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Wie wichtig ist Glück für den Menschen?

Glück habe sehr viel mit einer Tätigkeit zu tun, von der man selbst erfüllt sei, verweist Dieter Thomä, Philosophieprofessor an der Universität Sankt Gallen, auf einen Ausspruch von Aristoteles. Es ließe sich weder durch Geld noch durch pure Selbstverwirklichung herstellen.

Moderation: Thomas Heyer |
    Heyer: Der Wert des Menschen - heute, am Pfingstmontagmorgen, sind wir ihm auf der Spur. Wie wichtig ist Glück für den Wert des Menschen, macht sein Leben möglicherweise wertvoll und wertvoller? Dieser Frage wollen wir uns jetzt gemeinsam mit Dieter Thomä widmen. Der Philosophieprofessor an der Universität Sankt Gallen hat vor Jahren, zum Glück, in der Moderne veröffentlicht. Fällt ein glückliches Leben in Zeiten der geschmähten Globalisierung schwerer als noch vor Jahren, als das Leben sicherer schien, und zwar in den unterschiedlichsten Lebensbereichen?

    Thomä: Sehen Sie, von Nostalgie halte ich ebenso wenig wie von Fortschrittseuphorie. Diese ganzen Vergleiche, dass es vielleicht früher besser war, wo man irgendwie einen Zwangsberuf ergreifen musste, wo Frauen zu Hause geprügelt wurden, diese ganzen Vergleiche mit irgendeinem anderen Leben, die sind meistens ziemlich ideologisch. Also wir müssen schon mit unseren Beständen rechnen. Und da gibt es heute einen neuen Mix, aus dem wir das Glück zusammenfinden, zusammensuchen müssen und dieser ganze alte Mix, in dem natürlich manches sicherer war, aber auch manchmal das Elend sicherer war, den müssen wir einfach mal auf sich beruhen lassen.

    Heyer: Was wir zusammensuchen mündet dann in was? Was ist ein glückliches Leben? Jemand, der seine Lebenszeit gut verwendet, lebt der glücklich?

    Thomä: Ich glaube, darin steckt schon ein falscher Zungenschlag, weil "Lebenszeit gut verwenden", das klingt so, als wäre die Lebenszeit so was wie irgendeine Ressource, die man dann auch im Supermarkt erstehen kann und die man dann geschickt einsetzt, so dass sie lange hält. Also "verwenden" tun wir das Leben nicht, wir leben das Leben. Und jetzt müssen wir mal fragen: Was sind eigentlich so die Bedingungen und Voraussetzungen, die sich einstellen müssen, damit wir glücklich sind? Und ich glaube, da sind zwei Dinge wichtig: Das eine ist, dass es schon mit individuellen Spielräumen zu tun hat, das andere ist aber, dass man auch diese wunderbare Erfahrung machen will, sich hingeben zu können, ohne sich bedroht zu fühlen. Also es ist eine Mischung aus schon einem Vorbehalt, dass man sich jetzt nicht in Zwangssituationen hineindrängen lassen will, aber dann reicht es auch nicht einfach, frei zu bestimmen und jetzt da vor seinem Leben zu stehen wie vor so einem Reißbrett, sondern man will Erfahrungen machen, in denen man eben, ja, überrascht wird und hingerissen ist - aber dann natürlich zum Guten. Also eine Hingerissenheit zum Guten ist für das Glück schlechterdings unverzichtbar.

    Heyer: Hingerissen sein auch zum Selbstverwirklichen? "Selbstverwirklichung", dieses Wort haben Sie ja einmal als "großes Unheil" bezeichnet. Sie stöhnen auf.

    Thomä: Ein schreckliches Wort.

    Heyer: Warum?

    Thomä: Ja, weil Selbstverwirklichung ist eigentlich eine verkappte Strategie, um sich auf möglichst kunstvolle Art vom Leben fernzuhalten. Weil einfach in dem Wort "Selbstverwirklichung" drinsteckt, dass man irgendwo in sich was hätte, so eine Art Kern, der aber bisher eben noch nicht aufgeblüht ist, und dann müssen Sie den nun suchen in sich und müssen den dann herauspäppeln und versteifen sich darauf, jetzt genau dieses Selbst zu verwirklichen, was Sie da in sich meinen begraben zu haben - und was machen Sie dann, wenn Ihnen ein netter Mensch auf der Straße begegnet und Sie dabei sind, gerade Ihr Selbst zu verwirklichen? Dann ist das nur ein Störfaktor. Also das heißt, diese Selbstverwirklichungsstrategie, die lebt von so einer Fiktion, dass wir in uns so einen Kern hätten, den wir einfach bisher nur virtuell haben, den wir aber richtig so rausposaunen wollen, und darin steckt so eine Abgrenzung gegen die Welt auch.

    Heyer: Aber gleichwohl kann jemand, der sich selbst verwirklicht hat, doch auch glücklich sein oder nicht?

    Thomä: Ich glaube, das geht nur dann, wenn eben diese Selbstverwirklichung einschließt, dass man sich noch auf die Welt einlässt, und bei vielen, die dann so nicht Magenspiegelung, sondern Selbstbespiegelung treiben, und dann eben so versuchen, das Selbst herauszufinden, bei vielen dieser Menschen fehlt dann so ein bisschen die Bereitschaft, sich einzulassen. Das Ganze kriegt dann so einen Dreh, so einen selbstgefälligen Dreh und das ist sicher keine besonders günstige Voraussetzung fürs Glück.

    Heyer: Was hat denn nun der Wert des Menschen eigentlich mit dem Glück zu tun?

    Thomä: Ja, das müssen Sie nicht mich fragen, weil ich bin da ein bisschen vorsichtig. Also es gibt einen wunderbaren Buchtitel von Leonhard Frank, der hieß, kurz nach dem Ersten Weltkrieg, "Der Mensch ist gut". Und dann hat Bertolt Brecht dieses Buch in der Hand gehabt und hat dann dazuassoziiert: "Der Mensch ist gut, das Tier schmackhaft". Und warum schmunzeln wir dann über diese Sache? Weil er mit dem Wort "gut" hadert, der gute Bertolt Brecht. Also, was genau ist dann das Gute am Menschen? Sicher nicht, dass er gut schmeckt, sondern es muss irgendwas höheres Gutes sein. Und da kommen wir dann dieser Sache mit dem Wert des Menschen auf die Spur, die was anderes sein muss natürlich auch als jetzt der Wert von Fleisch, der Wert von anderen Dingen. Und dieses Unverhandelbare am Menschen, dass er selbst Wertung vornimmt, dass er selbst überlegt, was gut und was schlecht ist, das unterscheidet den Menschen natürlich eben von den Handelswaren, mit denen er zu tun hat. Und dieses Unverhandelbare, das ist, glaube ich, dann auch die Linie, die vom Wert des Menschen zum Glück des Menschen führt. Denn, wenn wir uns jetzt überlegen, welche Erfahrungen wir glücklich nennen, dann liegt an diesen Erfahrungen auch so was Unverhandelbares. Also immer, wenn Sie überlegen könnten, na ja, vielleicht doch nicht Türkei, sondern Griechenland, vielleicht doch nicht die Berge, sondern das Meer - also immer, wenn Sie praktisch überlegen, welche Alternative ist denn nun zu bevorzugen, ist Ihnen im Grunde genommen die Erfüllung vermasselt, weil Sie praktisch in Vergleichen versacken. Und das ist dann ein relativer Wert und das Glück hat einen absoluten Wert. Und der Mensch, der ist als Quelle all der Wertungen, die wir so vornehmen, natürlich auch etwas Unverhandelbares. Also wir stellen uns jetzt nicht hin und sagen: Der Wert des Menschen ist 3,99 Mark oder 3,99 Euro.

    Heyer: Also Glück kann auch den Sinn des Lebens ausmachen und deshalb beschäftigt sich wahrscheinlich die Philosophie auch schon seit langem mit der Suche nach eben dem Glück, oder nicht?

    Thomä: Ja, "der Sinn des Lebens" ist so ein ähnlicher Begriff wie "der Wert des Menschen". Also, der Sinn des Lebens, den stellen Sie auch nicht so fest, dass Sie sich jetzt mal kurz in einen Hochsitz begeben und darüber richten, was ist denn dieser Sinn dieses Lebens, was da unten kreucht und fleucht, sondern der Sinn des Lebens ergibt sich aus Erfüllung in diesem Leben selbst, das wir führen. So wie der Wert des Lebens auch nicht von oben irgendwo festgelegt wird, sondern im Grunde an den Sachen hängt, die uns kostbar sind. Und in dem Sinne geht es immer um interne Zielsetzungen, um die Lebensentwürfe von uns, und daran hängt dann auch das Glück und der Wert.

    Heyer: "Es ist unser Glück, dass wir nicht wissen, was Glück ist", hat Hans Blumenberg einmal gesagt. Welchem Ihrer Philosophiekollegen können Sie bei der Definition von Glück denn bedingungslos zustimmen?

    Thomä: Keinem, das wäre ja schrecklich, dann könnte ich ja meinen Griffel hinlegen. Aber Aristoteles ist schon immer noch sehr gut.

    Heyer: Was hat der gesagt?

    Thomä: Aristoteles hat darauf hingewiesen, dass Glück sehr viel mit Tätigkeit zu tun hat und zwar mit einer Tätigkeit, von der man selbst erfüllt ist. Und das ist, glaube ich, ein ganz heilsames Gegengift gegen derzeit grassierende Vorstellungen vom Glück, die eben sehr stark Glück koppeln an Befriedigung, die mit Gütern zu hat. Also ...

    Heyer: Mit Geld.

    Thomä: Mit Geld. Die praktisch mit diesem kurzen Moment zu tun hat, wo wir eben den Durst nicht mehr spüren, aber das Glas noch nicht ganz leer ist.

    Heyer: Ist das das, was Sie vermuten hinter den "Geistern der Gier", von denen Sie zuletzt veröffentlicht haben?

    Thomä: Ja, das sind die "Geister der Gier" und wir müssen hoffen, dass wir sie loswerden.

    Heyer: Wie werden wir sie denn los?

    Thomä: Wir werden sie los auf zwei Ebenen: Makroebene und Mikroebene. Makroebene heißt, es gibt derzeit natürlich eine Entwicklung auf der Welt, wo wir mit dem Umschlag von Gütern an Grenzen kommen. Es ist erstaunlich, wie wenig Konjunktur die ökologische Frage hat, obwohl sie uns wahrscheinlich brühwarm serviert werden wird, in ein paar Jahren, von der Weltgeschichte. Also auf der Makroebene müssen wir uns überlegen, wo geht die Reise hin bezogen auf die Expansion von Wirtschaft, und wie kriegen wir es hin, dass wir den Umbau des Sozialstaats und diese ganzen großen Herausforderungen so hinkriegen, dass wir nicht ständig immer nur die Lösung in einem immer weiteren Wachstum sehen. Das ist die Makroebene.

    Heyer: Ja, da sind wir auf der "Heuschrecken"-Ebene, oder?

    Thomä: Ja, da sind wir auf der "Heuschrecken"-Ebene. Aber diese Makroebene, die ist natürlich immer auch oft eine Ausrede dafür, dass man auf der Mikroebene, also bei sich selbst, dann den Schwarzen Peter nicht suchen muss. Und ich denke, dass das auch schon so eine Selbstprüfung verlangt, dass wir schon uns selbst auch ein bisschen auf der Spur sein müssen: Wie laufen eigentlich unsere Glücksvorstellungen, wie verändern sich unsere Vorstellungen von Partnerschaft, wie spüren wir, dass wir im Grunde genommen - also wo liegt die Grenze zwischen Glück und Faulheit?

    Heyer: In welchen Momenten sind Sie denn, also in welchen Momenten dieser gierigen Zeiten, besonders glücklich, Sie, der Philosophieprofessor Dieter Thomä?

    Thomä: Wenn ich auf einer Buckelpiste Ski fahre, wenn ich Holz hacke, wenn ich schreibe, wenn ich küsse und wenn ich keinen Streit mit meinen Kindern habe.