Freitag, 19. April 2024

Archiv


"Wieder unsensible Entscheidung"

"Man hätte auch die lange diskutierte Verlegung in einen zweiten Saal oder in einen größeren Saal in Betracht ziehen können", sagt Martin Wenning-Morgenthaler, Sprecher des Bundesvorstands der Neuen Richtervereinigung. Mit dem Losverfahren sei weiterhin das Interesse der Öffentlichkeit beschnitten.

Martin Wenning-Morgenthaler im Gespräch mit Sandra Schulz | 20.04.2013
    Sandra Schulz: Und darüber wollen wir in den kommenden Minuten sprechen mit Martin Wenning-Morgenthaler, Sprecher des Bundesvorstands der Neuen Richtervereinigung, und jetzt am Telefon. Guten Morgen!
    Martin Wenning-Morgenthaler: Schönen guten Morgen!

    Schulz: Hat das OLG München eine kluge Entscheidung getroffen?
    Wenning-Morgenthaler: Meines Erachtens ist es keine kluge Entscheidung gewesen, sondern eine rechtlich zulässige, aber erneut wieder unsensible Entscheidung. Denn man hätte eben auch die lange diskutierte Verlegung in einen zweiten Saal oder in einen größeren Saal in Betracht ziehen können. Hiermit beschneidet man jedenfalls wieder das Interesse der Öffentlichkeit, mit dieser Verfahrensweise. Und dadurch wird es eben, wie Sie es schon in der Anmoderation gesagt haben, weitere Diskussionen geben über die, die jetzt hinten herunterfallen.
    Schulz: Das heißt, mit einer neuen Zurechtweisung aus Karlsruhe rechnen Sie jetzt erst mal nicht?
    Wenning-Morgenthaler: Damit rechne ich nicht, weil es jetzt jedenfalls den üblichen Verfahrensweisen – sei es der Kachelmann-Prozess, sei es der sogenannte Holzklotz-Autobahnmord in Niedersachsen oder welche Verfahren auch immer –, diese Kontingentgeschichten sind die, die typischerweise in den räumlich begrenzten Sälen angegangen werden.

    Schulz: Aber sind zum Beispiel freie Journalisten faktisch ausgeschlossen? Ist das okay?
    Wenning-Morgenthaler: Nein, das ist meines Erachtens nicht okay. Aber ich muss ja, damit das Bundesverfassungsgericht eingreift, einen Verfassungsverstoß feststellen. Und nicht jede Beschränkung und jede Beeinträchtigung ist sofort gleich ein Verfassungsverstoß.

    Schulz: Aber es gibt ja – ich habe es gerade schon angesprochen – diese verschiedenen Kontingente. Müssen die nicht rechtlich auch noch mal vom Bundesverfassungsgericht überprüfbar sein?

    Wenning-Morgenthaler: Aber wahrscheinlich nicht in einem Eilverfahren. Das mag im Nachhinein dann irgendwann in dem Hauptsacheverfahren festgestellt werden, aber dass jetzt eklatant gegen Grundrechte verstoßen wird, kann ich in dieser Verfahrensweise nicht feststellen.

    Schulz: Was wäre aus Ihrer Sicht jetzt aus Münchener Perspektive die beste Entscheidung gewesen?

    Wenning-Morgenthaler: Die beste Entscheidung aus meiner Sicht – wobei vielleicht eingangs noch gesagt werden sollte, kein Richter und keine Richterin in Deutschland möchte, glaube ich, im Moment mit der Strafkammer tauschen –, aber die beste Lösung aus meiner Sicht wäre nach wie vor die Videoübertragung in einen anderen Saal oder in einen zweiten Saal, weil da eben eine viel größere Transparenz des Verfahrens ermöglicht werden könnte. Die Einwände, die dagegen erhoben worden sind in den letzten Wochen, dass gesagt wird, der vorsitzende Richter hätte dann nicht mehr die Aufsicht über diesen Saal, ist meines Erachtens vorgeschoben. Journalisten würden glaube ich keine Tumulte entfachen. Und selbst wenn es da Probleme geben würde, könnte man auch einen Justizwachtmeister oder mehrere in diesen Saal stellen, die dann eine Kamera zuschalten, sobald es Probleme gibt, damit der vorsitzende Richter dann eben auch die Sicht in diesen zweiten Saal hätte. Also, das wäre der richtige Weg gewesen.

    Schulz: Aber die erste Priorität in München scheint es ja zu sein sozusagen, ein – oder wie es immer wieder heißt – revisionsfestes Urteil zu machen. Und das ist ja bei dieser Videoüberwachung nun sehr umstritten. Wie weit müssen die Zweifel da auch Einfluss haben?

    Wenning-Morgenthaler: Ja, das sehe ich bislang eigentlich nicht. Ich habe jetzt versucht, das mal ein bisschen genauer aufzuklären. Es gibt einen einzelnen juristischen Kommentar, der sagt, so was ist zweifelhaft. Aber alle Kommentatoren, egal ob es jetzt Verfassungsrichter gewesen sind, Professoren oder einfach andere Fachleute, haben in der letzten Zeit niemals da einen wirklichen Verstoß gegen diesen Paragraf 169 des Gerichtsverfassungsgesetzes gesehen, wo es ja nur um die öffentliche Vorführung von Gerichtsverhandlungen geht. Und eine öffentliche Vorführung – so ähnlich wie Public Viewing oder so – ist das ja nun weiß Gott nicht!

    Schulz: Und jetzt hat sich München ja auch nicht für diese Variante entschieden, sondern eben wie gesagt fürs Losverfahren. Es wird jetzt also absehbar Medien geben, die schon mal einen Platz hatten in der Runde eins, die dann künftig keinen Platz mehr haben werden. Das Erfordernis der Öffentlichkeit ist dann aber trotzdem gegeben?

    Wenning-Morgenthaler: Das Erfordernis der Öffentlichkeit ist gegeben, weil in jedem Gerichtssaal habe ich eine beschränkte Zahl von Plätzen. Und da ist es ja immer so, dass, wenn großer Andrang ist, nicht alles oder nicht von jedem das Interesse befriedigt werden kann. Deswegen muss man irgendwelche Sortierkriterien haben, nach denen der Zugang da gewährleistet wird. Ich kann nicht immer sagen, wir müssen in einen größeren und noch größeren und noch größeren Saal gehen, weil das dann irgendwann eben auch natürlich auf der anderen Seite die Rechte der Angeklagten beeinträchtigt. Und dazwischen muss ja immer das Gericht dann doch einen angemessenen Ausgleich finden.

    Schulz: Jetzt beschäftigt der Streit ums Verfahren, um die Platzvergabe uns ja schon seit Wochen. Wie belastet ist der Prozess als solcher?

    Wenning-Morgenthaler: Der Prozess als solcher ist, solange in der Öffentlichkeit diese Aspekte weiter diskutiert werden, natürlich sehr belastet. Und es wird jeder noch so kleine Verfahrensschritt unter massiver Beobachtung stehen und wieder hinterfragt werden. Ich fände es dringend wichtig, dass man sich wieder den Inhalten des Verfahrens zuwendet, weil alles andere völlig unverhältnismäßig wäre. Ich denke, es ist jetzt den Interessen der Öffentlichkeit, dass wirklich die verschiedenen betroffenen Gruppen und beteiligten Gruppen Zutritt zu dem verfahren haben, gewährleistet. Und deswegen muss man weg von dieser Formaldiskussion hin zu den Inhalten wieder.
    Schulz: Ja. Die wir aber ja führen! Stößt der Rechtsstaat da an seine Grenzen oder ist das jetzt wirklich nur ein Problem eines einzelnen Gerichts, das der ein oder andere für weltfremd halten mag?
    Wenning-Morgenthaler: Nein, es ist eigentlich die ... Ich würde es jetzt nicht neue Zeit nennen oder so, aber im Medienzeitalter ist es nur mal so, dass viel mehr Wert auf Öffentlichkeit und auf öffentliche Darstellung gelegt wird und alles auch viel schneller um die Welt jagt, wie man in Boston ja nun gerade sehen konnte. Und deshalb ist es wichtig, dass auch da sich Justiz insgesamt als Apparat noch mal – und auch der Gesetzgerber – hinsetzt und überlegt, ob die Regeln, die heute existieren, wirklich noch zeitgemäß sind. Wenn man an den Auschwitz-Prozess beispielsweise zurückdenkt, da wurde es mit einem größeren Saal, mit einem sehr großen Saal dann am Ende ermöglicht, dass die Öffentlichkeit angemessen beteiligt wird. Und im Medienzeitalter muss man vielleicht auch da mal über neue Wege nachdenken.
    Schulz: Die Sicht von Martin Wenning-Morgenthaler von der Neuen Richtervereinigung, hier im Deutschlandfunk in den "Informationen am Morgen". Danke Ihnen!
    Wenning-Morgenthaler: Gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.