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Wiener Burgtheater
Tempo, aber keinen rechten Rhythmus

Herbert Fritsch überdreht die Figuren beim "Eingebildeten Kranken" von Molière so dermaßen, dass sie fast aussagelos werden. Auch Joachim Meyerhoff als eingebildeter Kranker spielt keine Figur, sondern ein Zitat aus dem klassischen Kanon der Komödienfiguren.

Von Hartmut Krug |
    Das Wiener Burgtheater
    Das Wiener Burgtheater (picture-alliance / dpa / Georg Hochmuth)
    Erst nachdem drei selbstspielende Cembali den Rhythmus vorgegeben haben und grelle Farben über die in die leere Tiefe der Bühne gestaffelten Prospekte gerauscht sind, hat Joachim Meyerhoff seinen ersten Auftritt. Dazu steckt er nur seinen Kopf aus einer glänzenden Muschel, dem Souffleurkasten in der Mitte des Bühnenrandes: Mit aufgerissenen Augen, verzerrtem Gesicht und wirrem weißen Haarschopf jammert er als der eingebildete Kranke Argan über seine angeblichen Krankheiten und über die Menge und Kosten seiner medizinischen Anwendungen. Dann zwängt er sich mühsam aus dem Souffleurkasten und rutscht lange ziellos auf dem Rücken über die Bühne. Meyerhoffs Argan wirkt einerseits knickebeinig alt und will krank sein, um sich wichtig zu nehmen und um wichtig genommen zu werden. Andererseits trumpft er mit infantiler Unsicherheit auf und produziert als mehrfach überdrehter Zappelphilipp immer wieder komische Nummern: So verheddert er sich beim Kampf mit dem musikalisch vorgegebenen Rhythmus der Cembali ausführlich im Notenpult eines der Instrumente.
    Markus Meyer musste die Rolle von Caroline Peters übernehmen
    Während bei Molière Handlung und Figuren über Sprache verdeutlicht werden, übersetzen bei Fritsch alle Darsteller die ausgestellten Mechanismen ihrer Komödienfiguren in die totale körperliche Bewegung. Virtuos wird unentwegt gerannt, getanzt, getrippelt, gefallen und gesprungen. Wenn der arglose Argan seiner Tochter den von ihr geliebten Mann als Vertreter ihres Musiklehrers vorstellt, dann tanzt und tobt diese minutenlang mit wackelndem Kopf und schlenkernden Gliedern im schnellen Rhythmus der Cembali über die Bühne:
    "So, meine süße Tochter, komm mal hier her. Hier ist ein Herr, und dein Gesangslehrer, der hat eine Winterreise gemacht übers Land, und der da ist der Mann, den er statt seiner herschickt, um dir Unterricht zu geben. Was ist denn jetzt los, warum bist du so erschrocken?"
    Sogar der Unglücksfall, dass Caroline Peters sich eine Woche vor der Premiere verletzte und deshalb Markus Meyer ihre Rolle des Dienstmädchens Toinette übernehmen musste, passt in die Inszenierung. Weil der Schauspieler die Figur der Toinette überdeutlich mit wedelndem Rock und kraftvoll steppenden Füßen auf die Bühne stellt.
    Der keineswegs auftrumpfende Joachim Meyerhoff spielt wie alle keine Figur, sondern ein Zitat aus dem klassischen Kanon der Komödienfiguren. Zu denen neben den eitel dummen Ärzten, die vor einem Hintergrund voller Röntgenbilder bei Fritsch als Monster mit langen Fingernägeln wie Draculas daherkommen, die böse, geldgierige zweite Frau des ahnungslosen Ehemanns gehört. Und die heimlich verliebte Tochter, für die der Vater einen Arzt als Schwiegersohn ausgesucht hat, weil er doch auch für ihn da sein könnte. Doch die kesse Toinette wendet alles zum Guten.
    Es gab kräftigen Applaus im Burgtheater
    Auf Argans Bruder und dessen wortreiche Erklärungen hat Fritsch verzichtet. Auch gibt es bei ihm weder Realismus noch einen Bezug auf die Geschichte oder aktuelle Realität des Arztwesens.
    Victoria Behr hat die Darsteller in effektvoll grelle, teils übergroße, hinreiße Barockkleider gesteckt. Und Sabrina Zwach hat in ihre Neuübertragung viel Humor unter der Gürtellinie eingefügt. So, wenn der ungeliebte Bewerber um Argans Tochter, der sich immer wieder mit einem "Ich bin der Thomas" lauthals aufdrängt, seiner Angebeteten ein Angebot macht:
    "Mit der Erlaubnis ihres Herrn Vaters penetriere ich Sie, äh, invitiere ich Sie, mein Fräulein, in den nächsten Tagen zu ihrer Unterhaltung der Obduktion einer Frauenperson bei zu wohnen, über die ich meine Vorhaut halten werde. Das ist natürlich wunderschön, ...Vortrag, es ist nur ein Vortrag. "
    Natürlich gibt es auch für den eingebildeten Kranken von Fritsch nur ein scheinbares Happy End: Man steckt ihn in einen Arztkittel, und er ruft an der Rampe: "Lassen Sie mich durch, ich bin Arzt."
    Während Fritsch in anderen Inszenierungen die Strukturen von Genres zugleich offengelegt wie komisch ausgestellt hat, überdreht er die Figuren beim "Eingebildeten Kranken" so aktionistisch schrill und schräg, dass sie fast aussagelos werden. Beinah erstickt die Inszenierung an ihrer aufgedrehten Selbstsicherheit und, trotz vieler komischer und schauspielerisch virtuoser Szenen, an der Monotonie ihrer veräußerlichenden Methode. Der Abend hat Tempo, aber keinen rechten Rhythmus. Immer mal wieder läuft er leer und spannungslos dahin. Dennoch: Es gab kräftigen Applaus im Burgtheater.