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Wie weiter bei Kaiser's Tengelmann?
"Es ist nicht zu spät, zu Lösungen zu kommen"

Auch angesichts der offenbar dramatischen Lage bei Kaiser's Tengelmann und der möglicherweise kurz bevorstehenden Schließung von Supermärkten sei es noch nicht zu spät zu Lösungen zu kommen, sagte der Ökonom Daniel Zimmer im Deutschlandfunk. Eine Aufteilung der Supermarkt-Kette auf mehrere Mitbewerber sei immer noch möglich.

Daniel Zimmer im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 20.09.2016
    Die Logos der beiden Supermarktketten Edeka und Kaiser's.
    Die Logos der beiden Supermarktketten Edeka und Kaiser's. (imago / STPP)
    Wenn es um die Zukunft der Supermarktkette Kaiser'sTengelmann gehe, müsse es ja nicht die Komplettübernahme durch den Marktführer Edeka sein, die das Bundeskartellamt vor anderhalb Jahren aus Wettbewerbsgründen abgelehnt habe, sagte der Ökonom Daniel Zimmer im Deutschlandfunk. Diese Gründe bestünden auch weiter fort. Es gehe darum, Lösungen zu finden, die im Sinne des Wettbewerbs und der Arbeitnehmer seien.
    Das ganze Problem sei auch dadurch entstanden, dass der Besitzer von Kaiser's Tengelmann, der Unternehmer Karl-Erivan Haupt, von Anfang an darauf bestanden habe, alle Läden an Edeka zu verkaufen, die größte Supermarktkette in Deutschland, sagte Zimmer. Auch wenn jetzt vielleicht mit Edeka und Rewe, dem zweitgrößten Lebensmittelhändler, gesprochen werde, sei das keine gute Lösung. Dann entstehe der Eindruck, dass sich die Mächtigen den Markt unter sich aufteilen. Es gebe aber auch wettbewerbsrechtlich bessere Lösungen. So sei etwa "Coop" an den Berliner Kaiser's Tengelmann-Läden interessiert gewesen und "Tegut" an denen in München. Warum sollten nicht auch andere Bewerber eine Chance bekommen? Diese Frage müsse sich Herr Haupt gefallen lassen.
    Daniel Zimmer, ehemaliger Vorsitzender der Monopolkommission.
    Daniel Zimmer, ehemaliger Vorsitzender der Monopolkommission. (Imago / Metodi Popow)

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Am Telefon ist jetzt der Bonner Rechtswissenschaftler Daniel Zimmer. Bis im März war er Vorsitzender der Monopolkommission und in dieser Funktion hat er sich auch gegen diese Fusion ausgesprochen und aus Protest gegen Sigmar Gabriels Ministererlaubnis auch seinen Hut genommen im vergangenen März. Schönen guten Tag, Herr Zimmer.
    Daniel Zimmer: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Herr Zimmer, wenn jetzt tatsächlich die ersten Supermärkte bei Kaiser’s Tengelmann dichtmachen müssen, müssen wir dann sagen, da wäre die Fusion doch vielleicht besser gewesen?
    Zimmer: Das müssen wir nicht sagen, denn es gibt viele Szenarien, um das Problem aufzulösen, und es muss nicht ausgerechnet die Komplettübernahme durch Edeka sein. Das Bundeskartellamt hat ja gewichtige Gründe gehabt vor anderthalb Jahren, die Komplettübernahme durch Edeka zu untersagen, und diese Gründe bestehen fort. So gesehen sollte man lieber nach vorne schauen und sollte nach Lösungen suchen, die sowohl für die Arbeitnehmer als auch für den Wettbewerb gut sind.
    Armbrüster: Aber Stand jetzt, Dienstagmorgen, steht doch fest: Wir müssen davon ausgehen, dass Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren, weil Juristen das so wollten?
    "Besser wäre es gewesen, auf eine differenzierende Lösung zu setzen"
    Zimmer: Das ist eine sehr einseitige Verantwortungszuweisung an die Juristen. Wir müssen eines dabei sehen: Wenn nicht der Verkäufer, Herr Haub, von Anfang an sich festgelegt hätte und stur daran festgehalten hätte, an das größte und am Markt dominierende Unternehmen die Kette komplett zu verkaufen, dann wäre es zu anderen Lösungen gekommen und dann wäre es auch zu arbeitsplatzschonenden und beschäftigungsfreundlichen Lösungen gekommen. Dieses Festhalten über anderthalb Jahre nach der Untersagung durch das Bundeskartellamt, das ist das eigentliche Problem und das hat Tengelmann jetzt in die Misere gebracht.
    Armbrüster: Warum hat sich Tengelmann denn so an Edeka geklammert? Kann man das sagen?
    Zimmer: Ich kann es nicht sagen. Ich kann es auch nicht einschätzen. Von daher möchte ich da auch nicht im Radio drüber spekulieren.
    Armbrüster: Aber ist es denn eigentlich sinnvoll, dass sich die Justiz in Deutschland so sehr in Wirtschaftspolitik einmischt?
    Zimmer: Sie müssen eins sehen. Es ist ja nicht einfach so, dass hier der Minister eine tolle Entscheidung getroffen hätte und dann Richter die Sache zunichtemachen, sondern davor hat ein Verfahren stattgefunden vorm Bundeskartellamt. Das Kartellamt hat gesagt, weil hier an vielen Orten, und zwar in durchaus kleinräumigen Regionen, in den Gebieten, in denen die Menschen einkaufen - die fahren ja nicht sehr weit, um einzukaufen -, wenn dort die Läden von Kaiser’s Tengelmann eine starke Stellung haben - und das ist in Teilen von Berlin so, das ist in Teilen von München so, das ist in Teilen von Nordrhein-Westfalen so - und die dann übernommen werden von dem ohnehin führenden Unternehmen, nämlich Edeka, dann entfällt ein wichtiger Wettbewerb. Das dürfte zu steigenden Preisen führen, das dürfte zu einer geringeren Auswahl für die Verbraucher führen und das sind die Nachteile, die das Kartellamt vor anderthalb Jahren bewogen haben, diese Fusion zu untersagen. Besser wäre es gewesen, von Anfang an auf eine differenzierende Lösung zu setzen. Das heißt, die Filialnetze an mehrere Erwerber abzugeben und nicht ausgerechnet nur an den größten.
    Armbrüster: Jetzt hat sich aber der Bundeswirtschaftsminister einmal festgelegt und gesagt, ich würde das so gerne machen mit dieser Fusion. Das war sein Ministererlass, er hat das gesagt. Wenn wir das Ganze jetzt mal politisch sehen, wäre es dann nicht sinnvoller zu sagen, gut, wenn Gabriel das will, dann soll das so passieren, und wenn es eben schiefgeht, dann kriegt er auch die politische Verantwortung, die muss er dann tragen?
    "Es kann nur darum gehen, ob per Saldo eine günstige Wirkung zu erwarten ist"
    Zimmer: Ja. Aber im Gesetz steht, dass nur aus Gemeinwohlgründen die Entscheidung des Bundeskartellamtes aufgehoben werden kann. Das heißt, man muss darüber diskutieren, was im Sinne des Gemeinwohls liegt. Und nach Auffassung vieler Experten hätte hier die Übernahme durch Edeka und allein durch Edeka zwar eine Sicherung ganz bestimmter Arbeitsplätze bedeutet, aber nicht insgesamt eine positive Beschäftigungswirkung. Es kann beim Gemeinwohl ja nicht darum gehen, ganz bestimmte Arbeitsplätze zu retten, sondern es kann eigentlich nur darum gehen, ob per Saldo insgesamt in der Volkswirtschaft eine günstige Wirkung zu erwarten ist. Da die Menschen nicht insgesamt mehr einkaufen, gibt es auch nicht insgesamt mehr Bedarf für Arbeitskräfte im Bereich des Lebensmitteleinzelhandels, und wenn nicht über so lange Zeit hier an einer Lösung, die das Kartellamt verboten hatte, festgehalten worden wäre, dann wäre man auch mit Bezug auf die Kaiser’s Tengelmann-Filialen jetzt nicht in diese prekäre Lage gekommen.
    Armbrüster: Glauben Sie, dass das auch die Tengelmann-Kassiererinnen verstehen, die jetzt ihren Job verlieren?
    Zimmer: Ich fühle mit jedem und mit jeder, die davon betroffen ist, und ich bin der Meinung, dass es nicht zu spät ist, Lösungen zu finden. Es gibt ja den Vorschlag, jetzt wenigstens zu einer Aufteilung auf mehrere Erwerber zu kommen, und darin könnte tatsächlich eine Lösung liegen.
    Armbrüster: Dann erklären Sie uns das genauer, Herr Zimmer? Sie sind ja mit dieser Branche sehr viel besser vertraut als wahrscheinlich die meisten von uns. Ist das tatsächlich möglich, dass sich diese drei Reisen im deutschen Lebensmitteleinzelhandel, Kaiser’s Tengelmann, Rewe und Edeka, dass die sich jetzt im Laufe von wenigen Tagen einigen und hier eine Lösung finden?
    Zimmer: Na ja. Wenn nur die drei sich zusammensetzen, laufen wir wieder Gefahr, dass eine Vermachtung der Märkte voranschreitet. Warum sollen nicht auch andere eine Chance haben? Für die Berliner Filialen haben sich komplett andere Unternehmen interessiert, coop aus Schleswig-Holstein wollte die Berliner Filialen komplett übernehmen. Tegut und andere haben sich für das Münchener Filialnetz interessiert. Alle hätten die Arbeitnehmer übernommen. So gesehen gibt es Möglichkeiten, es gibt Alternativen, und diese Alternativen sind deutlich wettbewerbsfreundlicher. Wenn es jetzt dazu käme, dass wirklich nur die drei, die sie ansprechen, sich zusammensetzen, sieht das ein bisschen so aus, als würden die Mächtigen die Welt unter sich aufteilen und als hätten letzten Endes dann doch die Verbraucher den Nachteil.
    Armbrüster: Ist denn für so eine etwas kompliziertere Aufteilung auch zwischen Groß und Klein, ist da überhaupt noch Zeit zu?
    "Zu viel Einmischung ins Wirtschaftsleben tut manchmal auch nicht gut"
    Zimmer: Es ist sehr spät geworden. Aber ich glaube, die Frage muss sich Herr Haub gefallen lassen, warum es so spät geworden ist. Vor anderthalb Jahren, als das Bundeskartellamt die Komplettübernahme durch Edeka untersagt hat, da wäre es spätestens an der Zeit gewesen, sich über eine wettbewerbsfreundlichere Lösung Gedanken zu machen.
    Armbrüster: Und was ist die Lektion, die Sigmar Gabriel hieraus lernen kann?
    Zimmer: Dass man bei Gemeinwohl-Angelegenheiten wirklich alle Belange und nicht nur ganz bestimmte in Rechnung stellen sollte und dass zu viel Einmischung ins Wirtschaftsleben manchmal auch nicht gut tut.
    Armbrüster: … sagt hier bei uns im Deutschlandfunk Daniel Zimmer. Bis März war er Mitglied der Monopolkommission und er ist Bonner Rechtswissenschaftler. Wir haben mit ihm gesprochen über die Krise bei Kaiser’s Tengelmann, die in dieser Woche möglicherweise in die entscheidende Runde geht. Vielen Dank, Herr Zimmer, für Ihre Zeit heute Morgen.
    Zimmer: Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.