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Windige Trends

Offshore-Kraftwerke galten lange als die Zukunft der Windstromgewinnung. Das hat sich mit dem Energiewende-Beschluss von 2011 etwas geändert: Gleich drei Bundesländer erlaubten neue Stellflächen für Windräder auf dem Land. Aber wie reagieren Ingenieure und Wissenschaftler auf diesen Trend?

Von Sönke Gäthke | 17.09.2012
    Windräder werden höher, drehen sich künftig auch auf den Bergrücken der Mittelgebirge und beteiligen sich an der Stabilisierung des Stromnetzes. Dieser Trend zeigt sich, seit klar ist, das 65 Prozent des deutschen Strombedarfs mit Windrädern auf nur zwei Prozent der Fläche Deutschlands gewonnen werden könnte. Ingenieure und Industrie reagierten prompt und entwickelten eine neue Binnen-Windradtechnik

    "die mit höheren Türmen und insbesondere mit deutlich gewachsenen Rotordurchmessern erreicht, dass wir Volllaststunden erzielen, die im Bereich von etwa 2000 bis 3000 Volllaststunden im Binnenland liegen, dass ist ein Wert, den wir vor zehn Jahren nur an der Nordsee erreicht haben"

    so Hermann Albers, Präsident des Bundesverbandes Windenergie. Die Türme der neuen Onshore-Windräder reichen jetzt bis in eine Höhe von 140 Metern, die Blattspitzen der Rotoren touchieren die 200-Meter Marke.

    Allerdings stellt sich nun die Frage: Was müssen die Türme da aushalten? Und wie viel Windstrom kann über den Bergrücken von Eifel, Taunus, Schwarzwald oder Bayrischem Wald erzeugt werden? Für solche Orte liegen bis jetzt noch kaum Winddaten vor, die genau genug wären für eine Kalkulation. Forscher des Fraunhofer-Instituts für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) in Kassel haben daher einen 200 Meter hohen Messmast entwickelt.
    "Der Mast steht hier in Kassel, in der Nähe von Wolfhagen, das ist etwa 30 Kilometer hier entfernt, dort ist ein Hügel, der ist großteils bewaldet, und aus der Hauptwindrichtung, dass heißt aus Süd-West, sind etwa zwei Kilometer Wald vorgelagert vor dem eigentlichen Standort des Messmasten."

    Das sei notwendig, so Doron Callies vom IWES, um zu messen , wie der Wind über den Bäumen abgebremst wird, und in welcher Höhe er wieder gleichmäßig weht. Am Mast sind daher alle 20 Meter Messgeräte angebaut, die die Windgeschwindigkeit und andere Wetterdaten erfassen. Seit Februar liefern sie Daten. Für eine fundierte Studie noch zu wenig,

    "Aber man sieht doch schon, dass die Windbedingungen an diesem Standort doch schon sehr gut sind, dass heißt eben, das Potenzial an hügeligen Standorten, auch bei bewaldeten Kuppenlagen, ist gut, jetzt in diesem Fall."

    Das heißt, die bereits heute möglichen Masthöhen reichen durchaus, um auf den Kuppen der Mittelgebirge gute Stromerträge zu erzielen. Darüber hinaus vergleichen die Kassler Forscher auch ihren Messmast mit LIDAR-Messgeräten. Das sind Geräte, die Windgeschwindigkeiten mithilfe von Laser messen, und die viel kleiner sind als komplette Masten.

    "Die ersten Ergebnisse aus dieser Kampagne, der Vergleich zeigt schon auch, dass das Gerät richtungsabhängig Fehler hat, (eben dort, wo sie besonders steil ist, sind sie groß, reichen auch in Höhen über 100 Meter noch in Bereich von bis zu fünf Prozent, was für die Windenergie relativ viel ist."

    Aber, so der Forscher weiter, diese Fehler könnten sich berechnen lassen. Und geht das, dann könnten die Ergebnisse der Laser-Messung korrigiert werden. Auf einen aufwendigen Mast könnten Ingenieure künftig verzichten, wenn sie untersuchen wollen, ob sich Windräder im Schwarzwald tatsächlich rechnen, und wie sie konstruiert werden müssten.

    Die Windräder gleichmäßig im Norden und Süden zu verteilen, hätte drei Vorteile: Es wäre billiger als Windenergie auf See, das Stromnetz könnte unter Umständen etwas langsamer ausgebaut werden, und die Windräder könnten im ganzen Land helfen, Spannung und Frequenz im Stromnetz zu halten. Davon ist Eckhard Quitmann vom Windradhersteller Enercon überzeugt.
    "Die Windenergieanlagen heute können eigentlich mehr, als meistens benutzt wird."

    Dazu zählt zum Beispiel die Spannung in den lokalen Netzen zu stabilisieren.

    "Das ist etwas, was heute schon praktiziert werden kann."

    Denn alle Windräder müssen ihren Strom für das Netz aufarbeiten, damit sie ihn einspeisen können. Dazu gehört, dass ihre Spannung zum Netz vor Ort passt. Das können 20.000 Volt sein oder 400.000. Diese Aufbereitung geschieht im Wechselrichter. Steigt jetzt im Netz die Spannung zu stark an, oder fällt sie, dann könnte dieser Wechselrichter auf diese Spannung einwirken und sie wieder in den normalen Bereich zurückholen.
    "Ein zweites Thema, was dann aber meiner Meinung nach später kommt, ist das Thema Beitrag zur Frequenzregelung."

    Der Strom im Netz schwingt mit 50 Hertz. Möglichst genau. Fällt oder klettert die Frequenz zu sehr, könnten zum Beispiel die Turbinen der Kraftwerke beschädigt werden. Wenn mehr Strom erzeugt wird als gebraucht, steigt sie. Darauf können Windräder einfach reagieren.

    "Wenn die Frequenz zu hoch ist, dann können sie nämlich die eingespeiste Leistung reduzieren, das geht innerhalb von wenigen Sekunden, und damit einen Beitrag liefern. Schön."

    Aber fällt die Frequenz, wird weniger Strom erzeugt als gebraucht. Hierauf können Windräder kaum reagieren – es sei denn, sie würden immer ein bisschen weniger Strom liefern als sie könnten. Dann würden die Anlagenbetreiber aber auch weniger Geld verdienen. Eckhard Quitmann hatte daher eine andere Idee:

    "Da können wir schlagartig eine gewisse, zusätzliche Wirkleistung mobilisieren, indem wir den Generator als elektrische Bremse benutzen und den Rotor stärker abbremsen als der Wind ihn antreibt."

    Durch diesen Kniff erzeugt das Windrad dann mehr Leistung, für etwa zehn Sekunden. Danach muss die Elektronik den Rotor aber wieder freigeben, damit der Wind den Rotor weiter drehen kann. Ob diese zehn Sekunden reichen, das müsste mit dem Übertragungsnetzbetreiber vor Ort geklärt werden. Für diese Entwicklung ist aber noch etwas Zeit: Quitmann schätzt, dass sich Windräder frühestens 2015 an der Frequenzhaltung beteiligen müssen.