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Wiederaufbau in Syrien
Warten auf den Frieden

Im achten Jahr tobt der Bürgerkrieg in Syrien. Das Land ist zerstört. Abseits vom Schlachtfeld bereiten syrische Wissenschaftler den Tag vor, an dem der Friede beginnt. Dann hängt alles davon ab, wie gut der Wiederaufbau gelingt, und dafür braucht es durchdachte Pläne.

Von Anneke Meyer | 25.11.2018
    Ein durch Bomben zerstörter Wohnblock in Homs, Syrien im Mai 2014. Soldaten stehen vor der Ruine. Bäume säumen die Straße
    Der Bürgerkrieg hat die syrischen Städte zerstört. Die Bevölkerung vertrieben. Hunderttausende wurden getötet. (imago/Xinhua)
    März 2011 in Daraa, eine Stadt im Südwesten Syriens. Demonstranten ziehen durch die Straßen. "Assad hau ab", skandiert die Menge. Der Arabische Frühling hat Syrien erreicht. Achtzehn Monate später brennt in Aleppo der historische Basar, Unseco Weltkulturerbe. Jeden Tag werden Menschen getötet. Es ist Krieg. Immer noch.
    "Erstmal ich habe hier gewohnt in Al Schuhada. Ich war hier genau in diesem Gebäude. Hier hatten wir schon einen Park auch für die Kinder, hier spielen." Der Stadtplan von Aleppo. Im Großmaßstab auf Google Maps lassen sich die einzelnen Häuser gut erkennen. "… die Arbeit ist nicht so weit. Das ist hier, das ist die Universität."
    Vier Jahre war Hussein Almohamad Professor für Geographie an der Universität Aleppo. Er zeigt noch einmal auf den Häuserblock in der Nähe der Uni. "Diese ist hier nicht zerstört…" und zoomt dann weiter aus der Karte heraus, bis auch der Stadtrand zu sehen ist. Er deutet auf eine Siedlung südwestlich vom Zentrum. "Aber ich habe eine andere Wohnung gekauft … es steht hier, und ist leider zerstört. Ja wir haben alles und dann haben wir alles verloren, aber Hauptsache wir sind gesund. Familie ist hier."
    Er lächelt strahlend und sieht dabei ernst aus. Eigentlich wollte er Syrien trotz des Krieges nicht verlassen. Dann kam die Einberufung zum Armeedienst. "Ich habe gesagt, ich mache das nicht, wegen die humanitäre Gründe. Ich kann nicht andere schießen und deshalb ich kann nicht so bleiben in Syrien. Es tut weh, gerne ich will weiter aber ich kann nicht."
    Seit 2014 lebt er mit seiner Familie in Gießen. Wieder, denn hier hat er vor zehn Jahren auch seine Doktorarbeit gemacht.
    "Danach war der Kontakt zu ihm an seiner Uni in Syrien an der Universität von Aleppo immer intensiv. Vor allem wenn wir auf Exkursion waren in Syrien." sagt Andreas Dittmann, Professor für Geographie an der Justus-Liebig Universität Gießen. "Und nach Ausbruch des Bürgerkriegs kam dann natürlich die Frage auf, wie man Wissenschaftler in Gefahr hier unterbringen kann."
    Mit Unterstützung der Universitätsleitung organisiert Andreas Dittmann Geld, um seinem syrischen Kollegen eine Gastprofessur zu finanzieren. Für Hussein Almohamad die Chance, der er es verdankt, dass er nicht in einem Flüchtlingslager in der Türkei auf das Ende des Kriegs warten muss, sondern etwas tun kann.
    "Ich will gerne etwas machen für meine Heimat… wie kann man auch wiederaufbauen Syrien." sagt er.
    Andreas Dittmann fügt an: "Jetzt wissen wir nicht wann der Krieg in Syrien mal vorbei sein wird. Nur bis dahin wollen wir nicht die Hände in den Schoß legen und abwarten, sondern schon mal vorplanen, was man vorher schon hier, vom relativ sicheren Dienstschreibtisch aus, tun kann."
    Aufbauarbeit am Dienstschreibtisch
    Mit ein paar Mausklicks wechselt Hussein Almohamad zu einem Stadtplan der Aleppo als eine Ansammlung aus schwarzen Kästchen und weißen Strichen darstellt. In einer Seitenleiste kann man verschiedene Ebenen auswählen, mit denen sich farbige Markierungen auf die Karte legen lassen: öffentliche Grünanlagen.
    "Wir arbeiten momentan über die public green spaces in Aleppo. Wie waren die green spaces in Aleppo vor dem Krieg. Wie gut war die Erreichbarkeit, verschiedene Ebenen von den Parks: Pocket Park, City Park, Neigbourhood Park und so weiter. Das braucht es zum Beispiel, weil, das ist wichtig nach dem Krieg, dass Leute nach dem Krieg wieder treffen, wieder diskutieren, wieder Erholung und auch feiern zusammen und das ist … so können sie diesen Krieg vergessen. Und, wir schauen mal wie ist Erreichbarkeit vor dem Krieg und was fehlt. "
    Anneke Meyer: "Das ist jetzt die Situation vor dem Krieg?"
    Almohamad: "Genau!"
    Anneke Meyer: "Können sie die Farbkodierung erklären?"
    Hussein Almohamad: "Das ist hier die Farbe ist wie sagen diese bisschen grün das ist wo ist Pocket-Park und die andere ist wo ist diese blau ist diese Erreichbarkeit, das ist ungefähr entfernt 150 Meter…"
    Weiter sollte man es zu einem Fleckchen Grün in einer ideal geplanten Stadt nicht haben. Die blauen Felder, die das Einzugsgebiet solcher Mini-Parks markieren, sprenkeln sich allerdings längst nicht flächendeckend über das Vorkriegs-Aleppo. Die allermeisten liegen links auf der Karte im Westen der Stadt. Auch die größeren Parks, zu denen man etwa für einen Nachmittagsausflug länger unterwegs sein kann, liegen hauptsächlich im Westen.
    Anneke Meyer: "Aber da sieht man ja schon, dass auch vor dem Krieg viele Leute keine Parks hatten, wo sie mal eben schnell hin gehen konnten. "
    Hussein Almohamad: "Ja, genau, das ist Ostteil so ungefähr haben schon für den Pocket-Park nur zwischen null bis fünf Prozent. Im Westen 15%. Andere zum Beispiel Neigbourhoodparks Erreichbarkeit in Altstadt und östliche Teil so ungefähr 20%, in Westteil bis 40-50%. Im östlichen Teil der Stadt zum Beispiel wir sehen hier gibt es ein Viertel, gibt es kein Garnichts."
    Im Westen lebt die wohlhabende Mittelschicht, im Osten der Stadt sammeln sich die Armen. Ein Problem, das sich in den Jahren vor dem Krieg massiv verschärft. Syriens Wirtschaft ist traditionell landwirtschaftlich geprägt. Missernten lösen eine Landflucht aus. Gleichzeitig will die Regierung die Wirtschaft modernisieren. Die soziale Schere geht immer weiter auf und die Armenviertel wachsen rasant. Nicht nur in Aleppo, sondern überall in Syrien. Nährboden für den Bürgerkrieg.
    Ein schlecht geplanter Wiederaufbau würde mit einiger Sicherheit alte Konfliktherde neu befeuern. Hussein Almohamad wünscht sich, dass es anders kommt.
    "Die Leute, die denken das Land gehört Regierung und gehört nicht sich selber. Und das ist Problem."
    Eine Art Marshal Plan für Syrien
    Seit er wieder in Deutschland ist, ist er zum Sammler geworden. Er sammelt Kontakte, die beim Wiederaufbau Syriens helfen könnten. Anfangs waren es andere Geologen, vor allem Syrer. Verbunden durch ein stetig wachsendes Netzwerk: S.I.G.N., kurz für "Syrian International Geography Network". Inzwischen gehören dazu auch Architekten, Geologen und Agrarwissenschaftler, Studenten, Professoren, Forscher aus aller Welt.
    Der Traum: eine Art Marshal Plan für Syrien. Fürs erste ist Hussein Almohamad aber schon zufrieden, dass überhaupt miteinander gesprochen wird, denn die Syrer sind auch im Exil tief gespalten.
    "Ja, das ist sozusagen schwierig, weil, es ist Bürgerkrieg in Syrien. Krieg und ... Gesellschaft auch zerstört. Und das ist so Probleme, wie wann man die alle Leute von verschiedene Ebenen, von verschiedene politische Richtung wieder treffen und sitzen?"
    Fast andächtig geht Hussein Almohamad die verschiedenen Ebenen seines Stadtplans durch. Seine Informationen bekommt er aus Satelliten Bildern, durch Amateur-Videos, die Augenzeugen ins Internet stellen und von ehemaligen Studenten, die noch in Aleppo sind. Von ihnen weiß er, dass der große Stadtpark im Zentrum immer noch voller Menschen ist. Sie genießen dort ein Stück Normalität, das es anderswo kaum noch gibt.
    "Zum Beispiel in Salaheddine oder in Saif-al-Dawla Viertel gibt es zwei oder drei Parks, kleine, für die Neigbourhood, ist ein Friedhof. Jetzt momentan. Gibt‘s kein Platz und die Krieg … und ist Friedhof geworden."
    Zerstörte Kulturgüter und brennende Felder
    Sommer 2015. Die Welt blickt auf Palmyra. Unbeachtet von der Weltöffentlichkeit brennen rund 200 Kilometer nördlich, zwischen Aleppo und Idlib, die Felder.
    "Die Brandfläche habe ich vor Ort gesehen. Und ich habe gesehen, wie das Feuer sich zwischen Olivenbäume weiter verbreitet - als ich war zufällig mit dem Auto durch die Felder gefahren und ich hab das vor Ort gesehen."
    Wahib Sahwan ist damals Geologe an der Universität Aleppo. Genau wie Hussein Almohamad hat er in Deutschland promoviert und den Kontakt gehalten. Als die Lage in Aleppo immer schlimmer wird, bieten ihm Kollegen der Universität Erlangen-Nürnberg an, nach Deutschland zu kommen. Seine Familie will erst nicht. Er auch nicht. Dann gehen sie doch.
    "Diese Fotos habe ich drei Tage vor meiner Reise aufgenommen. Und die anderen Fotos sind von dem gleichen Feld nach militärischen Operationen."
    Als er im Herbst 2015 in Erlangen ankommt, kontaktiert ihn Hussein Almohamad und lädt ihn zu einem Treffen des S.I.G.N Netzwerk ein. Sofort muss Wahib Sahwan an die niedergebrannten Felder denken. Sein Vater ist Bauer. Und auch als Geologe hat er sich immer mit landwirtschaftlichen Themen beschäftigt.
    "Diese Fotos habe ich auch von dem Feld aufgenommen 2015 im Januar. Das Gebiet war so schön und später ist so geworden. Ich kenne die Bauern und die unter diesen negativen Einflüssen leiden und ich kenne das Gebiet, weil ich aus der Gegend bin. Deshalb habe ich gesagt, ich werde auf Satellitenbildern gucken, was man sehen kann."
    Fernerkundung ist eines seiner Spezialgebiete. Normalerweise kartiert er mit dieser Methode Niederschlagsmengen oder Bodentypen. "Und habe ich diese Brandfläche ermittelt, damit man später diese Daten nutzen kann um diese Probleme zu beseitigen."
    Schadensabschätzung ist der erste Schritt für den Wiederaufbau. Und der Wiederaufbau der Landwirtschaft ist für die Menschen mindestens so wichtig wie der der Städte: Vor dem Krieg lebt die Hälfte der Syrer auf dem Land. Gut ein Viertel der arbeitenden Bevölkerung verdient ihr Geld auf den Feldern. Bis Ende der 90er Jahre ist Landwirtschaft die wichtigste ökonomische Stütze des Landes. Noch 2001 macht sie 27% des Bruttoinlandprodukts aus. Doch dann wendet sich das Blatt. Über Jahrzehnte hat intensive, nicht nachhaltig geplante Landwirtschaft den Grundwasserspiegel sinken lassen. Mehrere heiße, extrem trockene Sommer verschärfen die Wasserknappheit. Die Regierung streicht Subventionen und der Ölpreis steigt so hoch, dass viele Bauern ihre Wasserpumpen nicht mehr betreiben können. Im Jahr 2011, kurz vor Ausbruch des Krieges, haben 1,5 Millionen Menschen ihre Dörfer verlassen.
    "Landwirtschaft in Syrien war schon durch Klimaveränderung beeinflusst und dann kam die Krise und durch die ... die Einflüsse von militärische Operationen ist die Nahrungsmittelversorung sehr niedriger geworden."
    Die Kämpfer legen absichtlich Feuer.
    Bäume, Sträucher und hohes Gras bieten Gegnern Schutz und verdecken die Sicht. Wie hoch der Schaden durch den Krieg für die Landwirtschaft ist, weiß niemand genau. Eine Untersuchung der Food and Agricultural Organization der Vereinten Nationen ging 2016 von 16 Milliarden US-Dollar aus.
    Wahib Sahwan denkt, dass das noch vorsichtig geschätzt ist. Auf seinem Computer öffnet er Satellitenaufnahmen, die einen Ausschnitt der Provinz Idlib im Sommer 2010 zeigen.
    "Wir haben Olivenbäume hier, wir haben Felder, wo Weizen angebaut wurde."
    Auf den hochauflösenden Bildern lässt sich beim Hineinzoomen die Bepflanzung einzelner Felder erkennen. Wahib Sahwan zeigt auf kleine Punkte, die sich von einem helleren Hintergrund abheben.
    "Hier sehen wir, das ist Heuhaufen und die Felder sind sehr grün und gut bearbeitet. dann später auch 2012 war alles in Ordnung. 2014 sehen wir also die Bäume sind nicht mehr grün. Brandschädigung sind überall vorhanden. Verwüstung hier, weil die Felder nicht mehr angebaut und später 2016, Erosion hat sich schon entwickelt und sehen wir Rinnen, die Boden erodieren können."
    Dort wo die Heuhaufen zu sehen waren, sind die Aufnahmen jetzt dunkel und von Furchen durchzogen. Wahib Sahwan hat die gesamte Region auf solche Brandschäden untersucht, angefangen 2013 bis zu den letzten Daten vom Frühjahr 2018. Daraus berechnet er einen Index, anhand dessen die Schäden klassifiziert werden können.
    "Das ist das Prinzip der Arbeit, für jedes Jahr müssten wir diesen Index berechnen und dann alle Ergebnisse von jedem Jahr mit anderen Jahren kombinieren und dann finale Karte ermittelt. Wir können durch diese Karte gucken, wo wir intensiv arbeiten, um die Beschädigung zu beseitigen. Also [zum Beispiel] Pistazien braucht 10 Jahre um Ernte zu geben. Das heißt, müssen wir so schnell wie möglich in den Gebieten, wo Pistazien beschädigt, arbeiten und wieder die Beschädigung beseitigen oder schnell neue Bäume anbauen."
    "Ohne idealistische Träume geht es nicht im Wiederaufbau"
    Karten zur Sanierung der Landwirtschaft. Karten über die ideale Verteilung von Grünflächen in Aleppo. Pläne zum Wiederaufbau von Infrastruktur. Über S.I.G.N. stehen viele Projekte miteinander im Kontakt. Sogar Vertreter der syrischen Regierung sind eingeladen. Ob die Pläne irgendwann umgesetzt werden? Das ist erst einmal nur eine Hoffnung.
    "Ohne idealistische Träume geht es nicht im Wiederaufbau. Das muss man sich bewahren, auch wenn man jetzt noch schlecht prognostizieren kann, das wird mal so oder da wird mal so ausgebaut."
    Andreas Dittmann weiß, wovon er spricht. Er hat in Afghanistan Erfahrung mit Wiederaufbauprojekten gesammelt und dabei Lektionen gelernt, die dem Netzwerk der aufbauwilligen Wissenschaftler jetzt helfen werden.
    "Also der realistische Traum ist der, dass wir dazu beitragen können, dass in Syrien wieder das funktioniert und auf einem internationalen anknüpfbaren besseren Niveau funktioniert: die akademische Ausbildung. Viele reden von Fluchtursachenbekämpfung. Fluchtursachenbekämpfung ist in erster Linie Bildung und Ausbildung von Leuten vor Ort. Und diese Bildung und Ausbildung, das können wir."
    Für den akademischen Wiederaufbau sind gute Kontakte und Dialog zwischen den Wissenschaftlern der beteiligten Länder ausschlaggebend. Ob die Netzwerker der S.I.G.N Initiative auch beim Wiederaufbau von Infrastruktur zum Zuge kommen, hängt von viel mehr Faktoren ab.
    "Wir können ja ganz tolle Pläne entwickeln. Das Problem ist nur - das ist nicht der einzige Plan, es gibt viele andere und man muss sich hier Gehör verschaffen können. Da haben wir einige Erfahrungen aus dem Wiederaufbau in Afghanistan. Auch da war es so, dass sich alle westlichen Akteure in Konkurrenz zueinander versuchten, gegenseitig Wiederaufbau-Projekte wieder abspenstig zu machen, und das gleiche kann man ohne Prophet zu sein für Syrien vorhersagen - das wird dort genauso werden."
    Kein Geld aus dem Westen
    Palmyra oder die Altstadt von Aleppo, für die prestigeträchtige Wiederaufbauarbeit des Unesco-Weltkulturerbes gibt es viele Freiwillige. Für den Wiederaufbau dessen, was die Menschen in Syrien dringender brauchen, gibt es kaum Pläne, vor allem aber kein Geld. Zumindest nicht aus dem Westen:
    Tagesschau: US-Präsident Trump plant offenbar das US-Engagement in Syrien zu reduzieren. Nach einem Bericht des Wallstreet Journal ließ er 200 Millionen Dollar einfriern, die für den Wiederaufbau in dem Bürgerkriegsland gedacht waren.
    "The money for the reconstruction of the country will come only once the political process is started and is well on the way under UN leadership. " Ohne politische Lösung, ohne Friedensabkommen keine Aufbauhilfe, so EU Außenministerin Frederica Mogharini im Frühjahr. Ein Credo, an das sich auch Deutschland hält, wie Angela Merkel im Vorfeld zu einem Arbeitstreffen mit Russlands Präsident Vladimir Putin Mitte August betonte:
    "Und deshalb legt Deutschland auch als Mitglied der so genannten "Small-Group" Wert darauf, dass wir einen politischen Prozess in Gang bringen, wir haben darüber schon in Sotchi gesprochen, und hier geht es vor allem auch um eine Verfassungsreform und mögliche Wahlen."
    "Es gibt im Moment noch keinen Syrienplan der Bundesregierung. Es gibt mehr oder weniger deutlich formulierte Ideen. Man sagt immer: ja, es ist alles möglich, aber erst muss Assad weg. Dann sagen andere Politiker... naja, es muss schon eine einigermaßen kleine, schwache, stabile Regierung geben, damit man überhaupt einen Ansprechpartner hat. Und bevor das nicht geklärt ist, kann man noch so tolle Ideen haben, dann wird es aber vor dieser Klärung keine Mittel geben und ohne Mittel natürlich keine Projekte."
    Auch ohne Geld aus Europa: In Syrien rollen nicht nur Panzer, sondern auch Bagger. Die Regierung Assad hat mit Unterstützung aus Russland, Iran und China angefangen, die städtische Infrastruktur auf Vordermann zu bringen. Eine Hand wäscht dabei die andere. Netzbetreiber für Strom und Mobilfunk werden in Zukunft im Iran sitzen. Russland bekommt Lizenzen für Öl und Gas. Vom Wiederaufbau profitieren Syrer, die vor Ort die Regierung unterstützen. Wer geflüchtet ist, kann mithilfe eines neuen Gesetzes problemlos enteignet werden. Abseits aller Politik, können die Menschen mit dem Aufbau nicht auf den Frieden warten. In Städten wie Homs und Aleppo sind rund zwei Drittel der Häuser zerstört. 3 Millionen Kinder können nicht zur Schule gehen. Über die Hälfte der Bevölkerung hat keinen oder keinen ausreichenden Zugang zu Wasser.
    Wiederaufbau trotz Krieg
    "Als wir im Februar 2014 anfingen darüber zu reden, trotz des Krieges mit dem Wiederaufbau in Syrien zu beginnen, war die Reaktion der Leute 'Meinst du das ernst?'"
    Ahmed Haj Asaad hat Syrien schon lange vor Kriegsausbruch verlassen. Auch er ist Mitglied in dem von Hussein Almohamad gegründeten Netzwerk. Getroffen haben die beiden sich in der Türkei. In einem Dorf direkt hinter der syrischen Grenze. Ein Sammelbecken für Flüchtlinge. Ahmed Haj Asaad ist oft beruflich dort, obwohl er schon seit 2001 in der Schweiz lebt.
    "Ich bin wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Universitäten Lausanne und dem Graduate Institute of Geneva und Mitgründer der Firma 'Geo Expertise'."
    Er zeichnet die Karten für den Wiederaufbau nicht. Er benutzt sie. Große Politik hält er für wichtig. Das Handeln der Menschen für entscheidend.
    "Als ich am Institut für Entwicklungsforschung studiert habe, dachte ich, es gibt so viel theoretisches Wissen, aber nicht genug, was daraus folgt. Im November 2010 haben wir Geo Expertise gegründet. Sitz ist die Schweiz, aber wir haben auch ein Büro in der Türkei. Wir wollen eine Brücke schlagen zwischen dem, was wir forschen, und dem, was in Syrien passiert."
    Dreh und Angelpunkt für die Arbeit von Ahmed Haj Asaad und seinen Kollegen ist die Wasserversorgung. Mithilfe von Satellitenbildern bestimmen sie ländliche Regionen, die von der Wasserversorgung abgeschnitten sind. Gleichzeitig berücksichtigen sie mögliche Frontverläufe. In Gegenden, die im strategischen Abseits liegen, wo es also wahrscheinlich nicht zu Kämpfen kommt, schulen sie die örtlichen Bauern und Ingenieure, wie sie Wiederaufbauprojekte angehen könnten. Hilfe zur Selbsthilfe, die auf fruchtbaren Boden fällt. Zum Beispiel in Ar-Ruj. Einer Gemeinde mit 63 Dörfern nördlich von Idlib. Das von der Regierung betriebene Bewässerungssystem für die Felder war 2012 ausgefallen und seitdem nicht repariert worden.
    "Nach dem Training, das wir für Ingenieuren in Ar-Ruj abgehalten haben, kam die Gemeinde auf uns zu. Wir haben als erstes eine Machbarkeitsanalyse erstellt."
    2000 Tonnen mehr Ernte, Getreide, Hülsenfrüchte und Gemüse können bei nachhaltiger Bewässerung auf 700 Hektar Land erreicht werden. Lebensmittel, Arbeit, Zukunftsperspektive für 28000 Menschen, über die Hälfte Kinder. So die Berechnung. Kostenpunkt: 45000 Dollar. Geld das Geo Expertise vom Roten Halbmond Quatar zugesagt bekommen hat.
    "Wir arbeiten nicht vor Ort – das machen die Ingenieure, die dort zuhause sind und bleiben wollen. Der ehemalige Direktor von Ar-Ruj wurde wieder eingestellt um die Arbeiten zu koordinieren. Unser Ziel ist es nicht alles zu ändern. Es soll das Projekt der Leute dort sein."
    Im Februar 2017 beginnen die Arbeiten. Wasserkanäle werden repariert, Pumpen getauscht, zwei Generatoren müssen neu eingebaut werden. Doch schon im März droht alles zu scheitern. Das Militär mischt sich ein und will das Projekt übernehmen.
    "Wasser ist im mittleren Osten ein strategisches Element. Wer das Wasser kontrolliert, kontrolliert das Essen der Menschen, kontrolliert die Menschen. Wir wollen nicht, dass die Armee über das Brot der Leute bestimmt – das sollen sie selber tun.
    Wir haben unsere Arbeit sofort unterbrochen. Es geht nicht darum, ob die Kämpfer zu dieser oder jener Kriegspartei gehören. Wir können einfach nicht mit irgendeiner bewaffneten Gruppe zusammenarbeiten. Die Bevölkerung vor Ort, der Gemeinderat, der Bauernverband, haben dann tatsächlich Druck gegen das Militär ausgeübt und die Übernahme verhindert."
    Eine Zukunft in der Heimat
    Durch die wiederhergestellte Bewässerung ist die letzte Ernte besser ausgefallen als in den Jahren zuvor. Trotz Trockenheit. 1000 Tonnen mehr Weizen, das ist eine Steigerung des Ertrags um gut 20%. Nicht ganz so viel wie erhofft, aber langfristig könnte es noch mehr werden. Mit Unterstützung von Geo-Expertise haben die Bauern eine Wasser-Kooperative gegründet, die sich um die Finanzierung und die Wartung der Anlage kümmert.
    "Das Projekt hat den Menschen das Gefühl gegeben, dass sie eine Zukunft in ihrer Heimat haben. Und das ist mehr Wert als 20% Produktionssteigerung. Kürzlich wollte das Militär die Zugstrecke abbauen. Die Menschen haben das verhindert. Sie haben den Anfang des Wiederaufbaus gesehen und beschützen jetzt, was es an Infrastruktur gibt.
    Ahmed Haj Asaad: "Es gibt Hoffnung, dass sie all das eines Tages wieder gebrauchen können. Wenn auch nicht heute."
    Wahib Sahwan: "Später, wenn ruhiger ist es auch für mich wichtig zurückzukehren, damit ich dort mit meinen Kollegen unser Wissen für das Land nutzen kann."
    Ahmed Haj Asaad: "In Syrien wird es keinen Frieden geben, der von Oben bestimmt wird. Wir müssen die Situation von Fall zu Fall betrachten und Wasser kann ein Hebel sein, um Verhandlungen in Gang zu bringen. Ich habe große Hoffnung, dass die Syrer es schaffen, Frieden auf einer lokalen Ebene zu erreichen."
    Hussein Almohamad: "Wir können wieder zusammenleben, wir können zusammen etwas machen und muss etwas machen."