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"Wir brauchen echte Wahlfreiheit für die Eltern"

Vor dem Hintergrund der Debatte über Kinderbetreuung hat der FDP-Generalsekretär Dirk Niebel eine echte Wahlfreiheit für Eltern gefordert. Es sei nicht Aufgabe des Staates, die Lebensentwürfe der Menschen zu bewerten. Die Menschen müssten ihr Familienleben selbst organisieren können. Diese Wahlfreiheit erfordere jedoch auch genügend Angebote zur Fremdbetreuung von Kindern, erläuterte Niebel.

Moderation: Christiane Kaess |
    Chrisitiane Kaess: Heute geht die Frühjahrstagung der Deutschen Bischofskonferenz zu Ende. Ein Thema war die Familienpolitik. Der Augsburger Bischof Walter Mixa hat in den vergangenen Tagen seine Kritik an der Politik von Familienministerin Ursula von der Leyen wiederholt, an deren Plan, die Betreuungsplätze für Kleinkinder in den kommenden Jahren zu verdreifachen. Worte wie "Gebärmaschinen" haben die ohnehin schon emotionalisierte Diskussion weiter angeheizt, bei der es bisher vor allem um die Rolle der Frau ging. Jetzt werden Forderungen laut, die Rolle der Männer stärker einzubeziehen. Am Telefon ist jemand, der dies aus der Praxis beurteilen kann. FDP-Generalsekretär Dirk Niebel hatte von seiner Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter zwei Jahre Erziehungsurlaub genommen. Guten Morgen Herr Niebel!

    Dirk Niebel: Guten Morgen Frau Kaess!

    Kaess: Herr Niebel, würden Sie das Wort "Erziehungsurlaub" überhaupt so gebrauchen?

    Niebel: Ich kann jedem versichern, das hat mit Urlaub überhaupt nichts zu tun gehabt, aber es war eine Zeit, die ich nicht missen möchte, erstens persönlich nicht, und zweitens auch wegen der Erfahrungen, die man sammelt. Es ist eine Zeit, die schon sehr prägend ist, und zwar nicht nur für die Kinder, sondern auch für die Eltern, die sich um ihre Kinder kümmern.

    Kaess: Wie hat denn Ihr Umfeld reagiert?

    Niebel: Oh, Mann macht das nicht und da können Sie Mann mit einem oder zwei "n" schreiben. Es war also eher als sehr skurriler Wunsch bewertet worden, und es war auch nicht ganz einfach, das umzusetzen, natürlich auch finanziert durch Konsumverzicht. Das geht immer nur, wenn beide Partner gleich schlecht verdienen. Also insgesamt war es nicht ganz einfach, aber das hat mich motiviert, es erst recht zu schaffen.

    Kaess: Aber dass Sie sich dafür entschlossen haben, daraus schließe ich, dass Sie eine so genannte Fremdbetreuung für Ihre Kinder nicht haben wollten.

    Niebel: Das war das zweite Kind. Beim ersten Kind hat meine Frau sich alleine um unseren Sohn gekümmert, und beim zweiten Kind dachte ich, ich wollte auch was davon haben, ich wollte auch mitkriegen, wie die Kinder groß werden, und wir hatten eine Fremdbetreuung immer in der Übergangsphase. Also ich habe Montags bis Mittwochs gearbeitet neben dem Erziehungsurlaub, 19,25 Stunden, glaube ich, waren das, und meine Frau Mittwochs bis Freitags, und wir hatten immer eine Lücke Mittwochs mittags von ungefähr zwei, zweieinhalb Stunden, die wir überbrücken mussten. Das war schwierig zu organisieren, und das ist heute mit Sicherheit auch nicht leichter geworden.

    Kaess: Warum kritisieren Sie dann Bischof Mixa, der sich gegen diese Fremdbetreuung ausspricht?

    Niebel: Ich bin der festen Überzeugung, wir brauchen echte Wahlfreiheit für die Eltern. Es ist nicht Aufgabe des Staates oder einer Institution, die Lebensentwürfe der Menschen zu bewerten, sondern die Menschen müssen ihre Lebensentwürfe selbst organisieren können. Und diese Wahlfreiheit bedeutet, dass auch Angebote da sind, und dazu gehört auch Fremdbetreuung. Es geht ja nicht nur darum, ob man seine Kinder betreut haben möchte, sondern wir dürfen doch nicht verkennen, dass es viele Eltern gibt, die einfach schlichtweg arbeiten müssen, weil die das Geld brauchen, und dafür die beiden Einkünfte von beiden Partnern benötigen, oder bei Alleinerziehenden. Also die Notwendigkeit, hier Wahlfreiheit zu schaffen und die Lebensplanung den Menschen selbst wieder in die Hand zu geben, das ist das, was die Politik leisten muss.

    Kaess: Aber eine echte Wahlfreiheit würde doch bedeuten, dass ein Elternteil auch zu Hause bleiben kann, ohne dass die Familie in finanzielle Schwierigkeiten gerät.

    Niebel: Das ist richtig. Deswegen haben wir ja schon in unserem Bundestagswahlprogramm ein Konzept vorgestellt, wie wir die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern können. Wir haben gesagt in unserem Steuerkonzept, jeder Mensch, egal ob klein oder groß, braucht ein steuerfreies Existenzminimum als Freibetrag von 7.700 Euro, und wer nicht arbeitet, 200 Euro Kindergeld. Wir haben gesagt, wir müssen mindestens 12.000 Euro jährlich für Betreuungskosten von der Steuer absetzen können, und wer kein Einkommen hat und nichts absetzen kann, der braucht Betreuungsgutscheine, und diesen Betreuungsgutschein, den können Sie nehmen als Nachfrage, das verleiht den Eltern Macht. Da können Sie selbst entscheiden, ob Sie zu Hause bleiben und dieses Geld selbst benötigen, ob sie in die Kita gehen, ob sie zu einer Tagesmutter oder zum Tagesvater gehen, diese Nachfragemacht setzt einen Wettbewerb in Gang, der auch die Qualität der Betreuung verbessern wird.

    Kaess: Aber von 200 Euro Kindergeld kann niemand leben, der sich entscheidet, für das Kind zu Hause zu bleiben.

    Niebel: Nein, natürlich nicht. Aber es geht ja um die Kombination aus alledem, das steuerfreie Existenzminimum, das erhöhte Kindergeld, die Betreuungsgutscheine beziehungsweise die Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten sind ein erster richtiger Schritt. Wir haben darüber hinaus auch gefordert, dass das Erziehungsgeld, so hieß damals noch im Wahlkampf, weiterentwickelt werden muss zu einer echten Lohnersatzleistung. Da ist das Elterngeld ein Schritt in die richtige Richtung, aber auch hier versucht der Staat, wieder in die Lebensplanung der Menschen einzugreifen, indem er sagt, die volle Zeitdauer Elterngeld bekommst du nur, wenn du das tust, was wir von dir möchten, nämlich dass beide sich beteiligen. Es kann auch Eltern geben, die in freier Selbstbestimmung entscheiden, dass nur ein Partner sich um die Kinder kümmern möchte. Wir haben das anders entschieden, meine Frau und ich, aber andere können andere Entscheidungen treffen. Diese Wahlfreiheit muss man lassen.

    Kaess: Aber eine allein erziehende Mutter zum Beispiel hat diese Wahlfreiheit nicht.

    Niebel: Das ist richtig. Deswegen müssen allein erziehende Mütter auch durch diese echte Lohnersatzleistung oder durch eben diese Betreuungsgutscheine mit einer staatlichen Unterstützung auch die Möglichkeit haben, frei entscheiden zu können, ob sie das Kind betreuen lassen, ob sie es teilweise betreuen lassen oder ob sie sich selbst darum kümmern wollen.

    Kaess: Das heißt, da stimmen Sie überein mit dem Vorschlag von Bischof Mixa, auch diese allein erziehenden Mütter finanziell so zu unterstützen, dass sie auch die Möglichkeit haben, drei Jahre zu Hause zu bleiben?

    Niebel: Ob die drei Jahre der richtige Ansatz sind oder nicht, da mag man trefflich darüber streiten. Auf jeden Fall bin ich der Ansicht, dass es notwendig ist, die freie Selbstentscheidung zu unterstützen, und da stimme ich in einem Punkt ganz sicher mit Herrn Mixa nicht überein: Wenn die Konservativen suggerieren, die Frau, die arbeiten gehen würde, sei die Rabenmutter, und die Linken suggerieren, die Frau, die zu Hause bleibt, ist das Heimchen am Herd, sind wir Liberale der Ansicht, beides muss möglich sein, und der Staat muss den Rahmen schaffen, dass beides auch ermöglicht wird.

    KAESS: Sie haben das Elterngeld schon angesprochen. Es gibt die Kritik, das wäre keine Anerkennung für die Kindererziehung, weil das auch abhängig vom Einkommen ist, und deshalb keine Belohnung für die Arbeit in der Familie.

    Niebel: Die Kritik ist verständlich, und ich verstehe, dass mehr auch wünschenswert wäre. Aber man muss natürlich auch Realist bleiben, was gerade geht, und wenn ich mir vorstelle, wie sich die finanzielle Familienförderung verbessert hat, seit das Kindergeld für das erste Kind mit 50 DM eingeführt worden ist, sind wir da zwar langsam, aber doch stetig gut vorangekommen. Und ich würde mir wünschen, Sie kennen alle diese eine Werbung wahrscheinlich, die eine Hausfrau als Familienmangerin darstellt, ich würde mir wünschen, dass diese Arbeit, egal ob Mann oder Frau das machen, eine höhere Wertigkeit hätte. Wenn ich mir bei uns in der Familie angucke, mit drei Kindern, meine Frau als Freiberuflerin, und das, wo sie weitgehend allein erziehend ist, weil ich viel unterwegs bin, das ist eine echte Managementaufgabe, da muss man schon eine ganze Menge leisten können, und diese Anerkennung ist in der Gesellschaft noch nicht hinreichend ausgebreitet.

    Kaess: Wo liegt denn die Obergrenze für das Kindergeld? Es gibt in der Diskussion jetzt den Begriff eines Betreuungsgeldes, das deutlich höher liegen sollte.

    Niebel: Das kann ich Ihnen nicht seriös sagen, dazu bin ich nicht Finanzfachmann genug. Wir haben gesagt in unserem Steuerkonzept, ein Existenzminimum für jeden Menschen von 7.700 Euro mit Steuerrecht würde ungefähr gleichgesetzt werden können mit für diejenigen, die das nicht absetzen können, 200 Euro pro Monat und pro Kind. Das sind die, wie ich weiß, vom Bundessozialgericht und vom Verfassungsgericht festgelegten Werte. Eigentlich müsste das Kindergeld entsprechend erhöht werden. Ich halte übrigens gar nichts davon, wie die SPD es vorschlägt, eine fiktive Kindergelderhöhung, wo das Geld gar nicht da ist, dafür zu nehmen, dass eine Kinderbetreuung verbessert wird. Das Kindergeld ebenso wie der Freibetrag soll das Existenzminimum absichern, und darüber hinaus wäre es sehr wünschenswert, wenn man über andere Möglichkeiten die Betreuung von Kindern noch verbessern könnte, auch finanziell verbessern könnte, und ich glaube, alle haben ein gleiches Interesse, das zu verbessern. Wie die Umsetzung ist, das muss man sich nochmal angucken.

    Kaess: Es gibt noch eine andere Kritik an den Plänen von Frau von der Leyen, nämlich man schaffe jetzt zu viele Betreuungsplätze, die auf Grund der demografischen Entwicklung später gar nicht mehr gebraucht werden. Ist die Kritik berechtigt?

    Niebel: Ich bin der Ansicht, bei, ich glaube, einem Betreuungsschlüssel, der in der Endausbauphase geplant ist, von 30 Prozent, dass man zu viel Betreuungsangebote nicht haben würde. Ich glaube allerdings trotzdem, dass es ein Fehler ist, rein auf staatliche Betreuung der Kinder zu setzen, denn gerade vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung hat auch die Wirtschaft ein fundamentales Interesse daran, dass die gut qualifizierten Mütter und Väter möglichst bald wieder am Arbeitsplatz sind. Wenn sie das wollen, gibt es gute Beispiele, wie Betriebe Elterninitiativen nicht nur von Mitarbeitern unterstützen, wo Mischfinanzierungen der Kommunen, die zuständig sind, der Eltern selbst, die ja auch ein Interesse daran haben, und des Betriebes dazu führen, dass Betreuungsmöglichkeiten hier in Mannheim bei uns zum Beispiel von morgens 7:30 Uhr bis 19:30 Uhr ab dem dritten Lebensmonat möglich sind. Das schafft einem den Freiraum, auch tatsächlich zu entscheiden, ob ich Familie und Beruf miteinander verbinden kann, und das schafft den Betrieben den Freiraum, die Kompetenz ihrer Mitarbeiter auch früher wieder abrufen zu können.

    Kaess: Nun dreht sich diese Diskussion ja schon eine ganze Weile. Die Grünen haben jetzt eine schnelle Entscheidung gefordert, wie der geplante Krippenausbau finanziert werden kann, und kritisiert, dass das noch nicht passiert ist. Stimmen Sie dem zu?

    Niebel: Also der Aktionismus der Grünen, der ist ja manchmal bemerkenswert. Immerhin waren sie doch gerade sieben Jahre in der Regierung und haben da nichts gemacht. Wir haben den Vorschlag gemacht, in einem Sofortprogramm durch die verbesserte Berücksichtigung der Kommunen bei den Umsatzsteuerpunkten die Finanzierung sicher zu stellen. Das hat den Nebeneffekt, dass man die Föderalismusreform Eins nicht wieder zurückdrehen muss, wo eine direkte Finanzbeziehung zwischen Bund und Kommunen ausgeschlossen worden ist. Eine Anhebung des Anteils der Kommunen am Umsatzsteueraufkommen würde natürlich zu Lasten von Bund und Länder gehen, das muss man ganz deutlich sagen. Da müssten dann entsprechende Einsparvorschläge gemacht werden.

    Kaess: Aber genau darum geht es ja. Von der Leyen hat den Ländern und Kommunen ja zugesagt, sich für eine finanzielle Unterstützung des Bundes stark zu machen. Welche Rolle kann denn der Bund überhaupt spielen?

    Niebel: Der Bund kann im Prinzip nur eine Anschubfinanzierung unterstützen, weil es auch Kernaufgabe eigentlich der kommunalen Gebietskörperschaften ist, die Kinderbetreuung zu organisieren. Das ist auch durch die Föderalismusreform geklärt. Wenn der politische Wille ist, das zum Beginn zu unterstützen, dann muss die Bundesfamilienministerin mit dem Finanzminister auch die Wege dafür aufzeigen.

    Kaess: Ich möchte zum Schluss noch ganz kurz ein anderes Thema mit Ihnen ansprechen. Sie gehören der FDP Baden-Württemberg an, wo die FDP mit der CDU koaliert. Der Ministerpräsident Günther Oettinger wird wegen seiner Wortwahl bei der Grabrede des ehemaligen Ministerpräsidenten Filbinger kritisiert. Hat er sich da verstiegen?

    Niebel: Ich hätte mit gewünscht, dass der Ministerpräsident Oettinger die geschichtliche Realität berücksichtigt hätte. Allein die Erweckung des Verdachtes einer Geschichtsklitterung nützt weder dem amtierenden noch dem Ansehen des verstorbenen Ministerpräsidenten. Umso besser ist es, dass die CDU-Bundesvorsitzende und Bundeskanzlerin Frau Merkel klare Worte gefunden hat. Das zeigt übrigens auch, dass es eine Angelegenheit der CDU ist, die diese schnell klären sollte.