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Wie wollen sich die Gewerkschaften in der gegenwärtigen konjunkturellen Lage verhalten?

    Durak: Die Lage sei nicht so schlecht, wie sie dargestellt wird. Die Krise sollte man nicht herbeireden. Die Arbeitgeber sollten für eine Trendumkehr am Arbeitsmarkt sorgen und die mit den Gewerkschaften ausgehandelten Möglichkeiten ausschöpfen. Der Appell des Bundeskanzlers auf der Konferenz der Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie in Frankfurt am Main gestern. Morgen nun will er mit den Vorsitzenden der Einzelgewerkschaften und des DGB über die Wirtschaftslage sprechen und er hat die Lohnrunde auch im Blick. Zitat: "Es geht darum, sich Klarheit zu verschaffen, wohin die Reise geht und was die einzelnen Akteure zu einer wieder glücklichen Reise beitragen können", sagte Schröder. Klaus Wiesehügel ist ein solcher Akteur, Vorsitzender der IG Bau-Agrar-Umwelt. Ich habe mit ihm gesprochen und wollte wissen, was er denn und seine Gewerkschaft beizutragen hätte zu dieser glücklichen Reise?

    Wiesehügel: Das weiß ich auch nicht, was der Bundeskanzler mit diesem Ausdruck meint. Vielleicht möchte er uns ins Gewissen reden bezüglich der Ausgestaltung von Tarifverträgen, dass die einen Anteil haben, der zur Vollbeschäftigung beiträgt. Das muss man sich mal anhören. Ich bin ja auch nur informiert worden, dass er eine so schöne lyrische Ausführung gemacht hat auf dem Gewerkschaftstag der BCE. Ich bin jetzt gespannt über seine Ausführungen am Freitag.

    Durak: Gehen wir mal davon aus, Herr Wiesehügel, der Bundeskanzler meint was er sagt und will mit Ihnen auch über die Lohnrunden sprechen. Was kann denn Ihre Gewerkschaft dazu beitragen? Wir hören von der IG BCE, dass sie doch ganz vorne dabei sein will, wenn die Tarifrunde wieder beginnt.

    Wiesehügel: Zunächst einmal muss ich das sagen, was ich letzte Woche auch gesagt habe. Wir müssen als Vorstände der Gewerkschaften für unsere Tarifrunden nicht nur allein verantwortlich sein, sondern es hat auch bei uns eine tiefe Tradition, dass die Ausgestaltung der Forderungen mit den Kolleginnen und Kollegen aus den Bezirksverbänden gemeinsam gemacht wird. Ich kann zum Beispiel überhaupt nichts verabreden mit dem Bundeskanzler bezüglich der Höhe einer Lohnforderung. Das macht bei uns die Tarifkommission. Und ich bin auch nicht bereit, die demokratischen Spielregeln außer Kraft zu setzen, weil Bundeskanzler Schröder jetzt in irgendeiner Weise Signale aussenden wird. Das kommt gar nicht in Frage. Das würde ich mit keiner anderen Regierung tun und mache ich auch nicht mit ihm.

    Durak: Moderate Tarifpolitik das ist auch das, was die Arbeitgeber in dieser Lage jetzt fordern. Ist jetzt tatsächlich die Zeit für hohe Lohnforderungen, Herr Wiesehügel?

    Wiesehügel: Das ist ja auch schwierig, diese Diskussion zu führen. Sehen Sie, ich bin ein einige Male in der Vergangenheit zitiert worden mit knüppelharter Tarifrunde. Das gibt mir hier auch noch mal Gelegenheit zu sagen, wie das geht. Die Arbeitgeber in unserem Bereich haben gesagt, es gibt überhaupt nichts zu verteilen, wir haben nichts zu verteilen, das wird also auf null herauslaufen, und haben darüber hinaus angekündigt, dass die Rahmenbedingungen für das Arbeiten auch noch einer strengen Beobachtung, wie das dann aus Arbeitgeberkreisen heißt, unterlegt werden müssen. Dann habe ich denen gesagt, wenn ihr so kommt, dann richtet euch auf eine knüppelharte Tarifrunde ein, denn auch wegen schwieriger Baukonjunktur kann es nicht sein, dass es bei uns dann gar nichts gibt. Ruckzuck kriegt man dann auf einmal eine Diskussion, dass die Gewerkschaften sehr heftig mit ihren Forderungen sein werden. Ich habe in der Vergangenheit immer - und so wird es auch in diesem Jahr sein; ob man sich vorher jetzt regierungspolitisch darum kümmert oder nicht - die Konjunktur im Blick gehabt. Ich weiß genau was läuft. Ich weiß was ich den Arbeitgebern noch zumuten kann und nicht. Wir machen Tarifpolitik und ich mache seit 28 Jahren hauptamtlich Gewerkschaftsarbeit. Wir machen Tarifpolitik nicht seit vorgestern. Wir haben dieses Geschäft gelernt. Da gibt es Leute die reden darüber, die haben noch nie am Tariftisch gesessen. Die sollen vielleicht auch mal zuhören, wie solche Dinge überhaupt gehen.

    Durak: Sie haben die Lage im Blick, Herr Wiesehügel, sagen Sie, andere Leute auch. Die Wirtschaftsweisen, Wirtschaftsinstitute sagen, Deutschland steht am Rande einer Wirtschaftskrise, ist unter Umständen auf dem Weg in die Rezession. Die Bundesregierung, wieder in Gestalt des Kanzlers, aber auch anderer, die sagen, nein, wir haben keine Krise, man kann sie auch herbeireden. Wie sehen Sie denn die Wirtschaftslage?

    Wiesehügel: Da hat der Bundeskanzler Recht, wenn man das herbeiredet. Da muss ich ihn auch ausdrücklich unterstützen. Die Wirtschaftsweisen, das ist schon abenteuerlich. In der Zeit als Helmut Kohl an der Regierung war und als wir als Gewerkschaften vielleicht mal den einen oder anderen Kiensanischen Anflug hatten in unseren Forderungen haben die Wirtschaftsweisen uns verlacht, haben uns beschimpft als Dinosaurier und ewig gestrige. Jetzt haben wir eine sozialdemokratische grüne Regierung und da kommen die gleichen Herren und fordern Konjunkturprogramme, für die sie uns früher als Dinosaurier beschimpft haben. Das kann ja wohl nicht wahr sein. Die Weisheit kann ich dort wirklich nicht erkennen.

    Durak: Und wie sehen Sie die Lage?

    Wiesehügel: Die Lage ist natürlich nicht einfach. Wir haben eine Situation, die die Weisen vielleicht nicht ausdrücklich mit in ihre Unterlagen einbezogen haben. Am 11. September hat sich die Welt in der Tat verändert. Für uns ist doch jetzt überhaupt nicht in eine Prognose hineinzurechnen, wie lange wird eine Auseinandersetzung auch in Afghanistan eventuell weiter auf andere Länder sich ausdehnen und welche Auswirkungen hat das auf die Weltwirtschaftspolitik und Weltwirtschaftssituation. Denn man kann das doch nicht Beiseitereden, dass wir im Augenblick so viele Situationen haben, dass wir überhaupt nicht wissen, wie in einem halben Jahr die Situation in der Welt aussehen wird. Deswegen muss man auch jetzt nichts krisenhaft herbeireden, aber gleichzeitig als Wirtschaftsweise nicht darauf hinweisen, in welcher Situation wir sind, die eine klare Voraussage nicht möglich und nicht wirklich fair zulässt. Davon bin ich fest überzeugt, dass wir, wenn wir zum Beispiel die Situation in der Terrorismusbekämpfung relativ rasch jetzt in den Griff kriegen, wenn wir die Situation dort nicht nur entschärfen können, sondern wirklich Bin Laden in Amerika vor ein Gericht stellen können und die Amerikaner sagen, ein Großteil dessen, was wir in der Terrorbekämpfung vor hatten, ist damit erledigt, dann werden wir auch in den Wirtschaftsdaten in der Welt ganz andere Vorzeichen finden, was auch auf uns dann Einfluss hat.

    Durak: Herr Wiesehügel, die schlechtere Wirtschaftslage - und sie ist ja schlechter als vorausgesehen, wenn man die Prognosen schon auf unter ein Prozent herunterschraubt; das tut ja die Bundesregierung auch - begann ja nicht erst mit dem 11. September?

    Wiesehügel: Nein, aber die Situation hat sich natürlich verschärft. Deswegen ist es im Augenblick sehr, sehr schwierig, eine seriöse Prognose vorzulegen. Das wissen auch die Wirtschaftsweisen. Deswegen bringt das überhaupt nichts, jetzt zu sagen, das wird alles sehr schwierig, sondern ich glaube schon, dass wir auch mit nationaler Politik eine ganze Menge machen können, aber dass man wirklich beobachten muss, wie wird denn die Gesamtentwicklung sein. Ich sage Ihnen mal, schon eine geringe Veränderung im Unterschied zwischen Euro und Dollar kann erhebliche positive oder negative Auswirkungen auf unseren Arbeitsmarkt haben, weil wir sehr stark exportorientiert sind.

    Durak: Herr Wiesehügel, das inzwischen alte Instrument "Bündnis für Arbeit" ist wieder ins Gespräch gebracht worden, von Arbeitgeberseite, aber auch von anderen. Von anderen Gewerkschaften ist zu hören, das sei keine so gute Idee. Weshalb denn nicht, wenn Sie diese Meinung teilen?

    Wiesehügel: "Bündnis für Arbeit" findet doch statt. Das ist doch keine neue Idee, sondern wir haben sehr viele Gespräche im "Bündnis für Arbeit" gehabt. Nur sehr vieles von dem, was wir vereinbart haben, ist von den Arbeitgebern noch nicht geleistet worden. Man muss nicht immer wieder neue Bündnisrunden machen, um auf Arbeitgeberseite wieder neue Versprechungen abzugeben, die dann nicht erfüllt werden. Ich will jetzt endlich mal die Einschränkung der Überstunden sehen und zwar nachhaltig. Ich will eine Verbesserung in der Situation der Ausbildungsplätze sehen und zwar nachhaltig. "Bündnis für Arbeit" ist keine neue Idee, ist eine Idee, die durchaus von den Gewerkschaften eingebracht worden ist. Nur das, was von den Arbeitgebern an Zusagen eingebracht wurde, für die wir durchaus auch gemeinsame Überlegungen in der Tarifpolitik in den vergangenen zwei Jahren realisiert haben, das muss jetzt mal herüber kommen.

    Durak: Macht denn da die Politik zu wenig Druck?

    Wiesehügel: Ich denke, dass die Politik auch nur mäßigen Einfluss hat. Sie kann einfach weder die Arbeitgeberverbände noch die Gewerkschaften reglementieren oder ihnen vorschreiben. Man kann das in der Rolle des Moderators machen, und das macht Gerhard Schröder ausgezeichnet.

    Durak: Herr Wiesehügel, kurzfristige Konjunkturprogramme sind ins Gespräch gebracht worden. Die Bauwirtschaft, Ihr Baubereich profitiert kurzfristig von Bahngeldern, von umgeleiteten Bahngeldern. Ein Konjunkturprogramm soll das nicht sein, sagt Hans Eichel, sagt Herr Bodewig, aber ob man das nun Investitionsprogramm oder Konjunkturprogramm nennt kann gleichgültig sein. Was halten Sie von kurzfristigen Konjunkturprogrammen?

    Wiesehügel: Es ist ja auch wirklich kein Konjunkturprogramm, sondern es ist ein Vorziehen von Investitionen. Das habe ich auch gefordert und bin auch froh, dass das in der Weise erfolgt. Es gibt tatsächlich eine Möglichkeit, jetzt viel früher in die Planungsphase zu gehen, sehr viel früher in die Phase zu gehen, dass Investition umgesetzt wird in Arbeit und damit auch in Arbeitsplätze. Ich kann das nur begrüßen und finde gut, dass das so kommt. Wenn jetzt von geneigter Seite gesagt wird, das sei trotzdem ein Konjunkturprogramm, na bitte, dann sollen sie das sagen. Das ist und bleibt aber ein Vorziehen von Investitionen.

    Durak: Sie kriegen jetzt was, andere nicht, andere werden fordern. Zurecht?

    Wiesehügel: Was heißt "wir kriegen was"? - Es wird etwas getan, was dringend notwendig ist, und in der Bauwirtschaft ist es ja ohnehin sehr, sehr notwendig, dass wir das tun, denn es gibt keine andere Branche, in der so viel Arbeitsplätze abgebaut worden sind wie in der Bauwirtschaft. Hier sind 500000 Leute arbeitslos geworden in den letzten sechs Jahren und das ist eine gigantische Zahl. Wir haben immer noch 220000 Arbeitslose und da tut das was passiert wirklich Not. Das Problem war, dass wir Planungsprobleme haben bei der Bahn. Die Bahn kann entsprechende Investitionen, die der Haushalt und der Bundestag beschlossen hat, nicht ausreichend umsetzen. Nach dem Haushaltsrecht würde das zurückfließen in die Schuldentilgung des Finanzministers. Das ist aber nicht geplant. Investitionen sollen tatsächlich auch ausgegeben werden. Jetzt gibt es dort ein Umschalten. Das finde ich wirklich einen richtigen Schritt, den Herr Bodewig hier vornimmt.

    Durak: Sagt der Vorsitzende der IG Bau-Agrar-Umwelt, Klaus Wiesehügel. - Danke schön, Herr Wiesehügel!

    Link: Interview als RealAudio