Jochen Spengler:Null Wachstum im kommenden Jahr. Es droht die Rezession auch in Deutschland. Das haben die fünf Wirtschaftsweisen gestern in ihrem Jahresgutachten prognostiziert. Die Politik weiß um die Gefahren und möchte gegensteuern. Das Kabinett hat gestern die Einzelheiten des 15-Punkte-Konjunkturprogramms beschlossen: KfZ-Steuerbefreiung, höhere absetzbare Handwerkerleistungen, Gebäudesanierungsprogramm etc. Heute werden sich die Unions- und die SPD-Fraktion über das Paket beugen. Mehr dazu in einer halben Stunde. Gestern schon hatten die Wirtschaftsweisen sich eher abfällig über dieses Sammelsurium von Einzelmaßnahmen geäußert.
Gestern also mehr Ohrfeigen als Streicheleinheiten für die Große Koalition. Am Telefon ist der Oppositionsführer, der FDP-Partei- und -Fraktionsvorsitzende Guido Westerwelle. Guten Morgen, Herr Westerwelle.
Guido Westerwelle: Schönen guten Morgen, Herr Spengler.
Spengler:Die fünf Weisen sagen, das Konjunkturpaket der Regierung ist zusammengestümpert, es dürfe nicht gekleckert werden, sondern es müsse geklotzt werden. Also mehr Milliarden für öffentliche Investitionen in Straßen, in Schulen und Kindergärten. Ist das Ihrer Ansicht nach der richtige Weg?
Westerwelle: Ja. Wir teilen nachdrücklich diese Kritik, die die Experten an der Bundesregierung geübt haben. Wir brauchen kein Konjunkturprogramm, das wie ein Strohfeuer Steuergelder verbrennt, sondern wir brauchen ein Strukturprogramm, das die Dinge erledigt, die wir ohnehin jetzt machen müssten, um zukunftsfähig zu sein.
Spengler:Was wäre das zum Beispiel?
Westerwelle: Das fängt bei dem Steuerrecht an, ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem. Es ist machbar und es ist dringlicher denn je notwendig. - Wir müssten zum zweiten in dem gesamten Bereich der Infrastruktur den Investitionsstau jetzt beseitigen. Dazu zählt übrigens weit mehr als nur der Investitionsstau bei der Verkehrsinfrastruktur, sondern dazu zählt vor allen Dingen auch das, was wir bei der Infrastruktur im Energiesektor dringend erledigen müssten. Auch da ist viel zu tun in Deutschland. - Aber das Dritte ist aus meiner Sicht auch mit Abstand das wichtigste. Wir wissen, dass wir ohnehin unser Land in der Frage der Bildung, der Wissenschaft und der Forschung neu aufstellen müssen. Wir fallen zurück. Dabei wird hier die Zukunft auch Deutschlands entschieden und deswegen plädieren wir entschieden dafür, dass in dem Bereich der Bildungsinvestitionen jetzt das getan wird, schneller getan wird, was ohnehin geplant war beziehungsweise was ohnehin eines Tages gemacht werden müsste.
Spengler:Soll man dafür auch mehr Schulden machen, wie es die Sachverständigen wollen?
Westerwelle: Ich glaube gar nicht, dass ein Strukturprogramm automatisch zu mehr Schulden führt. Wenn man beispielsweise ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem beschließt, heißt das noch lange nicht, dass es weniger Staatseinnahmen gibt. Die Erfahrung in der Geschichte zeigt, wenn mit der Steuersenkung auch eine wirkliche Steuervereinfachung verbunden ist, bringt das Konjunkturimpulse bei den Investitionen, aber auch bei der persönlichen Nachfrage und das bringt wiederum mehr Arbeitsplätze und mehr Kaufkraft und damit auch wieder bessere Steuereinnahmen.
Spengler:Das ist aber eine Einzelmeinung der FDP; das ist nicht im Gutachten des Sachverständigenrates nachzulesen. Da steht das Gegenteil drin.
Westerwelle: Aber Sie erlauben mir doch, dass ich eine Meinung der FDP vertreten darf, die übrigens in der deutschen Geschichte schon mehrfach als richtig bewiesen wurde. Als in den 80er Jahren wir übrigens auch, wenn Sie an die Zeit 82/83 denken, in wirtschaftlich schwierigen Phasen waren, haben die damaligen Minister, der Finanzminister, der mittlerweile leider verstorben ist, Gerhard Stoltenberg und der große liberale Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff, die Steuern gesenkt, die Strukturen vereinfacht. Es gab nicht mit irgendeiner Zeitverzögerung, sondern sehr schnell auch höhere Staatseinnahmen. Die Steuern wurden damals gesenkt um etwa 60 Milliarden Mark, damals natürlich noch in Mark gemessen, und die Steuereinnahmen des Staates stiegen unmittelbar danach um 100 Milliarden Mark. Das hängt damit zusammen, dass die Gleichung "immer höhere Steuern, immer bessere Staatseinnahmen" einfach nicht stimmt. Irgendwann würgt eben auch die Steuerschraube die Konjunktur ab und wir sind längst in diesem Stadium. Das wäre aus unserer Sicht mehr Beweglichkeit für die Bürgerinnen und Bürger, mehr Freiheit und Eigenverantwortung für die Bürgerinnen und Bürger und vor allen Dingen eine Entlastung der Mittelschicht. Das wäre ein wirkliches Strukturprogramm durch eine vernünftige Steuerreform.
Spengler:Herr Westerwelle, wir halten fest: Sie sind gegen weitere Schulden, anders als die fünf Weisen fordern, und Sie sagen irgendwo, wir müssen die Steuern senken, weil dadurch steigen letztlich die Einnahmen des Staates, was ein bisschen widersinnig auf den ersten Blick klingt. Sie sagen, es wird jedenfalls dann irgendwie dazu führen, dass die Einnahmen sprudeln.
Westerwelle: Wenn Sie erlauben: Ich sage nicht, dass es ein Ziel sein muss, mehr Schulden zu machen, und das unterscheidet mich ja auch von den Regierungsparteien und das will ich auch nicht akzeptieren, sondern ich glaube, dass wir an dem Ziel, an ausgeglichenen Haushalten festzuhalten, festhalten sollten in der Politik. Mir wird zu leicht schon wieder wie selbstverständlich über riesige Schuldenberge gesprochen. Wenn am Schluss mehr Schulden gemacht werden müssen wegen der wirtschaftlichen Lage, dann ist es so, aber dass wir das anstreben, geradezu herbeirufen durch die falsche Politik, indem man beispielsweise Autokauf mit KfZ-Steuerbefreiung angeblich beschleunigen will, das akzeptieren wir nicht als FDP. Darauf will ich hinweisen. Wir bleiben eine Partei, die eben auch auf solide Haushalte im Interesse der nächsten Generation setzt.
Spengler:Aber Sie würden auch nicht mehr so strikt sein wie vor elf Jahren in Ihrem Wiesbadener Programm, wo Sie Schuldenmachen per Grundgesetz verbieten lassen wollten?
Westerwelle: Ich glaube, dass dies das Ziel der deutschen Politik bleiben muss, denn alles was wir über die junge Generation gesagt haben bleibt richtig.
Spengler:Ist es denn prinzipiell richtig, dass der Staat jetzt die Wirtschaft stützt?
Westerwelle: Wir haben ja als einzige der Oppositionsfraktionen dieses Rettungspaket im Deutschen Bundestag mit verabschiedet, weil wir uns als staatstragende Parteien in einer solchen Stunde der Herausforderung auch beim Wort nehmen lassen und zu unserer Verantwortung stehen. Wir hätten das Paket anders geschmiedet, aber dass ein Paket auch gepackt worden ist durch den Deutschen Bundestag, das war richtig und das unterstützen wir auch. Das sind besondere Lagen und in solchen besonderen Lagen wird in der ganzen Welt natürlich auch auf Antworten gesetzt, die man vielleicht vor zwei, drei Jahren nicht für möglich gehalten hat.
Spengler:Ich wollte sagen, Sie haben ja auch jahrelang gepredigt, der Staat möge sich möglichst heraushalten. Hat Sie die Finanzkrise eines besseren belehrt? Haben Sie dazugelernt?
Westerwelle: Ganz im Gegenteil ist es so, dass die soziale Marktwirtschaft, für die die FDP ja steht, in dieser Stunde sich als das lernfähigste System bewiesen hat. Ich glaube, jedes andere politische System, insbesondere was planwirtschaftliche Strukturen angeht, wäre in dieser Krise längst zusammengebrochen. Die soziale Marktwirtschaft hat sich als das überlegene Wirtschaftssystem bewiesen und die Demokratie übrigens auch und vor allen Dingen auch unsere Europäische Union hat herausragend, auch überlegen bewiesen.
Spengler:Herr Westerwelle, aber der Glaube an die Selbstheilungskräfte des Marktes, der ist doch erschüttert worden?
Westerwelle: Ich weiß nicht, wer den hatte. Hatten Sie den Glauben an die Selbstheilungskräfte?
Spengler:Ich dachte, Sie hätten den!
Westerwelle: Nein. Die FDP ist eine Partei, die normalerweise immer sehr oft von unserem politischen Gegner als eine Partei eher kritisiert wird, die sich sehr stark auf den Mittelstand, auf die Mittelschicht konzentriert. Wir wollen ja einen Staat, der Rahmenbedingungen setzt. Wir wollen ja nicht die Abschaffung des Staates; sonst wären wir Anarchisten. Wir sind der Überzeugung, dass zum Beispiel Monopole nicht zugelassen werden können, dass es Wettbewerb braucht. Wir brauchen ja eine freie und faire Gesellschaft. Der Staat muss Rahmenbedingungen setzen und das ist die soziale Marktwirtschaft. Und in aller Bescheidenheit: diejenigen, die lange vor mir für die FDP Verantwortung getragen haben, haben diese soziale Marktwirtschaft wesentlich mit erfunden und auch durchgesetzt in der Bundesrepublik Deutschland.
Spengler: Also kein Nachtwächterstaat. - Zum Konjunkturprogramm der Großen Koalition. Sie haben ja bereits die KfZ-Steuerbefreiung als Realsatire kritisiert. Wie sollte der Staat denn der Autobranche helfen? Sollte er überhaupt helfen?
Westerwelle: Ja, durch ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem, das die Mittelschicht stärkt.
Spengler: Das hatten wir schon.
Westerwelle: Damit hat man auch dann wirklich einen Effekt. Das was die Regierung jetzt vorgelegt hat heißt ja, dass jemand der einen Golf kauft, sagen wir mal für etwa 20.000 Euro, das deshalb tut, weil er eine KfZ-Steuerbefreiung von 109 Euro hat. Das ist albern und das habe ich Realsatire genannt. Zu glauben, dass irgendjemand ein Auto kauft oder ein Auto früher kauft, weil der Staat 100 Euro per KfZ-Steuerbefreiung dazutut, ist abwegig. Das handelt jeder ganz normale Käufer bei jedem Autohändler in den ersten fünf Minuten als Nachlass heraus und kriegt die Fußmatten noch oben draufgelegt. Das hat überhaupt gar keinen Impuls. Das zeigt mal wieder, welches kleine Karo eine Große Koalition uns bietet.
Spengler:Also keine sozusagen gesonderte Hilfe für die Autobranche. - Ich möchte auf ein anderes Thema kommen. Die fünf Weisen, der Sachverständigenrat hat kein gutes Haar gelassen an der vorgesehen Erbschaftssteuerreform. Wird die FDP nun versuchen, die Reform zu verhindern, etwa über die bayerische Staatsregierung?
Westerwelle: Es steht mir nicht an, dass ich Landesregierungen, die aus eigener Kraft schließlich regieren und aus eigener Verantwortung auch gewählt worden sind und ihr Land repräsentieren, im Radio bevormunde. Ich kann Ihnen nur die Haltung der FDP dazu sagen. Wir sind der Überzeugung, dass die Erbschaftssteuerreform, wie sie von den Regierungsparteien vorgelegt ist, ein ganz großer Fehler ist. Übrigens gäbe es ein enormes Konjunkturprogramm gerade für Familienbetriebe, indem man auf diese absurde Erbschaftssteuerreform verzichten würde. Das hätte einen enormen Impuls gerade für Familien und Familienbetriebe. Das was jetzt als Erbschaftssteuerreform vorgelegt worden ist, das ist erst einmal familienfeindlich. Es ist mittelstandsfeindlich. Es wird Arbeitsplätze kosten und es ist ungewöhnlich bürokratisch. Das akzeptieren wir Freie Demokraten nicht und wir behalten uns auch ausdrücklich vor, dass wir nicht nur politisch, sondern wenn es nicht anders geht abermals auch juristisch dagegen vorgehen müssen, denn es ist ja ganz augenscheinlich so, dass viele dieser Regelungen auch mit der Verfassung mindestens in einem sehr ausgeprägten Spannungsverhältnis stehen.
Spengler: Politisch, heißt das, Sie versuchen zu verzögern, bis die Wahl in Hessen im Januar vorbei ist, wo sie dann möglicherweise in der Regierung sind und über den Bundesrat die Steuer verhindern können?
Westerwelle: Diese Möglichkeiten haben wir leider aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Deutschen Bundestag nicht.
Spengler: Im Bundesrat, meinte ich.
Westerwelle: Ja, aber im Bundesrat haben wir diese Möglichkeiten derzeit auch noch nicht. Wir sind ja als FDP zwar in den vier größten Bundesländern mit in der Regierungsverantwortung jetzt, aber es reicht nicht für eine Gestaltungsmehrheit im Bundesrat. Daran arbeiten wir hoffentlich im nächsten Jahr mit weiteren Bundesländern. Sie haben das Stichwort Hessen bereits genannt. Mich ärgert übrigens auch, dass gerade diejenigen, die sonst die Familie immer so im Munde führen, bei der Erbschaftssteuerreform sich so gegen die Familie wenden. Da wird das Wort von der Kernfamilie erfunden, das es in dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland natürlich nicht gibt. Die Familie steht unter dem Schutz. Von einer Kernfamilie ist nirgendwo in der deutschen Rechtsordnung die Rede. Die wird jetzt plötzlich konstruiert und damit soll begründet werden, dass beispielsweise Geschwister untereinander so massiv benachteiligt werden und geradezu enteignet werden durch die Erbschaftssteuerreform. Wenn der Bruder der Schwester etwas vererben möchte, dann hat die Schwester einen Freibetrag von 20.000 Euro und danach greift der Staat mit dieser Totensteuer zu mit Steuersätzen von 30 bis 50 Prozent. Das ist eine unanständige Enteignung gegen Familien und dieser Aspekt ist meines Erachtens in der Öffentlichkeit nicht genug beachtet, wie sehr auch die Familien belastet und geschädigt werden durch diese Erbschaftssteuerreform. Vernünftiger wäre es, diese Erbschaftssteuer, die ja auch den Ländern zusteht, an die Länder zu übertragen und dann hätten wir zum ersten Mal wie in anderen Ländern in Europa übrigens auch einen gesunden Wettbewerb der Bundesländer, auch mal über niedrigere Steuersätze untereinander.
Spengler:Sagt der FDP-Partei- und -Fraktionsvorsitzende Guido Westerwelle. Herr Westerwelle, danke für das Gespräch.
Westerwelle: Danke Ihnen, Herr Spengler.
Gestern also mehr Ohrfeigen als Streicheleinheiten für die Große Koalition. Am Telefon ist der Oppositionsführer, der FDP-Partei- und -Fraktionsvorsitzende Guido Westerwelle. Guten Morgen, Herr Westerwelle.
Guido Westerwelle: Schönen guten Morgen, Herr Spengler.
Spengler:Die fünf Weisen sagen, das Konjunkturpaket der Regierung ist zusammengestümpert, es dürfe nicht gekleckert werden, sondern es müsse geklotzt werden. Also mehr Milliarden für öffentliche Investitionen in Straßen, in Schulen und Kindergärten. Ist das Ihrer Ansicht nach der richtige Weg?
Westerwelle: Ja. Wir teilen nachdrücklich diese Kritik, die die Experten an der Bundesregierung geübt haben. Wir brauchen kein Konjunkturprogramm, das wie ein Strohfeuer Steuergelder verbrennt, sondern wir brauchen ein Strukturprogramm, das die Dinge erledigt, die wir ohnehin jetzt machen müssten, um zukunftsfähig zu sein.
Spengler:Was wäre das zum Beispiel?
Westerwelle: Das fängt bei dem Steuerrecht an, ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem. Es ist machbar und es ist dringlicher denn je notwendig. - Wir müssten zum zweiten in dem gesamten Bereich der Infrastruktur den Investitionsstau jetzt beseitigen. Dazu zählt übrigens weit mehr als nur der Investitionsstau bei der Verkehrsinfrastruktur, sondern dazu zählt vor allen Dingen auch das, was wir bei der Infrastruktur im Energiesektor dringend erledigen müssten. Auch da ist viel zu tun in Deutschland. - Aber das Dritte ist aus meiner Sicht auch mit Abstand das wichtigste. Wir wissen, dass wir ohnehin unser Land in der Frage der Bildung, der Wissenschaft und der Forschung neu aufstellen müssen. Wir fallen zurück. Dabei wird hier die Zukunft auch Deutschlands entschieden und deswegen plädieren wir entschieden dafür, dass in dem Bereich der Bildungsinvestitionen jetzt das getan wird, schneller getan wird, was ohnehin geplant war beziehungsweise was ohnehin eines Tages gemacht werden müsste.
Spengler:Soll man dafür auch mehr Schulden machen, wie es die Sachverständigen wollen?
Westerwelle: Ich glaube gar nicht, dass ein Strukturprogramm automatisch zu mehr Schulden führt. Wenn man beispielsweise ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem beschließt, heißt das noch lange nicht, dass es weniger Staatseinnahmen gibt. Die Erfahrung in der Geschichte zeigt, wenn mit der Steuersenkung auch eine wirkliche Steuervereinfachung verbunden ist, bringt das Konjunkturimpulse bei den Investitionen, aber auch bei der persönlichen Nachfrage und das bringt wiederum mehr Arbeitsplätze und mehr Kaufkraft und damit auch wieder bessere Steuereinnahmen.
Spengler:Das ist aber eine Einzelmeinung der FDP; das ist nicht im Gutachten des Sachverständigenrates nachzulesen. Da steht das Gegenteil drin.
Westerwelle: Aber Sie erlauben mir doch, dass ich eine Meinung der FDP vertreten darf, die übrigens in der deutschen Geschichte schon mehrfach als richtig bewiesen wurde. Als in den 80er Jahren wir übrigens auch, wenn Sie an die Zeit 82/83 denken, in wirtschaftlich schwierigen Phasen waren, haben die damaligen Minister, der Finanzminister, der mittlerweile leider verstorben ist, Gerhard Stoltenberg und der große liberale Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff, die Steuern gesenkt, die Strukturen vereinfacht. Es gab nicht mit irgendeiner Zeitverzögerung, sondern sehr schnell auch höhere Staatseinnahmen. Die Steuern wurden damals gesenkt um etwa 60 Milliarden Mark, damals natürlich noch in Mark gemessen, und die Steuereinnahmen des Staates stiegen unmittelbar danach um 100 Milliarden Mark. Das hängt damit zusammen, dass die Gleichung "immer höhere Steuern, immer bessere Staatseinnahmen" einfach nicht stimmt. Irgendwann würgt eben auch die Steuerschraube die Konjunktur ab und wir sind längst in diesem Stadium. Das wäre aus unserer Sicht mehr Beweglichkeit für die Bürgerinnen und Bürger, mehr Freiheit und Eigenverantwortung für die Bürgerinnen und Bürger und vor allen Dingen eine Entlastung der Mittelschicht. Das wäre ein wirkliches Strukturprogramm durch eine vernünftige Steuerreform.
Spengler:Herr Westerwelle, wir halten fest: Sie sind gegen weitere Schulden, anders als die fünf Weisen fordern, und Sie sagen irgendwo, wir müssen die Steuern senken, weil dadurch steigen letztlich die Einnahmen des Staates, was ein bisschen widersinnig auf den ersten Blick klingt. Sie sagen, es wird jedenfalls dann irgendwie dazu führen, dass die Einnahmen sprudeln.
Westerwelle: Wenn Sie erlauben: Ich sage nicht, dass es ein Ziel sein muss, mehr Schulden zu machen, und das unterscheidet mich ja auch von den Regierungsparteien und das will ich auch nicht akzeptieren, sondern ich glaube, dass wir an dem Ziel, an ausgeglichenen Haushalten festzuhalten, festhalten sollten in der Politik. Mir wird zu leicht schon wieder wie selbstverständlich über riesige Schuldenberge gesprochen. Wenn am Schluss mehr Schulden gemacht werden müssen wegen der wirtschaftlichen Lage, dann ist es so, aber dass wir das anstreben, geradezu herbeirufen durch die falsche Politik, indem man beispielsweise Autokauf mit KfZ-Steuerbefreiung angeblich beschleunigen will, das akzeptieren wir nicht als FDP. Darauf will ich hinweisen. Wir bleiben eine Partei, die eben auch auf solide Haushalte im Interesse der nächsten Generation setzt.
Spengler:Aber Sie würden auch nicht mehr so strikt sein wie vor elf Jahren in Ihrem Wiesbadener Programm, wo Sie Schuldenmachen per Grundgesetz verbieten lassen wollten?
Westerwelle: Ich glaube, dass dies das Ziel der deutschen Politik bleiben muss, denn alles was wir über die junge Generation gesagt haben bleibt richtig.
Spengler:Ist es denn prinzipiell richtig, dass der Staat jetzt die Wirtschaft stützt?
Westerwelle: Wir haben ja als einzige der Oppositionsfraktionen dieses Rettungspaket im Deutschen Bundestag mit verabschiedet, weil wir uns als staatstragende Parteien in einer solchen Stunde der Herausforderung auch beim Wort nehmen lassen und zu unserer Verantwortung stehen. Wir hätten das Paket anders geschmiedet, aber dass ein Paket auch gepackt worden ist durch den Deutschen Bundestag, das war richtig und das unterstützen wir auch. Das sind besondere Lagen und in solchen besonderen Lagen wird in der ganzen Welt natürlich auch auf Antworten gesetzt, die man vielleicht vor zwei, drei Jahren nicht für möglich gehalten hat.
Spengler:Ich wollte sagen, Sie haben ja auch jahrelang gepredigt, der Staat möge sich möglichst heraushalten. Hat Sie die Finanzkrise eines besseren belehrt? Haben Sie dazugelernt?
Westerwelle: Ganz im Gegenteil ist es so, dass die soziale Marktwirtschaft, für die die FDP ja steht, in dieser Stunde sich als das lernfähigste System bewiesen hat. Ich glaube, jedes andere politische System, insbesondere was planwirtschaftliche Strukturen angeht, wäre in dieser Krise längst zusammengebrochen. Die soziale Marktwirtschaft hat sich als das überlegene Wirtschaftssystem bewiesen und die Demokratie übrigens auch und vor allen Dingen auch unsere Europäische Union hat herausragend, auch überlegen bewiesen.
Spengler:Herr Westerwelle, aber der Glaube an die Selbstheilungskräfte des Marktes, der ist doch erschüttert worden?
Westerwelle: Ich weiß nicht, wer den hatte. Hatten Sie den Glauben an die Selbstheilungskräfte?
Spengler:Ich dachte, Sie hätten den!
Westerwelle: Nein. Die FDP ist eine Partei, die normalerweise immer sehr oft von unserem politischen Gegner als eine Partei eher kritisiert wird, die sich sehr stark auf den Mittelstand, auf die Mittelschicht konzentriert. Wir wollen ja einen Staat, der Rahmenbedingungen setzt. Wir wollen ja nicht die Abschaffung des Staates; sonst wären wir Anarchisten. Wir sind der Überzeugung, dass zum Beispiel Monopole nicht zugelassen werden können, dass es Wettbewerb braucht. Wir brauchen ja eine freie und faire Gesellschaft. Der Staat muss Rahmenbedingungen setzen und das ist die soziale Marktwirtschaft. Und in aller Bescheidenheit: diejenigen, die lange vor mir für die FDP Verantwortung getragen haben, haben diese soziale Marktwirtschaft wesentlich mit erfunden und auch durchgesetzt in der Bundesrepublik Deutschland.
Spengler: Also kein Nachtwächterstaat. - Zum Konjunkturprogramm der Großen Koalition. Sie haben ja bereits die KfZ-Steuerbefreiung als Realsatire kritisiert. Wie sollte der Staat denn der Autobranche helfen? Sollte er überhaupt helfen?
Westerwelle: Ja, durch ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem, das die Mittelschicht stärkt.
Spengler: Das hatten wir schon.
Westerwelle: Damit hat man auch dann wirklich einen Effekt. Das was die Regierung jetzt vorgelegt hat heißt ja, dass jemand der einen Golf kauft, sagen wir mal für etwa 20.000 Euro, das deshalb tut, weil er eine KfZ-Steuerbefreiung von 109 Euro hat. Das ist albern und das habe ich Realsatire genannt. Zu glauben, dass irgendjemand ein Auto kauft oder ein Auto früher kauft, weil der Staat 100 Euro per KfZ-Steuerbefreiung dazutut, ist abwegig. Das handelt jeder ganz normale Käufer bei jedem Autohändler in den ersten fünf Minuten als Nachlass heraus und kriegt die Fußmatten noch oben draufgelegt. Das hat überhaupt gar keinen Impuls. Das zeigt mal wieder, welches kleine Karo eine Große Koalition uns bietet.
Spengler:Also keine sozusagen gesonderte Hilfe für die Autobranche. - Ich möchte auf ein anderes Thema kommen. Die fünf Weisen, der Sachverständigenrat hat kein gutes Haar gelassen an der vorgesehen Erbschaftssteuerreform. Wird die FDP nun versuchen, die Reform zu verhindern, etwa über die bayerische Staatsregierung?
Westerwelle: Es steht mir nicht an, dass ich Landesregierungen, die aus eigener Kraft schließlich regieren und aus eigener Verantwortung auch gewählt worden sind und ihr Land repräsentieren, im Radio bevormunde. Ich kann Ihnen nur die Haltung der FDP dazu sagen. Wir sind der Überzeugung, dass die Erbschaftssteuerreform, wie sie von den Regierungsparteien vorgelegt ist, ein ganz großer Fehler ist. Übrigens gäbe es ein enormes Konjunkturprogramm gerade für Familienbetriebe, indem man auf diese absurde Erbschaftssteuerreform verzichten würde. Das hätte einen enormen Impuls gerade für Familien und Familienbetriebe. Das was jetzt als Erbschaftssteuerreform vorgelegt worden ist, das ist erst einmal familienfeindlich. Es ist mittelstandsfeindlich. Es wird Arbeitsplätze kosten und es ist ungewöhnlich bürokratisch. Das akzeptieren wir Freie Demokraten nicht und wir behalten uns auch ausdrücklich vor, dass wir nicht nur politisch, sondern wenn es nicht anders geht abermals auch juristisch dagegen vorgehen müssen, denn es ist ja ganz augenscheinlich so, dass viele dieser Regelungen auch mit der Verfassung mindestens in einem sehr ausgeprägten Spannungsverhältnis stehen.
Spengler: Politisch, heißt das, Sie versuchen zu verzögern, bis die Wahl in Hessen im Januar vorbei ist, wo sie dann möglicherweise in der Regierung sind und über den Bundesrat die Steuer verhindern können?
Westerwelle: Diese Möglichkeiten haben wir leider aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Deutschen Bundestag nicht.
Spengler: Im Bundesrat, meinte ich.
Westerwelle: Ja, aber im Bundesrat haben wir diese Möglichkeiten derzeit auch noch nicht. Wir sind ja als FDP zwar in den vier größten Bundesländern mit in der Regierungsverantwortung jetzt, aber es reicht nicht für eine Gestaltungsmehrheit im Bundesrat. Daran arbeiten wir hoffentlich im nächsten Jahr mit weiteren Bundesländern. Sie haben das Stichwort Hessen bereits genannt. Mich ärgert übrigens auch, dass gerade diejenigen, die sonst die Familie immer so im Munde führen, bei der Erbschaftssteuerreform sich so gegen die Familie wenden. Da wird das Wort von der Kernfamilie erfunden, das es in dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland natürlich nicht gibt. Die Familie steht unter dem Schutz. Von einer Kernfamilie ist nirgendwo in der deutschen Rechtsordnung die Rede. Die wird jetzt plötzlich konstruiert und damit soll begründet werden, dass beispielsweise Geschwister untereinander so massiv benachteiligt werden und geradezu enteignet werden durch die Erbschaftssteuerreform. Wenn der Bruder der Schwester etwas vererben möchte, dann hat die Schwester einen Freibetrag von 20.000 Euro und danach greift der Staat mit dieser Totensteuer zu mit Steuersätzen von 30 bis 50 Prozent. Das ist eine unanständige Enteignung gegen Familien und dieser Aspekt ist meines Erachtens in der Öffentlichkeit nicht genug beachtet, wie sehr auch die Familien belastet und geschädigt werden durch diese Erbschaftssteuerreform. Vernünftiger wäre es, diese Erbschaftssteuer, die ja auch den Ländern zusteht, an die Länder zu übertragen und dann hätten wir zum ersten Mal wie in anderen Ländern in Europa übrigens auch einen gesunden Wettbewerb der Bundesländer, auch mal über niedrigere Steuersätze untereinander.
Spengler:Sagt der FDP-Partei- und -Fraktionsvorsitzende Guido Westerwelle. Herr Westerwelle, danke für das Gespräch.
Westerwelle: Danke Ihnen, Herr Spengler.