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Wie stabil ist das Abkommen zwischen den Konfliktparteien in Mazedonien?

    Gerner: In Mazedonien haben die Konfliktparteien ein Abkommen unterzeichnet - ein Abkommen, darauf verweisen Kommentatoren, das voll von möglichen Stolpersteinen steckt. Am Telefon begrüße ich Hansjörg Eiff, Repräsentant und Botschafter der NATO in Skopje. Einen schönen guten Morgen.

    Eiff: Guten Morgen Herr Gerner.

    Gerner: Ja, Herr Eiff, die Herren Solana, Léotard und Robertson haben gestern von einem historischen Tag gesprochen. Wer gibt uns die Gewissheit, dass das eine Art Dayton-Vertrag für Mazedonien sein könnte?

    Eiff: Ich weiß nicht, was Sie damit meinen; die Lage ist eine gänzlich andere. Es wird hier keine Konzentration oder Föderation geschaffen, wie das mit dem Dayton-Vertrag geschehen ist. Es wird an der staatlichen Struktur eigentlich überhaupt nichts geändert. Was geschehen ist - da ist ein Abkommen unterzeichnet worden, das die rechtliche Stellung - die politische Stellung - der Albaner, insbesondere aber auch andere Minderheiten in diesem Land, ganz wesentlich zu verbessern geeignet ist. Und dieses Abkommen muss nun umgesetzt werden. Und in diesem Zusammenhang stehen auch die weiteren Planungen der NATO, hier Waffen, Munition und Uniformen einzusammeln.

    Gerner: Sind die Gefechte der vergangenen Stunden, von denen berichtet wird, nicht ein denkbar schlechtes Omen, dass dieses Vertragswerk wackelig ist?

    Eiff: Die Voraussetzung für einen Einsatz der NATO ist eine dauerhafte Waffenruhe. Was Sie ‚Gefechte' nennen: Ich bin nicht sicher, ob man das so nennen kann. Es hat vereinzelte Schießereien gegeben. Das müssen wir noch untersuchen, was das gewesen ist. Der NATO-Rat wird in dieser Woche zusammenkommen; es hat eine Sitzung in der Nacht bereits gegeben, um über die Entsendung der Truppen endgültig zu entscheiden. Und das werden wir dann positiv tun können, wenn die Beurteilung der Waffenruhe eine positive ist.

    Gerner: Sie haben gesagt ‚dauerhafte Waffenruhe'. Wann ist eine Waffenruhe aus Sicht der NATO dauerhaft?

    Eiff: Das wird sich zu dem Zeitpunkt feststellen lassen, wo die Entscheidung getroffen ist. Und das wird der NATO-Rat feststellen, das heißt, es werden 19 Staaten feststellen.

    Gerner: Und das muss sich aber in den nächsten 14 Tagen herausstellen?

    Eiff: Das muss sich in dieser Woche herausstellen, denke ich.

    Gerner: Wie wollen Sie denn diesen Stolperstein ‚Entwaffnung' angehen, wie soll das funktionieren?

    Eiff: Das ist gedacht als ein Einsammeln von Waffen, Munitionen und Uniformen - auf der Grundlage von Angaben, die hier die UCK der NATO gemacht hat und die geprüft werden und die verglichen werden mit den Erkenntnissen, die die NATO hat. Und das sind, glaube ich, solide Erkenntnisse, was zumindest die schweren Waffen angeht, auf die es ankommt. Außerdem kommt es - denke ich - auch auf die Uniformen an, weil die Organisation ja eigentlich nicht mehr bestehen soll.

    Gerner: Herr Eiff, Beobachter vor Ort - Korrespondenten - fragen sich: Wie wollen Sie alle Waffen einsammeln, wenn Sie nicht einmal wissen, wieviele es gibt? Ein guter Teil ist ja gar nicht registriert. Das war schon ein Problem im Kosovo-Krieg.

    Eiff: Ich sagte, die NATO hat - glaube ich - solide Erkenntnisse darüber, was es gibt. Aber wir sind nicht so naiv, zu glauben, dass man alle Waffen hier einsammeln kann, und ich glaube auch, darum geht es nicht letzten Endes. Wenn Waffen übrigbleiben, wird es entscheidend darum gehen, dass diese Gesellschaft und dass die verantwortlichen Politiker hier eine Versöhnung zustande bringen. Da können dann Waffen auch liegenbleiben; das macht dann weniger aus. Es wird ja auch nach wie vor Albaner geben, die sich nicht daran halten möchten, weil sie was anderes wollen als die Verbesserung ihrer eigenen Stellung hier, sondern vielleicht ein Groß-Albanien. Auch deren Bedeutung - es gibt hier eine Organisation, die sich da gemeldet hat, die ANA - wird schwinden nach Maßgabe der Versöhnung, die hier zustande kommt. Da haben wir wirklich keinen Einfluss drauf. Wir können indirekt drauf einwirken, indem wir jetzt hierher kommen. Das ist eine vertrauensbildende Maßnahme, dass wir den Menschen hier helfen. Man sollte ihnen helfen, auch Vertrauen zu sich selbst zu gewinnen. Die Versöhnung ist das Entscheidende, nicht das eigentliche Einsammeln von Waffen.

    Gerner: Die NATO plant ja keinen Kampfeinsatz, Herr Eiff. Heißt das, sobald etwas schiefläuft - wenn man in Skopje in Gefechte verwickelt wird -, will man wieder abziehen?

    Eiff: Die NATO wird mit Waffen hierher kommen. Das wird keine schwere Bewaffnung sein, aber die NATO wird im Notfall, falls notwendig, von ihrem Notwehrrecht Gebrauch machen und sie wird auch die Operation selbst schützen. Ich denke, die Erfahrung der NATO in Bosnien und im Kosovo deuten darauf hin, dass die NATO selbst - und ich bin eigentlich davon überzeugt - hier selbst nicht angegriffen wird.

    Gerner: Hansjörg Eiff war das, Botschafter der NATO in Skopje. Danke für diese Einschätzungen, Herr Eiff - und mitgehört hat Volker Rühe, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU im Bundestag. Ich grüße Sie.

    Rühe: Ja, einen schönen guten Morgen.

    Gerner: Wie bewerten Sie das, was da gestern unterzeichnet worden ist?

    Rühe: Der Begriff ‚historisches Ereignis' ist vielleicht ein bisschen voreilig. Ich stimme Herrn Botschafter Eiff zu, dass es vor allen Dingen auf Versöhnung ankommt, auf einen politischen Neuanfang. Und ich sehe die Gefahr, dass die politisch Verantwortlichen in Mazedonien, wenn es ihnen ins Konzept passt, von ‚internationalem Druck' sprechen werden, der dieses Abkommen herbeigeführt hat. Und deswegen finde ich, politisch für die Entscheidung der NATO ist zumindest wichtig, dass es eine klare politische Meinungsäußerung des mazedonischen Parlamentes gibt, bevor man an eine Operation der NATO denkt - eine Erklärung des Parlaments, in der dieser politische Neuanfang und der Wille zur Versöhnung deutlich wird. Sonst ist das Frieden auf dem Papier und Krieg auf dem Boden. Und das ist weiterhin eine reale Gefahr.

    Gerner: Kann denn unter den Bedingungen von Gefechten, die in den vergangenen Stunden ausgebrochen sind - so war die Rede -, kann unter diesen Bedingungen die NATO überhaupt zur Entwaffnung schreiten?

    Rühe: Also, ich habe den Eindruck, dass einige sehr auf die Zeit drängen. Ich rate dazu, sich etwas mehr Zeit zu lassen, um festzustellen, ob der Waffenstillstand tatsächlich trägt und ob der politische Wille zur Versöhnung und zum Neuanfang wirklich da ist. Und dazu muss das Parlament sich dort äußern. Es wäre ja eine verhängnisvolle Situation auch für die NATO, wenn es später keine Mehrheit im Parlament gäbe für diesen politischen Neuanfang. Mein Eindruck ist auch, dass das bloße Einsammeln von Waffen, die freiwillig einem angeboten werden, ein sehr unrealistisches Mandat ist und dass die Gefahr einer Verstrickung besteht. Und es gibt sicherlich Interessen auf Seiten der Albaner, die NATO dort auf Dauer in das Land hinein zu bekommen. Und deswegen sollte sich die NATO dieses Mandat auch noch einmal anschauen. Sie kann es sich nicht leisten, dort zum Beispiel vorgeführt zu werden, indem ihr nur die alten Waffen gegeben werden und der Konflikt ansonsten bestehen bleibt.

    Gerner: In den bisherigen Balkankriegen war das NATO-Mandat so ausgerichtet, so stark zu sein, dass man den bewaffneten Kräften dort überlegen ist. Muss das auch Ziel eines Mandates in Mazedonien sein?

    Rühe: Ja, sicher, aber das Mandat zum Beispiel im Kosovo ging - auch was die Entwaffnung angeht - viel weiter. Dieses Mandat jetzt halte ich für absolut unrealistisch und auch gefährlich für die Autorität der NATO.

    Gerner: Braucht die NATO einen Kampfeinsatz in Mazedonien?

    Rühe: Das ist ein unpräziser Begriff. Ich plädiere dafür, dass sie ein Mandat bekommt, das es ihr ermöglicht, auch die Waffen einzusammeln, von denen sie Kenntnis hat, die ihr aber nicht freiwillig übergeben werden. Ansonsten besteht doch die Gefahr, dass die Autorität der NATO zerstört wird und das Ganze sehr unrealistisch wird.

    Gerner: Wann sehen Sie einen Einsatz der Bundeswehr?

    Rühe: Für die Bundeswehr gilt im Prinzip natürlich auch eine Entscheidung des NATO-Rates, dann der Bundesregierung und dann des Parlamentes. Das ist also auch noch ein Weg mit Stolpersteinen. Aus unserer Sicht - noch einmal - brauchen wir ein realistisches Mandat, wir brauchen politische Rahmenbedingungen, die auch wirklich glaubwürdig den Willen zum Neuanfang und zur Versöhnung verdeutlichen, und dann in der spezifisch deutschen Situation angesichts der finanziellen Vernachlässigung der Bundeswehr brauchen wir einen deutlichen Einstieg in eine finanzielle Verbesserung der Bundeswehr - ein Paket, dass es finanziell erlaubt, diese Maßnahmen durchzuführen und andere Maßnahmen mehr.

    Gerner: Das ist ja das Argument der Union seit längerem - die finanzielle Ausstattung. Wenn aber der Waffenstillstand stabil ist, kann sich Deutschland dann noch einem Einsatz innerhalb dieser Entwaffnungstruppe enthalten?

    Rühe: Jedes Land muss seine eigene Entscheidung treffen. Es gibt ja einen inneren Zusammenhang: Man kann nicht die Armee zu Hause vernachlässigen, etwa auch wichtige Schutzfahrzeuge nicht anschaffen, Schutzmaßnahmen nicht durchführen, die Bundeswehr unterfinanzieren - und dann glauben, man könne sie international beliebig einsetzen. Und deswegen bleibt dies eine unserer Bedingungen - ein Einstieg in eine finanzielle Besserstellung der Bundeswehr, damit sie internationale Einsätze durchführen kann. Beides muss zusammenkommen - das, was ich über das Mandat und die politischen Rahmenbedingungen gesagt habe und dann auch ein Einstieg in die finanzielle Verbesserung der Bundeswehr.

    Gerner: Es geht ja auch immer um Bündnistreue in solchen Fällen. Die CDU hat immer darauf hingewiesen . . .

    Rühe: . . . aber nur, wenn man seine Streitkräfte so ausrüstet, dass sie diese Einsätze auch durchführen kann. Wissen Sie, was Bündnistreue angeht, haben wir keinen Nachholbedarf gegenüber Rot-Grün. Jeder weiß, dass wir in den 90er Jahren Deutschland zum internationalen Partner im Bündnis gemacht haben, was Auslandseinsätze angeht. Aber man kann nicht die Bundeswehr auf der einen Seite finanziell vernachlässigen und auf der anderen Seite sie in Auslandseinsätze führen.

    Gerner: Die UCK soll sich nach 14 Tagen auflösen - mit dem Erfolg der Entwaffnung. Ist das realistisch von den Erfahrungen des Kosovo-Krieges?

    Rühe: Wir halten das Mandat, so wie es jetzt besteht, für nicht realistisch. Es gibt auch klare Stimmen der UCD, die sagen: Wir brauchen die NATO nicht zum Waffeneinsammeln, sondern wir brauchen eine langfristige Präsens der NATO, damit sichergestellt ist, dass die politischen Vereinbarungen - die Verfassungsänderungen - auch tatsächlich im Lande durchgesetzt werden. Hier gibt es also völlig divergierende Vorstellungen.

    Gerner: Volker Rühe war das, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU im Bundestag - zum Mazedonienvertrag, der gestern unterzeichnet wurde. Danke Ihnen für das Gespräch und einen schönen Tag.

    Rühe: Auf Wiederhören.

    Link: Interview als RealAudio