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"Wir brauchen diese jungen Menschen"

Wer pflegt Kranke und Alte, wenn es den Zivildienst nicht mehr gibt? Abhilfe ist geplant in Form des neuen Bundesfreiwilligendienstes. Das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) bleibt aber erhalten, sagt Wolfgang Stadler, Vorstandsvorsitzender der Arbeiterwohlfahrt.

Wolfgang Stadler im Gespräch mit Friedbert Meurer | 18.11.2010
    Friedbert Meurer: Vor heute fast grauer Vorzeit, also so etwa in den 70er-Jahren, standen junge Männer, die den Kriegsdienst verweigerten, im Verdacht, sie wollen sich drücken. Der Wehrdienst galt als angeblich härter, weil es ein Leben in der Kaserne bedeutete und man dort sich ab und zu vom Unteroffizier anschnauzen lassen durfte. Längst gelten Zivis aber nicht mehr als Drückeberger, im Gegenteil. Wer soll Kranke und Alte pflegen, wenn es die Zivis ab nächstes Jahr nicht mehr gibt? Bundesfamilienministerin Kristina Schröder plant Abhilfe in Form eines neuen Freiwilligendienstes.

    Noch mal kurz einige Begriffserklärungen sozusagen: Zivildienst, der Zivildienst wird nächstes Jahr abgeschafft. Es gibt bereits den Jugendfreiwilligendienst, das sind die FSJler, die freiwilliges soziales Jahr machen. Und jetzt soll es den neuen Bundesfreiwilligendienst geben. – Am Telefon begrüße ich Wolfgang Stadler, er ist der Vorstandsvorsitzende der Arbeiterwohlfahrt. Guten Tag, Herr Stadler.

    Wolfgang Stadler: Schönen guten Tag, Herr Meurer.

    Meurer: Wie viele Zivis und FSJler gibt es im Moment bei Ihnen, bei der Arbeiterwohlfahrt?

    Stadler: Wir haben erstaunlicherweise die gleiche Anzahl. Wir haben circa 2500 FSJler und 2500 Zivis.

    Meurer: Was ist die Erklärung dafür, dass das pari pari ist? Ist das Zufall?

    Stadler: Das ist Zufall. Das ist vollkommener Zufall. Wir hatten früher mehr Zivis. Die Zahl der Zivildienstleistenden ging in den letzten Jahren eigentlich kontinuierlich zurück und die Zahl der FSJler wuchs an.

    Meurer: Sie waren ja am Anfang ein bisschen skeptisch gewesen über die Idee, einen Bundesfreiwilligendienst einzuführen. Was halten Sie jetzt von den Plänen der Bundesfamilienministerin?

    Stadler: Ja. Wir waren deshalb skeptisch, weil wir natürlich den FSJ-Dienst in den letzten Jahren sehr gefördert haben und den auch als sehr zweckmäßig angesehen haben und nicht wussten, was da passiert, wenn eine Parallelstruktur aufgebaut wird. Wir haben in den Verhandlungen, die wir mit dem Ministerium geführt haben, in den letzten Monaten eigentlich erreichen können, dass wesentliche Fragen und Schwierigkeiten, die mit solch einer Doppelstruktur entstanden wären, aufgehoben worden sind.

    Meurer: Zum Beispiel?

    Stadler: Beispielsweise ist die Bildungsarbeit in eine Hand gelegt worden. Frau Schröder hat ja eben ausgeführt, dass die Träger im Wesentlichen die Bildungsarbeit übernehmen werden. Das war eine offene Frage, auf die wir gedrängt haben, weil wir gesagt haben, es ist ja im Grunde genommen Zufall, ob jetzt ein junger Mensch im Bereich FSJ tätig ist oder im Bereich neuer Freiwilligendienst.

    Meurer: Und die Bildungsarbeit ist was in diesem Zusammenhang?

    Stadler: Die Bildungsarbeit geht, sagen wir mal, von fachlicher Bildungsarbeit – es geht ja um die Einsatzfelder, in denen diese jungen Menschen tätig sind, dass sie dort qualifiziert werden – bis hin zu allgemeinen Fragestellungen, die sie dort erlernen sollen.

    Meurer: Und das musste jetzt angeglichen werden, oder?

    Stadler: Das muss angeglichen werden. Das soll jetzt möglichst aus einer Hand erfolgen. Wir werden auch dafür sorgen als Arbeiterwohlfahrt, dass sowohl die neuen Freiwilligen als auch die FSJler in gleichen Bildungskursen dann sitzen.

    Meurer: Herr Stadler, brauchen wir denn dieses Nebeneinander, Bundesfreiwilligendienst und Jugendfreiwilligendienst?

    Stadler: Ich habe mittlerweile verstanden, dass es nicht anders geht. Wir haben auch genau diese Frage gestellt, haben gesagt, das können wir alles in diese alten, bewährten Freiwilligendienste überführen, aber aus Gründen, die uns das Ministerium erläutert hat – es geht hier um Finanzierungsstrukturen, die nicht ohne Weiteres von der Bundesebene auf die Länderebene transferiert werden können -, war es notwendig, diese Doppelstruktur zu halten.

    Meurer: Was bedeutet das in der Praxis? Wenn jemand ein freiwilliges Jahr machen möchte, der kann sich jetzt für die eine und für den anderen Dienst bewerben?

    Stadler: Ich gehe mal davon aus, dass die Arbeiterwohlfahrt das so organisieren wird, dass sie grundsätzlich auf den jungen Menschen zugehen wird und sagen wird, wir bieten dir einen freiwilligen Dienst an, und dass dann, sagen wir mal, anhand der Stelle, ist sie vorhanden, in welcher Region ist sie, dann festgelegt wird, in welchem Dienst ist man tätig, dass aber im Grunde genommen der junge Mensch nicht merkt und nicht spürt, in welchem Dienst er ist. Er soll das gleiche Taschengeld bekommen, er soll die gleiche Qualifikation erhalten und so weiter.

    Meurer: Ist das die Rettung für Sie, wenn der Zivildienst abgeschafft wird?

    Stadler: Ich denke mal, es ist eine wichtige Ergänzung, weil die Zivis waren natürlich sehr wichtige Komponenten in unserer Arbeit. Wie gesagt, von den Größenordnungen her hatte sich das schon bei uns mittlerweile nach unten entwickelt, aber wir brauchen diese jungen Menschen, die bei uns tätig sind. Das ist auch, denke ich mal, für die jungen Menschen nicht unwichtig. Von daher ist es jetzt, glaube ich, ein richtiger Weg.

    Meurer: Denken Sie, dass der Bundesfreiwilligendienst und der Jugendfreiwilligendienst einen vollen Ersatz darstellen, dass dann genauso viele freiwillige Helfer da sein werden bei Ihnen und bei anderen Organisationen wie der Caritas, Diakonie und so weiter, wie bis dato Zivildienstleistende?

    Stadler: Ich denke, dass wir es bei der Arbeiterwohlfahrt schaffen. Ich kenne jetzt nicht die Zahlen, die Höhe der Zivilplätze bei den anderen Verbänden. Ich weiß, dass es Verbände gibt, die erheblich mehr Zivi-Plätze gehabt haben und weniger FSJ-Plätze. Die werden wahrscheinlich etwas Schwierigkeiten haben. Aber so in unserer Situation gehen wir das relativ ruhig an. Ich glaube, dass wir es schaffen werden. Wir haben in der nächsten Woche eine große Trägerkonferenz, in der wir die Arbeiterwohlfahrt bundesweit jetzt auf diese neue Situation einstellen und dann natürlich auch die entsprechenden Werbemaßnahmen einleiten werden, um diese jungen Freiwilligen zu finden.

    Meurer: Bei dem Bundesfreiwilligendienst können auch ältere sich melden, also wohl auch, ich sage jetzt mal, Rentner. In welchem Maß, denken Sie, werden ältere das machen?

    Stadler: Das wird eine sehr schwierige Frage. Da weiß ich gar nicht, ob ich Ihnen da eine wirklich verbindliche Auskunft geben kann.

    Meurer: Das klingt fast so, als wären Sie nicht begeistert, dass die älteren auch kommen.

    Stadler: "Begeistert" will ich nicht sagen. Ich meine, wir wissen ja, dass sehr viele ältere Menschen freiwillig arbeiten wollen, und die arbeiten auch schon in unseren Einrichtungen und Diensten. Inwieweit das jetzt einen neuen Charakter bekommen wird, dadurch, dass sie jetzt dann auch ein Taschengeld bekommen und so weiter, das müssen wir erst noch ein Stück erschließen. Ich weiß es nicht genau.

    Meurer: Aber sie sind willkommen bei Ihnen?

    Stadler: Natürlich. Aber unsere Zielgruppe in erster Linie werden die jungen Menschen sein.

    Meurer: Wolfgang Stadler, der Vorstandsvorsitzende der Arbeiterwohlfahrt, zum neuen Bundesfreiwilligendienst. Danke schön, Herr Stadler und auf Wiederhören.

    Stadler: Bitte schön! Auf Wiederhören.