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Wiefelspütz: Kein Benzin ins Feuer gießen

Nach Ausschreitungen bei Demonstrationen gegen die Razzien in der linken Szene hat die Polizei mindestens 30 Menschen festgenommen. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Dieter Wiefelspütz, warnte in diesem Zusammenhang, die Situation zu dramatisieren. Gewaltbereitschaft müsse ernst genommen werden, jedoch sei eine gewisse Bedrohungslage auch nicht wirklich überraschend.

Moderation: Bettina Klein |
    Bettina Klein: Einen Monat vor dem G8-Gipfel in Heiligendamm ist die Bundesanwaltschaft gestern mit einer groß angelegten Polizeiaktion in mehreren Städten gegen militante Gegner des Regierungstreffens vorgegangen. Insgesamt 21 namentlich bekannte Personen stünden im Verdacht, eine terroristische Vereinigung gegründet zu haben, um mit Brandanschlägen und anderen gewalttätigen Aktionen den Gipfel in Heiligendamm zu stören oder die staatlichen Strukturen zu beseitigen, hieß es von Seiten der Behörde in Karlsruhe. 900 Beamte hatten insgesamt 40 Wohnungen, Büros und andere Einrichtungen in sechs Bundesländern durchsucht. Gestern Abend protestierten unter anderem in Hamburg und Berlin mehrere Tausend Demonstranten friedlich gegen die Durchsuchungen, mehr als 3.000 Menschen im Stadtteil Kreuzberg in Berlin. In Hamburg versammelten sich knapp 2.000 Demonstranten vor dem linken Szenetreff "Rote Flora", der morgens durchsucht worden war. Die Proteste dort mündeten dann am Abend in Auseinandersetzungen mit der Polizei.

    Am Telefon begrüße ich jetzt den SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz. Schönen guten Morgen!

    Dieter Wiefelspütz: Guten Morgen!

    Klein: Herr Wiefelspütz, der Chef der Gewerkschaft der Polizei Konrad Freiberg macht heute in verschiedenen Interviews mit alarmierenden Warnungen auf sich aufmerksam. Er sagt, der Linksextremismus in Deutschland habe in den Wochen vor dem Gipfeltreffen eine ganz neue Dimension erreicht. Was sagen Sie dazu?

    Wiefelspütz: Ich finde die Situation durchaus ernst zu nehmen. Gewalt auf den Straßen, Gewalttätigkeit, die sich vorbereitet auf den G8-Gipfel, das ist immer ernst zu nehmen. Ich bin aber gleichzeitig dagegen, dass wir jetzt dramatisieren. Mich überrascht es nicht, dass wir vor dem G8-Gipfel uns besonders kümmern müssen um auch gewaltbereite Menschen. Der G8-Gipfel ist nicht nur in Deutschland, sondern ebenso wenn er in anderen Ländern stattfindet, immer Zielpunkt auch extremistischer Aktivitäten gewesen. In Deutschland kann man natürlich friedlich und ohne Waffen demonstrieren, selbstverständlich auch gegen den G8-Gipfel. Das ist ja auch die überwiegende Mehrheit der Menschen, die sich dann demonstrativ dagegen wendet, die sich friedlich äußert. Es ist eine kleine Minderheit. Ich bin also dafür, dass man die Bedrohungslage ernst nimmt, aber auch gleichzeitig nicht dramatisiert.

    Klein: Was heißt das konkret in Handlungen ausgedrückt, ernst nehmen, aber nicht dramatisieren?

    Wiefelspütz: Ich würde jedenfalls die Sprache, die Herr Freiberg verwendet, den ich ansonsten sehr schätze, nicht benutzen. Ich würde die Worte etwas anders wählen. Mir ist das etwas zu dramatisierend.

    Klein: Die Worte anders wählen, aber wenn das stimmt was er sagt - und warum sollte er etwas Falsches verbreiten -, dann ist das ja schon in der Sache alarmierend. Dann kommt es vielleicht gar nicht mal so sehr auf die Wortwahl an. Wenn er zum Beispiel sagt, die Aktivisten seien zunehmend bereit, Anschläge zu begehen und nicht nur mit Krawall und Gewalttaten auf sich aufmerksam zu machen, dann ist das doch eine beunruhigende Analyse.

    Wiefelspütz: Frau Klein, das für sich genommen überrascht mich nicht und das war zu erwarten. Die Bundesanwaltschaft ist gut aufgestellt an dieser Stelle, hat auch entsprechend Hausdurchsuchungen vornehmen lassen und Ähnliches. Ich bin nur der Auffassung, wir sollten jetzt auch gleichzeitig Augenmaß bewahren bei der Analyse der Situation. Gewaltbereitschaft ist eine Sache, die sehr ernst zu nehmen ist, aber wir stehen jetzt nicht vor einer Revolution in Deutschland oder Ähnlichem. Das ist sicherlich nicht der Fall. Wir werden die Sicherheitslage schon im Griff behalten.

    Klein: Wenn die Bundesanwaltschaft gestern Razzien durchführt und sagt sie befürchtet, dass unter dem Deckmantel der G8-Gegner sich terroristische Strukturen, terroristische Vereinigungen etablieren könnten, bedeutet das, dass die Politik, dass auch die Sicherheitskräfte ihre Strategie in irgendeiner Weise verändern müssen, um sich auf diese ja bisher noch nicht so kommunizierte Bedrohungslage einzustellen?

    Wiefelspütz: Ich muss ganz freimütig sagen, dass mich das so nicht überrascht, was da jetzt geschieht oder was die Bundesanwaltschaft unternommen hat. Wir haben im Zusammenhang mit Globalisierung, mit G8 immer eine Gefährdungslage gehabt, wo es Gewaltbereitschaft in Deutschland gibt. Wir haben eine autonome Szene und das sich verdichten solcher Gewaltbereitschaft hin auch zu Ansätzen terroristischer Qualität kann niemanden wirklich überraschen, der sich in der Szene auskennt.

    Klein: Jetzt wird auch Bezug genommen - auch Herr Freiberg tut das - auf die derzeitige Diskussion um die RAF, 30 Jahre nach dem deutschen Herbst. Er vermutet, dass die alte RAF-Garde, wie er sagt, zunehmend Einfluss haben könnte auf die linke Szene von heute. Die Auftritte der Ex-Terroristen Inge Viett und Ralf Reinders aus der RAF-nahen Bewegung des 2. Juni bei Kundgebungen zum 2. Mai in Berlin-Kreuzberg seien Anzeichen dafür. Wir werden es noch erleben, dass Linksextremisten Brandanschläge verüben und sich dabei auf die RAF beziehen. Aus Ihrer Sicht auch überzogen von Herrn Freiberg?

    Wiefelspütz: Ja, das würde ich auch für überzogen halten, Frau Klein, weil die RAF in der linken Szene keine Rolle spielt, definitiv keine Rolle. Und wenn da jetzt mal ein, zwei ehemalige Straftäter aus dem Bereich der RAF auf einer Demonstration geredet haben, das ist natürlich zur Kenntnis genommen worden, würde ich das aber gleichzeitig auch nicht dramatisieren und überbewerten wollen, weil sie in der linken Szene überhaupt keine Rolle spielen.
    Die RAF-Diskussion, das ist ein anderes Thema. Die hört auch sicherlich nicht auf. Wir sollten jetzt aber nicht alles mit allem vermengen.

    Klein: Sie mahnen sehr zu Augenmaß und in der Tat gibt es heute auch Zeitungskommentatoren, die das vielleicht ähnlich sehen und meinen, mit den Durchsuchungen gestern kurz vor dem G8-Gipfel wollte man den harten Kern der Gegner einschüchtern und ihre Kommunikationsstrukturen offen legen. Das ist ja auch der Kritikpunkt, weshalb es gestern Proteste dagegen gegeben hat. Aber wie ist denn da eine Balance zu wahren und die Gradwanderung hinzubekommen, dass wir auf der einen Seite uns vor möglichen terroristischen Planungen schützen müssen und auf der anderen Seite nicht zur Radikalisierung beitragen sollten?

    Wiefelspütz: Gut! Das ist allerdings genau die Aufgabe, die wir haben. Ich habe überhaupt keine Kritik an der Bundesanwaltschaft zu üben. Das ist eine sehr nüchterne, sehr seriöse Behörde, die das tut was sie tun muss. Die Gewaltbereitschaft müssen wir eindämmen. Dagegen müssen wir uns wappnen. Friedliche Demonstrationen müssen selbstverständlich zulässig sein in Deutschland und werden auch zulässig sein. Deswegen wird es darauf ankommen, das Nötige zu tun, um die Sicherheit zu gewährleisten. Gleichzeitig sollten wir aber auch alles unterlassen, was dazu beitragen könnte, auch durch eine unangemessene Sprache, sozusagen Benzin ins Feuer zu gießen. Das darf nicht sein und da haben wir alle miteinander eine große Verantwortung.

    Klein: Die Einschätzung heute Morgen vom SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz. Danke Ihnen für das Gespräch!

    Wiefelspütz: Danke!