Freitag, 19. April 2024

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"Wir befinden uns in der Vorphase einer Pandemie"

Laut dem Leipziger Mediziner Bernhard Ruf stellt die Vogelgrippe eine ernstzunehmende Gefahr für den Menschen dar. Man befinde sich in der Vorphase einer Pandemie, sagte Ruf. Das Einsperren von Geflügel nannte Ruf derzeit eine wenig sinnvolle Maßnahme. Die Politik sollte vielmehr die Vorräte an Medikamenten gegen die Vogelgrippe aufstocken.

Moderation: Dirk Müller | 12.10.2005
    Dirk Müller: Panikmache oder mögliches, realistisches Szenario? Darüber wollen wir nun sprechen mit dem Mediziner Bernhard Ruf, Chef am Leipziger St. Georg Klinikum. Guten Morgen.

    Bernhard Ruf: Guten Morgen.

    Müller: Herr Ruf, ist das alles nur medienwirksamer Aktionismus?

    Ruf: Nein, das nicht. Wir warnen ja zurecht vor der Ausbreitung der Vogelgrippe mit dem Virus, was wir in Südostasien kennen. Was wir jetzt sehen, ist ja die Vogelgrippe, die in der Türkei und in Rumänien entstanden ist, wo aber noch kein Zusammenhang besteht mit der Vogelgrippe in Südostasien. Wir haben also die Geflügelpest in Europa. Die hatten wir schon öfter. Aber bisher ist nicht bewiesen, dass dieser Erreger auch gefährlich für den Menschen ist.

    Müller: Wie groß ist die Gefahr, dass dieser Erreger in die falsche Richtung mutiert?

    Ruf: Der Erreger kann in die falsche Richtung mutieren. Das heißt, er kann sich an den Menschen anpassen. Das macht er ja gerade in Südostasien, H5N1 macht zunehmend Einzelfälle von Erkrankungen beim Menschen. Und wenn er lernt, leicht von Mensch zu Mensch überzuspringen, dann haben wir eine Pandemie.

    Müller: Und das ist wiederum?

    Ruf: Und das wäre die weltweite Ausbreitung eines Influenza-Virus, das neu ist, das vom Tier direkt auf den Menschen übergeht, gegen das die gesamte Menschheit empfänglich ist und keine Immunität besitzt.

    Müller: Das heißt, die Wissenschaftler, die Experten, die davor warnen, das hat in den vergangenen Tagen zugenommen, das muss man durchaus ernst nehmen?

    Ruf: Das muss man sehr ernst nehmen, denn wir befinden uns in der Vorphase einer Pandemie. Wie lange diese Vorphase anhält, weiß keiner. Wir müssen aber diese Zeit nutzen, um uns rechtzeitig vorzubereiten. Denn wenn die Pandemie ausbricht, dann ist vieles zu spät.

    Müller: Nun sagen, Herr Ruf, andererseits viele Wissenschaftler, alles nur Panikmache, keine Hektik, das war genauso wie bei SARS. Und da ist es auch nicht dazu gekommen, was man befürchtet hat.

    Ruf: SARS und eine Vogelgrippe kann man nicht vergleichen. Das SARS-Virus sprang zum Glück nur sehr schwer von Mensch zu Mensch, nur bei sehr engem Kontakt. Die Influenza ist da ganz anders. Sie wird praktisch durch Luft übertragen und kann deswegen sehr leicht von Mensch zu Mensch springen. Aber das genau kann das Vogelgrippevirus aus Südostasien noch nicht. Ob es das jemals lernt, das weiß man nicht.

    Müller: Reden wir über die möglichen Konsequenzen, die möglichen Maßnahmen. Das, was in diesem Notfallplan der Bundesregierung vorgesehen ist, reicht das aus?

    Ruf: Der Notfallplan sagt ja eines, dass man jetzt das Geflügel wegsperrt. Das, finde ich, macht wenig Sinn, weil der Vogelflug im Herbst von Nord nach Süd geht. Gefährlich wird es im Frühjahr, wenn der Vogelflug von Süd nach Nord geht. Dann muss man sehen, ob mit den Zugvögeln gefährliche Vogelgrippeviren eingeschleppt werden. Was aber Sinn macht, ist, dass man jetzt für die Bevölkerung Jahre vielleicht im voraus schon damit rechtzeitig Schutzmaßnahmen ergreift, zum Beispiel die Einlagerung von Medikamenten, die gegen das Vogelgrippevirus wirken, die Vorbereitungen auf dann eine im großen Maßstab anlaufende Impfstoffproduktion. Das sind sinnvolle Maßnahmen.

    Müller: Herr Ruf, das heißt die Medizin ist im Grunde potenziell schon soweit, dagegen etwas unternehmen zu können?

    Ruf: Die Medizin kann eine Menge mehr, als die Politik umsetzt. Denn zum Beispiel bei der Bevorratung mit den sogenannten Neuraminidase-Hemmern, die ja sehr wirksam sind gegen das Vogelgrippevirus, diktiert mir der Rotstift das Konzept, denn wir haben bisher zu wenig eingelagert.

    Müller: Eingelagert, das ist immer wieder eine Schwierigkeit. Gerade der Bundesregierung wird ja vorgeworfen, zu wenig Antiviren insgesamt vorzuhalten. Das heißt, auch in diesem Fall trifft das bislang zu. Und da sollte man schleunigst versuchen, das nachzuholen?

    Ruf: Also wir haben bisher, wenn meine Informationen stimmen, circa für acht bis zehn Prozent der Bevölkerung Neuraminidase-Hemmer - das sind die Medikamente, die gegen das Vogelgrippevirus wirken - eingelagert. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehl eine Bevorratung für 20 bis 25 Prozent der Bevölkerung. Da besteht noch Nachholbedarf. Der muss jetzt gedeckt werden. Denn wenn die Pandemie läuft, gibt es auf dem Markt keine Substanzen mehr.

    Müller: Wie sollte man sich denn derzeit als Einzelner verhalten in Deutschland wie auch im Ausland?

    Ruf: Im Inland kann man im Prinzip nichts machen, weil wir nicht empfehlen, dass sich Privatpersonen bevorraten, sondern der Staat muss in diesem Fall für die Seuche im Inland vorsorgen. Dazu ist der Staat in der Pflicht. Im Ausland wird es ganz klar. Wenn man in Regionen fährt, wo Vogelgrippe ist, dann sollte man sich impfen lassen gegen die normale Influenz - die gibt es da natürlich auch - und man sollte, wenn man in Hochrisikogebiete fährt, allen Tierkontakt meiden, besonders zu Geflügel. Und man sollte eine Packung Medikamente mitnehmen, Neuraminidase-Hemmer, die gegen Vogelgrippevirus wirken, so eine Art Stand-by-Medikation, wie wir sie ja von der Malaria vorbeugend teilweise kennen.

    Müller: Das heißt, Herr Ruf, hierzulande darf man nach wie vor alles mit Appetit verspeisen, was angeboten wird?

    Ruf: Hier darf man das und muss darauf hoffen, dass die Politik die richtigen Entscheidungen trifft.

    Müller: Bernhard Ruf war das, Chef am Leipziger St. Georg Klinikum. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.