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"Wir brauchen andere Sanktionsinstrumente"

Angesichts des jüngsten europaweiten Pferdefleischskandals fordert der Vize-Geschäftsführer der Verbraucherrechtsorganisation Foodwatch, Matthias Wolfschmidt, eine Stärkung der Informationsrechte für Verbraucher. Die Bundesregierung gehe hier dem Konflikt mit der Wirtschaft aus dem Weg, kritisiert Wolfschmidt.

Matthias Wolfschmidt im Gespräch mit Reinhard Bieck | 12.04.2013
    Christoph Heinemann: Wegen des neuen Pferdefleisch-Skandals hat SPD-Chef Sigmar Gabriel die Gründung einer "Europäischen Lebensmittelpolizei" gefordert. "Wir dürfen es nicht zulassen, dass sich nur noch Besserverdienende gesunde Lebensmittel leisten können", das sagte Gabriel der "Bild-Zeitung". Die niederländische Lebensmittel-Kontrollbehörde hatte am Mittwoch, also vorgestern, rund 50.000 Tonnen vorgebliches Rindfleisch zurückgerufen, das allerdings auch Pferdefleisch offenbar enthielt. Darüber hat mein Kollege Reinhard Bieck mit Matthias Wolfschmidt gesprochen, dem stellvertretenden Geschäftsführer der Verbraucherrechtsorganisation Foodwatch, gesprochen und erst mal gefragt, warum das Pferdefleisch denn schon wieder für Schlagzeilen sorgt.

    Matthias Wolfschmidt: Das gehört tatsächlich inhaltlich zusammen, denn nach unseren Informationen wussten die zuständigen holländischen Behörden tatsächlich schon seit ungefähr einem Monat von den Zuständen bei diesem Großhändler. Nachdem ja hier in Europa vor ungefähr zwei Monaten bekannt geworden ist, dass es offensichtlich nicht so ganz selten vorkommt, dass billig auf dem Markt zu kaufendes Pferdefleisch dann in Rindfleisch untergemischt wird, haben europaweit alle möglichen Behörden getestet, so eben auch die niederländischen. Und tatsächlich die skandalöseste Pointe bei dieser ganzen Geschichte ist, dass die Behörden jetzt vier Wochen lang die Öffentlichkeit nicht darüber informiert haben, dass dieser Händler offensichtlich positiv bezüglich Pferdefleisch getestet worden ist.

    Reinhard Bieck: Aber könnte man es nicht vielleicht auch umgekehrt sehen, also diesen neuen Skandal jetzt als einen Beweis dafür, dass die Kontrolle am Ende dann doch funktioniert?

    Wolfschmidt: In der Tat! Wenn man hinguckt und wenn man DNA-Proben nimmt, um damit die Tierarten zu bestimmen, die im Fleisch enthalten sind, oder die das Fleisch geliefert haben, dann findet man auch etwas. Und wenn man sich die passenden Schnellwarn-Meldungen im europäischen Behörden-Schnellwarnsystem anguckt – die sind leider alle anonymisiert, aber man kann doch sehen, dass in den vergangenen acht Wochen zig Meldungen aus den verschiedensten Mitgliedsstaaten eingegangen sind, denen zufolge die Behörden, nachdem sie nachgeguckt hatten, auch so etwas wie eben nicht deklarierte Tierarten, meistenteils Pferd, aber auch andere Tierarten, in verschiedenen Lebensmitteln gefunden haben.

    Bieck: Aber es wird, wenn ich Sie richtig verstehe, unter der Decke gehalten?

    Wolfschmidt: Was die Informationslage anbelangt, ist es für uns Verbraucher so ja auch in dem aktuellen Fall, dass niemand einschätzen kann, ob er nun unwissentlich ein fleischhaltiges Produkt, in dem Ware von diesem holländischen Großhändler enthalten war, in den vergangenen zwei Jahren gegessen hat. Das ist ausgesprochen unbefriedigend. Und übrigens auch die Behauptung, dass vermutlich keine Gesundheitsschäden davon getragen worden seien, ist äußerst optimistisch. Denn eins steht auch fest – und das geht aus dem europäischen offiziellen Behördenwarnsystem auch so hervor: Dadurch, dass man nicht genau weiß, was da nun eigentlich alles eingemischt wurde, und möglicherweise Pferde unbekannter Provenienz auch verwendet wurden, kann man nicht ausschließen, dass es tatsächlich auch gesundheitsgefährdende zum Beispiel Arzneimittelrückstände gegeben hat in der Vergangenheit. Also eine generelle Entwarnung kann man eigentlich so nicht vertreten.

    Bieck: Man gibt ja jetzt auch bei diesem jüngsten Pferdefleisch-Skandal wieder den geizigen deutschen Verbrauchern die Schuld. Aber ich habe noch nie – ich sage das jetzt mal etwas salopp – Demonstranten vor Fleischtheken gesehen, die da wie wild und wütend gefordert haben, gebt uns billige Schnitzel. Es ist doch umgekehrt: Die Ware wird uns doch förmlich auf dem Silbertablett serviert. Kann man den Kunden wirklich vorwerfen, dass sie dann zugreifen?

    Wolfschmidt: Den Kunden kann man gar nichts vorwerfen, egal zu welchem Preis zu kaufen, denn egal wie billig die Ware zum Kauf angeboten wird, sie muss immer allen gesetzlichen Regelungen entsprechen, sonst darf sie gar nicht verkauft werden. Illegal handelt der, und zwar in jedem Fall, der Ware zum Kauf anbietet, die nicht den gesetzlichen Vorschriften entspricht. Und es ist tatsächlich so, wie Sie sagen: Die Fleischwirtschaft nicht nur hier in Deutschland hat alles getan in den vergangenen 20, 30 Jahren, um Fleisch billiger zu machen. Das fängt damit an, dass man immer höhere Stückzahlen pro Zeiteinheit schlachten kann, dass die Arbeitskraft billiger wird pro Stück, und dass die Distribution heutzutage so läuft, dass kaum noch an der Theke Frischfleisch abgeschnitten werden muss durch irgendeine Verkäuferin, sondern dass man das fertig abgepackt in Kühltheken kaufen kann. Das alles senkt den Preis und dient nicht etwa nur der Wohlfahrt der fleischgierigen Konsumentinnen und Konsumenten, sondern schlicht und ergreifend der Logik des notwendigen Mengenabsatzes von großen Fleischmengen, und je billiger das Fleisch angeboten wird, desto mehr ist natürlich im Durchschnitt der Konsum. Wäre Fleisch teurer, würden die Menschen mit hoher Wahrscheinlichkeit auch etwas weniger konsumieren.

    Bieck: Trotzdem, wenn ich mal zusammenfasse: Im Grunde genommen ist das Fleischgeschäft so weit in Ordnung, es gibt halt nur schwarze Schafe. Ist das Ihre Meinung?

    Wolfschmidt: Das ist tatsächlich nicht unsere Meinung. Das Fleischgeschäft, wie gut es funktioniert oder wie schlecht es funktioniert, darauf weisen ja immer wiederkehrende Skandale hin. Die Politik tröstet sich gerne damit, dass es ja nur um ein paar schwarze Schafe ginge. Wir sehen aber, dass ja in diesem Pferdefleisch-Skandal, vor jetzt inzwischen vor sechs oder acht Wochen bekannt geworden, alle großen Handelskonzerne in Frankreich, in Großbritannien und in Deutschland beteiligt waren, dass also nicht etwa irgendwelche sinisteren Gestalten in finsteren Ecken solche Ware verkaufen, sondern diese Ware ganz regulär in allen Supermärkten zum Kauf angeboten wird, und das weist darauf hin: wir haben ein System, bei dem die falschen Anreize gesetzt werden und bei dem am Ende des Tages, obwohl im Gesetz zigfach steht, verantwortlich ist die Lebensmittelwirtschaft, auf jeder Stufe müssen die dafür sorgen, dass die Gesetze eingehalten werden, am Ende des Tages gibt es eine klaffende Lücke zwischen der Verantwortlichkeit einerseits und der Verantwortlichmachung, nämlich dadurch, in der Gestalt, wenn die Gesetze nachweislich nicht eingehalten worden sind, dass dann auch entsprechende Sanktionen wirksam werden. Das ist hier in Deutschland so, das wird in den Niederlanden nicht anders sein, in Frankreich ist es ähnlich. Wir brauchen andere Sanktionsinstrumente, damit die Lebensmittelwirtschaft von sich aus endlich bereit ist, nur noch korrekte Ware zum Kauf anzubieten.

    Bieck: Was sind das, andere Sanktionsmöglichkeiten?

    Wolfschmidt: Eine ganz entscheidende Möglichkeit wäre es, wenn wir in Deutschland endlich ein Unternehmensstrafrecht bekämen. Das ist die eine Geschichte. Die zweite wichtige Maßnahme ist es, dass wir den Unternehmen konkret vorschreiben, im Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch, was sie nun genau zu testen haben und zu untersuchen haben, um die Qualität und die Verkaufsfähigkeit der Lebensmittel zu garantieren. Die sogenannten Eigenkontrollsysteme der Lebensmittelwirtschaft, die können die sich im weitesten Sinne ja selber zusammenstellen, und wenn es zum Schwur kommt und der Staatsanwalt nachweisen will, dass sie nicht alles getan haben, was sie hätten tun müssten, können die sich immer zurückziehen auf nicht nähere Regelungen. Wir brauchen also ganz klare Spezifizierungen und spezielle Untersuchungsvorschriften, damit man strafrechtlich – das ist wichtig, die Betonung liegt auf strafrechtlich – einem Unternehmen auch entsprechendes Versagen nachweisen kann, oder das Unternehmen dann eben auch sagen kann, ich habe alles gemacht und da ist etwas passiert, was man einfach nicht wissen konnte. Es geht schon auch um Rechtssicherheit für die korrekt arbeitenden Unternehmen. Das alles fehlt und was noch fehlt, ist eine entsprechende Transparenzgesetzgebung, dass wir Verbraucher endlich erfahren, und zwar möglichst sofort erfahren, sobald etwas schief gegangen ist, damit wir nicht Ware verzehren, die wir gar nicht verzehren wollten.

    Bieck: Und an all dem ist Ilse Aigner Schuld?

    Wolfschmidt: Es geht hier gar nicht um eine Frage von Schuld, sondern tatsächlich auch um politische Verantwortung. Die Bundesregierung redet sich die Situation immer ein bisschen schön und die Frau Aigner hat ja auch heute in der Pressemitteilung bezogen auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs so getan, als sei sie Vorkämpferin von Verbraucherinformationsrechten. Leider ist es in der Praxis nicht so. Die Rechtslage - das sagen alle und das hat vor zwei Wochen der Bundesrat in einer bemerkenswerten Entscheidung festgestellt -, die Rechtslage, was die Transparenzgesetzgebung, also die Informationsrechte für Verbraucher derzeit in Deutschland betrifft, ist wirklich verheerend und das muss dringend grundlegend überarbeitet werden. Das weiß die Bundesregierung, aber sie versucht, nach wie vor so einen Weg zu gehen, um sich nicht wirklich mit der Wirtschaft anlegen zu müssen.

    Heinemann: Matthias Wolfschmidt ist der stellvertretende Geschäftsführer der Verbraucherrechtsorganisation Foodwatch und er sprach mit meinem Kollegen Reinhard Bieck.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.