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Wie viel Pestizid vertragen Bienen?
Summ, summ, stumm

Tote Bienen und Insektengifte aus der Gruppe der Neonicotinoide – darum dreht sich ein lang anhaltender Streit zwischen Imkern und Naturschützern auf der einen Seite und Pestizidherstellern und Landwirten auf der anderen.

Von Joachim Budde |
    Biene (sitzend auf einer Fensterscheibe)
    Neonicotinoide gelten als Gefahr für die Bienen. (Jan-Martin Altgeld)
    "So, meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch kurz auf das Thema Bienengesundheit eingehen."
    "Bienenschutz steht natürlich bei uns hoch im Kurs."
    "Es geht um die sogenannten Neonicotinoide"
    "Der aktuelle Vorschlag der EU-Kommission lautet, die Verwendung auszusetzen"
    "Dieser Vorschlag ist nach unserer Ansicht weder fair noch verhältnismäßig. Denn er berücksichtigt nicht alle relevanten Erkenntnisse."
    "Wir werden in der Folge die Entscheidung überprüfen, bevor die Zweijahresfrist um ist."
    "Das sollten freundliche Bienen sein. Sie können näher rangehen."
    Summ, summ, stumm.
    Wie viel Pestizid vertragen Bienen?
    Von Joachim Budde
    Südschweden im Juli 2014. Der Wind wiegt eine Reihe dünner Eichen, die hier zwischen lauter Äckern an einem Feldweg stehen. Daneben vier braune Plastikkisten. Eine schwarze Wolke steigt daraus auf: Tausende Honigbienen schwirren in einem breiten Band von den Bienenstöcken über einen Acker mit grünen Pflänzchen hinweg zum nächsten Feld, das dahinter als leuchtend gelber Streifen zu sehen ist.
    "Man sieht sie direkt in Richtung des Rapsfeldes fliegen, eine Bienen-Schnellstraße zwischen den Stöcken und dem Feld. Obwohl es ein paar hundert Meter sind, sind die Bienen beim Sammeln ziemlich zielgerichtet."
    Maj Rundlöf und ihre Mitarbeiter haben die Bienenkästen hier aufgestellt.
    "Das ist das Besondere an Honigbienen, sie können auch auf verstreuten Ressourcen sammeln. Und sie erzählen einander: Das ist der Weg zum guten Futter."
    Die Bienen lassen sich nicht beirren von der Biologin, die mitten im Gewusel steht. Ein paar der Rückkehrerinnen haben gelbe Knübbelchen an den Hinterbeinen. Die kleinen Insekten prallen gegen die Biologin und fliegen einfach mit Vollgas weiter, um den Pollen in den Stock zu bringen – und mit ihm Spuren von Gift.

    Eine Biene saugt Nektar an einer Blume
    Eine Biene saugt Nektar an einer Blume (AP)
    Rapssamen wurde bis vor kurzem mit Systemischen Pflanzenschutzmitteln gebeizt, zum Schutz vor Schädlingen wie der Kleinen Kohlfliege oder dem Raps-Erdfloh. Dazu haben die Saatguthersteller seit den 90ern Insektengifte aus der Gruppe der Neonicotinoide verwendet.
    "Es gibt kein Bienensterben, wie es oft in den Medien verbreitet wird"
    "Es gibt die hoch toxischen Neonicotinoide, die stark in der Diskussion sind, das sind Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam, und dann gibt es noch die schwach bis mäßig toxischen."
    Jens Pistorius kennt sich mit diesen Stoffen aus. Am Julius-Kühn-Institut in Braunschweig leitet er den Arbeitsbereich Bienen. Zu seinen Aufgaben gehört es, die Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln auf Bienen zu testen und zu bewerten; im Auftrag und auf Rechnung des Bundeslandwirtschaftsministeriums.
    "Systemisch" heißen die Neonicotinoide, weil schon die Keime sie aufnehmen und von den Wurzeln bis in die Blattspitzen verteilen. Dadurch vergiften die jungen Pflanzen Schädlinge, wenn sie die Blätter anknabbern oder Pflanzensaft saugen. Aber auch Tiere, die dem Raps gar nichts anhaben, kommen mit den Giften in Kontakt. Zum Beispiel die Bienen: Denn auch die Blüten und damit Nektar und Pollen enthalten die Neonicotinoide.
    Mit einem Irrtum möchte Jens Pistorius allerdings aufräumen:
    "Es gibt kein Bienensterben, wie es oft in den Medien verbreitet wird."
    In den letzten Jahren wächst die Zahl der Honigbienenvölker sogar. Dem stimmt Elke Genersch zu. Die stellvertretende Direktorin am Länderinstitut für Bienenkunde in Hohen Neuendorf bei Berlin hat sich Statistiken der letzten 50, 60 Jahre angeschaut. Nach einem Rückgang Anfang der 90er dümpelte die Zahl der Bienenvölker in Deutschland um eine Million. Doch jetzt steigt sie wieder.
    "Dadurch, dass gerade in den letzten Jahren das Hobby Imkerei wieder attraktiver geworden ist und über Fördermittel monetäre Ansätze, An-reize gegeben wurden, Honigbienen zu halten, haben wir in den letzten Jahren zunehmende Zahlen von Völkern und zunehmende Zahlen von Imkern, das gehört immer zusammen, und damit ist also dieser Rückgang der Zahl der gehaltenen Bienenvölker tatsächlich umgedreht worden, in Europa zumindest."
    "Die Imker müssen die Bienenvölker betreuen, gegen Parasiten und Krankheiten behandeln, die Bienenvölker pflegen, ohne die Pflege wären Bienenvölker in Deutschland praktisch nicht mehr existent."
    Vor allem gegen die Varroa-Milbe müssen die Imker ihren Honigbienenvölkern helfen. Sonst sind sie zu schwach, um den Winter zu überstehen. Das gelingt nicht jedem Imker gleich gut und mit jedem Volk. Im letzten Winter starben bundesweit im Schnitt 20 Prozent der Bienenvölker. Im Sommer sind die Verluste viel niedriger. Sie lagen 2013 in Deutschland unter fünf Prozent.
    Eine Varroamilbe (kleiner, dunkler Punkt) auf einer Bienenlarve. 
    Gefahr für Bienen: eine Varroamilbe (kleiner, dunkler Punkt) auf einer Bienenlarve . (picture alliance / ZB - Patrick Pleul)
    Und doch hat die EU-Kommission damals auf Anraten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA den Einsatz der hochgiftigen Neonicotinoide Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam in Blütenpflanzen ausgesetzt. Ein Moratorium, vorerst für zwei Jahre. Aus Sorge, kleinste Mengen der Gifte könnten Auswirkungen auf Bienen haben, auch wenn sie die einzelnen Tiere nicht gleich umbringen.
    Roger Waite, Sprecher des damaligen EU-Agrarkommissar Dacian Cioloș sagte vor Korrespondenten:
    "Es gibt Beweise für Probleme in der Bienenpopulation, und Bienen sind so wichtig für die Bestäubung und für langfristige Produktion von Lebensmitteln, dass wir kein Risiko eingehen können."
    Die Produzenten der fraglichen Substanzen konnten das nicht nachvollziehen: Marijn Dekkers, 2013 Vorstandsvorsitzender der Bayer AG, die jedes Jahr x Tonnen davon ausliefert:
    "Wir sind also der Meinung, dass unsere Produkte, die seit vielen Jahren verwendet werden und für die Landwirte wichtig sind, nicht die Ursache für das sogenannte Bienensterben sind. Und wir sind ebenso davon überzeugt, dass unsere Produkte auch zukünftig verantwortungsvoll eingesetzt werden können."
    Tatsächlich waren viele der Studien, die in die Entscheidung der EFSA eingeflossen sind, anfechtbar. Vor drei Jahren etwa schrieben französische Wissenschaftler um Mikaël Henry, dass Sammelbienen, die Zuckerwasser mit Neonicotinoiden gefressen hatten, schlechter zurück in den Stock fanden. Studien wie diese haben vor allem die Hersteller angezweifelt. Christian Maus ist beim Bee Care Center des Chemieriesen Bayer für die Bienensicherheit von Pflanzenschutzmitteln zuständig.
    "Bei der Studie von Henry zum Beispiel wurden die Bienen mit erheblich höheren Konzentrationen des Mittels dosiert, was getestet worden ist, als man unter Freilandbedingungen jemals begegnen würde."
    Andere Studien, die zum Beispiel Beeinträchtigungen des Lernvermögens und des Geschmackssinns zeigten, fanden unter Laborbedingungen mit einzelnen Honigbienen statt. Außerhalb des Stocks setzt Einsamkeit die Bienen aber unter Stress. Das verfälscht die Ergebnisse, meint auch Jens Pistorius.
    "Im Labor beispielsweise kann man einige Effekte generieren, die so mit Bienenvölkern oder auch mit Hummelvölkern oder auch einzelnen, solitär lebenden echten Bienen dann wiederum nicht reproduzierbar sind."
    Solche Fehler wollte man an der Universität in Lund nicht wiederholen. Maj Rundlöf koordiniert dort ein Projekt, bei dem Wissenschaftler die Auswirkungen des Neonicotinoids Clothianidin auf Bienen noch einmal untersuchen wollen. Diesmal wasserdicht. Insgesamt 16 Rapsfelder haben sie in Südschweden ausgesucht. Immer zwei liegen in ähnlicher Umgebung, damit man die Ergebnisse vergleichen kann. Auf einem säten die Bauern Raps aus, der mit Elado, einem Produkt von Bayer, gebeizt war. Das ist eine Mischung aus dem Neonicotinoid Clothianidin, dem Pyrethroid Beta-Cyfluthrin und einem Fungizid. Die Samen auf dem anderen Feld waren unbehandelt. Dort bekämpften die Landwirte Schädlinge mit Pyrethroiden.
    "Man könnte meinen, nur acht Feld-Paare, das sei wenig. Aber in dieser Art von Studien ist das viel. Wir haben bei der Auswahl versucht, andere Quellen von Neonicotinoiden in der Nähe auszuschließen. Wir haben mit Bauern zusammengearbeitet, die ohnehin Raps aussäen wollten. Sie durften die Felder bewirtschaften, wie sie wollten, mit ein paar kleinen Einschränkungen."
    Etwa 70 Prozent der Bestäubung wird von wilden Insekten erledigt
    Schulterhoch steht der Raps. Die warme Sommerluft steigt mit dem überwältigenden Aroma der Pflanzen wie Sirup in die Nase. An jedes der 16 Felder stellten die Forscher sechs Honigbienenvölker. Zusätzlich platzierten sie sechs Hummelvölker und 27 Kokons mit Einzelbienen.
    "Sollen wir rüber zu den Hummeln und den Solitärbienen gehen?"
    Eine so große Studie im Freiland und mit vollständigen Honigbienenvölkern – unter realistischen Bedingungen also – hatten unabhängige Wissenschaftler zuvor noch nie durchgeführt. Auch dass mit den Hummeln und den Solitärbienen zwei Arten von Wildbienen eingeschlossen waren, ist neu.
    "Honigbienen erhalten diese Aufmerksamkeit, weil wir Honig von ihnen bekommen. Sie haben Imker als Fürsprecher, und die bemerken, sobald etwas schiefgeht."
    Dave Goulson ist ein Fürsprecher für Wildbienen. Dazu zählen Hunderte Arten. Viele davon leben auf sich gestellt, andere – die Hummeln – bilden kleine Staaten mit einer Königin und ein paar zig bis wenigen hundert Arbeiterinnen. Vor allem mit den Hummeln beschäftigt sich der Biologe von der Universität im englischen Sussex seit Jahrzehnten.
    Es gab zwar einzelne Studien zu den Auswirkungen von Neonicotinoiden auf Wildbienenarten. Aber für die Zulassung vieler Pflanzenschutzmittel dominiert nach wie vor die Honigbiene.
    "Ich bin zuweilen ein wenig davon genervt, dass die Leute sagen, ein Drittel unserer Nahrung hängt von Honigbienen ab. Denn korrekt müsste es heißen: Ein Drittel hängt von Bestäubern ab. Von denen gibt es eine riesige Zahl. Honigbienen tragen viel zur Bestäubung bei, aber weltweit betrachtet sind es weniger als 50 Prozent. Eine Studie in Großbritannien hat kürzlich gezeigt, dass etwa 70 Prozent der Bestäubung von wilden Insekten erledigt wird: Hummeln, Solitärbienen, Schwebfliegen und so weiter. In Deutschland ist es ähnlich, schätze ich."
    Manche Feldfrüchte kommen gar nicht ohne diese Insekten aus.
    "Hummeln haben zwei Tricks im Ärmel: Manche Arten haben sehr lange Zungen, mit denen sie auch an den Nektar in sehr tiefen Blüten herankommen, etwa bei Stangenbohnen oder Dicken Bohnen. Das schaffen Honigbienen nicht. Der andere Hummel-Trick ist die Vibrationsbestäubung: Sie können an Blüten rütteln. Tomaten, Paprika oder Auberginen zum Beispiel gehören zu einer Pflanzenfamilie, aus deren Blüten die Insekten den Pollen herausschütteln müssen."

    Eine Hummel fliegt auf eine Blume zu
    Eine Hummel fliegt auf eine Blume zu (dpa/picture alliance/Ralf Hirschberger)
    Maj Rundlöfs Studenten haben ihr Auto am Rand der schmalen Landstraße geparkt. Etwas zurückgesetzt steht eine Scheune. Hohe Bäume spenden Schatten. Ein paar Meter von der schmalen Straße entfernt liegen zwei längliche Pappkartons im Unterholz. "Tripol, besonders geeignet für Obstbau" ist darauf gedruckt.
    Jeder Karton beherbergt drei Völker der Dunklen Erdhummel Bombus terrestris. Solche Kolonien kann man einfach kaufen. Hier ist es ruhig. Nur gelegentlich fliegt eines der bepelzten schwarz-weiß-gelben Insekten los.
    Christopher Du Rietz trägt Handschuhe mit langen Stulpen, die einmal weiß gewesen sind. Er hält einen kleinen Plastikzylinder, ein Stück durchsichtiges Rohr, dessen eines Ende mit einem Gitter verschlossen ist. Der Biologe steckt ihn über den Ausgang des Hummel-Kartons.
    "Da ist eine. Ich lasse sie in den Zylinder kriechen, um sie zu fangen."
    Julius Jonasson sitzt im geöffneten Kofferraum. Behutsam bugsiert er die Hummel in ihrem Gefängnis in die richtige Lage und drückt sie sanft mit einem Schaumstoff-Pfropf gegen das Gitter.
    "Dann nehme ich einen Zahnstocher mit einem Tropfen Kleber, und ich tupfe ihn der Hummel auf den Rücken. Dann platziere ich das Funk-Etikett, und ich habe ein wenig Härter, damit der Kleber schneller trocknet. Ich rücke das Etikett mit einem zweiten Zahnstocher zurecht, auf dem ein wenig Härter ist."
    Der Eingang des Nests ist mit zwei Lesegeräten ausgestattet. Sie registrieren, wann eine Hummel das Nest verlässt und wann sie zurückkehrt.
    "Dann können wir die Zeit messen, die die Tiere unterwegs sind und ob es da Unterschiede gibt."
    Unterdessen hat Christopher Du Rietz Schwierigkeiten mit einer aggressiven Hummel.
    "Ich bin schon gestochen worden. Ich glaube, wir haben eine Wächterin erwischt. Ich denke, ich werde ein wenig warten, bis sie sich beruhigt hat, und dann später versuchen, eine weitere zu fangen. Ich sollte vielleicht doch lieber einen Imkeranzug anziehen. Nur um mich sicher zu fühlen."
    Wildbienen spielen im Ökosystem eine große Rolle, aber sie stehen unter Druck.
    "Für Hummeln haben wir die Literatur der vergangenen Jahrzehnte ausgewertet. Da konnten wir sehen, dass die Hummelarten einmal einigermaßen gleichmäßig verteilt waren. Heute aber dominiert eine einzige Art, die Dunkle Erdhummel, vielleicht zwei. Das ist ein Wandel in gerade einmal 70 Jahren."
    Zu ähnlichen Ergebnissen kommen andere Studien, sagt Elke Genersch. Sie hat zusammen mit 13 weiteren Wissenschaftlern für das European Academies' Science Advisory Council ein Beratungskomitee der europäischen Wissenschaftsakademien, eine Studie, erstellt. Die Forscher haben in einem Bericht für die Europäische Kommission zusammengefasst, was sie gefunden haben über Auswirkungen von Neonicotinoiden auf die Biodiversität im Allgemeinen und auf Lebewesen, die Dienstleistungen im Ökosystem erbringen, im Speziellen. Zig Studien haben sie in den letzten Monaten gesichtet.
    "Die zum Beispiel zeigen, dass seit den 50er-Jahren in Europa die Zahl der Hummeln und der Wildbienen und der Schmetterlinge dramatisch ab-nimmt. Ähnliches sieht man auch in den USA, da gibt es eine sehr, sehr interessante Studie. Und zwar konnten die für eine Landschaft in Illinois historische Daten von vor 120 Jahren ausgraben. Und da konnten sie zeigen, dass also 50 Prozent der Bienenarten nicht mehr vertreten sind in dieser jetzt aber auch völlig geänderten Landschaft, weil es eben nicht mehr Wald und Prärie war, sondern hauptsächlich Agrarlandschaft geworden war."
    Solitärbienen lassen sich von Neonicotinoid-Beize abschrecken
    Ähnliches haben niederländische Wissenschaftler vor kurzem gezeigt: Viele Hummelarten ernähren sich heute von ganz anderen Pflanzen als noch vor 50 Jahren. Denn die Blüten, die sie eigentlich bevorzugen, gibt es heute gar nicht mehr. Andere Arten sind weniger flexibel.
    Gerade bei den Wildbienen - also es gibt ganz interessante Spezialisten, die wirklich nur auf eine Pflanze adaptiert sind. Und geht die Pflanze weg, ist die Wildbiene weg. Aber umgekehrt, wenn die Wildbiene nicht mehr da ist, kann die Pflanze auch nicht mehr überleben."
    Auf der anderen Seite des Unterholzes, wo es etwas sonniger ist, stehen drei Holzpfähle, an denen sechseckige Rohre voller langer Papierröhrchen befestigt sind: Nistfallen. Als die Forscher sie Anfang der Saison aufstellten, waren in diesen Röhrchen 27 Mauerbienen der Art Osmia bicornis bereit zum Schlüpfen. Albin Andersson beobachtet das Verhalten der Tiere.
    "Da haben wir eine, sogar mit Pollen. Sie kriecht hinein, und wenn wir eine Minute warten, kommt sie wieder heraus, dreht sich um, geht rückwärts wieder hinein und streift den Pollen von ihren Hinterbeinen – als Vorrat für die Larven. Jetzt dreht sie sich um. Und dann kommt sie wieder heraus und macht sich erneut ans Sammeln."
    "Albin filmt die Nistfallen eine Stunde lang. Man sieht die Tondeckel. Dort haben Weibchen die Röhrchen versiegelt. Und hoffentlich Brutzellen mit Pollenportionen eingerichtet. In jedem Röhrchen können acht, bei Osmia bicornis auch zehn solcher Zellen sein. Sieht aus, als hätten sie hier gute Arbeit geleistet."
    Während diese Erhebungen noch liefen, werteten die schwedischen Wissenschaftler die erste Studie aus 2013 aus. Im April 2015 präsentierten sie die Ergebnisse der Öffentlichkeit. Ausgerechnet für die Honigbienen sah es gut aus: Die Kolonien entwickelten sich an allen Feldern gleich gut, sagt Maj Rundlöf.
    "Wir konnten zumindest keinen Einfluss sehen."
    Für Elke Genersch keine Überraschung:
    "Diese ganzen Laborergebnisse, die sehr gut zum Teil sind, die eindeutig zeigen, Einzelbienen werden geschädigt, dass die aber in Feldstudien auf Volksebene nicht bestätigt werden konnten. Weil so ein Bienenvolk mit bis zu 80.000 Individuen in der Saison hat eine unglaubliche Pufferkapazität. Dann legt die Königin halt ein paar mehr Eier und dann ist das Volk ganz schwer zu schädigen."
    Bei den Solitärbienen sah das schon ganz anders aus: Die Forscher fanden einen Zusammenhang zwischen Nistverhalten und der Neonicotinoid-Beize.
    "An sechs von acht Kontrollfeldern nisteten Mauerbienen, während sie an keiner der acht Felder mit Nenicotinoiden in unseren Röhrchen genistet haben."
    "Die Hummelkolonien an den behandelten Feldern wuchsen beinahe überhaupt nicht – im Gegensatz zu den Kontrollfeldern, wo sie in Größe und Gewicht zulegten. Diese Wachstumsunterschiede waren eine der größten Überraschungen, die wir gesehen haben."
    Die Biologen hatten die Völker die ganze Saison über immer wieder gewogen. Außerdem beobachteten die schwedischen Wissenschaftler, welche Bienenarten auf den Rapsfeldern Nektar und Pollen sammelten. Auf den Feldern mit dem gebeizten Raps waren es nur halb so viele wie auf den unbehandelten.
    "Wir schließen aus unserer Studie, dass Saatbeize mit Clothianidin einen negativen Effekt auf Wildbienen hat."
    Auch Dave Goulson, der Hummelexperte, ist nicht erstaunt. Er hat mit Kollegen vor drei Jahren Hummelkolonien im Labor mit Zuckerwasser gefüttert, das mit einem Neonicotinoid versetzt war. Sie kamen zu einem ähnlichen Ergebnis.
    "Die Auswirkungen sind anscheinend ziemlich dramatisch. Es gibt einen großen Rückgang der Königinnenproduktion. Hummelnester sterben am Ende der Saison. Sie lassen lediglich neue Königinnen für das nächste Jahr zurück. Wenn sie also nur wenige neue Königinnen produzieren, ist das wirklich ernst. Das haben wir vor drei Jahren gezeigt. Und diese neue Studie, die größer und besser ist als alles, was es vorher gab, zeigt genau dasselbe."
    Sogar Christian Maus von Bayer ist voll des Lobes für die schwedische Studie.
    "Ich kann nur sagen, dass wir es sehr begrüßen, dass so umfangreiche Feldstudien durchgeführt wurden, ich denke auch, dass die Studie aus Schweden sehr gründlich durchgeführt wurde. Insofern ist das sicherlich eine der Studien, die wir als besonders interessant einstufen."
    Ist das also die Studie, auf die die EU gewartet hat, um Ende des Jahres die Neonicotinoide neu zu bewerten? Wird sie diese Gifte nun endgültig von den Äckern verbannen?
    "Was man dazu sagen muss, ist: Hier wurde Sommerraps getestet, und das ist in Europa eigentlich eine relativ ungewöhnliche Kultur, in Europa haben wir zu weit über 90 Prozent Winterrapsanbau."

    Ein blühendes Rapsfeld unter strahlend blauem Himmel
    Ein Rapsfeld (picture alliance / dpa/ Andreas Franke)
    Winterraps wird schon im Herbst ausgesät, er blüht aber erst Ende April, Anfang Mai. Zwischen Aussaat und Blüte liegt eine viel längere Zeit, in der die Neonicotinoid-Konzentration stärker sinkt als im Sommerraps. Inzwischen haben Jens Pistorius und seine Kollegen vom Julius-Kühn-Institut ebenfalls Feldversuche mit Honigbienen, Hummeln und Wildbienen im Raps gemacht. Ihre Studie bestätigt den Einwand. Wie in Schweden ging es auch in Deutschland den Honigbienen gut. Aber auch die anderen Arten zeigten sich unbeeindruckt.
    "In unseren Versuchen konnten wir keine negativen Effekte feststellen."
    Bienenforschung im Freiland ist ein schwieriges Geschäft. Deshalb hat Maj Rundlöf ihre Studie 2014 wiederholt. Deshalb schaut sich auch Jens Pistorius seine Ergebnisse noch einmal im Detail an.
    "Die Versuche werden jetzt gerade im blühenden Raps, 2015, also heute wiederholt und werden daher sozusagen beitragen, das Risiko differenzierter für die verschiedenen Dosierungen und Anwendungsbestimmungen zu betrachten. Wir wissen, dass die Bienen hochsensibel auf Neonicotinoide reagieren, dass Neonicotinoide hochtoxisch für Bienen sind, allerdings sind die Auswirkungen auf Honigbienen, Hummeln und andere natürlich von der Dosierung und von den Rückständen, mit denen diese Arten konfrontiert werden, abhängig."
    In die Beurteilung auf EU-Ebene werden auch die Forschungsergebnisse einfließen, die Elke Genersch und ihre Kollegen zusammengetragen haben. Die deuten darauf hin, dass Neonicotinoide ein Faktor sind – aber nicht der einzige.
    Nach erster Saison ohne Neonicotinoid-Beizung: ein uneinheitliches Bild
    "Welchen Einfluss hat all das andere, was wir machen, die Fragmentierung der Landschaft, die Wegnahme der Lebensräume von all diesen Bienen, was ist da wirklich der stärkere Antrieb für das, was wir beobachten, nämlich Rückgang der Wildbienen und Hummeln."
    Muss sich nicht in der Landwirtschaft auch etwas ändern? Bis zum Moratorium wurden die Neonicotinoide häufig prophylaktisch angewendet, ohne dass in der Gegend Schädlinge aufgetreten wären. Nach der ersten Saison ohne Neonicotinoidbeizung ergibt sich in Deutschland ein uneinheitliches Bild: In manchen Regionen kommen die Bauern gut zurecht – nicht zuletzt, weil 2014 ein Jahr mit wenig Schädlingen war. Vor allem in Mecklenburg-Vorpommern hingegen haben Kohlfliege und Raps-Erdfloh große Schäden angerichtet. Deutsche Maisbauern müssen schon seit 2008 ohne Clothianidin auskommen. Damals hatte ein Anwendungsfehler Millionen von Bienen getötet. Die Maisbauern haben sich auf das Verbot eingestellt und sprühen Pyrethroide – das ist die einzige noch zugelassene Gruppe Pflanzenschutzmittel. Industrieforscher Maus:
    "Es ist durchaus möglich, dass auch mit Alternativen der Erfolg erzielt werden kann, dass man eben eine akzeptable Ernte hat, aber auch bei diesen Alternativen ist eben das entsprechende Umweltprofil zu berücksichtigen. Viele Organismen, die bei einer Sprühanwendung exponiert sind, die kommen mit den Mitteln bei einer Saatbeizung nicht in Kontakt. Also es gibt durchaus einige Vorteile aus unserer Sicht."
    Das sieht Dave Goulson, der Anwalt der Hummeln, ähnlich. Doch er zieht andere Schlüsse.
    "Wenn wir uns vollständig auf Pestizide verlassen, um Pflanzenschädlinge zu kontrollieren, werden die irgendwann resistent. Eine solche Strategie funktioniert nicht ewig. Wir müssen also die Art, wie wir Lebensmittel herstellen, streng unter die Lupe nehmen, ob wir wirklich diesen Ansatz weiterverfolgen müssen, immer intensiver und mit größerem Einsatz Essen herzustellen."
    Es wäre so schön, wenn die Neonicotinoide wirklich der einzige Grund wären für die Probleme der Bienen. Denn dann könnte man sagen, wir benutzen sie nicht mehr und das Problem ist gelöst. Aber so ist es nicht.
    Christopher trägt tatsächlich den Imkeranzug. Er fürchtet sich ein wenig vor den Hummeln. Sie können aggressiv sein, vor allem die Wächterinnen.
    "Das ist schon das zweite Mal, dass sie mich hier stechen. Darum bin ich ein bisschen übervorsichtig. Jedes Nest hat eine eigene Persönlichkeit. Vor zwei Tagen war ich an einer Kolonie, da konnte ich einfach in Shorts danebenstehen, die Arbeiterinnen einfangen und weggehen. Überhaupt kein Problem."
    Ende 2015 wird die Europäische Kommission das Risiko der drei giftigsten Neonicotinoide neu bewerten: Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam. Christopher Maus von Bayer weiß, wie er entscheiden würde:
    "Für Neonicotinoide und Bienen gibt es außerordentlich umfangreiche Daten, ich denke mal, es gibt kein anderes Insektizid, keine andere Insektizidgruppe, für die es so ein umfangreiches Datenpaket gibt. Unserer Ansicht nach sind die Voraussetzungen für eine Wiederzulassung gegeben."
    Es liegen neue Erkenntnisse vor, aus besseren Studien. Doch es geht auch um den Umsatz der Konzerne und um die Erträge der Bauern. Jens Pistorius, Forscher im Auftrag des Bundesregierung:
    "Von der Politik würde ich mir wünschen, dass eine differenzierte Betrachtung der Risiken einzelner Anwendungen stattfindet, und nicht eine Diskussion über die gesamte Wirkstoffgruppe per se, sondern wirklich die Risiken einzelner Anwendungen differenziert betrachtet werden und dann das entsprechend reguliert werden."
    "Ich wäre sehr enttäuscht, wenn das Moratorium nicht permanent gemacht würde. Aber es macht auch keinen Sinn, Neonicotinoide zu verbieten, wenn sie einfach durch eine andere Generation Chemikalien ersetzt werden, von denen wir in 5, 10 oder 20 Jahren feststellen, dass sie genauso viel Schaden angerichtet haben. Unsere Landwirtschaft, wie sie jetzt ist, hat einen Weg eingeschlagen, von dem viele glauben, dass er auf lange Sicht nicht nachhaltig sein kann."
    "Ich ziehe mich um. Es ist so heiß in dem Ding."
    Summ, summ, stumm. Wie viel Pestizid vertragen Bienen?
    Von Joachim Budde
    Regie: Friederike Wigger
    Redaktion: Christiane Knoll