Dienstag, 16. April 2024

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Themenschwerpunkt: "Dekolonisiert euch!"
Die Grönland-Mission

Im Jahr 999 bekam der Wikinger Leif Eriksson vom norwegischen König den Auftrag, das Gebiet im Atlantik zu christianisieren. Kirchen wurden gebaut und Klöster errichtet. Doch in der abgeschiedenen Region wurde der neue Glaube kaum praktiziert. Der Grund: fehlende Priester.

Von Ana Suhr | 18.06.2020
Im grönländischen Tunulliarfik ehrt eine Statue den Entdecker Leif Eriksson - auf seiner Brust prangt ein Kreuz
Leif Eriksson war nicht nur der Entdecker Amerikas - er war auch Christ (imago stock&people / Cindy Miller Hopkins)
Sachte plätscherte das Wasser im Sund zwischen der Insel und der Landzunge. Einige Männer sprangen über die niedrige Bordwand an Land und schoben das schwere Holzschiff auf den nassen Ufersand hinauf. Nach und nach betraten alle das Ufer und machten sich auf, die unbekannte Umgebung Vinlands zu erkunden.
"Sie kamen zu einer Insel, die nördlich des Landes lag, und gingen dort hinauf und sahen sich bei gutem Wetter um. Sie fanden da Tau auf dem Gras und berührten da als erstes mit den Händen den Tau und führten ihn zum Mund und dachten, noch nie etwas Süßeres gekostet zu haben." (Grænlendinga saga)
Auch wenn der Tau hier nicht "vom Himmel herabträufelt" wie es im Alten Testament geschrieben steht, so erinnert die Beschreibung Vinlands in den altnordischen Erzählungen, den Sagas, doch sehr an das Gelobte Land.
"Die Entdeckung war zufällig"
Der Name Vinland, Weinland, klingt verheißungsvoll. Die Männer, die sich auf den Weg zur Landnahme machten, kamen aus dem hohen Norden: Wikinger hatten gerade als erste Europäer amerikanischen Boden betreten – vermutlich das heutige Neufundland an der kanadischen Ostküste. Die Entdeckung Vinlands war allerdings nicht geplant.
"Wir hören in beiden Sagas davon, dass diese Entdeckung deswegen zufällig war, weil Schiffe auf dem Weg nach Grönland vom Kurs abgetrieben wurden, das war die erste Sichtung. Und dann hat man sich in Form von tatsächlichen Expeditionen auf den Weg gemacht, um dieses neu entdeckte Land zu erforschen."
Rudolf Simek in der Kirche von Lieberhausen
Rudolf Simek ist einer der führenden Experten zur Kultur der Wikinger (Deutschlandradio / Ana Suhr)
Rudolf Simek ist Professor für Skandinavistik an der Universität Bonn. Die beiden Sagas, die er anspricht, sind die eingangs zitierte Saga von den Grönländern, "Grænlendinga saga", und die Saga von Erik dem Roten, "Eiríks saga rauða". Beide werden auch Vinland-Sagas genannt und sind vermutlich im 13. Jahrhundert niedergeschrieben worden. Sie gehören neben den archäologischen Überresten zu den wichtigsten Quellen für die Erforschung der Kolonisation Grönlands und der Entdeckung Amerikas im Mittelalter.
"Das Spannende daran ist, dass, - obwohl wir immer sagen, dass Amerika von Wikingern entdeckt wurde -, dass wir um 1000 sagen müssen: Es sind christliche, skandinavische, grönländische Bauern, die hier nach Amerika kommen."
Vom Heiden zum Missionar
Ihr Anführer ist Leif Eriksson. Er wurde um 970 in Island geboren als Sohn des berühmt-berüchtigten Wikingers Erik des Roten und seiner Frau Thjodhild. Erik bekam schon zu Lebzeiten den Beinamen "rauða", der Rote, – nicht nur wegen seiner roten Haare, sondern auch, weil an seinen Händen Blut klebte.
Wegen Totschlags wurde er für drei Jahre aus seiner Heimat Island verbannt. Diese Zeit verbrachte er mit einigen Gefolgsleuten in einer bis dato zwar bekannten, aber noch namenlosen und unerforschten Region weiter westlich im Atlantik. Zurück in Island machte er kräftig Werbung für eine Kolonisation und nannte das Gebiet geschäftstüchtig Grönland, grünes Land.
Bereits ein Jahr später, um das Jahr 990, segelte Erik mit seiner Familie und einer großen Anzahl Siedlern los. 25 Schiffe kämpften sich durch schwere See, nur 14 von ihnen erreichten die Küste Grönlands.
Ein Wikinger Langboot aus dem Film "The Vikings" von 1958.
Mit hochseetauglichen Langschiffen erreichten die Wikinger Amerika (imago / Mary Evans )
Die Menschen ließen sich auf den Küstenstreifen im Süden und im Westen der Insel nieder und gründeten dort zwei größere Siedlungen. Zu dieser Zeit spielte das Christentum noch keine Rolle für die neue Kolonie, doch das sollte sich bald ändern.
"Leif Eriksson wird vermutlich als Heide erzogen worden sein. Wir wissen, dass er 999 an den Hof des norwegischen Königs Olav Tryggvason fährt und von diesem den Auftrag bekommt, Grönland zu missionieren. Er muss also spätestens am Hofe von König Olav dann getauft worden sein. In den Sagas, in der 'Eiríks saga rauða', wird erwähnt, dass Leif nach Grönland zurückkehrt und dort missioniert und seine Mutter dann durch ihn das Christentum annimmt. Sie wird also vorher auch Heidin gewesen sein, genauso wie sein Vater Erik."
Erzählt der Archäologe Matthias Toplak. Er ist Post Doc an der Universität Tübingen und wissenschaftlicher Berater bei verschiedenen Fernsehdokumentationen.
"Erstaunlich hohe Zahl von Kirchen"
Leif Erikssons Missionierung Grönlands war überaus erfolgreich, wie Rudolf Simek feststellt:
"Also wenn man bedenkt, dass in Grönland in den beiden ja weit auseinander gelegenen Siedlungen höchstens 3000 Menschen gelebt haben, vielleicht auch nur 2000, dann sind 13 Kirchen, eine Kathedrale und drei Klöster eine erstaunlich hohe Zahl. Wir können also davon ausgehen, dass auf jedem größeren Hof ziemlich schnell zumindest eine kleine Kirche gebaut wurde."
Die allererste Kirche wurde vermutlich auf Eriks Hof Brattahlíð errichtet. Dort fanden Archäologen die Überreste einer kleinen Kapelle aus Torfsoden. Laut der Saga von Erik dem Roten wurde sie auf Wunsch von Leifs Mutter Thjodhild errichtet, die ihren Mann mächtig unter Druck setzte, wie Matthias Toplak aus der Saga von Erik dem Roten zu berichten weiß.
"Thjodhild hat versucht, ihren Mann, diesen knorrigen alten Wikinger Erik, zu bekehren und hat ihn in gewisser Weise erpresst, dass er auf seinem Hofgelände eine kleine Kapelle für sie und das Gesinde errichten lassen solle. Und andernfalls hätte sie sich geweigert, weiterhin mit ihm zu schlafen, solange er sich nicht taufen lässt."
"Hat aber nicht funktioniert! Alle Quellen sagen, dass der berüchtigte Erik der Rote der einzige Grönländer war, der das Christentum nicht angenommen hat," ergänzt Rudolf Simek.
Grönland gehörte lange zum Bistum Bremen
So schnell und offensichtlich begeistert die grönländischen Wikinger den christlichen Glauben angenommen hatten, so kompliziert gestaltete sich die Ausübung. Grönland lag einfach zu weit weg. Offiziell gehörte es bis zum 11. Jahrhundert zum damaligen Erzbistum Bremen, doch, so Matthias Toplak:
"Wir können ziemlich sicher davon ausgehen, dass die katholische Kirche überhaupt gar keinen Einfluss auf die Siedler vor Ort hatte, allein aufgrund der enormen Distanz. Wir wissen beispielsweise, dass 1118 das erste Bistum für Grönland eingerichtet wurde. Es dauerte über 100 Jahre, bis der erste Bischof vor Ort war, weil die anderen sich einfach weigerten, dort draußen auf dieser kalten Insel im Nordatlantik zu leben."
Matthias Toplak vor einer Bücherwand
Der Mittelalterarchäologe Matthias Toplak hat sich auf die Wikingerzeit spezialisiert (Deutschlandradio / Ana Suhr)
Diese abgeschiedene Region und der damit verbundene Priestermangel hat zu einigem Erfindungsreichtum der Grönländer geführt, beispielsweise bei den Bestattungssitten, die in der Saga von Erik dem Roten beschrieben werden:
"Nach der Annahme des Christentums war es in Grönland Brauch gewesen, die Toten auf den Höfen, wo sie gestorben waren, in ungeweihter Erde zu bestatten. Auf die Brust des Toten sollte ein Pfahl gesetzt werden und später, wenn ein Priester vorbeikam, musste der Pfahl herausgezogen und Weihwasser hineingegossen und das Requiem gesungen werden. Auch wenn das sehr viel später wäre." (Eiríks saga rauða)
"Unser Wikinger-Bild entspricht nicht den Tatsachen"
Etwa 500 Jahre lebten die Wikinger und ihre Nachfahren auf Grönland, dann verliert sich ihre Spur. Wann genau und warum sie ihre Siedlungen aufgegeben haben, ist bislang nicht eindeutig geklärt.
Nicht nur die grönländischen, auch die skandinavischen Wikinger gerieten für lange Zeit aus dem Blickfeld der Geschichte. Das änderte sich erst wieder ab dem 19. Jahrhundert. Skandinavisch-stämmige Bewohner Nordamerikas erinnerten sich wieder an ihre ersten Vorfahren auf dem amerikanischen Kontinent, und in Europa entstand im Zuge der Romantik ein regelrechter Wikinger-Mythos, der unser Bild von den Nordmännern bis heute prägt.
"Das Bild eines guten Christen passt nicht zu dem, was wir uns heute unter einem typischen Wikinger vorstellen, also einem etwas unkontrollierten, blutrünstigen, raubenden, mordenden Piraten. Das liegt daran, dass unser heutiges Wikinger-Bild auf Sagas aus dem Spätmittelalter beruht, die ein solches blutrünstiges, kämpfereiches Bild zeigen, das sicherlich nicht den Tatsachen entspricht. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass diese gelehrten klerikalen Isländer, die diese Sagas schreiben, selbst von diesen Wikingern abstammen und natürlich eine tolle Geschichte über Ur-Opa schreiben wollen."
Germanische Götter in Serien - Odins Comeback
Die Götter des germanischen Heidentums waren lange nicht mehr so präsent wie heute. Verantwortlich dafür sind Serien wie "American Gods" oder "Vikings". Wie exakt aber sind die Darstellungen der totgeglaubten Religion?
Leif Eriksson, der heute überall als Entdecker Amerikas gilt, starb vor 1000 Jahren. Die Geschichte seiner Eltern nahm vielleicht doch noch ein versöhnliches Ende, denn archäologische Ausgrabungen haben auf dem Hof von Erik dem Roten nahe Thjodhilds Kapelle etwas zutage gebracht, so Matthias Toplak:
"Es gibt drei interessante Gräber direkt an dieser Kapelle, die direkt an der Kirchenmauer liegen, also relativ hochrangige Plätze, zudem unterhalb der Traufrinne. Das ist eigentlich so der exponierteste Platz, den man auf einem Friedhof haben kann. Dort haben wir zwei Männer und eine Frau bestattet, und es gibt Spekulationen, dass es sich dabei tatsächlich um Thjodhild, Leif und Erik handeln könnte, man also diesen knorrigen alten Heiden durchaus auf dem Friedhof beigesetzt hat."