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Wiederaufbau im Ahrtal
60 Prozent der Handwerker selbst Flutopfer

Rund 10.000 Häuser im Ahrtal sind zerstört oder schwer beschädigt. Alle hoffen auf Strom, Heizung und fließendes warmes Wasser. Doch örtliche Handwerks-Betriebe zählen selbst zu den Flutopfern. Sie schafften maximal 20 Prozent der Aufträge, laut Handwerkskammer Koblenz. Eine neue Plattform soll nun anreisende Handwerker an Kunden vermitteln.

Von Anke Petermann | 13.08.2021
Dachdecker arbeiten an einem der Häuser, die von der Flutkatastrophe beschädigt worden sind.
Dachdecker in Rheinland-Pfalz arbeiten an einem der Häuser, die von der Flutkatastrophe beschädigt worden sind. (dpa)
Torsten Ackermanns lehnt mit angezogenen Knien erschöpft an einer Hauswand und schnauft durch. Hochwasserzerstörte Zählerkästen zu erneuern, ist in diesen Tagen sein Job. Dafür hat ihn ein Elektro-Unternehmen in Lahnstein abgeordnet, eine knappe Auto-Stunde südöstlich von seinem Einsatzort in Bad Neuenahr. Warum einen Monat nach der Extremflut immer noch nicht alle Strom haben? Weil es Haus für Haus mühevolle Kleinarbeit ist, weiß Ackermanns.
"Die ganzen Einheiten müssen rausgenommen werden, die Sicherungen, die im Wasser gestanden haben, die Zuleitungen müssen abgeklemmt sein, es muss alles vorher stromlos gemacht sein, wir tauschen alles aus."
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Die Schäden durch die Hochwasserkatastrophe sind enorm. Der Wiederaufbau in den betroffenen Gebieten wird so viel Geld kosten, dass Kommunen und Landkreise damit überfordert sind. Bund und Länder haben nun Soforthilfen beschlossen, außerdem ist ein Aufbaufonds geplant. Ein Überblick.
Ob nach getaner Arbeit Strom tatsächlich fließt, liegt nicht allein in der Hand des Elektrikers: "Von uns aus, wenn ich fertig bin, heute. Das kommt auf den Energieversorger an, wann die das zuschalten, da sind die Stadtwerke zuständig."
Die sind dabei, die Netze zu reparieren. Täglich oder für einen längeren Zeitraum anreisende Handwerker sind im Ahrtal dringend gefragt - auch im Heizungs- und Sanitärbereich. Denn 60 Prozent der örtlichen Firmen gehören selbst zu den Opfern der Wassermassen. Wie der Familienbetrieb von Frank Wershofen und seinem Bruder.
"Bei uns so: wir haben mit der Wershofen GmbH einen Totalschaden erlitten. Im Moment ist es so, dass wir den Hauptschmutz raus haben, die Feinarbeiten müssen noch gemacht werden. Aber ich bin froh, dass wir schon wieder 4,5 Kundendienstautos draußen haben, die den Leuten helfen können, Wasseranschlüsse herrichten, Heizungsanlagen demontieren."

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Vorsicht vor falschen Handwerkern und Erpressern

Dabei war die Heizungs- und Sanitärfirma schon vor dem Extrem-Hochwasser komplett ausgebucht. Nicht betroffene Kunden bittet Wershofen um Aufschub, die meisten haben Verständnis dafür, dass jetzt erstmal den Flutopfern geholfen wird. "Zunächst mal muss sichergestellt sein, dass die Leute es im Winter warm haben, dass sie Wasser und Strom haben, ist erstmal das allerallerwichtigste."
Schon sind laut Auskunft der Handwerkskammer erste Verzweifelte auf Betrüger hereingefallen. Auf Erpresser, die Anlagen im Keller rausreißen und verunsicherten Bewohnern Wucherpreise abknöpfen wollen. Das sind zwar Einzelfälle, aber auch fachgerecht installierten Provisorien werden zum Problem. Wie stromfressende Durchlauferhitzer, die das eben erst wiederhergestellten Netz kollabieren lassen.
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Solide Handwerker und nachhaltigen Lösungen sind also gefragt. Doch die örtlichen Betriebe im Ahrtal, so kalkuliert die Handwerksammer Koblenz, schaffen nur 10, 20 Prozent der Aufträge, die in rund 10.000 beschädigten Häusern abzuarbeiten wären. Den restlichen Anteil müssten Firmen aus ganz Deutschland übernehmen.
"Die müssen allerdings auch irgendwo untergebracht werden, wie haben ja keine Hotels mehr hier", sagt Frank Wershofen. Neben seinem Firmensitz mit dem überschwemmten Lager und der zerstörten Bäderausstellung musste ein Gebäude abgerissen werden. "Deswegen überlegen wir, ob wir den Platz neben uns umbauen können und da ein Container-Dorf hinstellen. So dass die Leute hier schlafen, duschen können, das ist ja auch wichtig. Wir können sie ja nicht im Auto schlafen lassen."
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Vermittlungs-Plattform für Aufbauhelfer

Was die Engagiertesten in der Anfangszeit durchaus getan haben. Die Handwerkskammer Koblenz, kurz HWK, will bei der Unterbringung assistieren und dafür sorgen, dass anreisende Handwerker im Großhandel das Material bekommen, das sie brauchen.
Einschließlich der fürs örtliche Handwerk üblichen Rabatte, so HWK-Hauptgeschäftsführer Ralf Hellrich: "Sodass sie auch zu konkurrenzfähigen Preisen anbieten können. Sodass der Handwerker, der zu uns kommt, auch wirtschaftlich arbeiten kann."
Damit anreisende Handwerker und Kunden sich finden, hat die Handwerkskammer Koblenz unter baut-mit-auf.de eine Vermittlungs-Plattform installiert.
"Die Plattform macht es dem Handwerksbetrieb einfach zu sagen, ich bin bereit, sagen wir mal, im Oktober zwei Wochen an die Ahr zu kommen. Ich bin ein Sanitär-Heizungs-Unternehmen und kann Heizungen einbauen, Gas- und Wasserleitungen legen. Dazu habe ich drei Mann und hier ist mein Portfolio."

Keine Extra-Gewinne im Ahrtal möglich

Der Kunde kann und sollte über die Plattform buchen, damit die Betriebe nicht wie bislang unter dem Ansturm von Anrufern zusammenbrechen. Unternehmern, die für ein paar Wochen eine "Ambulanz" im Ahrtal betreiben, winken allerdings keine Boni, stellt Hellrich klar.
"Nein, es nicht so, dass man hier stärkere Erlöse als zuhause erzielen kann. Das ist definitiv nicht der Fall. Man kann eine Wirtschaftlichkeit herstellen, auch wenn man Übernachtungskosten und Anfahrten hat, das lässt sich sicherlich rechnen. Aber man kann nicht sagen, dass man hier wesentlich höhere Erlöse erzielt. Es geht um die Menschlichkeit."
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