Archiv

Wim-Wenders-Ausstellung
Polaroidfotos aus der Zigarrenkiste

Klein, quadratisch und oft ein bisschen unscharf. Wim Wenders wollte mit seinen Polaroid-Fotos nie Kunstobjekte schaffen, sondern nutzte sie sein Leben lang als Gedankenstütze und Tagebuch. Beim Ordnen seines Nachlasses hat der Regisseur in einer Zigarrenkiste 2400 Polaroidbilder gefunden.

Von Oliver Kranz |
    Wim Wenders steht vor großformatigen Polaroidabzügen
    Ursprünglich nur als Gedankenstütze geplant: Die Polaroids von Wim Wenders (Oliver Kranz)
    Zu den Markenzeichen von Wim Wenders Filmen gehören monumentale, panoramaartige Bilder - die Wüste in "Paris Texas", das Meer oder "Der Himmel über Berlin". In seinen Polaroidfotos kommt ein anderer Wim Wenders Vorschein - nicht der große Künstler, sondern der Privatmensch, der mit der Sofortbildkamera sein Essen oder sein Auto fotografiert.
    "Die Leute wollten ihr Bild haben"
    Dass die Bilder quasi weiß aus der Kamera kamen und sich vor seinen Augen entwickelten, faszinierte ihn von Anfang an:
    "Es ist tatsächlich jedes Mal ein kleiner wunderbarer Vorgang gewesen, der auch sehr sozial war, weil manchmal standen ja Leute um einen herum. Die wollten auch gucken, wie sie da kommen, im wahrsten Sinn des Wortes, wie sie da erscheinen. Und das war das Problem mit den Polaroids. Die Leute wollten ihr Bild haben. Die wollten das nicht einsehen, dass dieses Unikat dem Fotografen gehört. Ich habe die meisten Fotos verschenkt, weil es auch klar ist, sie gehörten den Leuten."
    Die Bilder hatten nie den Anspruch Kunstobjekte zu sein. Wim Wenders benutzte sie als Gedankenstütze und Tagebuch. Die Ausstellung beginnt mit Fotos einer New-York-Reise in den frühen 70er Jahren. Wim Wenders fotografierte nicht nur die Wolkenkratzer, sondern auch sein ärmlich ausgestattetes Hotelzimmer.
    "Es erzählt die Geschichte, wie ein junger Regisseur in New York ankommt und sich wirklich faszinieren lässt von dieser amerikanischen Stadt", sagt Felix Hoffmann, der Kurator der Ausstellung. "Und dann fotografiert er aus diesem Hotelzimmer nach unten und fotografiert die Faszination von so einem hohen Gebäude auf einer Straßenkreuzung gucken zu können."
    Portrait beim Blick in den Spiegel
    Auch sich selbst hat Wim Wenders fotografiert - ein Porträt beim Blick in den Spiegel, wie er erklärt. "Es ist im Nachhinein erstaunlich, dass das überlebt hat und dass es das gibt. Damals war das ein normaler Gebrauchsgegenstand. Da waren immer Fingerabdrücke drauf. Und konnte auch was drauf schreiben und in die Hosentasche stecken."
    Als Wim Wenders seinen Nachlass ordnete, hat er die Polaroids in einer Zigarrenkiste gefunden - Alltagsfotos, aber auch Aufnahmen von Filmsets. Für Wim Wenders waren Polaroid-Fotos ein wichtiges Arbeitsmittel:
    "Filmemachen ging ja damals ähnlich wie das Fotografieren: Man sah ja nicht, was man gedreht hatte. Da haben wir jede Menge Polaroids gemacht, um eine Einstellung zu dokumentieren. Ich habe eigentlich von jeder Filmeinstellung auch ein Bild gemacht, damit ich hinterher sehen konnte: Das habe ich gedreht, das habe ich gedreht. Fehlt jetzt noch was? Also das war auch ganz konkretes Hilfsmittel, um ein Drehen ohne Drehbuch handgreiflicher zu machen."
    Zudem spielen Polaroid-Kameras in Wim Wenders' Filmen eine Rolle. "Alice in den Städten" erzählt von einem Journalisten, der von einer Amerikareise nicht den vereinbarten Text, sondern nur Fotos mitbringt. Er begegnet einem Mädchen, das ihn mit seiner Sofortbildkamera fotografiert. "Damit du siehst, wie du aussiehst", sagt die Kleine und macht mit diesem unschuldigen Satz einen ganzen Diskurs über Realität und Abbild auf.
    Regen aus Polaroid-Fotos
    Im Film "Der amerikanische Freund" legt sich der Hauptdarsteller Dennis Hopper auf eine Billardplatte, während er sich immer wieder mit einer Polaroid-Kamera fotografiert.
    Wim Wenders: "Die Szene stand nicht im Drehbuch. Es war eigentlich eine Szene, in der dem Dennis, also dem Ripley klar wurde, dass er was gemacht hatte, was einen anderen Mann fast das Leben gekostet hatte. Und dann wurde daraus die Szene, wo er sich hinlegt auf den Billardtisch und die Bilder auf sich herunterregnen lässt. Das war, als ob er um Vergebung bitten würde – es hatte etwas merkwürdig Rituelles. Wir wussten auch nicht, was es bedeutet, aber es schien genau richtig zu sein, für das, was er da tut."
    In der Ausstellung ist sowohl die Filmszene zu sehen, als auch eines der Polaroid-Bilder, die Dennis Hopper auf sich herabregnen ließ - damals ein Nebenprodukt des Films, heute ein Kunstobjekt mit hohem Wert. Polaroid-Bilder sind Unikate. Schon allein das macht sie im Zeitalter der grenzenlosen digitalen Kopierbarkeit interessant.
    Wim Wenders: "Irgendwie ist in diesen Bildern auf eine andere Art Geschichte anwesend, als das in heutigen Fotos möglich ist."
    Wim Wenders ist stolz auf seine Sofortbilder. Er präsentiert sie nicht nur in der Ausstellung, sondern auch in einem großen Fotobuch - mit zahlreichen Begleittexten.
    Die Ausstellung "Wim Wenders: Sofort Bilder" läuft bis zum 23.09.18 in der
    c/o Galerie in Berlin.

    Wim Wenders: "Wim Wenders: Sofort Bilder - 403 Polaroids und die Geschichten dazu"
    Schirmer/Mosel-Verlag München, 2018. 320 Seiten, 49,80 Euro.