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Wilhelm-Raabe-Literaturpreis für Petra Morsbach
Milieuerkundungen in einem zehnjährigen Leidensprozess

Für ihren Roman "Justizpalast" wurde Petra Morsbach der Wilhelm-Raabe-Literaturpreis 2017 vom Deutschlandradio und von der Stadt Braunschweig verliehen. Der Versuch des Laudators, auf den 500 Seiten einen juristischen Fehler zu finden, blieb erfolglos - denn Richterinnen und Richter standen Morsbach über zehn Jahre lang zur Seite.

Hubert Winkels im Gespräch mit Gisa Funck | 06.11.2017
    Petra Morsbach, Preisträgerin des Wilhelm-Raabe-Literaturpreises 2017 der Stadt Braunschweig und des Deutschlandfunks.
    Preisträgerin des Wilhelm-Raabe-Literaturpreises 2017: Petra Morsbach (Stadt Braunschweig / Bogenberger / Autorenfotos.com)
    Gisa Funck: Hubert Winkels ist der verantwortliche Literaturredakteur im Deutschlandfunk für den Wilhelm-Raabe-Preis. Und auch ihn habe ich kurz vor dieser Sendung interviewt und gefragt, wie ihm denn die Gala des Wilhelm-Raabe-Preises gestern in Braunschweig gefallen hat.
    Hubert Winkels: Tatsächlich war ich ganz animiert, eigentlich mehr noch als sonst, weil durch den fulminanten, mit Aplomb gemachten Auftritt von Heribert Prantl, der sein ganzes so meinungsstarkes Reden in die Arena warf, bekam das Ganze sowieso schon mal einen starken Schub. Und die Antwort auf die Laudatio von Petra Morsbach, die war so bekennend persönlich über das Entstehen des Romans, in einem zehnjährigen Leidensprozess, kann man fast sagen - den sie nur mithilfe von Richtern, die ihr unter die Arme gegriffen haben, hinbekommen hat -, dass man am Ende richtig gerührt war. Also am Anfang war man aufgerührt und aufgewühlt vom Temperament, und am Ende war man gerührt über eine Geschichte, die erzählt wurde. Es war eine, fand ich, richtig rundum gute Veranstaltung.
    Erster Justizroman überhaupt
    Funck: Sie sagten gerade, Aplomb von Heribert Prantl, also der ist ja nicht nur Redakteur der "Süddeutschen Zeitung", sondern der ist ja ausgebildeter Jurist und ehemaliger Staatsanwalt, Richter. Wie war denn dieses Zusammentreffen zwischen dem Berufsjuristen Prantl und der ausgezeichneten Schriftstellerin?
    Winkels: Er ist Chef des Innenressorts. Ja, er hat einen Sträußlein mit Frau Morsbach auszufechten, das wusste ich als einer der wenigen und hab schon gedacht, dass es etwas knistert, weil sie ihn angegriffen hat vor anderthalb Jahren: Dass er zum 100. Geburtstag von Franz Josef Strauß - anders, als man erwarten konnte - sehr mild über seine Steuerverfehlungen geurteilt hat. Und dann hat sie einen wütenden Leserbrief geschrieben. Der wurde nie abgedruckt, und er hat auch prompt den Stier bei den Hörnern genommen und das Ganze noch mal sozusagen nacherzählt, worin der Konflikt eigentlich liegt. Ansonsten hat er sie in guter Kenntnis der juristischen und literarischen Kultur als ersten Justizroman überhaupt jemals quasi bezeichnet.
    Juristisch alles korrekt
    Funck: Also er hat "Justizpalast" als ersten Justizroman?
    Winkels: Ja, also der wirklich nur und ausschließlich Justiz - dieses gesellschaftliche Teilsegment der Justiz zum Thema hat. Dass Prozesse immer wieder vorkommen, Urteile immer wieder vorkommen, Herr von Goethe, Kleist wie Schirach, das ist ja klar, aber dass man wirklich das zum Gegenstand allein macht, gibt's eigentlich kein Beispiel. Das hat er sehr schön entfaltet, und dann hat er als Jurist gesagt, der erste Lektürendurchgang bestand nur darin, zu gucken, wo hat sie Fehler gemacht, sie ist ja keine Juristin.
    Funck: Und, hat sie denn welche gemacht?
    Winkels: Er hat keinen gefunden - was bei 500 Seiten bei einer Nichtjuristin ausschließlich über Justizthemen ja ein kleines Wunder ist.
    Überschwänglich, wechselseitig beseeligt
    Funck: Also trotz dieser vielleicht Spannung in der Sache Strauß gab es doch ein Lob von Heribert Prantl?
    Winkels: Ja, überschwänglich. Und na ja, man ist sich dann wirklich nachher um den Hals gefallen und war wechselseitig beseelt von diesem wunderbaren Zusammentreffen.
    Funck: Der Wilhelm-Raabe-Preis besteht nicht nur aus der Preisgala, sondern ist eingebettet in ein zweitägiges Literaturfestival. Sagen Sie uns doch mal, was passiert da denn?
    Winkels: Ja, die Idee zu dieser Langen Nacht der Literatur, die der Preisverleihung vorangeht, besteht darin, nur Preisträger einzuladen, sodass wir diesmal die Reihenfolge hatten: Petra Morsbach natürlich, dann den Büchner-Preisträger Jan Wagner, dann den Buchpreisträger Robert Menasse, dann Düsseldorfer Preisträgerin Marion Poschmann. Und das ist natürlich ein bisschen ein Selbstläufer, muss man sagen, weil die natürlich in diesem Jahr mit Preisen Ausgezeichneten auch das Publikum sehr, sehr interessieren. Am meisten hat mich gefreut, dass eine sehr spezielle Lyrikdiskussionsrunde mit Ilma Rakusa und Jan Wagner konzentrierte 300 Leute gefunden haben. Also es geht, war mein Eindruck, es geht mit der guten Literatur.
    Funck: Das meint Hubert Winkels zur Preisverleihung des Wilhelm-Raabe-Preises gestern in Braunschweig - ihn hat die Münchner Autorin Petra Morsbach für ihren Roman "Justizpalast" erhalten.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.