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Wieczorek-Zeul: Schulden erlassen, Aids bekämpfen

Zum Abschluss der Weltaidskonferenz fordert Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) die Industrieländer auf, mehr Finanzmittel im Kampf gegen die Immunschwächekrankheit Aids zur Verfügung zu stellen. Beispielsweise könnten den Entwicklungsländern Schulden erlassen werden, die dann für die Bekämpfung von HIV zur Verfügung stünden. Auch müsste der Zugang zu kostengünstigen Medikamenten garantiert werden.

Heidemarie Wieczorek-Zeul im Gespräch mit Jochen Fischer |
    Jochen Fischer: An der Immunschwächekrankheit Aids sind nach jüngsten Zahlen etwa 3,1 Millionen Menschen gestorben. Von ihnen lebten alleine 2,3 Millionen, also die übergroße Mehrzahl, in Afrika. In der vergangenen Woche beschäftigte sich wieder einmal die Weltaidskonferenz mit dem Thema. Dieses Mal kamen die rund 25.000 Forscher, Ärzte, Politiker und Aidsaktivisten in Mexiko Stadt zusammen. Im Mittelpunkt standen Prävention, Zugang zu Medikamenten und Betreuung. Gestern ging die Konferenz zu Ende. Michael Castritius zieht Bilanz.

    So weit der Beitrag von Michael Castritius. Wir wissen, was wir tun müssen, wir tun es bloß nicht - eine ernüchternde Bilanz. Mitgehört hat Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul. Guten Morgen.

    Heidemarie Wieczorek-Zeul: Guten Morgen.

    Fischer: Stimmen Sie denn dieser Analyse des Kollegen zu?

    Wieczorek-Zeul: Die Frage ist, wer ist wir. Ich meine, es ist ja, Sie haben das ja...

    Fischer: Deutschland zum Beispiel.

    Wieczorek-Zeul: Wir nehmen unsere Verantwortung wahr. Ich wollte jetzt nicht gleich damit noch mal einsteigen. Ich glaube, es geht um die Nachhaltigkeit, dass uns klar ist, dass das eine jahrelange, wenn nicht jahrzehntelange Aufgabe ist und dass man da nicht nachlassen darf auch unter veränderten Bedingungen, und vor allen Dingen dass all die Punkte angepackt werden, die auch eben in dem Beitrag deutlich gemacht werden.

    Es geht um die Veränderung von Denken und Fühlen zum Teil in Ländern, in denen Menschen diskriminiert werden. Es geht darum, Zugang zu den Familienplanungsmöglichkeiten, zu Kondomen zu haben, Prävention zu betreiben. Es geht darum, die Rolle von Frauen zu stärken, denn sie sind die, die am stärksten betroffen sind. Es geht zum Beispiel, das war einer der Punkte jetzt auch auf der Konferenz, darum, dass die Gesundheitssysteme so ausgebaut werden, dass Menschen mit den Medikamenten auch erreicht werden. Also das ist der Punkt. Und es braucht mehr Geld und mehr Finanzmittel, vor allen Dingen auch den Zugang zu kostengünstigen Medikamenten. Das ist die große Herausforderung. Und wir, das glaube ich, kann ich doch sagen, auch wenn ich immer mehr Mittel in dem Bereich mobilisieren möchte, wir nehmen unsere Verantwortung sehr, sehr ernst.

    Fischer: Es gibt dieses Millenniumsziel, bis 2010, dass alle Zugang zu den Medikamenten haben sollten, bislang sind es etwa ein Drittel. Da wird die Zeit aber knapp. Wie will man das denn noch schaffen?

    Wieczorek-Zeul: Erstens ist das der eine Punkt, das Zweite, das Millenniumsziel heißt, bis zum Jahr 2015 die Ausbreitung von Aids einzudämmen und zu stoppen. Also natürlich geht es darum, deshalb ist der globale Fond zur Bekämpfung von HIV, Aids, Malaria und Tuberkulose ja eingerichtet worden, der nun ganz gezielt diese Aufgaben wahrnimmt, die wir eben besprochen haben.

    Der hat bisher sieben Milliarden Euro mobilisiert, der hat zwei Millionen Menschen das Leben gerettet. Aber es geht darum, wirklich diese Maßnahmen in großem Umfang zu finanzieren. Das ist einer der Punkte, warum ich vorgeschlagen habe, dass andere Industrieländer auch das machen, was wir als Bundesregierung machen und als Ministerium für Entwicklung. Wir erlassen Schulden für Entwicklungsländer, aber unter der Bedingung, dass zum Beispiel der neue Finanzspielraum dem globalen Fond und der Bekämpfung von HIV, Aids, Malaria und Tuberkulose zur Verfügung gestellt wird. Zum Beispiel haben wir das gegenüber Indonesien gemacht.

    Fischer: In diesen Fond zahlt ja Deutschland bis 2015, wenn ich das richtig gelesen habe, 2,5 Milliarden US-Dollar ein. Kritiker sagen, das ist insgesamt immer noch zu wenig. Wann gibt es denn mehr?

    Wieczorek-Zeul: Na ja, wie gesagt, es ist immer notwendig, dass mehr finanziert wird, aber wir geben insgesamt in einem Haushaltsjahr rund 500 Millionen Euro und haben auch innerhalb der G8 zugesagt, dass wir bis zum Jahr 2015 rund 4 Milliarden Euro insgesamt zur Verfügung stellen.

    Das ist schon ein sehr großer Betrag, davon ist ein Teil für den globalen Fond, aus den Maßnahmen, die Sie eben mitgenannt haben, das andere ist über die bilateralen Maßnahmen oder auch andere multilaterale Programme. Also man muss den gesamten Rahmen sehen.

    Aber noch einmal, ich will überhaupt nicht darüber streiten, wir brauchen alle, wir die Industrieländer, die Entwicklungsländer, wir brauchen mehr Aufmerksamkeit in den Fragen und dürfen einfach nicht nachlassen.

    Fischer: Sehen Sie eigentlich die Gefahr, die in dem Beitrag auch schon angesprochen worden war, dass kommende Generationen bei uns im reichen Europa Aids für eine afrikanische Krankheit halten könnten, die mit ihnen nichts mehr zu tun hat?

    Wieczorek-Zeul: Ja, das ist schon so. Der große Vorteil, der darin besteht, dass man eben heute Medikamente hat, die es ermöglichen, dass man unter den Bedingungen auch entsprechend besser leben kann, die machen das natürlich deutlich.

    Fischer: Wie kommen diese Medikamente an diejenigen in Afrika, die sie brauchen?

    Wieczorek-Zeul: Also das geht im Prinzip folgendermaßen vor sich, über den sogenannten globalen Fond, wenn wir andere Fragen beiseite lassen. Die Länder stellen ihre Anträge gegenüber dem globalen Fond, und der globale Fond entscheidet über die entsprechenden Programme. Die Programme werden selbst in den Ländern mit der Zivilgesellschaft diskutiert, mit den Koordinierungsgremien entsprechend diskutiert und dann vergeben. Oder sie werden bilateral, wie zum Teil durch die amerikanische Regierung bilateral finanziert.

    Und dabei ist eben das wichtige, dass sozusagen die Interessen von Frauen wirklich berücksichtigt werden erstens, denn in den Koordinierungsgremien sind manchmal die Männer diejenigen, die das sagen haben, und da sind dann auch die Programme entsprechend. Und vor allen Dingen dass in den Ländern die Menschen auch zur Verfügung stehen, die ausgebildet sind, dass sie eben nicht abgeworben werden nach Großbritannien, Frankreich oder auch nach Deutschland, sondern dass Ärzte, Krankenschwestern zur Verfügung stehen, und vor allen Dingen dass die Gesundheitssysteme so aufgebaut sind. Und das ist ein Punkt, der doch sehr deutlich auf der Konferenz in Mexiko geworden ist. Denn die ganzen Finanzen können ja nur dann wirken und die Medikamente können ja nur dann wirken, wenn die Menschen auch erreicht werden.

    Fischer: Forschung braucht höhere Budgets. Es gibt immer noch keinen Impfstoff, kein Medikament, um die HI-Infektion zu verhindern. Müsste man jetzt nicht wirklich klotzen, statt immer mehr Konferenzen abzuhalten?

    Wieczorek-Zeul: Ich muss sagen, ich finde diese Konferenzen trotz allem ganz extrem wichtig. Das ist ja auch aus dem Bericht, den wir vorhin gehört haben, deutlich geworden. Es ist einfach die Vernetzung, die Kenntnisnahme, die weiteren Informationen, die da notwendig sind, und auch die Aktivisten, die anschließend in ihren Ländern ermutigt gegen Diskriminierung vorgehen. Also ich würde die nicht gering schätzen.

    Das sind keine Konferenzen, jetzt die Welt-Aids-Konferenz, auf denen Beschlüsse gefasst werden. Aber sie sind wichtig, um einfach das globale Netzwerk zu stärken, weiter zu entwickeln, das notwendig ist, damit dieser Kampf gegen Aids gelingt. Und ich finde, es gibt ganz wenig Wichtigeres, als eben diesen Kampf, darum, Menschenleben zu retten, zu verhindern, dass Kinder sterben, zu verhindern, dass Kinder als Aidswaise groß werden, sondern dass sie Eltern haben, die leben können, die sich um sie kümmern können.

    Fischer: Eine Frage zum Schluss, Frau Wieczorek-Zeul. Es wird ja mit Hochdruck an Impfstoffen geforscht. Gesetz den Fall, es gelänge in Deutschland ein solches Mittel zu entwickeln, könnten Sie garantieren, dass es den betroffenen Menschen in den Entwicklungsländern gleichzeitig mit uns in Europa zu Verfügung stünde?

    Wieczorek-Zeul: Ja, ganz eindeutig.

    Fischer: Ganz eindeutig ja, Bundesentwicklungsministerin Wieczorek-Zeul im Deutschlandfunk, vielen Dank dafür.

    Wieczorek-Zeul: Bitte sehr.