Lange: Als Sie von diesem verbalen Ausfall Ihres Regierungschefs gehört haben, was ist Ihnen da als erstes durch den Kopf gegangen?
Venturelli: Das war für die Mehrheit in Italien vor allem Überraschung, aber ich glaube, ich kann nicht über meine persönliche Bewertung sprechen. Wir kennen vor allem einige Eindrücke, die wir aus unserem kleinen Mikrokosmos der Villa Vigoni kennen, die uns gute Möglichkeiten geben, Beobachtungen zu machen für beide Länder. Darüber kann ich referieren.
Lange: War das etwas, wofür sich ein guter, patriotischer Italiener geniert?
Venturelli: Nein, es gab ohne Zweifel auch diese Stimmungen, aber ich glaube nicht, dass dies eine allgemeine Stimmung in Italien war.
Lange: Wie, denken Sie, wird sich diese Geschichte auf das Ansehen Berlusconis zu Hause auswirken? Was haben Sie bisher für Reaktionen mitbekommen?
Venturelli: Heute gibt es vor allem den großen Wunsch, verallgemeinert, dass dies als ein Unfall betrachtet wird, dass dies in einem gewissen Sinn ein persönlicher Unfall sei, nicht ein Unfall, der auch die Beziehungen zwischen Italien und Deutschland oder Italien und Europa betrifft.
Lange: Diese umstrittene KZ-Äußerung, auf mich wirkte die eigentlich wie ein Reflex, etwas, worüber er gar nicht nachgedacht hat. Was sagt denn das Ihrer Meinung nach aus über die tiefer liegenden Einstellungen der italienischen Gesellschaft gegenüber den Deutschen?
Venturelli: Wir haben zum Beispiel gestern, vor allem die deutschen Mitarbeiter unseres Zentrums, mehrere Male Anrufe erhalten, wo Freunde oder Kenner sagten: Es tut uns sehr leid, dass dieses geschehen ist. Und so glaube ich, dass wir eine optimistische Interpretation geben sollen. Ich glaube, es gab den Eindruck, dass Europa uns alle betrifft, auch das tägliche Leben. Das heißt auch, dass diese Stereotypen sehr gefährlich sein können. Man muss großen Respekt füreinander haben. Ich glaube, das ist eine Stimmung, die wir auch durch unsere Gäste erhalten haben.
Lange: Auch Theo Waigel, der frühere Finanzminister, hat einmal mit einer etwas losen Zunge die italienische Seele zum Kochen gebracht. Was ist es, was da immer noch mitschwingt? Gibt es da immer noch so etwas wie Argwohn oder vielleicht Neid auf den reichen Verwandten im Norden?
Venturelli: Im Moment ist die Situation sehr verändert. In Italien gibt es natürlich auch noch den Mythos der deutschen Mark, oder dass Deutschland immer ein sehr reiches Land, ein sehr effizientes Land vor allem, war. Es gibt vor allem etwas wie Bewunderung. Jetzt ist die Situation natürlich ein bisschen verändert, jeder hat seine Probleme. Aber ich glaube, dass es diesen Neid gegenüber Deutschen nicht gibt.
Lange: Silvio Berlusconi hat sich nun wie gesagt entschuldigt. Ist die Sache damit nun aus der Welt geschafft?
Venturelli: Nein, ich glaube jetzt gibt es eine neue Phase. Man sagt, man braucht viel Weisheit und Ruhe, um diese Probleme zu überwinden. Ich glaube, dies war auch ein Kommentar der italienischen Politiker. Und dies ist eine Stimmung, die wohl auch unter der Bevölkerung herrscht.
Lange: Es gibt in Europa, Herr Venturelli, weit verbreitete Vorbehalten gegen diesen Ratspräsidenten wegen seiner Einflussnahme auf Medien und die Justiz, wegen seiner Vermischung von politischen und privaten ökonomischen Interessen. Verstehen und akzeptieren Sie diese Vorbehalte?
Venturelli: Es gibt auch in Italien eine sehr lebendige Diskussion über diese Themen, und natürlich gibt es auch in Italien eine sehr differenzierte öffentliche Meinung. Ohne Zweifel ist dieses Problem ein tatsächliches Problem, das unter verschiedenen Aspekten bewertet werden muss. Es ist kein so einfaches Rechtssystemproblem, deshalb gibt es keine so breite öffentliche Meinung. Es gibt auch in Italien sehr differenzierte Meinungen darüber. Und ohne Zweifel: Diese Beherrschung der Medien, auch in den gegenwärtigen Folgen für die Demokratie, ist auch ein Thema, das wir auch sehen und das wir in diesen Tagen wiederholt diskutiert haben.
Lange: Sollte die EU von außen Druck machen wie sie es seinerzeit bei Österreich versucht hat, um demokratische Strukturen und Substanz sichern zu helfen? Oder sollte Europa da besser schweigen?
Venturelli: Das ist eine Frage, die nicht meine Aufgabe hier als Generalsekretär betrifft.
Lange: Aber was sagt der italienische Staatsbürger?
Venturelli: Eine offizielle Position Europas, eine offizielle Stellungnahme Europas gegenüber Italien in dieser Form wie in Österreich, das könnte ohne Zweifel als nicht gut wahrgenommen werden. Das würde sofort politisch interpretiert. Das wäre ein Bestandteil der politischen Diskussion, aber es würde verallgemeinert wohl nicht so gut wahrgenommen.
Lange: In den Informationen am Morgen war das Professor Aldo Venturelli. Er ist Generalsekretär des deutsch-italienischen Zentrums Villa Vigoni. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!
Venturelli: Dankeschön!
Link: Interview als RealAudio