Dienstag, 19. März 2024

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Wikingerfrauen
Zwischen Odin, Thor und Maria

Die Götterwelt der Wikinger war ein Männerclub für Kämpfer und Kriegergötter. Im 9. Jahrhundert kam das Christentum nach Skandinavien und machten den Frauen ein attraktives Angebot: eine Muttergottes.

Von Ana Suhr | 14.10.2020
Das Ansgar Kreuz in Birka, Schweden, der wichtigsten Handelsstadt der Wikinger
Ein Kreuz für den "Apostel des Nordens" in der ehemaligen Wikinger-Stadt Birka (imago images/ Fredrik Sandberg)
Grab 581. Skelettgrab. Eine Grube. In dem Westteil der Grube eine gezimmerte Kammer. Das Grab war mit großen Steinen bedeckt. Die Skelette, das eines Mannes, der wahrscheinlich in sitzender Stellung beigesetzt war, und die der zwei Pferde, ziemlich gut erhalten. Beigaben: Eisenschwert; Hiebmesser; Eisenmesser; 2 Speerspitzen; Eisenaxt; 25 Pfeilspitzen; 2 Schildbuckel; Eisenbeschläge; 2 Steigbügel; grauer Schieferwetzstein …
1943 veröffentlichte der schwedische Archäologe Holger Arbman seine Untersuchungen und Studien zu den Gräbern von Birka. Darin ist nachzulesen, wie prächtig das Wikingergrab mit der Inventarnummer Bj 581 ausgestattet war. Seit seiner Entdeckung im späten 19. Jahrhundert galt es in der archäologischen Forschung deshalb als eines der berühmtesten Fürstengräber der Wikingerzeit.
Berühmter Wikingerfürst war eine Frau
Der darin bestattete Wikinger hatte nicht nur zwei Pferde samt Zaumzeug dabei, sondern auch eine stattliche Anzahl an Waffen. Er war in vornehmer Kleidung beigesetzt worden, mit kostbarem Schmuck und einer Seidenkappe auf dem Kopf. Ein vollständiges Brettspiel weist ihn als klugen Strategen aus, Gewichte und die Überreste einer arabischen Silbermünze deuten auf einen weitgereisten Händler hin. Es gibt in dieser Beschreibung allerdings einen Fehler: Im Grab Nr. 581 ist gar kein Wikingerfürst bestattet. Matthias Toplak:
"DNA-Analysen haben dann ergeben, dass es sich dabei faktisch um eine biologische Frau handelt, die dort als Mann und zudem auch noch als Krieger beigesetzt worden ist. Das ist momentan auch das einzige Grab in dieser Ausprägung, dass wirklich eine biologische Frau als Mann beigesetzt worden ist. Momentan wissen wir eigentlich noch gar nicht, was wir damit jetzt anfangen sollen."
Ein Wikinger mit Axt vor einem Feuer auf einer Party 2004 in Edinburgh, Schottland.
So könnte ein Wikinger-Krieger ausgesehen haben - oder ist es etwa eine Frau, die hier die Axt schwingt? (picture alliance / dpa / Maurice McDonald )
Der Mittelalterarchäologe Matthias Toplak ist vorsichtig mit einer Deutung. An der Universität Uppsala wurden die Knochen des vermeintlichen Wikingerfürsten im Jahr 2017 genetisch untersucht. Wenige Jahre zuvor kamen bereits erste Zweifel an der geschlechtlichen Zuordnung auf: Die Maße von Beckenknochen und Kiefer deuteten eher auf eine Frau hin. Die DNA-Analyse hat diese Vermutung bestätigt – und die Fachwelt damit in Aufruhr gebracht.
Schnell machten Forderungen die Runde, die Geschichte der Frauen in der Wikingerzeit müsse neu geschrieben werden. Gleichzeitig meldeten sich Stimmen, die vorsichtig nachfragten, ob nicht vielleicht Knochen vertauscht worden sein könnten?
Familienoberhaupt, keine Kriegerin
Mittlerweile allerdings besteht in der Fachwelt kein Zweifel mehr an der Geschlechteridentität der sogenannten Kriegerin von Birka. Nur dass sie tatsächlich eine Kriegerin war, die selbst das Schwert geschwungen hatte, glaubt Toplak nicht. Matthias Toplak:
"Die Analyse der Knochen deutet darauf hin, dass diese Frau tatsächlich selber nie gekämpft hat. In den Knochen zeigen sich keinerlei verheilte Verletzungen, Traumata oder Ähnliches. Und auch die Muskelansätze, gerade an den Oberarmen, sind nicht so intensiv ausgeprägt, wie wir das erwarten würden, wenn jemand tatsächlich regelmäßig mit Schwert und Schild trainiert oder kämpft."
Auch Rudolf Simek zweifelt an der Deutung als Kriegerin. Der Österreicher ist Professor für Skandinavistik an der Universität Bonn und hat zahlreiche Publikationen über Wikinger und germanische Mythologie geschrieben. Rudolf Simek:
"Dieses berüchtigte Grab zeigt eine erwachsene Frau in voller Bewaffnung. Das heißt aber noch lange nicht, dass das eine echte Kriegerin ist. Wenn – wie wir auch von Runensteinen wissen – durch Todesfälle unter der männlichen Verwandtschaft eine Frau zum Oberhaupt der Familie wurde, dann kann es gut sein, dass man ihr die Insignien eines solchen Familienoberhaupts mitgegeben hat, unabhängig davon, ob die jemals in ihrem Leben ein Schwert wirklich geführt hat."
Zieht man für eine genauere Deutung altnordische Schriftquellen heran, scheint eines zumindest sicher: Wäre diese Frau im Kammergrab von Birka tatsächlich eine Kriegerin gewesen, einen Platz an Odins Tafel in Walhall hätte sie wohl nicht erhalten. Walhall, die prächtige, himmlische Königshalle von Göttervater Odin. Walküren bringen die gefallenen Wikingerkrieger dorthin. Für die raubeinigen Helden mit ihren rauschenden blonden oder roten Bärten und wilden Locken steht dort eine üppig gedeckte Tafel bereit.
Das Walhall der Wikinger
Tagsüber bereiten sich die Krieger im Kampf auf Ragnarök vor, den bevorstehenden Weltuntergang. Abends aber feiern sie ausschweifende Bankette mit Musik und extatischem Tanz und heben immer wieder ihre Trinkhörner. Bier und Met fließen in Strömen.
Unser heutiges Bild von Walhall beruht eher auf Fantasievorstellungen aus dem 19. Jahrhundert, wie sie in der skandinavischen Nationalromantik oder bei den Inszenierungen von Wagner-Opern zu finden sind. Wie sich die Wikinger selbst ihr Jenseits vorgestellt haben, bleibt unklar. In der Fülle altnordischer Schriften gibt es nur wenige Texte, die Walhall erwähnen und davon nur zwei Gedichte, die aus der Wikingerzeit stammen. Rudolf Simek:
"Wir haben zwei Skaldengedichte aus dem 10. Jahrhundert, und das Spannende ist: Dort ist Walhalla ziemlich bedrohlich. Da ziehen diese Helden zwar über eine Jenseitsbrücke nach Walhalla, haben aber Schiss vor Odin, weil Odin immer ein unverlässlicher Gott ist. Mit Odin weiß man nie, woran man ist. Und außerdem sind sie tot, das ist ihnen nur zu gut bekannt, dass also hier jede Menge von Leichen im Prinzip in das Jenseits ziehen, und so ein attraktiver Aggregatzustand ist das ja auch nicht."
Die Giganten aus der nordischen Mythologie bereiten sich auf die letzte Schlacht vor
Der Weltuntergang als große Schlacht Ragnarök in der nordischen Mythologie (imago images/ The Holbarn Archive)
Weitere Quellen sind zwei altnordische Gedichte aus dem 12. Jahrhundert und die Sammlung des isländischen Historikers und Dichters Snorri Sturluson aus dem 13. Jahrhundert. Er schrieb ältere, bis dato nur mündlich überlieferte Gedichte nieder und veröffentlichte sie als Handbuch für höfische Dichter. Diese "Prosa-Edda" genannte Schrift liefert uns die heute bekannteste Darstellung Walhalls, die allerdings schon von christlichem Gedankengut geprägt ist. Rudolf Simek:
"Wir haben kein einziges Beispiel, dass eine Frau auf dem Schlachtfeld gestorben ist. Und die Frauen, die dort als Kellnerinnen wie auf dem Oktoberfest tätig sind, das sind angeblich Walküren. Ursprünglich sind Walküren Totendämonen. Die gehören schon nach Walhall, wer bringt sonst die Toten nach dorthin? Aber dass die dort plötzlich Bier ausschenken oder Wein ausschenken, das ist nicht die ursprüngliche Bedeutung der Walküren, sondern das ist Hochmittelalter."
Kellnerin nicht Kriegerin?
Die "Kriegerin von Birka" – also nur eine Kellnerin, die in Walhall die gefallenen Krieger bedient? Das ist keine attraktive Jenseitsvorstellung. Hatten gesellschaftlich hochrangige Frauen nach altnordischem Götterglauben überhaupt Chancen auf ein attraktives Dasein nach dem Tod? Der neue Glaube, der aus dem Fränkischen Reich nach Skandinavien kam, hatte da schon mehr zu bieten, meint Matthias Toplak:
"Wir können ja durchaus davon ausgehen, dass die Wikingerzeit und auch die Kosmologie, die wir fassen können, eine ziemliche Männerwelt ist: also die obersten Götter Odin und Thor als Kampf- und Kriegergötter, Männergötter, dass dort dann Maria als Muttergottes eine durchaus akzeptable oder interessante Alternative für die Frauen der Wikingerzeit war."
Bereits im 9. Jahrhundert kam der Benediktiner-Mönch Ansgar von Bremen zweimal nach Birka, um die Wikinger zu missionieren. Von der Katholischen Kirche wird Ansgar noch heute als "Apostel des Nordens" verehrt.
Szene aus dem Film "Viking Women and the sea serpent" von Abby Dalton, 1957
Männerwelt. Popkulturelle Darstellung von Wikinger-Männern und Frauen in den 1950er Jahren (imago images /Courtesy Everett Collection)
"Es gab vermutlich eine kleine christliche Gemeinde, die von dem berühmten Ansgar gegründet worden ist. Es gibt eine Reihe von Gräbern, die ost-west-orientiert sind, die sich auch so stark überlappen, dass wir davon ausgehen, dass sie in einem eingehegten Gebiet angelegt worden sind, dass man also einen frühen christlichen Friedhof hatte mit geweihter Erde, in dem man die Bestattung anlegen musste. Das sind allerdings keine christlichen Bestattungen in dem Sinne, wie wir sie heute wahrnehmen, sondern wir befinden uns in einer Phase des Übergangs zwischen Heidentum und Christentum."
Zwischen Wikingerglaube und Christentum
Ansgars Bekehrungsversuche waren nur mäßig erfolgreich: Eine christliche Stadt wurde Birka nie.
Birka: Mit bis zu 1000 Einwohnern eine der größten und wichtigsten Städte der Wikingerzeit, auf der Insel Björkö im Mälarsee gelegen – ganz in der Nähe des heutigen Stockholm. Birka war Umschlag- und Handelsplatz für die Waren, die schwedische Wikinger von ihren Handelsfahrten nach Osten mitbrachten.
Bereits im 17. Jahrhundert wurde bekannt, wo im Mälarsee Birka gelegen haben musste, aber erst 1891 begann eine systematische Erforschung der Insel. Damals kam der Insektenkundler Hjalmar Stolpe nach Björkö, um in Bernstein eingeschlosse Insekten zu suchen. Gefunden hat er zahlreiche Knochen und Gegenstände aus der Wikingerzeit. Er fing damit an, über ein Drittel der insgesamt etwa 3000 Hügelgräber von Birka zu untersuchen, darunter auch das vermeintliche Fürstengrab. Arnulf Krause:
"Hügelgräber, die sind nur bestimmten Kreisen, Königen, Häuptlingen, waren nur für die vorgesehen, aber wie etwa Sklaven und Sklavinnen darüber dachten – wenn sie Pech hatten, wurden sie getötet und zu einem Häuptling mit ins Grab gelegt. Wir haben ja immer nur sehr exponierte Funde und Funde mit Beigaben. Das waren nicht die ärmsten Leute, also der arme Mann, die arme Frau, sie werden nicht erwähnt, die kommen da überhaupt nicht vor."
Auch Arnulf Krause ist Skandinavist und lehrt an der Universität Bonn.
"Und dann kommt so ein christlicher Missionar und bietet ganz einfache Vorstellungen, sagt: Wenn ihr euch so und so moralisch verhaltet, dann werdet ihr mit dem Tod ohne alle Beigaben bestattet, jeder bekommt sein Totenhemd, und ihr werdet dann in eurer Kiste bestattet. Und die Seele, sie kommt dann eben ins Paradies. Und wenn ihr euch böse verhaltet, kommt sie halt in die Hölle. Das ist ganz einfach und gut nachzuvollziehen."
Christliche Angebote für Frauen
Für Wikingerfrauen war das Christentum in gleich mehrfacher Hinsicht interessant. Nicht nur das vielversprechendere Jenseits war dafür ausschlaggebend, auch im Diesseits gab es einige ganz praktische, persönliche oder gesellschaftliche Vorteile. Arnulf Krause:
"Wir müssen auf die Situation des frühen Mittelalters um das Jahr 1000 herum schauen. Es war eine patriarchalisch geprägte Gesellschaft. Die Kirche machte da für Frauen ganz interessante Angebote. Einmal, indem sie die Monogamie propagierte. Das, denke ich, war für Frauen nicht uninteressant. Vor allem verdammte die Kirche zumindest offiziell ja auch dieses Unwesen, dass nun der Mann beliebig viele Geliebte – Sklavinnen, abhängige Frauen – haben konnte, und sie bietet natürlich auch gewisse Sicherheiten im Eheschluss. Eine Ehe muss geschlossen werden unter dem kirchlichen Patronat und sie ist nicht mehr zu brechen und zu beenden."
Mit den missionierenden Mönchen kamen auch die christlichen Orden in den hohen Norden. Sie zeigten ein Lebenskonzept auf, das bisher in Skandinavien nicht bekannt war:
"Nonnenklöster boten Frauen tatsächlich eine Möglichkeit sogar der Freiheit, der Freiheit vor den gesellschaftlichen Zwängen, in einer Ehe gebunden zu sein, in einem männlichen Gewaltmonopol bedrängt zu werden. Man konnte sich in eine Frauenwelt zurückziehen."
Sagt Krause. Die Bekehrungsgeschichte der Skandinavier zog sich über mehrere Jahrhunderte hin. Das benachbarte Fränkische Reich oder auch England und Irland waren schon zu Beginn der Wikingerzeit christliche Reiche.
Plünderungen und Handelsvorteile
Vor allem dänische und norwegische Wikinger suchten auf ihren ersten Plünderfahrten nach Westen Ende des 8. Jahrhunderts christianisierte Landstriche auf. Die dort angesiedelten Klöster waren für sie überaus reizvolle Ziele: reich an Gold und Wein und weitgehend unbewacht.
Ein Wikinger Langboot aus dem Film "The Vikings" von 1958.
Ein Wikinger-Schiff in einem Fjord. (Archivbild) (imago / Mary Evans )
Neben den wiederkehrenden Raubzügen knüpften die Skandinavier im Laufe der etwa dreihundertjährigen Wikingerzeit aber auch Handelskontakte und etablierten ein weitverzweigtes Handelsnetz bis weit nach Asien und Arabien hinein – und über ganz Europa.
Und dort gab es ein Problem: Christen durften nur mit anderen Christen Handel treiben. Rudolf Simek:
"Den Wikingern wurde eine Möglichkeit gegeben, mit den christlichen Handelsleuten Handel zu treiben, wenn sie sich mit der Primsigning bezeichnen lassen. Also eine Vor-Bezeichnung mit dem Kreuzzeichen, das eigentlich etabliert hat, dass sie ab jetzt Katechumenen sind, also Bewerber um die Taufe, die irgendwann unterrichtet werden und in der nächsten Osternacht dann auch getauft werden."
Allmählich wuchs die Zahl der Christen unter den Wikingern. Zuerst wurde das heutige Dänemark christianisiert, dann Norwegen, und schließlich ließen sich auch in Schweden mehr und mehr Menschen taufen – nicht nur in Birka, sondern überall im späteren schwedischen Reich –, "… vor allem Frauen", sagt Mittelalterarchäologe Matthias Toplak.
Ambivalente Rolle der Frauen
"Wir haben tatsächlich die Vermutung, dass Frauen die treibende Kraft bei der Christianisierung des Nordens waren. Archäologisch lässt sich das schwer nachweisen. Offensichtlich ist das allerdings auf den Runensteinen, die gerade in Schweden errichtet worden sind, also Gedenksteine mit ziemlich formelhafter Inschrift. Und dort haben wir erstaunlich häufig Frauen, die dann Steine mit christlichen Weihe-Inschriften errichten ließen und ganz besonders häufig dann auch mit einer Anrufung der Muttergottes, also Maria."
Eine besondere Gruppe dieser schwedischen Runensteine heißt "Ingvarsteine". Benannt sind sie nach Ingvar, dem Weitgereisten, der auf Expeditionfahrt zum Kaspischen Meer war und dort mit seinen Männern in eine Schlacht geriet. Der vielen dabei verstorbenen Wikinger wurde zuhause gedacht, indem man Runensteine aufstellte, aber auch, indem man die Abenteuer dieser Fahrt in einer Saga niederschrieb. Rudolf Simek:
"Diese Saga von Ingvar, dem Weitgereisten ist natürlich ein klerikal triefender Text geradezu. Der Held befindet sich ja, wenn wir uns das anschauen, eigentlich nicht auf einer Abenteuer- oder Entdeckungsreise, das auch. Aber de facto ist er auf einer Missionsreise, und das heißt, sein Christentum, das wird herausgestrichen durch so Elemente, die sich im mittelalterlichen Denken finden, nämlich, dass die Frau eine Versucherin ist, und heidnische Frauen, das ist ja noch viel schlimmer, nicht, und noch dazu heidnische Frauen in einem feindlichen Umfeld."
Da sahen sie eine große Schar Frauen zum Heerlager kommen [...] Yngvar hieß seine Männer, sich vor den Frauen wie vor den schlimmsten Giftschlangen zu hüten. Als es aber Abend wurde und das Heer sich zum Schlafengehen rüstete, kamen die Frauen zu ihnen in die Kriegszelte, und die vornehmste von ihnen wollte das Bett mit Yngvar teilen. Da wurde er zornig, nahm seinen Dolch und stach sie in die Geschlechtsteile. Als das Heer sein Verhalten sah, begannen sie, diese üblen Frauen zu vertreiben; es gab jedoch einige, die ihren Verführungen aufgrund der teuflischen Zauberei verfielen und mit ihnen schliefen. [...] Am Morgen, als sie die Truppen musterten, lagen 18 Männer tot da.
Rudolf Simek:
"Das Christentum wird hier mit mentaler körperlicher Gesundheit gleichgesetzt. Und diese wahrscheinlich gar nicht absichtlich sündhaften Frauen – nur sind sie halt Heidinnen und Götzendienerinnen und so weiter –, die sind nicht nur eine Bedrohung für das Seelenheil, sondern für das Heil seiner Männer an und für sich."
Geschlechtswechsel
Die Frau aus dem Kammergrab in Birka starb ungefähr hundert Jahre vor den Geschehnissen um Ingvar. Aber auch sie hatte Kontakte nach Osten, das sieht man an ihren Grabbeigaben: der Kappe aus Seide und der arabischen Münze. Unklar bleibt, ob sie selbst dorthin gefahren war und Handel betrieb. Und ein besonderes Rätsel gibt ihre Männerkleidung auf, die in den archäologischen Funden bislang einzigartig ist. In der Literatur allerdings gibt es eine Frau, die sich als Mann ausgab: Hervör, eine der Hauptfiguren aus der Hervarar-Saga.
Arnulf Krause: "Diese Hervör der Saga-Literatur, sie fühlte sich als Kriegerin, sie trat als Kriegerin auf, aber eben auch unter einem männlichen Namen. Es heißt, sie wechselte anscheinend ihr offizielles Geschlecht und gab sich gar nicht als Frau zu erkennen. Es ist natürlich ein hochinteressanter Punkt."
Die Hervarar-Saga gehört zur Gattung der Vorzeitsagas, die um das 13. Jahrhundert herum entstanden, aber Jahrhunderte zurückliegende Ereignisse beschreiben. Arnulf Krause bezeichnet diese Saga-Gattung als "Fantasy-Geschichten" der altnordischen Literatur. Allerdings basiert die Geschichte von Hervör teilweise auf älteren Strophen, die vermutlich bereits in der Wikingerzeit bekannt waren.
War eine Frau wie Hervör also nur eine literarische Fantasiegestalt oder ist die vermeintliche Kriegerin von Birka vielleicht ein Indiz dafür, dass es solche Frauen tatsächlich gab? Arnulf Krause:
"Haben wir so eine Art ernst gemeinter Mimikry oder hat das überhaupt nichts mit ihr zu tun, sondern hat es einfach eine symbolische Bedeutung, dass ihr beispielsweise die Waffen ihres Mannes oder eines nahen Verwandten mitgegeben wurden?"
Es gibt durchaus weitere Gräber der Wikingerzeit, in denen Frauen mit Waffenbeigaben bestattet sind. Ein Großtel aller Gräber ist bislang noch überhaupt nicht genetisch untersucht worden. Wie viele Frauenknochen liegen noch in anderen vermeintlichen Männergräbern? Und weisen alle männlichen Skelette aus Kriegergräbern Kampfverletzungen auf? Die jahrzehntelange Interpretation von Grab BJ 581 als Fürstengrab erzählt möglicherweise mehr über unsere gegenwärtigen Vorstellungen der Wikingerzeit als über das mögliche Leben der bestatteten Person.