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Wikileaks zu Abhör-Praktiken der CIA
"Die Aufregung ist zum Teil ein bisschen bigott"

Linken-Innenpolitikerin Martina Renner hat der Bundesregierung in Sachen Cybersicherheit Doppelzüngigkeit vorgeworfen. Einerseits halte man die Bürger an, ihre Daten zu schützen, sagte sie im DLF. Gleichzeitig arbeiteten aber die Sicherheitsbehörden an ähnlichen Technologien wie die CIA, mit denen genau solche Schutzmaßnahmen umgangen werden könnten.

Martina Renner im Gespräch mit Tobias Armbrüster   | 09.03.2017
    Die Obfrau der Linksfraktion im NSA-Untersuchungsausschuss, Martina Renner.
    Die Obfrau der Linksfraktion im NSA-Untersuchungsausschuss, Martina Renner. (dpa / picture-alliance / Daniel Naupold)
    Tobias Armbrüster: Was bedeuten die jüngsten Wikileaks-Enthüllungen für uns in Deutschland? Ist die CIA dabei, unser Privatleben auszuspionieren, oder sind diese Vorwürfe alle nur völlig übertrieben? Fest steht so viel: Die Berichte über die Manipulationsmöglichkeiten der US-Geheimdienste haben große Unsicherheit hier in Deutschland ausgelöst. In diesen Dokumenten wird gezeigt, mit welchem Aufwand die CIA daran arbeitet, Sicherheitslücken in Smartphones, in Computern oder auch in Telefonanlagen auszunutzen. Nach wie vor - das muss man immer mit dazu sagen - ist die Echtheit dieser Berichte nicht bestätigt, auch wenn einige Experten bereits klargestellt haben, dass es da wenig Zweifel geben dürfte.
    Am Telefon ist jetzt Martina Renner. Sie ist Obfrau der Linken im NSA-Untersuchungsausschuss. Sie hat sich also in den vergangenen Jahren schon intensiv mit der Arbeit der US-Geheimdienste beschäftigt. Schönen guten Tag, Frau Renner.
    Martina Renner: Guten Tag, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Frau Renner, haben Sie Ihren Fernseher schon überprüft?
    Renner: Ich habe meinen Fernseher so eingestellt, dass er gar nicht internetfähig ist, weil man kann selbst etwas tun, um nicht überwacht zu werden, zum Beispiel auch die Kamera abzukleben auf dem eigenen Smartphone oder auf dem eigenen Tablet. Aber das ist natürlich nicht das einzige Mittel, jetzt mit diesem Skandal umzugehen.
    "Wir müssen uns Sorgen machen"
    Armbrüster: Dieser Skandal, sagen Sie. Müssen wir uns da Sorgen machen?
    Renner: Ich denke schon, wir müssen uns Sorgen machen. Ich halte die in den Dokumenten dargestellten Techniken für sehr plausibel und es geht ja um nicht mehr und nicht weniger, als dass der Staat selbst zum Hacker wird, also zum Einbrecher, in unsere private Kommunikation eindringt, uns überwachen kann über unsere Endgeräte. Sie haben es schon in dem Beitrag gehört: Dazu können Smartphones benutzt werden, aber auch Fernsehgeräte oder aber auch der Computer. Und da sind wir natürlich in einem Bereich, wo wir tatsächlich prüfen müssen, ob sich hier die CIA, die wir ja eigentlich kennen als Geheimdienst, der überwiegend im Bereich menschliche Quellen tätig ist, tatsächlich technisch aufmacht, unser Kommunikationsgeheimnis zu brechen und auf der anderen Seite geheimdienstliche Spionagetätigkeit in Deutschland auszuüben.
    "Nicht alles, was technisch möglich ist, ist auch rechtlich legal"
    Armbrüster: Aber wäre das denn wirklich so überraschend, Frau Renner? Ich meine, die Sicherheitslücken, die Sie erwähnt haben, die sind ja seit Langem bekannt. Wir werden auch immer wieder davor gewarnt, zum Beispiel vor dem zu laschen Umgang - Sie haben es erwähnt - mit den Kameras an Laptops. Ist es da überraschend, dass auch Geheimdienste auf so etwas aufspringen?
    Renner: Nein. Überraschend ist es nicht. Wir wissen schon lange, dass Geheimdienste nicht nur diese Sicherheitslücken nutzen, sondern auch erwerben - auf einem Markt, der hauptsächlich von Kriminellen dominiert wird - und auch selbst entwickeln. Aber nicht alles, was technisch möglich ist und was ein Geheimdienst auch für Nachrichtengewinnung technisch machbar hält, ist auch rechtlich legal. Da muss man tatsächlich einen Unterschied ziehen. Und dort, wo insbesondere die Kommunikation von unbescholtenen Bürgern und Bürgerinnen erfasst wird, wo private Gespräche, der Kernbereich unseres persönlichen Lebens betroffen ist, da muss natürlich eine Schranke bestehen, und wir befürchten tatsächlich, dass diese Methoden geeignet sind, in diesen Bereich der persönlichen Lebensgestaltung einzubrechen.
    Ein großes Problem ist: Wir regen uns jetzt über die CIA auf und auch zurecht und wir fordern auch Konsequenzen, dass der Generalbundesanwalt Ermittlungen aufnimmt, dass man prüft, ob die entsprechenden Agenten ausgewiesen werden können, und Ähnliches mehr. Aber die eigenen Behörden, die eigenen Bundesbehörden, zum Beispiel das Bundesamt für Verfassungsschutz macht sich selbst auf den Weg, auch diese Techniken zu entwickeln und einzusetzen, und deswegen ist diese Aufregung zum Teil ein bisschen bigott.
    "Endgeräte als verlängerter Arm der Geheimdienste"
    Armbrüster: Woher haben Sie diese Erkenntnisse, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz da genauso drinsteckt?
    Renner: Na ja. Es wird ja derzeit eine eigene Bundesbehörde aufgebaut, die entsprechende Kompetenzen und Instrumentarien entwickeln soll. ZITIS heißt die, Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich. Und hier geht es ganz konkret darum, dass man Trojaner entwickelt, dass man Messenger-Systeme knackt. Dass man aber auch das können will, was jetzt die CIA offensichtlich kann, dass man unsere Endgeräte als verlängerten Arm der Geheimdienste entwickelt, um zum Beispiel über die Mikrofone, die Tastatur oder die eingebauten Kameras Überwachungsfunktionen auszuüben. Das ist keine Zukunftsmusik und wir wissen aus laufenden Strafverfahren derzeit zum Beispiel, dass ein Messenger-Dienst, Telegram, inzwischen so weit von den Sicherheitsbehörden geknackt werden kann, dass dort entsprechend die Verschlüsselungstechnologie ausgehebelt wurde.
    "Die Bundesregierung ist doppelzüngig"
    Armbrüster: Und die Bundesregierung, die drückt überall ein Auge zu?
    Renner: Na ja. Ich würde nicht sagen, die drückt ein Auge zu. Aber sie ist natürlich doppelzüngig. Auf der einen Seite raten wir den Bürgern und Bürgerinnen immer wieder zurecht, nutzt Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, guckt, dass ihr nicht jede E-Mail, die einen vertraulichen Inhalt hat, über eine offene Leitung schickt, informiert euch und schützt euch. Auf der anderen Seite ertüchtigen wir unsere Sicherheitsbehörden genau dazu, diese sichere Kommunikation zu knacken, und ich glaube, da muss man tatsächlich irgendwann auch mal einen Riegel vorschieben. Da wo Strafverfolgung gemeint ist, da wo die Polizeien aktiv sind, das Bundeskriminalamt, wo es um Strafvorwürfe geht, da gibt es natürlich die Möglichkeit, Kommunikation zu überwachen. Aber da, wo Unbescholtene, auch unbescholtene Dritte betroffen sind, ich glaube, da muss man ganz klar sagen, da steht unser Grundgesetz vor und da darf so einfach nicht mitgehört werden.
    "Ein Geheimdienst ist ein politisches Instrument"
    Armbrüster: Frau Renner, jetzt hören wir ja immer wieder, dass wir in sehr unsicheren Zeiten leben. Deutschland, Europa, umgeben von Krisen- und Konfliktherden. Wir hören, dass die Terrorgefahr bei uns recht groß ist, dass es Anzeichen gibt für Terroranschläge, die überall in Deutschland geplant werden. Ist es da nicht sinnvoll, wenn die Geheimdienste Methoden entwickeln, um solchen Tätern möglichst schon vor der Tat auf die Spur zu kommen?
    Renner: Wenn es den Geheimdiensten darum ginge, würde das alles ganz gut klingen. Aber wir wissen gerade aus der Arbeit unseres Untersuchungsausschusses, dass an vielfältigen Stellen sich diese Überwachungsmaßnahmen eben nicht gegen Terroristen gerichtet haben, sondern zum Beispiel gegen Nichtregierungsorganisationen, Journalisten und Journalistinnen, Regierungsstellen in befreundeten europäischen Staaten, auch Parlamentarier und sogenannte Berufsgeheimnisträger und -trägerinnen - und das hat dann überhaupt nichts mehr mit dem Anti-Terror-Kampf zu tun. Und da muss man tatsächlich sagen, ein Geheimdienst ist ein politisches Instrument und verfolgt tatsächlich auch noch ganz andere Zwecke, zum Teil auch Wirtschaftsspionage.
    Das zweite Argument, was ich dann immer einbringe, ist: In den wenigsten Fällen kommen Erkenntnisse aus dem Bereich der Kommunikationsüberwachung dahin, dass sie tatsächlich einen wichtigen Anteil haben, im Vorfeld Terrortaten zu unterbinden oder im Nachgang aufzuklären. Das ist tatsächlich ein Bereich, wo viel mehr die menschlichen Quellen eine Rolle spielen. Hinweise, die die Geheimdienste von Spitzeln erhalten, haben ein viel, viel höheres Gewicht in diesem Bereich der Terrorabwehr als nun die Überwachung. Und da, wo es Massenüberwachung ist, wissen wir, dass sie vollkommen untauglich ist, im Heuhaufen die einzelne Stecknadel zu finden, die zum Beispiel dann einen Gefährder ausmacht im Bereich des Islamismus.
    Armbrüster: Sagt hier bei uns im Deutschlandfunk in den "Informationen am Mittag" Martina Renner, Innenpolitikerin der Linkspartei. Ich danke Ihnen vielmals für das Gespräch, Frau Renner.
    Renner: Ich danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.