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Wie steht die CDU zu einem NPD-Verbot?

    Nutz: Die Bund-Länderkommission zur Prüfung eines NPD-Verbotes hat gestern zum ersten Mal getagt. Das Ergebnis: Sie will mit dem Thema sehr vorsichtig umgehen, es gebe hohe Anforderungen für ein Verbot, und eine Gesamtbeurteilung sei erst etwa Mitte Oktober möglich – eine höchst sensible Angelegenheit also. Jürgen Rüttgers, der Landes- und Fraktionsvorsitzende der CDU in Nordrhein-Westfalen, hat den Schulterschluss mit der SPD gegen rechte und linke Gewalt vor allem Ministerpräsident Clement angeboten. Frage an Jürgen Rüttgers, was er von dieser vorsichtigen Strategie im Umgang mit der NPD hält.

    Rüttgers: Ich finde, das ist richtig. Einen Antrag auf Verbot einer Partei kann man nur stellen, wenn man sicher ist, dass das Verbot dann auch erfolgt. Andernfalls würde ja die politisch zu bekämpfende Partei – also in dem Fall die rechtsradikale NPD – auch noch amtlich bestätigt bekommen, dass sie nicht gegen die Verfassung verstößt.

    Nutz: Wenn ich Sie richtig verstehe, sind Sie also im Prinzip eher gegen ein Verbot der NPD.

    Rüttgers: Ich bin gegen die öffentliche Debatte und schon gar dagegen, dass Politiker jetzt versuchen, den juristischen Sachverstand und die juristische Prüfung durch Glaubensbekenntnisse zu ersetzen. Wenn die NPD verfassungswidrige Handlungen vornimmt, muss sie verboten werden. Dann muss der Antrag gestellt werden, denn sonst würde man ja als Politiker und Rechtsstaat versagen. Wenn die Voraussetzungen nicht gegeben sind, dann sollten wir die Debatte beenden.

    Nutz: Herr Rüttgers, halten Sie denn das juristische Instrumentarium, das wir jetzt schon besitzen, für ausreichend, rechten Terror zu bekämpfen - auch zum Beispiel die Aktivitäten im Internet?

    Rüttgers: Ich glaube, dass alle Politiker jetzt gut beraten sind, sich nicht jeden Tag mit immer neuen Vorschlägen zu überbieten. Ich kann mich gut noch an die große Betroffenheit und die Lichterketten erinnern, die die Menschen im Land nach dem verbrecherischen Brandanschlag gegen die türkische Familie in Solingen zum Ausdruck gebracht haben. Und mich belastet sehr, dass wir jetzt Jahre später anscheinend mit all den guten Vorsätzen und Aktivitäten nicht viel weitergekommen sind. Das heißt, was ich für richtig finde, ist: Die Politiker sollten sich jetzt nicht in Interviews sich gegenseitig mit Vorschlägen überbieten. Deshalb habe ich auch dem Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen angeboten, dass wir gemeinsam – ohne Ansehen der unterschiedlichen parteipolitischen Auffassungen in anderen Fragen – jetzt sehen, welche konkreten Schritte wir einleiten.

    Nutz: Was stellen Sie sich denn unter einem solchen Schulterschluss genau vor?

    Rüttgers: Ich stelle mir vor, dass wir hier in Düsseldorf darüber beraten, welche konkreten Schritte wir jetzt in den nächsten Wochen umsetzen. Schauen Sie, wir haben oft die Situation, dass die rechtlichen Voraussetzungen zu Handlungen eigentlich gegeben sind. Sie hatten gerade die Frage nach Bekämpfung von Rassismus im Internet angesprochen. Ich habe als Bundesforschungsminister damals das neue Multimediagesetz durch den Bundestag gebracht. Schon damals im Jahre 1996 habe ich in das Gesetz reingeschrieben, dass alle verbrecherischen Handlungen – nicht nur bei Kinderpornografie, sondern auch bei Rassismus – auch im Internet verboten sind. Mein Argument war damals immer, das, was auf schwarz und weiß verboten ist, auch in Bits und Bytes verboten sein muss. Ich bin damals sehr angegriffen worden von Leuten, die gesagt haben: ‚Das Internet ist ein rechtsfreier Raum, da darf der Staat nichts regeln‘. Inzwischen sieht man, wie richtig die Haltung war. Ich frage mich nur, was eigentlich die zuständigen Behörden getan haben, um die Strafvorschriften des Multimediagesetzes gegen Rassismus im Internet auch umzusetzen.

    Nutz: Sie haben eben davon gesprochen, dass die Politiker sich nicht überbieten sollten in Vorschlägen. Nun gibt es aber da etwas sehr Konkretes, beispielsweise den Berliner CDU-Innensenator Werthebach, der eine Einschränkung des Demonstrationsrechtes nicht nur vorschlägt, sondern auch fordert. Wäre das auch für Sie ein gangbarer Weg?

    Rüttgers: Ich bin auch bereit, gesetzliche Änderungen vorzunehmen. Ich bin auch der Auffassung wie Eckhard Werthebach, dass diese Demokratie nicht akzeptieren muss, dass die braunen Horden die Straßen unsicher machen und dann auch noch Gelegenheit nehmen, ihre verbrecherische Haltung in Demonstrationen und Umzügen, etwa am Brandenburger Tor, in aller Öffentlichkeit zu präsentieren. Wenn es notwendig ist, müssen wir das Demonstrationsrecht ändern. Wir haben des öfteren die Erfahrung gemacht, dass Behörden solche Umzüge verboten haben und die Gerichte sie dann anschließend wieder genehmigt haben. Ich bin auch der Auffassung, dass wir im Hinblick auf die NPD – ich habe jetzt gelesen, dass sie im Wege des Parteienfinanzierungsgesetzes sogar noch Steuergelder bekommt – darüber nachdenken müssen, dass unter Wahrung des Grundsatzes der Chancengleichheit aller Parteien es aber nicht akzeptabel ist, dass die Bürger dieses Landes auch noch die NPD finanzieren.

    Nutz: Man hat, Herr Rüttgers, den Eindruck, dass sich in der Politik oder in dem, was Politik leisten kann, im Augenblick sich sehr viel bewegt, trotz Sommerpause oder gerade deswegen. Nächste Woche beispielsweise folgt eine Sondersitzung der Länderinnenminister. Warum hat es in der Vergangenheit nicht bereits mehr Aktivitäten gegeben, auch schon unter der alten Bundesregierung beispielsweise?

    Rüttgers: Wir haben in unserer Regierungszeit sehr viel auch gegen braunen Terror und braune Gewalttaten getan. Ich kann mich noch gut an die Debatten erinnern, wenn wir darauf hingewiesen haben, dass die Frage des Rechtsradikalismus auch eine Frage etwa der Werteerziehung in den Schulen sei, wenn wir darauf hingewiesen haben, dass das Demonstrationsstrafrecht verschärft werden soll, wenn wir darauf hingewiesen haben, dass etwa es im Jugendstrafrecht nicht richtig sein kann, dass 18jährige bis 21jährige – also Heranwachsende – wie Jugendliche behandelt werden, dass das geändert werden muss. Dann hat es immer einen Aufschrei gegeben, das sei Repression. Die Besonderheit der jetzigen Debatte ist ja, dass wir eine Veränderung im linken Spektrum der Politik haben. Hier wird jetzt anerkannt angesichts dieser furchtbaren Zahl von 760 Gewalttaten im ersten Halbjahr dieses Jahres, dass man auch mit harten repressiven Mitteln zupacken muss, um mit dem Thema fertig zu werden. Deshalb werbe ich ein wenig dafür, diese Chance jetzt zu nutzen, statt ideologische Debatten zu führen. Wir müssen konkret vereinbaren, was wir jetzt tun.

    Nutz: Offenbar haben sich ja Akzente ganz anders verschoben. Man kann sich erinnern an die Verfassungsschutzberichte des Bundesinnenministers Kanther damals, der stets die Linken im Visier hatte, während jetzt unter Schily in den letzten beiden Verfassungsschutzberichten auf die sich ändernde Bedrohungslage durch rechts hingewiesen wurde. Was hat sich da qualitativ verändert?

    Rüttgers: Vielleicht hat sich da nur die Wahrnehmung verändert. Also, ich kann mich gut an die Berichte, und zwar an die von Otto Schily und an die von seinem Vorgänger erinnern. Da ist sowohl immer die Rede von Links- wie Rechtsradikalen gewesen. Aber vielleicht machen wir eben auch alle in der öffentlichen Debatte den Fehler, dass dann, wenn jemand aus dem Spektrum der CDU – also Mitte-Rechts – was sagt, immer der Eindruck entsteht: Die wollen nur die Linksradikalen bekämpfen. Und umgekehrt, wenn aus dem Spektrum Mitte-Links – der SPD – was gesagt wird, der Eindruck entsteht: Die wollen immer nur die Rechtsradikalen bekämpfen. Eines muss klar sein: Egal ob von links oder von rechts, egal wie das begründet wird: Rassismus und Gewalt in Deutschland sind völlig inakzeptabel – egal ob links oder rechts.

    Nutz: Wie empfinden Sie denn da das Verhalten mancher Politiker in der CSU? Thomas Goppel zum Beispiel, der Generalsekretär der Schwesterpartei, stellt einen Zusammenhang her zwischen rechter Gewalt und Zuwanderer. Er führt auch noch ausgerechnet eine ‚Das Haus ist voll‘ – Diskussion und fordert eine Änderung des Asylrechts. Ist da immer noch jemand auf dem rechten Auge blind?

    Rüttgers: Ich warne davor – das will ich jetzt überhaupt nicht irgend jemandem zuordnen –, dass wir das Thema ‚Zuwanderung‘, was wir in den nächsten Wochen und Monaten in Deutschland diskutieren werden, verbinden mit der Frage des Kampfs gegen Gewalt und Rassismus. Das führt nicht zu einem guten Ergebnis.

    Nutz: Herr Rüttgers, Ihre Kampagne gegen die Green Card im Landeswahlkampf in Nordrhein-Westfalen mit dem umstrittenen Slogan ‚Kinder statt Inder‘ – würden Sie das mit dem Wissen von heute noch einmal so angehen?

    Rüttgers: Das hat nichts mit Ausländerfeindlichkeit zu tun, sondern im Mittelpunkt dieser Kampagne stand ja die Verbesserung der Bildungssituation und die Integration der hier rechtmäßig und dauerhaft lebenden Ausländer. Ich trete seit vielen Jahren – wie jeder in Deutschland weiß – dafür ein, dass wir mehr Anstrengungen unternehmen, die hier lebenden Ausländer in unsere Gesellschaft zu integrieren. Das ist ja nun genau das Gegenteil von dem, was da Leute vertreten, die sich gegen Ausländer wenden.

    Nutz: Aber war nicht ‚Kinder statt Inder‘ – in dieser Verkürzung – nicht gesellschaftlich verheerend?

    Rüttgers: Das müssen Sie die fragen, die den Satz gemacht haben. Der ist nicht von mir.

    Nutz: Es gab ja auch noch eine andere Kampagne, die in Hessen – von der Hessen CDU – mit der Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, in der es häufig genug Situationen gab – wo Menschen fragten, wo sie denn gegen Ausländer unterschreiben könnten. Muss sich die Union den Vorwurf gefallen lassen, auch heute noch den rechten Populismus zu Wahlkampfzwecken die Steilvorlage geliefert zu haben?

    Rüttgers: Nein, sondern die Union kann sich zugute schreiben, dass sie auch Themen, die die Menschen im Land bewegen, aufgegriffen hat, auch im Bereich etwa des Themas Ausländerpolitik, und damit einen Beitrag geliefert hat, dass die Menschen im demokratischen Spektrum eine Antwort auf ihre Fragen finden.

    Nutz: Aber das Thema – Sie haben es eben gesagt – ist ja nicht nur Gewalt. Wir sprechen hier ja auch über rechtes Gedankengut und auch über Vorbilder. War das in dieser Hinsicht der richtige Weg?

    Rüttgers: Die Frage, muss ich sagen, habe ich nicht richtig verstanden und kann sie nicht zuordnen.

    Nutz: Ich kann es ja noch einmal konkretisieren: Das haben Sie eben auch noch einmal angesprochen - das Thema ist nicht nur Gewalt und Terror. Das Thema ist ja ein breites gesellschaftliches, wo wir darüber sprechen müssen, wie rechtes Gedankengut entsteht, wie Jugendliche der rechten Szene sozusagen in die Arme laufen, und wir reden darüber, dass es in den Schulen nicht genügend Vorbilder und genügend Warnungen dagegen gibt. Insofern meine Frage: Hauen diese beiden Kampagnen nicht genau in diese Kerbe hinein - wo wir eigentlich nicht hinwollten?

    Rüttgers: Nein, deutlich nein. Wenn Sie ein Thema nicht anpacken, das bei den Menschen diskutiert wird und wenn das in der Politik nicht behandelt wird, dann wird das Thema giftig. Das ist das Falscheste, was Sie machen können. Aber was gemacht werden muss, und das ist ganz, ganz wichtig – dass man versucht, mit den Menschen darüber zu diskutieren, was sie da bewegt, und ihnen Antworten im demokratischen Spektrum zu geben. Das ist das, was notwendig ist. Und das bedeutet – weil Sie mit recht auf das Thema ‚Schule‘ hinweisen –, dass wir, vielleicht alle miteinander, mehr über Werte und über Ziele in einer demokratischen Gesellschaft diskutieren müssen. Demokratische Ziele heißt dann, dass dann in dem Moment, wo wir die Ziele für diese Gesellschaft definiert haben, die Menschen mitgenommen werden können und auch Lösungen gefunden werden können. Schauen Sie sich die Asyldebatte an der 90er Jahre. Das war furchtbar. Da sind radikale Parteien in die Landtage eingezogen. Und als die demokratischen Parteien eine Lösung gefunden hatten – zusammen gefunden hatten –, da war plötzlich der Spuk Anfang der 90er Jahre weg und ist zurückgegangen. Insofern werbe ich auch für eine solche Strategie jetzt am Anfang des neuen Jahrzehnts.

    Nutz: Jürgen Rüttgers, Landes- und Fraktionschef der CDU in Nordrhein-Westfalen – heute morgen bei uns im Deutschlandfunk.

    Link: Interview als RealAudio