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Wiesehügel kritisiert Einigung im Vermittlungsausschuss

Durak: Wenn morgen Bundestag und Bundesrat die Reformgesetze voraussichtlich mit ziemlicher Mehrheit beschließen werden, dann wird der Schlusspunkt gesetzt unter das monatelange Ringen um einen Kompromiss für Deutschland. Bewährt haben wird sich dann die größte große Koalition, die sich pragmatisch zusammengefunden hat. Und auch wenn rot-grün hat Federn lassen müssen bei der Steuerreform und bei der Arbeitsmarktpolitik, gilt offensichtlich anders als in Brüssel bei den Verfassungsverhandlungen für rot-grün: ein schlechter Kompromiss ist besser als gar keiner.

    Alle hoffen nun auf Aufschwung. Hofft Klaus Wiesehügel das auch? Was hält der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt vom Kompromiss in seinen Einzelteilen? - Schönen guten Morgen Herr Wiesehügel!

    Wiesehügel: Schönen guten Morgen Frau Durak.

    Durak: Worauf hoffen Sie also nun nach und mit diesen Reformen?

    Wiesehügel: Ich glaube nicht, dass sich wirklich etwas tun wird, dass der berühmte Ruck durchs Land geht, dass durch diese Beschlüsse jetzt der Binnenmarkt wirklich wesentliche Impulse erfährt, weil das was man normalerweise im Binnenmarkt auch braucht, neben mehr Möglichkeiten zu konsumieren, ist Vertrauen in die Zukunft und ist angstfreies Leben, aber das angstfreie Leben ist genau durch diesen Kompromiss zerstört worden. Wer heute oder morgen seinen Arbeitsplatz verliert, wird auf der Rutschbahn derartig steil nach unten gehen, dass er glaubt, er sei in einem anderen Land, aber nicht mehr in Deutschland, denn es geht wirklich in die Armut. Direkt innerhalb von zwölf Monaten landet derjenige, der seinen Arbeitsplatz verliert, in der Armut.

    Durak: Das ist einer der größten Schwachpunkte Ihrer Meinung nach?

    Wiesehügel: Das ist das wesentliche Problem. Wir haben ja erlebt, dass in der SPD-Bundestagsfraktion ein schweres Ringen war um den Kompromiss und die Zustimmung zur Agenda 2010 genau in der Frage. Nachdem dort die SPD-Bundestagsfraktion eine Lösung gefunden hat, wie die ortsüblichen Löhne und die Mindestlöhne mindestens gezahlt werden müssen, konnte das durch die Reihen dort durchmarschieren. Mir war klar - dafür kenne ich den Laden da nun viel zu gut -, dass dem vordergründig zugestimmt wurde, aber in den Verhandlungen wieder auf den Opfertisch gelegt würde. Genau das ist auch passiert. Die ganze Zumutbarkeitsregel ist weg. Es wird jetzt davon geredet, dass keine sittenwidrigen Dinge gemacht werden, dass das Arbeitsrecht schon darauf aufpassen würde, aber das sagen nur Leute, die noch nie gearbeitet haben.

    Durak: Sittenwidrig! - Wollen wir mal beispielsweise bei der Zumutbarkeit für Arbeitslose bleiben, beim Kündigungsschutz, betriebliche Bündnisse, Öffnungsklauseln. Vielleicht der Reihe nach. Zumutbarkeit für Langzeitarbeitslose oder Arbeitslose überhaupt, befürchten Sie die Ausweitung des Niedriglohnsektors?

    Wiesehügel: Ja natürlich. Was heißt Niedriglohnsektor. Es kommt richtig zu ganz niedrigen Löhnen. Das wird nicht nur auf Arbeitslose eine Auswirkung haben, sondern das wird auch eine Talfahrt und eine Rutschfahrt der Einkommen in Bereichen geben, in denen nicht so große Strukturen sind, nicht so große betriebliche Strukturen sind: im Handwerk, in den klein strukturierten Dienstleistungsbereichen. Da gibt es jetzt eine Rutschbahn nach unten, weil die Arbeitnehmer ohne weiteres austauschbar sind. Das drückt dann schon enorm.

    Durak: Der Kündigungsschutz sozusagen zehn plus gilt erst bei Neueinstellungen ab über zehn Mitarbeitern und nur für die neuen. Auch dies ist schlechter. Was befürchten Sie langfristig dadurch?

    Wiesehügel: Das ist eins dieser Unsinnsgesetze, die ich nun wirklich nicht verstehen will. Alle, auch Wolfgang Clement, wissen ganz genau, dass nicht ein Arbeitsplatz damit geschaffen wird. Das ist reine Psychologie, und zwar Wunscherfüllung der Arbeitgeber. Ich meine dass man uns Gewerkschaften keine Wünsche erfüllen will, das haben wir ja verstanden, das haben wir auch begriffen. Aber warum man im Gegenzug nun jeden blödsinnigen Wunsch der Arbeitgeber erfüllt, das verstehe ich nicht. Wenn Arbeitsplätze dadurch entstehen würden, hätte ich darüber noch reden können, aber jeder Beteiligte weiß: dadurch entsteht nicht ein Arbeitsplatz. Im Gegenteil: es werden wahrscheinlich Arbeitsplätze entfallen, nämlich genau an der Grenze zu zehn. Die Betriebe, die jetzt elf oder zwölf haben, werden diese zwei versuchen, jetzt los zu werden beziehungsweise natürliche Fluktuation zu nutzen, und dann über Zeitarbeitsfirmen oder sonst wie gegebenenfalls Spitzen auszugleichen, aber eben mit weniger als zehn zu arbeiten. Das sind solche Schwellen. Die bewirken das. Bei der niedrigen Schwelle von fünf war das ja eine über viele Jahre hinweg gedachte Linie, so dass sich das arbeitsmarktmäßig nicht mehr negativ auswirken kann. Das was sie jetzt gemacht haben wird sich negativ auswirken, denn es ist doch nicht so, dass jetzt fünf Leute eingestellt werden. Das wissen alle Beteiligten.

    Durak: Aber Herr Wiesehügel, sollte ein Unternehmer mehr Leute einstellen, wenn er nicht mehr Leute braucht, sondern nur ab und zu Jemanden?

    Wiesehügel: Wir haben doch die Situation gehabt bei der CDU. Die hat doch dieses Gesetz schon einmal gemacht. Sie ist auf zehn gegangen. Es hat nicht mehr Arbeitsplätze, sondern es hat weniger Arbeitsplätze gebracht. Das ist ja nachweisbar. Das ist wirklich zahlenmäßig nachweisbar. Die SPD ist 1998 angetreten, diesen Unsinn zu beseitigen. Dafür hat sie sich das Mandat geholt und dafür ist sie Regierung geworden, nicht nur dafür alleine, aber das war einer der wesentlichen Punkte. Und jetzt führt sie das genau wieder ein. Das ist zumindest meinen Kollegen nicht mehr erklärbar.

    Durak: Herr Wiesehügel, rot-grün ist oder sind ganz stolz darauf, die Tarifautonomie erhalten zu haben oder nicht angetastet zu haben. Stichwort betriebliche Bündnisse für Arbeit, das mögen die Tarifpartner selber regeln, Öffnungsklauseln auch. Die Ergebnisse der Tarifverhandlungen sollen erst Ende 2004 begutachtet werden, will ich mal so formulieren. Wird da der schwarze Peter den Tarifpartnern zugeschoben, oder ist das richtig, dass die Gesetzgeber die Finger davon lassen?

    Wiesehügel: Ja, das ist richtig. Davor haben wir auch immer gewarnt. Wir haben gesagt, das dürft ihr auch nicht machen. Es gab Gott sei Dank eine Koalition aus sagen wir mal vernünftigen Arbeitgebern und auch Gewerkschaftern. Es gibt ja auch Arbeitgeber, die etwas davon verstehen, die einen Betrieb leiten, die wirklich auch unternehmerisch tätig sind, nicht nur als Verbandsfunktionär. Die haben schon Gespräche geführt und waren sich schon darüber im Klaren, wenn es dazu kommt, dass diese Dinge im Betrieb zu regeln sind, so wie ja Herr Merz und andere in ihrer Welt sich das vorstellen, dass wird dann natürlich auch eine Menge Unruhe in die Betriebe hineinführen. Die haben dann im Grunde gesagt, lasst das sein und macht das nicht. Manchen ist das schwer gefallen, weil sie natürlich der CDU damit nicht gerade geholfen haben, aber man muss schon sehen, das ganze Thema ist natürlich auch von der Bundesregierung überhaupt auf die Agenda gesetzt worden. Gerhard Schröder hat am 14. März dieses Thema auf den Tisch gelegt und von dort hat die CDU das willig aufgegriffen und hat das seitdem wie eine Monstranz vor sich hergetragen. Und jetzt sagt sie, wir haben euch gerettet! - Na ja, ich kann natürlich auch jemand ins Wasser schmeißen, ihn ein halbes Jahr dort zappeln lassen und wieder rausholen und sagen siehst du, mein Freund, ich habe dir das Leben gerettet. So kann man das auch machen.

    Durak: Herr Wiesehügel, unter dem Strich höre ich aus Ihnen heraus: nicht viel Gutes an diesem Kompromiss. Sind Sie wie ver.di-Chef Bsirske der Auffassung, mit einem heißen Winter der Bundesregierung Dampf machen zu können, und zwar erfolgreich?
    Wiesehügel: Das würde ich so nicht sagen, weil ich mir nicht so sicher bin, ob ein heißer Winter jetzt nun wirklich das richtige ist. Wir hatten einen heißen Sommer, aber ob wir jetzt einen heißen Winter haben werden. Ich glaube man sollte dort auch vorsichtig sein. In der ersten Enttäuschung sagt man natürlich, jetzt bringen wir die Leute auf die Straße, aber ich glaube die Stimmung ist dann eher so: ein bisschen Fatalismus macht sich breit. Das merke ich. Viele sind sehr, sehr traurig, sind richtig entsetzt, wie sich das Land wandelt zum Unsozialen hin. Das sind Zeiten, in denen Regierungen dran sind, die das Soziale im Namen tragen. Das macht viele sehr, sehr traurig, teilweise sogar auch mutlos. Was wir machen müssen: wir müssen jetzt mal gucken, dass wir das kommunizieren nach innen, dass wir sehen, dass wir in der Arbeitnehmerschaft, Angestellte, Arbeiter, Beamte uns zusammensetzen und sagen, wir haben von Politik offensichtlich wirklich nicht viel zu erwarten, wo ist unsere eigene Kraft, wie gestalten wir auch die Zukunft und wie können wir das einbringen und gegebenenfalls auch umsetzen. Das müssen wir wirklich tun.

    Durak: Klaus Wiesehügel, Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt und Mitglied der SPD. - Herzlichen Dank Herr Wiesehügel für das Gespräch!