nach vorne bringen müssen.
Liminski: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio