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Wiedereinzug der FDP in den Bundestag
"Wir wollen die Backen nicht zu sehr aufblasen"

Der FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff hat den Wiedereinzug der Liberalen in den Bundestag als großes Glück bezeichnet. Mit dem "historischen" Wahlergebnis habe die FDP bei den anstehenden Koalitionsgesprächen eine gute Position. Es gebe aber keinen Automatismus zur Regierungsbildung.

Alexander Graf Lambsdorff im Gespräch mit Dirk Müller | 25.09.2017
    Alexander Graf Lambsdorff, Vize-Präsident des Europäischen Parlaments und Mitglied des FDP Präsidiums spricht am 31.03.2017 im Mauermuseum in Berlin.
    Alexander Graf Lambsdorff: "Wir sind dankbar für das Vertrauen, das wir bekommen haben." (picture alliance / dpa / Silas Stein)
    Dirk Müller: Angela Merkel hat nur eine Option, Jamaika, Union, die FDP und die Grünen, weil die Sozialdemokraten kneifen. So ist das jedenfalls offiziell seit der Aussage von Martin Schulz gestern Abend, was die Liberalen dann auch gestern Abend mehrfach kritisiert haben. Wir haben das alle gehört. Die SPD soll demnach auch zur Verfügung stehen, potenziell zumindest, eine Koalition zu bilden. – Am Telefon ist nun der FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff, noch Vizepräsident im Europäischen Parlament, seit gestern Abend aber auch gewählt in den Deutschen Bundestag. Guten Morgen!
    Alexander Graf Lambsdorff: Guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: Sind Sie jetzt schon Regierung?
    Graf Lambsdorff: Nein! Wir sind jetzt wieder im deutschen Parlament vertreten als Liberale. Das ist für uns ein großes Glück. Wir sind dankbar für das Vertrauen, das wir bekommen haben, und wir werden Gespräche führen mit allen demokratischen Parteien, so wir denn angerufen werden. Denn eines ist ja klar: Wir haben ein wunderbares Ergebnis erzielt, aber nicht einen Auftrag zur Regierungsbildung. Der ist an die Union gegangen und es ist an der Union, zu diesen Gesprächen einzuladen.
    Müller: Warum gehen Sie jetzt persönlich national?
    Graf Lambsdorff: Weil die Freien Demokraten nach dem Ausscheiden 2013 ja sich neu aufstellen mussten, und diejenigen bei der FDP, die man kannte, Wolfgang Kubicki, Christian Lindner, ich selber, wir haben uns alle zusammengerauft und gesagt, wir müssen das schaffen, dass die FDP in den Deutschen Bundestag zurückkehrt. Deswegen habe ich mich entschlossen, für den Deutschen Bundestag zu kandidieren, erfolgreich glücklicherweise.
    Der zweite Grund ist allerdings ein wichtiger. Ich werde auch von Berlin aus weiter für Europa, an Europa arbeiten, denn natürlich wird auch aus den nationalen Hauptstädten heraus Europapolitik gemacht.
    "Glaube, dass es wichtig ist, dass es in Berlin auch Menschen gibt, die Europa kennen"
    Müller: Sie haben ja immer gesagt – wir haben viele Interviews mit Ihnen geführt im Deutschlandfunk, Alexander Graf Lambsdorff -, Europa ist im Grunde wichtiger als Deutschland. Sie sind froh, dass Sie diese kosmopolitischere, größere Perspektive haben. Jetzt gehen Sie nach Berlin.
    Graf Lambsdorff: Richtig, das stimmt. Aber ich glaube, dass es wichtig ist, dass es in Berlin auch Menschen gibt, die Europa kennen, vielleicht auch können und die mitdenken und schauen, was man in Paris denkt, was man in Den Haag, in Warschau oder auch in Tallin oder Lissabon denkt. Ich glaube, das ist wichtig, um eine gute Europapolitik aus Berlin heraus zu machen, und ich habe vor, das in den nächsten Jahren zu tun.
    Müller: Wir haben eben schon mehrfach darüber geredet. Es ist auch in allen Schlagzeilen zu lesen, heute Morgen auch im Internet: Die Zeichen stehen auf Jamaika. Es gibt keine andere Alternative. Sie haben eben gesagt, gut, wir können keine Regierung bilden, wir können nur dazu eingeladen werden. Wie stark ist die FDP mit diesem Ergebnis bei den Verhandlungen?
    Graf Lambsdorff: Ich glaube, dass wir mit 10,7 Prozent, also einer mehr als Verdoppelung unseres Ergebnisses, einem wirklich historischen Ergebnis für uns, eine gute Position haben. Das ist gar keine Frage. Die Menschen haben uns ihr Vertrauen geschenkt und diesem Vertrauen müssen wir jetzt gerecht werden, entlang der Themen, für die wir gestanden haben in diesem Wahlkampf. Das gibt uns eine gute Position. Aber wir wollen auch die Backen nicht zu sehr aufblasen. Die stärkste Kraft ist die Union, trotz ihrer Verluste, und es wird, wenn es Gespräche gibt, Gespräche mit mehreren geben. Da wird jede Seite auf ihren Themen, auf ihren Inhalten erst einmal natürlich beharren. Wir werden schauen, wie sich das abspielen wird. Dennoch: Es ist für uns ein sehr schönes Ergebnis. Wenn der Anruf kommt, es wird Gespräche geben. Und, Herr Müller, Sie haben es gerade gesagt: Im Grunde ist es ja richtig, was Herr Kubicki gestern auch im Fernsehen gesagt hat, und auch Herr Lindner. Es ist für die SPD schon eine ein bisschen merkwürdige Entscheidung, nach Vorliegen erster Hochrechnungen bereits zu erklären, man wolle auf gar keinen Fall in irgendwelche Gespräche eintreten.
    Müller: Aber das war doch gut für Sie. So sind Sie automatisch schon drin.
    Graf Lambsdorff: Nein! Es gibt keinen Automatismus, sondern es gibt Inhalte. Wir haben am letzten Sonntag zehn sogenannte Trendwenden beschlossen. Wir wissen, dass wir mit zehn Prozent die Republik nicht aus den Angeln heben werden. Aber wir wollen an bestimmten Stellen wirklich Änderungen erreichen. Und wenn es diese Änderungen nicht gibt, dann gibt es auch keinen Automatismus.
    "Montagmorgen ist das amtliche Wahlergebnis gerade mal ein paar Stunden alt"
    Müller: Was soll die Kanzlerin dann alles machen mit Horst Seehofer an der Seite? Zehn Änderungen der Grünen, zehn Änderungen der FDP, da bleibt ja von der Union nichts mehr übrig.
    Graf Lambsdorff: Das ist die Schönheit der Demokratie, Herr Müller. Wir haben uns alle mit unseren Inhalten beworben. Manche waren dabei erfolgreicher, manche waren weniger erfolgreich, manche haben Ergebnisse eingefahren, die unterhalb dessen liegen, was sie erwartet haben, wir haben ein Ergebnis eingefahren, dank der Wählerinnen und Wähler, das oberhalb unserer Erwartungen liegt. Aber wir werden miteinander reden müssen. In der Demokratie gehört sich das so. Wir schauen jetzt, wo gibt es Übereinstimmungen, wo gibt es Unterschiede, welche Kompromisse sind möglich. Aber das ist ein Prozess, der wird in den nächsten Tagen erst beginnen. Montagmorgen ist das amtliche Wahlergebnis gerade mal ein paar Stunden alt.
    Müller: Vielleicht doch noch ein bisschen zu früh für Details. Wir haben eben aber eine Übereinstimmung gefunden: die Flüchtlingspolitik. Horst Seehofer war ja schon Stichpunkt auch im Gespräch mit Stephan Detjen heute Morgen. Obergrenze: Christian Lindner hat ja auch eine klare Position zur Flüchtlingspolitik eingezogen und die Kanzlerin dafür auch kritisiert, alles unter der Überschrift "Rechtsbruch", dass es mit der FDP in der Form nicht gehen soll. Das heißt, Sie stehen dort Horst Seehofer näher als der Kanzlerin?
    Graf Lambsdorff: Wir haben als Freie Demokraten in der Tat kritisiert, dass statt eines Einwanderungsgesetzes, das wir wollen, um eine geordnete Zuwanderung in den deutschen Arbeitsmarkt zu ermöglichen, wir einen ziemlich chaotischen Ansturm in die Aufnahmeeinrichtungen gehabt haben in den letzten Jahren. Wir haben auch kritisiert, dass es ganz offensichtlich keine europäische Abstimmung in der Flüchtlingsfrage gegeben hat. Mit anderen Worten: Wir haben demokratische, grundgesetzkonforme Kritik an der Politik der Bundesregierung geübt, wie es einer Opposition auch zukommt. Das heißt aber noch lange nicht, Herr Müller, dass wir Herrn Seehofer folgen bei der Frage der Obergrenze. Die ist eine Schimäre, denn sie ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar und würde in Karlsruhe sofort wieder abgeräumt werden. Sie können das Asylrecht nicht zahlenmäßig begrenzen.
    "Es gibt drei Formen der Zuwanderung nach Deutschland"
    Müller: Was können Sie denn machen zur Begrenzung der Flüchtlingssituation?
    Graf Lambsdorff: Sie können die Diskussion klar strukturieren und sagen, es gibt drei Formen der Zuwanderung nach Deutschland. Das eine ist Asyl für individuell politisch Verfolgte. Das wird bleiben, das ist im Grundgesetz festgelegt. Das zweite ist Flucht vor Krieg und Bomben aus Syrien. Dann gibt es einen zeitweiligen Schutz und danach, wenn Frieden wieder zuhause herrscht, müssen die Menschen in ihre Heimat zurück. Und das dritte, das ist die gesteuerte Einwanderung in unseren Arbeitsmarkt über ein Einwanderungsgesetz. Wenn man das so klar strukturiert, dann weiß man auch, dass die vierte Tür, wenn man so will, eine Tür ist für diejenigen, die nicht bleiben können, nämlich eine Tür wieder nachhause. Dieses Vier-Türen-Modell, das ist das, für das die Freien Demokraten werben werden.
    Müller: Bis auf das Einwanderungsgesetz ist das ja fast schon politischer Konsens bei den etablierten Parteien. Ist ja gar keine Frage. Die Frage ist ja, wie können Sie die Flüchtlingsbewegungen und Entwicklungen begrenzen.
    Graf Lambsdorff: Herr Müller, wir haben seit 20 Jahren Diskussionen mit der Union, mit der CDU, aber auch mit der CSU, über die Notwendigkeit einer geregelten Einwanderung. Die Konservativen in diesem Land haben das immer verweigert, und ich wünsche mir sehr, ich wünsche mir sehr, dass Sie Recht haben mit Ihrer Aussage, das sei nunmehr Konsens. Wenn die CDU sich endlich bewegen würde und wir das ganze System endlich ordnen könnten, dann wäre das ein großer Fortschritt für unser Land.
    Müller: Wie ordnen Sie die AfD?
    Graf Lambsdorff: Das ist nicht mein Job, aber wir werden zwei Dinge, glaube ich, tun müssen. Das eine ist: Wir werden uns an Recht und Gesetz und die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages halten. Die Partei wird behandelt wie alle anderen auf Grundlage der Geschäftsordnung. Das ist der erste Punkt. Wir sind eine Rechtsstaatspartei. - Der zweite Punkt allerdings …
    Müller: Sie behandeln sie auch demokratisch und fair?
    Graf Lambsdorff: Wir sind eine liberale Partei. Wir sind tolerant, wir sind weltoffen, wir stehen zu Minderheitenrechten, wir wollen den Erfolg der Europäischen Union und wir werden deswegen diese Partei politisch bekämpfen, mit großer Härte bekämpfen, weil sie das exakte Gegenteil ist, der exakte Gegenentwurf zu dem, was eine liberale, weltoffene und tolerante Partei vertritt wie die FDP.
    "Das ist genau das, was die wollen"
    Müller: Sie haben ja in Europa, im Europäischen Parlament schon reichlich viel Erfahrung gesammelt mit rechtsextremen Parteien. Letzte Frage, Graf Lambsdorff. Daraus die Folge, die Konsequenz gezogen, haben Sie auch einmal gesagt, dass man mit diesen Parteien auch ganz normal geschäftsmäßig, geschäftstüchtig umgehen muss und nicht mehr?
    Graf Lambsdorff: Ich habe ja als Vizepräsident auch Sitzungen geleitet, in denen es natürlich auch Zwischenrufe von ganz Rechtsaußen, vom rechtsextremen Lager gab. Man kann hysterisch darauf reagieren, man kann ihnen dadurch noch mehr Aufmerksamkeit verschaffen, als sie ohnehin schon haben. Oder man macht einfach klar, dass bestimmte Werte sich auch in der Geschäftsordnung wiederfinden. Das heißt, diskriminierende, rassistische, volksverhetzende Äußerungen werden entsprechend sanktioniert. Aber das geschieht dann, bitte schön, im ruhigen geschäftsmäßigen Ton eines Rechtsstaates, eines Deutschen Bundestages mit einer funktionierenden Geschäftsordnung und nicht mit aufgeblasenen Backen und viel Krach. Das ist genau das, was die wollen.
    Müller: Der FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff, demnächst auch vertreten im Deutschen Bundestag, nur dann vertreten im Deutschen Bundestag.
    Graf Lambsdorff: So ist es, genau.
    Müller: Vielen Dank für das Gespräch.
    Graf Lambsdorff: Danke Ihnen, Herr Müller.
    Müller: Ihnen noch einen schönen Tag.